Der Entwurf einer Brücke über den Kanal zwischen England und Frankreich

Der Entwurf einer stehenden Brücke über den Kanal La Manche ist in diesen Blättern schon erwähnt worden. Die Bemerkung in jener Notiz, dass an Ausführung wohl nicht, zu denken sei, ist ohne Zweifel richtig: auf das Gesuch um Konzessions-Ertheilung zu diesem Bau, das dem französischem Minister der öffentlichen Arbeiten zu Anfang Dezember vor. Js. von einer englischen Gesellschaft zuging, wird eine abschlägige Antwort nicht ausbleiben. Dem ungeachtet verlohnt es sich, auch hier, dem Beispiel der meisten technischen Blätter folgend, an der Hand einiger Zeichnungen etwas eingehender auf diesen Riesen-Entwurf zurück zu kommen. Eine 38 km lange Stahlbrücke über das freie, stürmische Meer – was wollen dagegen die 3 km der Taybrücke besagen! Und Spannweiten von 500 m bei einer starren Konstruktion, deren die seit einigen Wochen „virtuell“ vollendete Forthbrücke, das gewaltigste Bauwerk der Neuzeit, drei enthält, sollen hier zu Dutzenden ausgeführt werden!

Seit Ende des vorigen Jahrhunderts sind alle möglichen Entwürfe zur Herstellung einer festen (oder auch, wenn der Ausdruck gestattet ist, halb festen) Verbindung zwischen England und Frankreich hervorgetreten: dem unterseeischen Tunnel ist der „Isthmus von Dover“, die Durchdeichung, sodann die Ueberbrückung des Kanals gefolgt, eine grolse – Zahl von Fähren-Entwürfen hat sich angereiht. In Frankreich besonders war das Verlangen nach einer festen Verbindung mit England von jeher allgemein. In England stehen bekanntlich maassgebende Kreise der Sache feindlich gegenüber und sie haben, wie es scheint im Jahr 1884 nicht nur den damals zur Ausführung fertigen Tunnelplan, für dessen Vorarbeiten schon viel Geld aufgewendet worden war, zu Fall gebracht, sondern für absehbare Zeit allen derartigen Unternehmungen die Aussicht abgeschnitten; freilich ist der allgemein angegebene Grund, das „Aufhören der Insularität“ Englands und die damit gegebene Möglichkeit der Ueberrumpelung durch eine kontinentale Armee nicht besonders stichhaltig und auch nur der Vorwand für die eigentliche Befürchtung: Schädigung der englischen Handelsinteressen, insbesondere der englischen Vermittelung des festländischen Ueberseehandels. Ein vor mir liegender englischer Holzschnitt aus dem Anfang dieses Jahrhunderts, auf welchem die englische Insel durch einen unterseeischen Tunnel von einem französischen Heer angegriffen wird, verspottet schon jene angebliche Invasionsfurcht. So haben denn auch besonders die grossen Ausstellungen in der französischen Hauptstadt Gelegenheit geboten, jene Entwürfe zu studiren; die Weltausstellung des letzten Jahres, welche den alten Traum des 300 m-Thurmes verwirklichte, hat das neueste „Kanalprojekt“, eine Stahlbrücke, rasch in den weitesten Kreisen bekannt gemacht.

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Die Mitglieder des englischen „Iron and Steel Institute“ hielten ihr jährliches Meeting 1889 der Weltausstellung zu lieb in Paris ab. Sie wurden durch eine, gleichzeitig englisch und französisch erschienene Schrift überrascht, deren “wesentlicher Inhalt in der Zusammenkunft vom 24. September vorgetragen wurde.

[Die Titel sind: Iron and Steel Institute. The Channel Bridge, Preliminary Designs, liy Messrs. Schneider and Co., Crensot Ironworks, and H. Horsent, bezw. Pont sur la Manche. Avant-Projets de MM Schneider et Cie,, (Usines de Creusot) et H. Horsent, Entrepreneur de Travaux Publics, Paris et Londres 1889.]

