Der Cyclon in St. Louis am 27. Mai 1896 und seine Verheerungen

(Vorgetragen im Arch.- u. Ing.-Verein zu Hamburg am 16. Oktober 1896 von B. Ohrt.) Am 27. Mai d. J. wurde St. Louis von einem Cyclon oder Tornado heimgesucht, der auf seinem Wege die Stadt auf die furchtbarste Art verwüstet.

Da die Verwüstungen hauptsächlich in das Gebiet des Architekten und Ingenieurs hineingreifen, so dürfte eine eingehende Schilderung der Ursache und des Verlaufes des Cyclons an dieser Stelle wohl von Interesse sein. Hierbei möge gleich bemerkt werden, dass die Schilderung der Hauptsache nach Berichten entnommen ist, welche Hr. Frankenfield, der Vorsteher der meteorologischen Station in St. Louis, in der Monthly Weather Review zu Washington veröffentlicht hat und welche die Engineering News und andere amerikanische technische Zeitschriften brachten.

Uebersichtsplan

Die Ursache der Entstehung des Tornado, der am Nachmittage des 27. Mai d. J., also am Mittwoch nach Pfingsten, über St. Louis raste, wird auf die sehr lange Periode von aussergewöhnlich hohen Temperaturen, verbunden mit einem ungewöhnlich hohen Feuchtigkeitsgrad der Luft, während der letzten Wochen geschoben. Vom 9. April bis zum 27. Mai, also in einem Zeitraum von 49 aufeinander folgenden Tagen, war die mittlere Temperatur 8° Cels. über der Normalen und 4° höher, als irgend eine Beobachtung für April und Mai, welche je gemacht war, so lange die meteorologische Anstalt in St. Louis besteht. Die mittlere Temperatur für Mai war 7° über der Normalen und 1,5 über den bisher festgestellten.

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Der relative Feuchtigkeitsgrad der Luft war während des Monats April beinahe normal, dagegen war er im Mai 74° oder 8% über dem normalen. Vom 14. bis 27. Mai war derselbe sogar 88°, also 22% über dem normalen. – Dann war 7 Wochen vor dem 27. Mai mit Ausnahme von 3 Tagen der Luftdruck im Westen unter dem normalen und bezüglich höherem Druck im Osten und Südosten. Sobald ein Ausgleich des vorhandenen Minimums im Westen stattgefunden hatte, bildete sich daselbst sofort wieder ein neues Minimum.

Die Verheerungen an der Lafayette-Avenue

Diese andauernde Folge von Minima’s veranlasste beständige Winde aus südlicher Richtung, welche eine grosse Menge Hitze und Feuchtigkeit mit sich brachten. In dem Monat April herrschten während 69% der Zeit und während des Monats Mai sogar während 78% der Zeit Südwinde vor. Hierdurch nahmen das Mauerwerk der Gebäude und das Strassenpflaster eine grosse Menge von Hitze auf, da eine Ausstrahlung während der Nacht durch Rauch und Nebel verhindert wurde.

Am 27. Mai zeigte die Wetterkarte um 8 Uhr Vormittags, dass das Minimum mit 29,7 Zoll Kansas und Nebraska bedeckte, es lag daher der Staat Missouri i. d. Südostviertel des niedrigsten Drucks. Heiteres Wetter mit südl. Winden war vorherrschend. Dagegen war der Feuchtigkeitsgrad besonders in Missouri sehr hoch. In St. Louis betrug er um 8 Uhr Morgens schon 94% bei einem Luftdruck von 29,92 Zoll und einer Temperatur von 21°. Dieser sehr hohe Feuchtigkeitsgrad, verbunden mit einer steigenden Temperatur, liess auf schwere örtliche Stürme in kurzer Zeit schliessen. Gegen Mittag war der Barometerstand langsam auf 29,87 gefallen, die Temperatur jedoch bis auf 27° gestiegen und weil der Feuchtigkeitsgrad derselbe blieb, so wurde die Luft als äusserst drückend und schwül von Jedermann empfunden. Der Himmel bedeckte sich allmählich mit einem leichten Gewölk, welches aber die Sonne noch so durchscheinen liess, dass sie einen scharf begrenzten Schatten warf, und zugleich kam ein leichter Südwind auf.

