Das Unwetter in der Rheinprovinz vom 26. Juli 1902

Von Dr. P. Polis, Direktor des Meteorologischen Observatoriums in Aachen.

Der 26. Juli dieses Jahres brachte für die Regierungsbezirke Aachen und Köln ein Unwetter von seltener Heftigkeit, indem ein Gewitter, begleitet von orkanartigen Windstößen und Hagelfall, von Belgien herkommend in östlicher Richtung nach dem Rhein hin und über Opladen ins bergische Land zog.

Die Zerstörungen und Verheerungen durch den Orkan waren derartig, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen sind; die starken Niederschläge und die elektrischen Entladungen vermehrten noch das Unheil. Allenthalben wurden Bäume entwurzelt oder abgeknickt, Fabrikschornsteine und Mauern umgestürzt, Dächer abgedeckt, Menschen umgeweht, Saaten vernichtet u. s. w. In Forst bei Aachen schlug der Blitz in einen Fabrikkamin und warf dessen oberste 20 Meter zu Boden. Besonders verheerend gestaltete sich die Wirkung des Sturms zu Inden und Jülich, wo sogar zwei Menschen durch den Einsturz von Gebäuden getötet und ein 25 Meter hoher Wasserturm niedergelegt wurde.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

In Köln und Umgebung fielen Hagelschlossen in der Dicke von Taubeneiern, so daß zahlreiche Menschen und Pferde, die sich auf freiem Feld befanden, erhebliche Verletzungen erlitten. Der Fernsprech- und Kleinbahnverkehr wurde allerorts durch Zerreißen der Leitungen unterbrochen.

Nach den Angaben des 1. Assistenten unseres meteorologischen Observatoriums, Herrn A. Sieberg, gestaltete sich der Verlauf des Unwetters zu Aachen wie folgt: gegen 4 Uhr nachmittags zog ein Gewitter im Westen herauf. Ein langgestreckter, mäßig hoher, kompakter Wolkenstreifen war der Gewitterbank vorgelagert, der am weiteren Vorrücken durch die das Aachener Thalbecken umschließenden Höhenzüge gehemmt wurde. Der linke Flügel hielt am Lousberg an, während der rechte unter fortwährendem Anwachsen seiner Höhe um den südwestlichen Teil des Kessels herumschwenkte, wobei er aus der Gewitterbank ununterbrochenen Nachschub erhielt. Plötzlich brach der Wolkenstreifen in das Becken ein, es von Südwesten her in nordöstlicher Richtung durchquerend; aus ihm gingen auch die orkanartigen Windstöße und der Platzregen hervor. Das eigentliche Gewitter zog im Norden der Stadt vorbei.

Aufzeichnungen der Registrierinstrumente am Meterologischen Observatorium zu Aachen am Nachmittag des 26. Juli 1902

Unsere Figur giebt die Aufzeichnungen der selbst registrierenden Instrumente am besagten Nachmittag wieder, und zwar für die durch die punktierten Linien markierte Dauer des Gewitters von fünf zu fünf Minuten; sie läßt das Ineinandet greifen der einzelnen Witterungsfaktoren, wie Luftdruck, Temperatur, Feuchtigkeit, Windrichtung und Geschwindigkeit, sowie Niederschlag deutlich erkennen.

Kurz vor dem Ausbruch des Unwetters hatte die Temperatur den Wert von 28,3 ° C bei einer relativen Feuchtigkeit von 42 % und frischen südsüdöstlichen Winden erreicht. Mit dem Einsetzen der Böe um 4.12 Uhr fiel die Temperalur um etwa 10 ° bis auf 18,7 °, während zu gleicher Zeit die Luftdruckkurve um volle 2 Millimeter stieg und dabei eine sogenannte „Gewitternase“ von seltener Schärfe zeichnete. DerSsturm, der während seiner größten Stärke etwa vier Minuten andauerte, erreichte dabei den hohen Wert von 25 Meter in der Sekunde, was eine Geschwindigkeit von 90 Kilometer pro Stunde ausmacht; einzelne Stöße hatten sogar eine noch größere Stärke. Die Richtung des Windes drehte von Südwesten während der Böe auf Westnordwest und Nordnordwest, sprang dann unter starkem Abflauen nach Osten um, um dann wieder südwestlich zu werden. Bemerkenswert ist noch daß der weitaus größte Teil der umgewehten Bäume, namentlich auf der Aachener Heide, in der Richtung von Westnordwest nach Ostsüdost liegen. Die Hauptregenstärke fiel mit der stärksten Windböe zusammen. Die gesamte Wassermenge, zeitweise mit Hagel untermischt, war gering, da sie nur 3.3 mm betrug, wovon aber in 4 Minuten 2.6 mm niedergingen.

Das zeitliche Zusammenfallen der Gewitternase, des Temperatursturzes und des Anwachsens der Windgeschwindigkeit lassen mit Sicherheit darauf schließen, daß der Orkan durch das Herabstürzen von kälteren und damit schwereren Luftmassen aus großen Höhen entstanden ist.

Dieser Artikel erschien zuerst am 09.08.1902 in Die Woche. Das Beitragsbild ist ein Beispielbild von Petra auf Pixabay.