Der Direktor des Creusot-Werks, H. Schneider, dem auf dieser Versammlung die Bessemer-Medaille zuerkannt wurde, und ein nicht minder berühmter zweiter französischer Ingenieur H. Hersent, unterstützt – durch die Erbauer der Forthbrücke, Sir John Fowler und B. Baker, veröffentlichten in dieser Schrift ihren Entwurf der Kanal-Brücke. Von grossem Interesse ist die Verhandlung, welche jenem Vortrag folgte: der Präsident Sir James Kitson bat, alle Erörterungen, welche nicht. in diese Versammlung gehörten, insbesondere Schiffahrtsfragen und die politische Seite der Sache, bei Seite zu lassen und sich auf die eisentechnische Seite zu beschränken. Der erste Redner Adamson, machte jedoch darauf aufmerksam, dass es unmöglich sein werde, die Sache überhaupt zu besprechen, ohne gewisse wirthschaftliche Fragen zu berühren; er bezweifelte so vor allen, indem er die Transportkosten zu Schiff (vermehrt durch die Umladekosten) mit denen der Bahn verglich, die Bauwürdigkeit einer solchen Eisenbahnbrücke; man dürfe das Tunnelprojekt, an dem schon so lange gearbeitet werde und dessen Ausführbarkeit Niemand ernstlich bezweifle, dessen Ausführungskosten 1/4 von denen der Brücke wären, nicht einfach bei Seite setzen; dem Entwurf sei Mangel an Durcharbeitung vorzuwerfen, es sei ein Werk jugendlicher Begeisterung, das nüchterner Prüfung nicht standhalte. Es wurden noch mehr Stimmen laut, die sich ähnlich aussprachen und obgleich gerade diese Versammlung Grund gehabt hätte, sich für ein Werk zu erwärmen, zu welchem rd. 1 Mill. t Stahl und Eisen erfordert würden, war doch die allgemeine Stimmung für den Tunnel, gegen die Brücke. Sir James Kitson meinte zwar bei Zusammenfassung der Verhandlung mit Recht: Adamson habe wohl die Namen der Techniker übersehen, welche den Entwurf decken; insbesondere habe wohl Sir John Fowler, der persönlich für die technische Möglichkeit des Entwurfs einstehe, seine technischen Kinderschuhe zertreten und halte nicht ein Hirngespinnst für praktisch durchführbar; auch habe ihm (Sir James) bereits ein grosser Pariser Börsenmann die Finanzirung des Baus für möglich erklärt. Allein, wie schon eingangs angedeutet, stehen, die technische Möglichkeit der Ausführung zugegeben, vor allem zwei Dinge entgegen: die zu hohen Kosten (beiläufig 900 Mill. Frcs. – für einen Tunnel, dessen Ausführbarkeit allgemein zugegeben wird, wenn auch in Beziehung auf genügende Lüftung noch nicht alle Zweifel gehoben sind, würden die Kosten voraussichtlich jedenfalls nicht über 300 Mill. betragen – welche eine erträgliche Verzinsung des Anlagekapitals vorläufig ausschliessen, und die Gefährdung der für alle Nationen freien Schiffahrt im Kanal. In dieses ohnehin so gefürchtete Gewässer sollen weit über 100 künstliche Klippen gebaut werden; im Interesse derjenigeu Nationen, deren Uebersee-Schiffe den Kanal zu durchfahren haben, vor allem Deutschlands, liegt die Brücke demnach nicht.. Wenn auch die sämmtlichen Pfeiler nur etwa 1/12 vom ganzen Wasserquerschnitt des Kanals in Anspruch nehmen würden und die grossen Oeffnungen von 300 m und 500 m selbst bei starkem Wind und unruhiger See „eine ernstliche Gefahr für die Segelfahrt geschweige denn die Dampfer“ ausschliessen sollen, indem die Pfeiler z. Th. als Leuchtthürme benutzt werden könnten und müssten (die aber in den berüchtigten Kanalnebeln nicht viel nützen), so wird sich durch die freie Schiffahrt, wie gesagt, ihr Fahrwasser nun und nimmer so verbauen lassen.

Nichtsdestoweniger bietet der Entwurf, vom rein konstruktiven Standpunkt betrachtet, so viel Interessantes, dass er wenigstens in seinen Grundzügen in möglichster Kürze vorgeführt zu werden verdient.