Gegen 2 Uhr war die Temperatur noch um 3°, also auf 30° gestiegen. Da nun der Himmel sich mehr und mehr bedeckte, der Barometer rasch zu fallen begann, der Wind sich verstärkte und nach Südost herumging, so erkannte jetzt selbst der Laie das Herannahen eines sehr schweren Gewitters.

Man sehnte sich aber allgemein darnach, weil die drückende Schwüle mit der Zeit für Menschen und Vieh geradezu unerträglich geworden war. Um 3.35 hatte sich der Himmel ganz mit Cumuluswolken, mit nach unten gerichteter muschelförmiger Gestalt bedeckt. Die Farbe derselben war dunkelgrau, mit schwarzen Schatten an der der Sonne entgegengesetzten Seite. (Die gleiche Wolkenbildung ist schon 1894 in Oklahoma vor einem nachfolgenden Cyclon beobachtet worden.)

Um diese Zeit begann nun die Temperatur allmählich bis 6 Uhr von 30° auf 25° zu fallen, ohne dass jedoch die drückende Schwüle aufgehört hätte. Um 4.30 hatten die Cumuluswolken sich in Schichtwolken von grünlichgelber Farbe verwandelt, die den Himmel vollständig bedeckten, sodass nach und nach eine völlige Finsterniss eintrat. Kurz nach 5 Uhr begann sodann ein starkes Wetterleuchten in N.W., welches sich immer mehr nach dem W. und nach dem N. ausdehnte; um 5.6 fing dann ein sehr schweres Gewitter an, sich über St. Louis zu entladen. Alle diese elektrischen Entladungen wurden immer gewaltiger, so dass bald der ganze Himmel, mit Ausnahme des Südens, in einem andauernden Lichtschein erschien. Helle Strahlen und gabelförmige Blitze von grüner, blauer, rother und hellgelber Farbe. hoben sich grell gegen den schwach gelben Hintergrund des nie aufhörenden Wetterleuchtens ab.

5.43 begann der Regen mit einzelnen schweren Tropfen, allmählich dichter werdend, bis er schliesslich von 6.4 bis 7.5 wolkenbruchartig niederfiel. Der Wind, der bisher schwach aus S.O. geweht hatte, schlug mit Beginn des Regens nach O.N.O. um und nahm bald eine Geschwindigkeit von 22 m in der Sekunde an.

Da erschien plötzlich 6.10 im W. ein hellglänzender senkrechter Lichtstrahl in einer Höhe von etwa 25° und mit einer Ausdehnung von etwa 5°. Derselbe bewegte sich senkrecht um rd. 5° südlich und leuchtete eine ganze Sekunde lang. Vollständig gleichzeitig mit dieser wunderbaren Erscheinung setzte 6.10, aus dem Westen kommend, ein rasender Tornado ein. – Ein unheimliches Rasseln und Prasseln ging durch die Luft, als ob ein langer Eisenbahnzug durch einen Tunnel führe; Blitz auf Blitz, grausige Donnerschläge und ein entsetzlicher Regen folgten und nach etwa 10 Minuten langem Toben war Alles still. In diesen wenigen Minuten hatte sich ein grässliches Trauerspiel in St. Louis und East St. Louis abgespielt. In einer Breite von etwa 2 km war die Stadt von W. nach O. vollständig in eine Ruinenstadt verwandelt; über 300 Menschenleben waren vernichtet, etwa 1300 Menschen mehr oder weniger schwer verwundet und ein Schaden von rd. 200 Millionen M. der Stadt und den Einwohnern zugefügt. Als trotz des furchtbaren Regens die Menschen sich doch nach und nach aus den Ruinen ihrer Häuser hinauswagten, folgten entsetzliche Szenen. Frauen suchten schreiend ihre Männer und Kinder, oder umgekehrt. Andere Menschen flehten inständig um Hilfe für sich oder ihre verschütteten Angehörigen, oder sie schrieen Feuer. Wieder andere lagen laut betend, heulend und weinend auf der Strasse, einige waren sogar vor Schreck wahnsinnig geworden.

