Von der Pariser Weltausstellung: Scherrebeker Webereien

In Scherrebek, einem kleinen schleswigschen Kirchdorf, sitzen wie in alten sagenhaften Zeiten die Bauernmädchen am Webstuhl und „wirken köstliche Gewebe“…

Unsere neuen dekorativen Bestrebungen, die dem Kunstgewerbe nach den Zeiten der Künstlichkeiten frische lebendige Anregung durch die robust gesunde Volkskunst vergangener Epochen zuführten, erkannten in der alten nordischen Webepraxis eine ungemein dankbare Technik und beleben sie in Scherrebek aufs neue. Ihre Besonderheit liegt darin, daß nicht mit dem Schiffchen gearbeitet wird, sondern daß die Schlußfäden einzeln mit den Fingern durch die Kette gezogen werden. Das hat den Vorzug, daß die Arbeit nicht auf gebundene Muster beschränkt bleibt, daß sie auch bildmäßige Vorwürfe rein flächenmäßig behandeln kann. In dieser Technik bot sich die Möglichkeit, eine Art moderner rustikaler Gobelins zu schaffen.

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Man wollte sich natürlich nicht damit begnügen, die Muster der Vergangenheit zu kopieren und wieder nur archaistische Spielerei zu treiben. Die nötige Technik war da, und nun hieß es: „wie machen wirs, daß alles neu?“

Sogleich stellten sich dekorative Künstler in den Dienst des Webstuhls. Otto Eckmann, Alfred Mohrbutter, Walter Leistikow erkannten sofort die lockenden Aufgaben, die sich boten und legten dem urväterlichen Gerät eine ganze Reihe Vorlagen schlichter und graziöser Kunst vor.

Abendfrieden – Wandteppich von Alfred Mohrbutter

Motive aus dem Tier und Pflanzenleben spielen die Hauptrolle. Mit feinem Takt sind die Vorwürfe aus dem Format und dem Zweck der Webereien komponiert. Schmale Friese, die sich gut zum Wandhintergrund über einem Paneelbrett, über dem Sofa, über dem Klavier eignen, zeigen Wellenkämme, auf denen wallend und wiegend Möwenschwärme sich schaukeln, oder sie gleichen einem blumenbestandenen Uferrand, an dessen Horizont auf schimmernder Strömung helle und dunkle Segel träumend ziehn.

Wandteppiche, die eine gute Vorkleidung für Fensterpfeiler oder für die neben den Thüren freibleibenden Wandflächen bilden, stellen langgeschlängelte Waldseen dar, die sich wie ein Band durch die Bäume winden, und darauf weiter nichts als ein still gleitender Zug von Schwänen.

Wandteppich mit Flamingos von Alfred Mohrbutter

Auf Kissenbezüge sind mit der leichten impressionistischen Eleganz japanischer Kleinkunst Blütenzweige gestreut. Und japanisch ist auch die bizarre Flamingophantasie Alfred Mohrbutters, der ein Trifolium dieser steif stilisierten Tiere mit den unwahrscheinlichen Drahtbeinen und dem verwegenen Linienspiel der Schlangenhälse in Scherrebek für die Pariser Weltausstellung weben ließ.

Nicht nur dekorativ, sondern ganz bildmäßig ist der Wandteppich Alfred Mohrbutters „Abendfrieden“. Schlafende, in Dämmerung gebettete Bauernhäuser. Darüber ein stiller Abendhimmel.

Auch Eckmann hat außer seinem bekannten Schwanenteppich, der vorhin erwähnt wurde, die Vorlage zu einem gewebten Bild geschaffen, dem großen „Waldteich“. Es ist eine Rautendeleinphantasie, für den Webstuhl komponiert. Oben eine Bordüre von Eulen, unten ein Fries von Froschkönigen und auf der Fläche der blaue Spiegel mit Mond und Sternen und Schilfgeflüster und starrendes Baumgeäst.

Nach den einfachen Motiven der ersten Arbeiten lernten die ausführenden Bauernmädchen in Scherrebek auch solche schwierigere Aufgaben zu bewältigen. Die Einfälle unserer Künstler liegen jetzt in den besten Händen. Sie können mit ihrer Reproduktion vollkommen zufrieden sein. Vor allem mit der Farbe.

Wandteppich mit Möwen von Prof. Otto Eckmann

Die Wirkung dieser Arbeiten ist voll plastisch leuchtender Fülle. Sie sind, wie die alten Teppiche des Orients, ausschließlich mit Pflanzenfarben gefärbt.

Die Scherrebeker Webeschule, die von dem Pastor Jacobsen und Dr. Denelen, dem Direktor des Urefelder Museums, begründet wurde, ist kein geschäftliches Unternehmen und wird ohne Vorteil für die Gründer geführt mit Unterstützung der preuß. Regierung.

Dieser Artikel von F. Poppenberg erschien zuerst 1900 in Die Woche.