[Die beigegebenen Zeichnungen sind mit Genehmigung des Herausgebers des „Engineer“ einem Theil der in diesem Blatte (Nummern 1761-1763) erschienen nachgebildet. An der angegebenen Stelle ist so ziemlich auch der ganze Inhalt der Schneider-Hersent’schen Denkschrift veröffentlicht,]

1. Allgemeine Uebersicht.

Fig. 1

Durch die Vorstudien zu den Tunnelentwürfen, insbesondere die Arbeiten Thomé de Gamondts ist die Gestalt und geognostische Beschaffenheit des Seebodens an der engsten Stelle des Kanals aufs genaueste bekannt. Es konnte demnach die mit Rücksicht auf die Pfeilerbauten günstigste Lage der Brückenaxe mit Sicherheit festgestellt werden (vgl. die Lageplan-Skizze Fig. 1; die längs des Axe eingeschriebenen Zahlen sind in Wassertiefe bei N.-W., die Linien gleicher Höhe von 20, 30, 40, 50 m sind in der Nähe der Brücke angegeben). Die gewählte Linie verlässt Frankreich. zwischen Cap Gris-Nez und dem kleinen Hafen von Ambleteuse an der, Cran aux oeufs benannten Stelle, ist zwei mal gebrochen, um die Bänke Colbart und Varne zu benutzen, über welchen sich zur N.-W.-Zeit die Wassertiefe bis auf wenige m vermindert und erreicht bei Folkestone den englischen Boden.

Die drei Theile, in welche so die Brücke zerfällt, sind 15 840, 5140 und 17 140 m lang. Auf der Strecke Folkestone-Varne vertieft sich der Seeboden (unter N.-W.) nirgends unter 26 m dagegen tritt er auf der Strecke Varne-Colbart auf 31 m und auf der letzten Strecke auf eine Länge von nahezu 5 km auf unter 50 m bis zu 55 m, also etwa 15 m tiefer als bis jetzt in einzelnen Fällen pneumatische Gründungen ausgeführt worden sind (Hoogly-Brücke). Der Grund besteht meist aus festen, weissen und blauen Kreideschichten, die im ganzen wenig bedeckt sind, also wenig Abräumungsarbeiten erforderlich machen. Mit Rücksicht auf die grosse Wassertiefe und auf die Schiffahrt ist es geboten, so wenige Pfeiler als möglich anzuwenden. Die Oeffnungen des stählernen Ueberbaus sind daher auf 500 und 300 m (für die tiefsten Stellen), bezw. 350 und 200 m, bezw. 250 und 100 m (für die Uferöffnungen) festgesetzt; es werden so im ganzen 118 Pfeiler erforderlich sein: Unterbauten von Stein bezw. Beton, mit aufgesetzten zwei eisernen Rundpfeilern, auf welch letztere die Träger zu liegen kommen. Der stählerne Ueberbau soll mit dem Konsolträger- (Cantilever-) System ausgeführt werden; bei den grossen, mittleren, kleinen Spannungen, bei welchen die zwei einen Träger stützenden Pfeiler in 300, 200, 100 m Entfernung von einander stehen (vgl. Fig. 3) reichen die Ausleger 187,5, 130, 92,5 m über die Pfeiler hinaus und auf die frei schwebenden Enden zweier hohler Ausleger ist frei ein Träger von 125, 90, 65 m Länge aufgelegt, so dass, wie schon angegeben, die grossen Oeffnungen zwischen zwei nicht zusammengehörigen Nachbarpfeilern 500, 350, 250 m messen. Die Unterkante der Brücke liegt auf den grossen Oeffnungen der drei angegebenen Arten von Spannweiten 61 m, die Schienen der zweigleisigen Fahrbahn liegen 72 m über N.-W.; die Höhe der größten Träger beträgt 65 m. Das Material des Ueberbaus soll ausschliesslich Flusseisen sein. Im ganzen handelt es sich bei dem Entwurf um eine Mauerwerk- und Betonmasse von 4 Millionen cbm; und ein Eisengewicht von 848 000 t (davon auf den eisernen Ueberbau einschl. der eisernen Stützpfeiler 771 000 t), alle Maschinen, Geräthe, Hilfskonstruktionen eingerechnet wohl so ziemlich um 1 Mill. t = 1 Milliarde kg; um eine Kostensumme – soweit sich eine solche überhaupt berechnen lässt – von 860 Mill. Frcs. = rund 700 Mill. M. (davon 380 Mill. Frcs. auf die Steinbauten, 480 Mill. auf die Eisenbauten); dabei soll die Brücke in 10 Jahren stehen. Diesen gigantischen Verhältnissen gegenüber nehmen sich auch die grössten modernen Eisenbauten nur wie niedliche Modelle aus!