Kaufhaus a. d. Ecke der Lassalle-Strasse u. Jefferson-Avenue

Bevor die weiteren Folgen des Cyclon besprochen werden, soll zunächst noch der Bericht der meteorologischen Station, die etwa 1,5 km nördlich der Bahn des Tornado liegt, vervollständigt werden.

Wie schon oben erwähnt, war um 8 Uhr Morgens der Barometerstand 29,92 Zoll gewesen, bis Mittag gegen 2 Uhr war derselbe langsam und stetig auf 29,87 gefallen. Nun begann er plötzlich rasch zu fallen und fiel, immer stark auf- und niederschwankend, ‚bis 6 Uhr Abends auf 29,67. Sodann ging der Barometerstand in einer Zeit von 4 Minuten auf 29,57 hinunter, stieg bis 6.14 wieder auf 29,67, um nun plötzlich um 0,31 Zoll, also auf 29,36 zu fallen und ebenso rasch um 0,40 Zoll, also auf 29,76 zu steigen. Diese ausserordentliche Schwankung von 0,71 Zoll = 17,5 mm hatte sich von 6.14 bis 6.30 vollzogen, Von dieser Zeit bis 10 Uhr Abends fanden nur noch Schwankungen von 0,05-0,10 Zoll statt und erst um diese Zeit stand der Barometer wieder fest. Sehr interessant ist eine Ablesung inmitten des Bereiches des Cyclon, die von einem Hrn. Klemm während des Passirens desselben an einem Aneroidbarometer gemacht worden ist. Dieser Herr machte seine Mutter auf den ausserordentlichen niedrigen Stand von 27,3 Zoll aufmerksam. Es rist dieser Stand also 2,05 Zoll niedriger, als der in der Wetterstation beobachtete.

Der Regen, welcher von 6.4 bis 7.5 wolkenbruchartig niederfiel, war in dieser Zeit in einer Höhe von 1,33 Zoll = 34 mm gefallen. Um 7.23 setzte der Regen dann mit erneuter Gewalt wieder ein und alles was der Sturm auf seinem Weg noch etwa verschont hatte, wurde nun durch den alles durchdringenden Regen verdorben. Erst um 10 Uhr hörte es auf zu regnen. Die grösste Regenmenge fiel von 7.25 bis 7.30 in einer Höhe von 14 mm; man kann also darnach ermessen, welche Wassermassen in diesen 2 ½ Stunden die Wolken auf St. Louis ergossen haben.

Ohne Beschriftung

Von Interesse sind auch die Beobachtungen der meteorologischen Station über die Windgeschwindigkeit und über die Windrichtungen, weil die letzteren trotz der theilweisen grossen Heftigkeit des Windes sich fortwährend änderten. – Es war schon oben gesagt, dass um 6.4 bei dem Eintreten des Regens der Wind von S.O. plötzlich in O.N.O. umschlug und sehr bald eine Geschwindigkeit von 22 m in der Sekunde erreicht hatte. Dieser O.N.O.-Wind drehte sich 6.10 bei dem Eintreten des Tornado plötzlich wieder um beinahe 180° indem er mit gesteigerter Geschwindigkeit aus N.W. blies. Die Geschwindigkeit war von 6.10 bis 6.15 40 m in der Sekunde und von 61.5 bis 6.20 sogar 60 m in der Sekunde. Um 6.20 drehte der Wind sich plötzlich wieder nach N.O. mit einer ganz geringen Geschwindigkeit, die um 6.55 bis auf 3,5 m in der Sekunde hinabging, sich aber bis 7.48 wieder bis auf 18 m in der Sekunde hob. Nun flaute der Wind wieder bis auf 6 m Geschwindigkeit ah, nahm eine mehr östliche Richtung an und hielt in dieser Stärke bis 10 Uhr Abends an.

Der Cyclon in St. Louis am 27. Mai 1896 und seine Verheerungen.

