Das Rathhaus in Grossheubach

Das Rathhaus in Grossheubach

Die gesegneten Gauen des unteren Mainthales innerhalb des bayerischen Regierungsbezirkes Unterfranken sind eine reiche Fundgrube für Schätze der Baukunst aus alter Zeit. Insbesondere sind schöne Fachwerkbauten in grosser Zahl vertreten. Miltenberg nimmt eine hervorragende Stelle ein. Da dieses Mainstädtchen zudem eine herrliche Lage hat, so kann der Besuch desselben allen Fachgenossen nicht warm genug empfohlen werden.

Ganz in der Nähe von Miltenberg, am Fusse des Klosters und vielbesuchten Wallfahrtsortes Engelsberg, liegt das Pfarrdorf Grossheubach. Hier befindet sich ein Rathhaus, das wegen seiner eigenartigen Bauart und schönen Wirkung volle Beachtung verdient. Obwohl den ländlichen Verhältnissen und dem Dorfbilde in glücklicher Weise angepasst, trägt dieses Gebäude doch eine gewisse Monumentalität zur Schau und lässt keinen Zweifel über seine Bestimmung aufkommen.

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Nach dem Gutachten des General-Konservatoriums der Kunstdenkmale und Alterthümer Bayerns ist das Bauwerk als ein charakteristisches Beispiel einer besonderen Richtung der fränkischen Baukunst zu betrachten. Mit Rücksicht hierauf hat auch die kgl. bayerische Staatsregierung zur Wiederinstandsetzung dieses Rathhauses, das sich in einem sehr herabgekommenen Zustande befand und dem gänzlichen Verfalle entgegenzugehen drohte, einen erheblichen Beitrag aus dem Fond zur Erhaltung kirchlicher und anderer Kunst- und Geschichtsdenkmale des Landes zur Verfügung gestellt, und auch die keineswegs wohlhabende Gemeinde hat hierfür grosse Opferwilligkeit an den Tag gelegt. Immerhin zwang die Bausumme zu grösster Sparsamkeit.

Das Rathhaus in Grossheubach
Das Rathhaus in Grossheubach

Mit der Leitung der Wiederherstellungs-Arbeiten, die aufgrund eines Gutachtens des vorgenannten General-Konservatoriums zur Ausführung gelangten, war der Unterzeichnete betraut. Es sei erwähnt, dass infolge schlechten Bauzustandes diese Arbeiten sich im weitgehenden Grade als nothwendig erwiesen haben und dass insbesondere viele Fachwerkhölzer und Balken ausgewechselt, Mauertheile erneuert und andere Bautheile ergänzt werden mussten. Hierbei wurde vor allem streng darauf gesehen, dass der frühere Zustand treu wiederhergestellt wurde.

Wie die Abbildungen erkennen lassen, ist das Rathhaus ein zweigeschossiger Bau mit hohem Satteldach. Das Erdgeschoss ist aus unverputztem Sandbruchstein-Mauerwerk hergestellt. Die Fenster- und Thoreinfassungen bestehen aus rothem Mainsandstein. Letztere sind, je nach ihrer Lage und Bedeutung mehr oder minder reich profilirt, ausserdem sind die Gewände des vorderen Thores mit geometrischen Ornamenten geschmückt. Die Halle im Erdgeschoss war früher nicht ausgebaut, ohne Fenster und Putz und diente zur Aufbewahrung von Holz und Feuerlöschgeräthen. Das Obergeschoss und die beiden hohen Giebel sind in reichem und zierlichem Fachwerk ausgeführt, dessen Eckpfosten mit eingeschnittenen muschel- und fächerartigen Ornamenten verziert sind. An der Vorderseite befindet sich ein schöner Erker, der sich auf eine einfach und kräftig gebildete steinerne Konsole stützt. Unten ist an derselben das Brustbild des Baumeisters in Stein gehauen. An den westlichen Giebel ist der Treppenthurm angebaut.

Das Rathhaus in Grossheubach
Das Rathhaus in Grossheubach

Die Zwischenräume des Fachwerkes sind verputzt, in lichtem Tone angestrichen und mit farbigen Linien eingefasst. Die grösseren Felder sind ferner mit grau-schwarzen Ornamenten und Fruchtschnüren bemalt. Diese barocken Verzierungen, die genau nach den noch vorhandenen alten Beispielen gebildet wurden, bringen gerade in ihrer Derbheit eine gute Wirkung hervor. Sämmtliche Holztheile sind mit Hausroth gestrichen.

Was das Innere des Hauses betrifft, so nimmt ein saalartiger Raum fast das ganze Untergeschoss ein, in dem 4 steinerne Säulen stehen, die das sichtbare Balkenwerk und die oberen Zwischenmauern unterstützen. An der östlichen Giebelseite sind 3 kleinere Räume untergebracht (ehemals Haftraum, Folterkammer und Wachtstube).

Obergeschoss
Obergeschoss
Erdgeschoss
Erdgeschoss

Im Obergeschoss befinden sich anschliessend an die Wendeltreppe ein geräumiger Vorplatz, der Sitzungssaal und verschiedene Nebenräume. Auch hier sind die Holztheile sichtbar und im Holzton gestrichen, die verputzten Zwischenfelder an Wänden und Decken mit farbigen Linien nach vorhandenen Mustern eingefasst.

Auch vom Unterzug und der geschnitzten Säule im oberen Saale, ferner von den oberen Thüren konnten die ehemaligen Farben genau festgestellt und hiernach der neue Anstrich getreu nachgebildet werden. Man sieht hieran, dass unsere Vorfahren eine lebhafte farbige Behandlung liebten.

Laut der Inschrift über dem Südthore und den beiden in Stein gehauenen Wappen beiderseits derselben wurde das Gebäude im Jahre 1611 als kur-mainzisches Amtshaus errichtet. –
Aschaffenburg, im Juni 1901
Heberlein, kgl. Bauamtmann.

Dieser Artikel erschien zuerst am 17.07.1901 in der Deutsche Bauzeitung.