2. Gründung und Aufmauerung der Pfeiler.

Die Gründung der Pfeiler soll auf Caissons erfolgen, die, wie erwähnt, in eine Grössttiefe von 55 m unter N.-W. abzusenken sind (etwa 24 der 118 Pfeiler sind in mehr als 35 m Tiefe zu fundiren). In den eigentlichen, 2 m hohen Caissonsohlen-Kammern kann hier in der stark komprimirten Luft nicht mehr gearbeitet werden, diese sind vielmehr nur auf kurze Zeit zu Besichtigungen usw. zu betreten: der Raum über den Sohlkammern ist unabgetheilt durch einen mächtigen Eisenmantel umschlossen. Die Erfahrungen, die man bei Gründung der weniger hohen Pfeiler wird sammeln können, wird sicher zur Ueberwindung der Schwierigkeiten führen, welche bei der bis jetzt noch nirgends gewagten Gründungstiefe von 55 m noch zu befürchten sind. Zur Abräumung bezw. Abspülung der den Pfeiler aufnehmenden Grundfläche hofft man stark gespannte Wasser- und Luftstrahlen anwenden zu können. Die Kreide der Sohle trägt nach Sir John Hawkshaw mit Sicherheit 10-12 kg für 1 qcm; hiernach sind z. B. Für 55 m-Pfeiler folgende Abmessungen der Caissonsohle (Grundriss rechteckig mit an den Schmalseiten angesetzten Halbkreisen) gewählt: Länge 57 m, Breite 32 m, Fläche 1600 qm; im N.-W.-Spiegel sind die Abmessungen des Pfeilermantels noch 47,5 m 22,5 m, 960 qm; die 21 m über N.-W. liegende Oberfläche der Steinpfeiler, auf welche die eisernen Röhrenpfeiler stehen (s. u.) ist noch 650 qm gross.

[Hier und im Folgenden ist bei Gewichtsangaben in Tonnen stets die bei uns ebenfalls gebräuchliche metrische Tonne zu 1000 kg gemeint. Da dieselbe = 2205 engl. Pfd. ist, so sind Übrigens für eine erste Vergleichung die Zahlen auch für engl. Tons gültig.]

Fig. 2

Das Gesammtvolumen des Pfeilers mit dem Mantel usw. beträgt 86 000 cbm, das Volumen des Mauerwerks 57 000 cbm; das Gesammtgewicht ist etwa 150 000 t; durch die Eisenpfeiler und den Ueberbau wird die auf den 1600 qm ruhende Last nur um 9000 t vermehrt.

Der Grund hat demnach für 1 qcm 9,8 kg zu tragen; die Beanspruchung des Mauerwerks in N.-W.-Höhe ist 5,8 kg, der Granit am Fuss der Eisenpfeiler hat 8,2 kg auszuhalten.

Aehnlich sind auch die Verhältnisse bei den übrigen, weniger hohen Pfeilern. Die Pfeiler bieten vollkommene Sicherheit gegen Umkanten durch den Winddruck. Ob ihre Basis durch Erosion des Meeresbodens leiden würde, könnte nur die Erfahrung zeigen, von vorn herein ist darüber gar nichts zu sagen; jedoch wäre hier die nothwendige Sicherung nicht zu schwer herzustellen.

Die wichtigste und nach Hersent’s Urtheil vielleicht schwierigste Ausführung bei dem ganzen Werk wäre die genügend genaue Situirung der (noch schwimmenden) Pfeiler.