Der Tornado hatte, wie der Plan in dunkler Farbe zeigt, eine Richtung fast genau von W. nach O., drehte sich bei dem Erreichen des Mississippiflusses etwas nach NO. und ging dann durch die Vorstadt East St. Louis wieder nach O. Eine eigentliche Windhose, wie sonst oft, bei Tornados gesehen wird, ist weder in St. Louis noch in East St. Louis beobachtet worden. Die fortschreitende Bewegung des Cyclon konnte auf 18 m in der Sek. festgestellt werden, weil sein Eintritt in die Stadt nach allen Berichten gleichmässig auf 6.19 und die Ankunft an dem rechten Ufer des Mississippiflusses durch mehrfache Angaben auf 6.20 festgestellt worden und dieser Weg rd. 12 km lang ist. Die Breite des Cyclon betrug fast durchweg 2 km. Die Zerstörungen auf seinem Wege sind ausserordentlich verschiedenartig, imganzen sind etwa 1300 Häuser mehr oder minder zerstört worden. Allein in der Nähe des Towrn Grove und Lafayette-Park sind 6-700 villenartige Gebäude, zumtheil herrliche Paläste, verwüstet worden. Weil die Bauart dieser Häuser eine solidere war, waren jedoch die Zerstörungen hier nicht so gründlich, wie bei den Häusern des dann folgenden Stadttheiles, in dem mehr Arbeiter und kleinere Leute wohnten und Fabriken sowie grosse Kaufmannshäuser aufgeführt waren. Bis etwa zum Compton Hill Reservoir, das ist bis etwa zur Mitte der Stadt, ist keine wirbelnde Bewegung nachzuweisen; östlich von hier zeigen jedoch die Trümmer ganz deutlich das Vorhandensein einer solchen Bewegung und weil die Verwüstungen hier mit am schlimmsten sind, so scheint auch die Heftigkeit des Cyclon hier am stärksten gewesen zu sein. Das Zentrum des Orkans muss durch den Lafayette-Park gegangen sein, weil hier die Bäume nach allen Richtungen lagen; theils waren sie abgebrochen, theils abgedreht, theils ausgerissen, vielen war sogar die Rinde abgestreift.

Bei dem Stadthospital, welches südöstlich von dem genannten Park liegt, ging die südliche Seite des Wirbels durch die nordwestliche Hälfte des Gebäudes, weil diese Hälfte vollständig zu einem Trümmerhaufen zusammengestürzt ist, während bei der südöstlichen Hälfte die inneren Mauern nach Norden herausgerissen wurden und die Aussenmauern stehen blieben. Sehr deutliche Spuren der wirbelnden Bewegung fand man in East St. Louis, wo die Trümmer der Häuser an der Nordseite des Cyclon, meistens nach Süden und die Trümmer der Häuser an der Südseite des Cyclon, nach Norden gefallen sind.

Eine besondere Eigenthümlichkeit dieses Cyclon war die verhältnissmässig gleichmässige Höhe seines unteren Endes über der Erdoberfläche, die etwa 9 m und selten mehr oder weniger betrug. Bei den meisten Häusern finden sich die Beschädigungen über dem 1. Obergeschoss, ausgenommen dort, wo dieselben in der Mitte des Orkanes ganz zusammengefallen sind und dort, wo die unteren Geschosse durch das Gewicht der herabfallenden Trümmer mit zerstört wurden. Hunderte von Mauern wurden aus dem 1. und 2. Obergeschoss herausgeworfen, während die Erdgeschosse verschont blieben; ebenso sind in dem Lafayette-Park beinahe alle Bäume in Höhe von 9 m abgedreht bezw. abgebrochen, während die vielen Statuen und verschiedene kleinere Pavillons stehen blieben.

Eine fernere wunderbare Erscheinung ist, dass an sehr vielen Häusern die Mauern nicht nach innen hineingedrückt, sondern dass dieselben nach aussen herausgefallen sind. Diesem Umstande schreibt man auch die verhältnissmässig geringe Anzahl der getödteten bezw. verwundeten Menschen zu, gegenüber der grossen Anzahl der zerstörten Häuser. Erklärt wird derselbe dadurch, dass gleich hinter dem Tornado die Luftschicht sich in einem stark verdünnten Zustande befunden habe, wodurch die gespannte Luft in den Zimmern explosiv wirkte und infolgedessen die Wände nach aussen drückte. Ein Beweis hierfür ist, dass mit dem Herausfallen der Wände oft leichte Gegenstände, wie Papier Schachteln, Kleidungsstücke und aus einer Kofferfabrik sogar Hunderte von Koffern mit herausgeflogen sind (vergl. das bezgl. Bild). Ferner ist an vielen Häusern festgestellt, dass bei hohl aufgeführten Mauern die äusseren Verblender trotz des Verbandes abgefallen sind, während die innere halbe Wand stehen blieb.