Fig. 3

Der Pfeiler wird durch Ketten gefasst, welche vermittels verankerter Barken festliegen; für den Anfang müsste das ruhigste Wetter bei N.-W. abgewartet werden, um den Pfeiler in die Richtung der Axe und in die richtige Entfernung vom letzten stehenden Pfeiler zu bringen; die Caisson-Schneide soll sich dabei noch 0,5 bis 1 m vom Grund befinden. Wenn der Pfeiler, der inmitten der verankerten Barken „der Spinne im Netz gleicht“ (s. Fig. 2), versenkt werden soll, so geschieht dies durch Einlassen von Wasser in eine genügende Zahl der unteren Kammern. Ergiebt sich bei Untersuchung der Lage des nunmehr stehenden Pfeilers, dass sie nicht genügt, so muss er wieder flott gemacht werden, was leicht zu bewerkstelligen ist. Insbesondere die Erfahrungen am Dockbau zu Toulon, „welche sich tiefer in das Gedächtniss aller Augenzeugen eingeprägt haben“ (mächtige Caissons mit Ziegelmauerwerks-Massen von 100.000 t wurden viele Monate lang schwimmend erhalten), sollen diesem Abschnitt der Arbeiten zugute kommen. Hersent zweifelt nicht daran, dass man bald fast bei jedem Wetter die Pfeiler-Situirung würde vornehmen lernen. Nachdem der Pfeiler seine richtige Stellung erlangt hat, ist die Betoneinfüllung und Aufmauerung zu vollenden. Das Mauerwerk soll aus Kalksteinen, oben z. Th. aus Granit bestehen, der Mörtel ist selbstverständlich durchaus Portlandzement-Mörtel mit Quarz- und Granit (nicht Kalk-) Sand. Für die Einfüllung des Betons sind schon eine Anzahl besonderer Vorsichtsmaassregeln vorgesehen, auf welche hier nicht weiter eingegangen werden kann.

Die Mauerpfeiler werden – oben im Schutz eines abnehmbaren, für mehre Pfeiler zu verwendenden, auf dem festen Mantel des unteren Pfeilertheils aufgesetzten Metallmantels – bis zu 14 m über H.-W. (21 m über N.-W.) hochgeführt, um die Füsse der Metallpfeiler der Wirkung der Sturzseen zu entziehen. Die für die Pfeiler im ganzen erarbeiteten Beton- und Mauerwerksmassen, sowie die Gewichte der Caissons und Mäntel zeigt (in abgerundeten Zahlen) folgende Tabelle:

Anzahl der PfeilerTiefe d. Grdg. In m unter N.-W.Beton und Mauerwerk in cbmGewicht der Caissons usw. in Tonnen


für 1 PfeilerIm ganzenfür 1 PfeilerIm ganzen
14517 300242 0003114 350
61020 500123 0003862 320
81524 500196 0004673 730
182028 600504 00056210 110
302531 900957 00061918 560
163037 600602 00069711 150
23540 50081 0007901 580
64043 400260 0008745 240
44548 000192 0009663 870
45052 600210 00010584 230
105557 200572 000116311 160
118

3 939 000
76 300

Es sind also für die Pfeiler im ganzen nahezu 4 Mill, cbm Beton und Mauerwerk und über 76 000 t Caisson-Eisenwerk erforderlich. Die Beschaffung des letzteren bietet keine Schwierigkeit, obwohl gleichzeitig der Oberbau herzustellen ist; um dagegen zu überschlagen, ob und unter welchen Bedingungen in der angegebenen Bauzeit von 10 Jahren die Ausführung der Mauerwerk- und Betonmassen möglich ist, stellte Hersent folgende Berechnung an: Es sollen zwei grosse Werkhöfe bei Ambleteuse und Folkestone angelegt werden; von jedem dieser Häfen aus sind bei 250 jährlichen Arbeitstagen, für 1 Tag (0,1 x 2 000 000 / 250) = 800 cbm Pfeilermaterial zu liefern. Mehr als 100 cbm für 1 Tag wird man bei den vorhandenen ungünstigen Umständen in einen bestimmten Pfeiler sicher nicht einbringen können, so dass gleichzeitig auf beiden Seiten der Brücke 8 Pfeiler, zusammen also 16, in Angriff sein müssen. Die Lieferung von je 800 cbm ist jedenfalls möglich, beim Hafenbau in Antwerpen sind im ganzen etwa 600 cbm Mauerwerk und Beton täglich erreicht worden, in Toulon auf einer einzigen beschränkten Baustelle 200 cbm. Mit der berechneten Zahl von 16, gleichzeitig im Bau begriffenen Pfeilern stimmt auch der folgende Zeitüberschlag für einen mittleren Pfeiler in 30 m Wassertiefe: Caissonherstellung (697 t) 60 Tage, Beladung vor dem Transport mit 2200 cbm Mauerwerk 10 Tage, Ueberführung an die Senkstelle 2 Tage, vor dem Versenken herzustellendes Mauerwerk 175 Tage, Abräumen des Grunds usw. 30 Tage, endgültige Aufstellung 20 Tage, Einfüllen des Betons usw. 20 Tage, Zeitverlust durch schlechtes Wetter, Sonn- und Feiertage 160 Tage, zusammen 477 Tage.

Fig. 4

Die angegebene Zahlen werden hinreichen, um von dem Verkehr der zum Transport der Materialien – die Schiffe für Transport der Eisenkonstruktion, ferner die zahlreichen Fahrzeuge für die Verankerung der zu situirenden Pfeiler kommen noch hinzu – erforderlichen Flotte einen Begriff zu geben.

3. Eisenpfeiler und eiserner Oberbau.

Auf Granitquader in der Oberfläche dieser Mauepfeiler kommen, jeweils 1 Jahr nach Vollendung derselben, zunächst zwei mächtige, 25 bis 40 m hohe eiserne Röhrenpfeiler zu stehen (vgl. Fig. 5);

ihre Axen sind 35 m entfernt und jede derselben besteht aus 2 in einander liegenden, mehrfach versteiften Metallzylindern von 4,6 und 6,4 m Durchmesser; die nach aussen liegenden 12 Rippenrand-Versteifungen bringen den äusseren Durchmesser einer Säule auf 8 m, am Fuss der Säulen nimmt ihr Durchmesser allmählich auf 12 m zu. Der innere Zylinder einer Säule geht 14 m tief ins Mauerwerk hinab als Verankerungsröhre von 4 m Durchmesser und wird in ihrer Wirkung noch durch 12 ebenso lange Ankerbolzen von je 0,25 m Durchmesser unterstützt.

Ein Aufsatz der Röhrenpfeiler trägt die Lager der Brückenträger. Wie schon angedeutet, ist für diese das Cantilever-System gewählt worden; im Gegensatz zur Forthbrücke sollte hier die Brückenunterkante überall ziemlich gleich hoch und zwar mindestens 60 m über N.-W. liegen und der Untergurt der Träger ist deshalb nur in den Cantilevers etwas nach oben gezogen. Bei den grossen Spannweiten 500/300 m (vgl. 1. und Fig. 3) liegt die Unterkante auf der 300 m-Spannung 61 m, im Mittelträger der 500 m-Oeffnungen 66 m über N.-W., so dass in den Auslegern die Unterkante um 5 m sich hebt; bei den mittleren (350/200) bezw. kleinen (250/100) Oeffnungen sind diese Maasse 62,7 und 66,5, bezw. 63,8 und 66,5 m.

Fig. 5

Die Ausleger hätte man so weit über die Pfeiler hinaus ragen lassen können, dass sich ihre Enden berührt hätten, bei den grossen Oeffnungen also 250 m; es war jedoch eine bedeutende Materialersparniss zu erzielen durch Einhängung eines unabhängigen Trägers zwischen den Consolen-Enden; damit entstand das in Fig. 3 angedeutete Schema. Ueber das zu wählende Trägersystem sind viele Berechnungen gemacht worden; es sind hauptsächlich die 5 Systeme eingehender untersucht, die in Fig. 4 angedeutet sind: drei verschiedene Warren-Systeme, ferner System Post und System Pratt. Das System Warren I erwies sich als das zweckmässigste, wie folgende Tabelle zeigt (in derselben ist unter Voraussetzung sonst gleicher Verhältnisse nur das Gewicht der Hauptträger berücksichtigt und je das Gewicht für Warren I zur Einheit genommen; das „Mittel“ ist unter der Voraussetzung gebildet, dass das Gewicht, welches nothwendig ist, um dem Winddruck Widerstand zu leisten, 9/11 von demjenigen beträgt, das nöthig ist, um den Vertikalkräften zu genügen.