Zerstörte Häuser an der Ecke der 7. und Rutger-Strasse. Hier sind 17 Menschen verschüttet worden und umgekommen.

Diese gewissermaassen ansaugende Eigenschaft des Tornado erklärt auch den plötzlichen Wechsel der Windrichtung, die bei dem Passiren des Wirbelwindes auf der meteorologischen Station beobachtet wurde. Ein Beobachter an der Südseite der Bahn würde wahrscheinlich einen Wind aus S.W. von 6.10 bis 6.20 wahrgenommen haben.

Haus in der Calofornia Avenue

Sehr viele Beispiele beweisen, dass aber auch ein gewaltiger Luftdruck vorhanden gewesen sein muss. Bei einem Hause in der California Ave, wurde das Dach gelüftet; dann blies der Wind das 2. Obergeschoss unter dem Dach fort und nun fiel das Dach auf den Rest des Hauses nieder (vergl. das bezgl. Bild). Bei der Mount Calvary Episcopal-Kirche wurde das ganze Dach aufgehoben und seitwärts gelegt (vergl. das bezgl. Bild).

Mount Calvary-Episcopal-Kirche, Ecke d. Lafayette- u. Jefferson-Avenue.

Man hat überhaupt beobachtet, dass Dächer mit Ziegeln und Schiefer gedeckt das Entweichen des in den Gebäuden vorhandenen Ueberdrucks leichter gestattet haben, indem dieser einzelne Ziegel bezw. Schiefer abriss, während Metalldächer (die mehr ein Ganzes bilden) das Entweichen des Ueberdrucks verhinderten und dieserhalb oft ganz abgedeckt wurden. Ebenso wurden die Gebäude, bei denen die Fenster geöffnet waren, nicht so stark beschädigt, als solche, bei denen die geschlossenen Fenster die rasche Ausgleichung des Luftdruckes verhinderten.

Zerstörte Eisenkonstruktion der Tabacks-Fabrik-Gebäude von Liggert & Meyer.

Einige wunderbare Erscheinungen, wie verschiedenartig und lokal die Zerstörungen bewirkt worden sind, mögen hier noch aufgeführt werden. Die Tabacksfirma Liggert & Meyer besitzt eine Fabrikanlage von einer ganzen Reihe Gebäuden, die mit einer Front von rd. 700 m zwischen der Park-Ave. und der Folsom-Ave. liegen. Von diesen Gebäuden sind mehre stark beschädigt und es wurden durch den Einsturz einzelner Gebäudetheile eine ganze Anzahl Arbeiter und Arbeiterinnen unter den Trümmern begraben. Drei Gebäude dieser Firma waren nun noch im Bau begriffen. Es waren die inneren Eisenkonstruktionen, gusseiserne Säulen und schmiedeiserne Träger, aller 3 Gebäude für alle 5 Geschosse fertig montirt, während die Umfassungsmauern nur bis zum 1. Obergeschoss aufgeführt waren. In allen Geschossen lagen die Gerüsthölzer nur lose auf den Trägern. Nun sind bei dem 1. und bei dem 3. Hause die gesammten Eisenkonstruktionen zu einem wilden Chaos zusammengebrochen, während die des mittleren Gebäudes unversehrt stehen geblieben sind; ja es sind hier nicht einmal die losen Gerüstbretter fortgeweht (vergl. das bezgl. Bild). Da die 3 Häuser in der Richtung des Tornado standen, so ist das Stehenbleiben des mittleren Hauses nicht erklären. Ein weiteres Beispiel ist ebenso unerklärlich, An dem Ufer des Mississippi stand in dem Bereiche des Cyclon ein Wagen mit losen Brettern beladen und mit 2 Pferden bespannt. Der Wagen mit den Brettern ist unberührt stehen geblieben, während die beiden Pferde aufgehoben und in den Fluss geworfen sind, wo sie ertranken, Oft haben Häuser nur geringen Schaden an dem Dach erlitten, während die Nachbarhäuser zu beiden Seiten oder gegenüber zerstört sind.