Warren IWarren IIWarren IIIPostPratt
Nöthiges Gewicht z. Widerstand gegen die vertikal. Kräfte1,000,961,060,961,19
Nöthiges Gewicht z. Widerstand gegen den Winddruck1,001,161,241,351,08
Mittel1,001,051,141,131,14

Die Höhe der grossen Träger von 675 m Gesammtlänge soll zwischen den 300 m entfernten beiden Pfeilern durchaus 65 m betragen (vgl. Fig. 5); von den Pfeilern aus gegen die Enden des Cantilevers ist der Obergurt polygonal begrenzt (Halbmesser 650 m). Da der Untergurt sich im Ausleger um 5 m hebt, so bleiben als Trägerhöhe am Ende des letzteren 11 m übrig. Jeder solche Träger besteht aus zwei Gliedern, deren Obergurte auf den 300 m-Strecken zwischen beiden Pfeilern vereinigt sind, sich aber bis zum Auslegerende auf 10 m Axabstand entfernen; die Untergurt-Axen liegen auf der ersten Strecke 25 m auseinander (dieses grosse Maass ist durch den Winddruck bedingt), nähern sich aber am Ende der Ausleger ebenfalls auf 10m. Die zwischen den Consolen-Enden frei liegenden Träger sind Halbparabelträger von 125 m Länge, 20 m Mittelhöhe, 11 m Endhöhe und 10 m Axabstand der beiden Träger. – Entsprechend sind die Verhältnisse der kleinen Spannweiten angeordnet.

Die Fahrbahn enthällt 3 Gleise im Axabstand von 3,7 m und beiderseits 2 Fusswege (hier sind auch Hütten für die Wärter anzubringen), so dass die Breite zwischen den Geländern 8 m beträgt; sie soll durchaus mit Wellblech belegt werden. Die Fahrbahn ruht auf 4 Längen-(Gitter-) Trägern (vgl. den grössten Querschnitt bei Fig. 5); ihre Höhe über N.-W. beträgt auf der ganzen Brückenlänge 72 m.

Fig. 6

Die Gurtquerschnitte der grossen Träger haben (vgl. Fig. 6, wo auch die für die wichtigsten Querschnitte die Stahl-Flächenmaasse in qcm eingeschrieben sind) im Mittelstück des Obergurts bezw. Untergurts die Abmessungen 3,0/2,0 m bezw. 2,0/2,0 m; bis zum Ende der Ausleger nehmen diese Maasse ab auf 1,5/1,0 bezw. 1,0/1,0 m; entsprechend sind die übrigen Abmessungen; z. B. zeigen die freien Zwischenträger von 125 m Länge in der Mitte Gurtquerschnitte von 1,5/1,5 m. Der Querschnitt der Obergurte in der Mitte der 300 m-Oeffnungen beträgt über ¾ qm! Die Feststellung der erforderlichen Querschnittsstärken geschah unter Zugrundelegung einer Material-Inanspruchnehme von 12 kg für 1 qmm, was zulässig erscheint, da bei dieser Konstruktion das Eigengewicht 8/11 des Gesammtgewichts beträgt; wäre die bewegte Last 1/2 des ganzen Gewichts, so könnten nur etwa 10 kg gerechnet werden. Bei den Gewichtsschätzungen ist den mit jenen Querschnitten sich ergebenden Gewichten 18 %, hinzu gefügt. Es seien die Zahlen im einzelnen nur für eine der Hauptöffnungen angegeben. Eine solche von 300 + 500 m Länge enthält:

1. Mittelöffnung von 300 m, Gesammtgewicht 6 617 000 kg
(davon auf die Haupttrüger . . . 5 380 000 kg
auf die Längsträger der Fahrbahn 335 000 kg
auf die sonst. Eisenkonstr. d. Fahrbahn 412 000 kg
auf den unteren Verband . . . 270 000 kg)

2. Die Ausleger von 2x 187,5 m, Gesammtgew. 5 590 000 kg
(davon auf die Hauptträger . . . 5 500 000 kg
auf die übrigen Konstruktionstheile wie oben. . . 381 000, 502000, 431.000 kg).