Elektrische Zentralstation d. vereinigt. Strassenbahn-Gesellschaften.

Das eine Bild zeigt die zerstörte elektrische Zentralstation der vereinigten Strassenbahn-Gesellschaften, deren riesenhafter Schornstein etwa 9-10 m oberhalb der Erde stumpf abgebrochen ist. Derselbe hatte eine Höhe von etwa 55 m, unten einen Durchmesser von etwa 5,5 m und oben einen solchen von 3,2 m. St. Louis hatte etwa 320 km Strassenbahnen in Betrieb. Von diesen konnte in den folgenden Stunden nach dem Cyclon nur auf etwa 30 km der Betrieb fortgesetzt werden. Ganze Strassenbahnwagen voll mit Menschen sind an verschiedenen Stellen ganz umgeworfen (vergl. das bezgl. Bild). Da viele Tausende von Metern elektrischer Kabel zerrissen und die Gasanstalt zumtheil demolirt war, so herrschte an dem ganzen Abend und in der kommenden Nacht eine in St. Louis sonst nicht gewohnte Finsterniss, die selbstverständlich den Schrecken noch erhöhte. Beim Ueberschreiten des Tornado über den Mississippifluss sind viele Boote Schiffe und sogar grosse Dampfer zum Sinken gebracht oder sogar auf das Ostufer geworfen worden.

Blick auf den zerstörten Theil der Mississippi-Brücke von Osten. Das Südgleis schon von Trümmern gesäubert.

Die grosse Mississippibrücke mit ihren 3 Spannweiten von rd. 150 m, d. h. die Eisenkonstruktion, hat keinen Schaden gelitten, dagegen ist auf der Ostseite der massive Theil in einer Länge von etwa 60 m zerstört. Dieser massive Theil besteht aus 5 Bögen von je 8,25 m Spannweite zur Aufnahme der Eisenbahngleise; darüber waren 20 Bögen von 2 m Spannweite mit Pfeilern von 0,76 m im Quadrat aus Sandstein angeordnet. Ueber diesen Pfeilern lagen von einer Seite der Brücke zur anderen eiserne Träger mit einer Spannweite von rd, 12 m. Auf diesen Trägern lagen hölzerne Balken 15/35 cm, dann Bohlen von 7,5 cm und hierauf in ganzer Breite ein Holzpflaster zur Aufnahme der Fahrstrasse von St. Louis nach der Vorstadt East St. Louis mit einem Doppelgleis der elektrischen Strassenbahn. Wie die bzgl. Bilder zeigen, ist von diesem massiven Theil der Brücke der obere Theil abgerissen und zwar wurde an der Nordseite die Mauer 1 m über Schienenoberkante, also an der Basis der Pfeiler abgebrochen, während die südliche Mauer in Höhe der Schienen weggerissen wurde. Die Trümmer der Nordseite wurden nach Süden auf die Schienen geworfen, während die Trümmer der Südmauer theils nach Norden auf die Schienen und theils nach Süden von der Brücke herunter gefallen sind. Einzelne Balken und Bretter sind südlich der Brücke bis über 120 m weit getragen worden.

Der zerstörte massive Theil der Mississippi-Brücke mit der sich nach East St. Louis herabführenden eisernen Rampe.

Eine wunderbare Erscheinung ist, dass ausserhalb der Bahn des Tornado auf der Ostseite des mittleren Bogens der Hauptbrücke, der ganze eben beschriebene Oberbau in einer Länge von 50 m abgehoben und fortgeweht worden ist.

Es muss hier eingeschoben werden, dass im Jahre 1871 an derselben Stelle der hölzerne Oberbau durch ein Orkan stark beschädigt wurde und dass infolge dieses Umstandes damals die gesammten Wind- und Querversteifungen der Brücke erheblich verstärkt worden sind. Vielleicht haben gerade diese Verstärkungen mit dazu beigetragen, dass die Brücke diesesmal erhalten blieb; denn eine sofortige Untersuchung der gesammten Brücke ergab, dass die Eisenkonstruktion keinen Schaden genommen hatte.

Eisenbahnzug nach Chicago, der östlich der Mississippi-Brücke auf der nach St. Louis führenden eisernen Rampe durch Umwerfen von 3 Wagen zum stehen gebracht wurde.

Ein sehr interessantes Bild zeigt, wie ein nach Chicago fahrender Zug, der eben die Brücke passirt und die eiserne Rampe östlich der Brücke erreicht hatte, vom Cyclon gefasst wurde. Die drei letzten Wagen wurden umgeworfen und der Zug so zum Stehen gebracht.

Ein Beispiel, welches die rasende Geschwindigkeit und Gewalt des Wirbelwindes beweist, wird von einem Augenzeugen in der Railroad Gazette mitgetheilt. Eine Bohle von Tannenholz von 5/20 cm Stärke und 2 m Länge wurde mit solcher Wucht gegen einen eisernen Träger der Ostrampe der Missisippibrücke in East St. Louis geschleudert, dass sie 10 cm durch den Steg des Trägers getrieben ist und dann in diesem sitzen blieb. Das Loch, das sie in den Steg schlug, war fast glatt durchgetrieben.

Das arme East St. Louis wurde überhaupt in fast noch gründlicherer Weise verwüstet, als St. Louis selbst. Hier sind ganze Wohnquartiere vollständig von der Erde wegrasirt. Der Grund hierfür ist wohl einestheils in der grösseren Heftigkeit des Tornado, anderentheils in der leichteren Bauart der Häuser zu suchen, da hier fast nur Fachwerksbauten standen. Wie entsetzlich der Sturm auf den verschiedenen Bahnhöfen gehaust, zeigt das Bild mit den umgeworfenen Strassenbahnwagen. An einer Stelle ist sogar eine Lokomotive von einer Brücke hinuntergeschleudert worden.

Bahnhof der Strassenbahnwagen in East St. Louis.

Es lässt sich denken, dass bei den ungeheuren Entladungen von Elektrizität, wie sie oben beschrieben, der Blitz in St. Louis und East St. Louis sehr oft gezündet hatte und so wurde die Feuerwehr nach allen Seiten verlangt. Es war ihr aber in sehr vielen Fällen unmöglich, dem Rufe zu folgen, weil die Strassen überall durch Drähte, durch Telephonstangen oder durch Ruinen gesperrt waren. Der entsetzliche Regen hatte daher insofern sein Gutes, als er vielfach der Feuerwehr zur Hilfe kam und das Feuer löschte. – Wenn nun auch der Schrecken in dem ersten Augenblick auf die ganze Bevölkerung vollständig lähmend wirkte, so liess die Thatkraft der Amerikaner doch nicht lange auf sich warten und man kann dem kraftvollen Eingreifen derselben nur hohe Bewunderung zollen. Ueberall wurde den Verschütteten, die sich durch Rufen und Gestöhn bemerkbar machten, möglichst rasch Hilfe gebracht. Noch in derselben Nacht wurden etwa 150-160 provisorische Polizisten eingestellt, um das Eigenthum in den halb offenen Häusern vor Diebstahl zu schützen. Ebenso wurden noch in derselben Nacht überall möglichst die Strassen für den Verkehr wieder fahrbar gemacht. Die Maschinen der Kabelstrassenbahnen, von deren Halle das Dach und die Frontmauern niedergerissen waren, arbeiteten nach 48 Stunden wieder, theils unter freiem Himmel stehend. Die Elektrotechniker fingen auch sofort an, Tag und Nacht zu arbeiten, so dass schon in der zweiten Nacht nach dem Unglück zumtheil nothdürftig Beleuchtung geschaffen war.

Hand in Hand mit den Rettungs- und Aufräumungs-Arbeiten ging auch die Organisation der Hilfsgesellschaften. In kaum 24 Stunden waren schon in St. Louis über 800 000 M. für die Nothleidenden gezeichnet. Und so kann man wohl annehmen und hoffen, dass bei den grossen Reichthümern, die in den Vereinigten Staaten vorhanden sind und bei dem grossen Wohlthätigkeitssinn, der dort herrscht, sowie bei der grossen Energie, die den Amerikanern inne wohnt, St, Louis bald. schöner, als zuvor aus den Ruinen sich erheben wird und dass die dort geschlagenen Wunden möglichst bald geheilt sein werden.

Dieser Artikel erschien zuerst in 2 Teilen am 18. & 21.11.1896 in der Deutsche Bauzeitung.