3. Die zwischen beiden hängende Ueberbrückung von 125 m Länge, Gesammtgewicht 607 000 kg
(davon auf die Hauptträger . . . 266 000 kg
auf die Längsträger der Fahrbahn 103 000 kg
auf die sonst. Eisenkonstr. d. Fahrbahn 1 638 000 kg
auf die Querträger … 24 000 kg
auf die ob. Und unteren Verbände 30 000 kg)

4. Die zwei Eisenpfeiler, je aus zwei Säulen mit den Querverbindungen beider bestehend;
diese wiegen zusammen. . . . 4 0240 00 kg

Das Gesammtgewicht einer 500 + 300 m-Oefinung ist daher 18 348 t, das Gewicht für 1 lfd. m auf diesen grössten Oeffnungen demnach (einschl. der Metallpfeiler) 23 t. In derselben Weise sind alle Oeffnungen behandelt; man kommt damit zu folgender Schätzung der Gewichte (einschl. Metallpfeiler):

Anzahl der Oeffnungen für die ganze BrückeArt der OeffnungEine Oeffnung hatEine Oeffnung hatIm ganzen ist für die neben angegebene Anz. v. Oeffng.Im ganzen ist für die neben angegebene Anz. v. Oeffng.
LängeGewicht in tLängeGewicht in t
32300 + 50080018 34825 600587 000
13200 + 3505508 9457 150116 000
14100 + 2503504 8464 90068 000
59 (auf 118 Pfeil.)


37 560771 000

Das Gesammtgewicht der Metallkonstruktion (ohne Pfeiler-Caissons und -Mäntel, ist also 771 000 t oder für 1 qm der ganzen Brückenlänge 20,5 t.

Es ist nicht möglich, hier weiter auf die Konstruktion den Transport und die Aufstellung des Oberbaues einzugehen, obgleich diese Dinge zu den technisch interessantesten gehören; nur noch einige allgemeine Bemerkungen mögen sich anreihen. Die einzelnen Theile werden auf dem Ufer-Werkplätzen so viel als möglich vorgerichtet eintreffen, damit nicht auf einem öden Küstenplatz eine Stadt entstehen müsste, welche nach Beendigung der Brücke wieder dem Untergang geweiht wäre. Von den Auslegern der grossen Oeffnungen sollen nur 50 m fertig zusammengestellt an die Baustelle geführt (auf drei starken Barken von 70 m Länge, 22 m Breite) und dort gehoben werden. Der Rest der Ausleger soll dann nach Aufstellung dieser Stücke allmählich vorgetrieben werden, während die zwischenhängenden Mittelträger wieder auf dem Werkplatz ganz fertig gestellt und auf die Baustelle als Ganzes gehoben werden sollen. Es sollen eiserne Hilfspfeiler zwischen den Pfeilern verwendet werden, die, auf Caissons ruhend, für die grössten Tiefen etwa 120 m hoch sind; die Oberflächen zweier solcher Pfeiler, die 80 m von einander entfernt zu stehen kämen, wird zu einer Plattform von 100 m Länge, 35 m Breite verbunden, welche den Hauptwerkplatz für die Zusammensetzung der Brückentheile vorstellt und von der aus gegen die stehenden Pfeiler hin weiter gebaut werden kann. Der Caisson eines solchen Hilfspfeilers hält etwa 51 000 qm; er muss etwa halb mit Sand gefüllt werden zum Zweck des Niedersinkenlassens des Hilfspfeilers.

4 Mill. cbm Mauerwerk und Beton, gegen 1 Mill. t Stahl und Eisen, ein vorläufiger Kostenüberschlag von rund 700 Mill. Mark, das sind die Zahlen dieses riesigen Planes. Es sind Vorerhebungen zu dem genau auszuarbeitenden Entwurf, aus welchen im Vorstehenden ein Auszug gegeben ist und Manches würde sich auch gegenüber einem solchen eingehenderen Entwurf bei der Ausführung noch verändern müssen. Es würde sich hier eben um einen Bau handeln, dem keine „ausgeführten Beispiele“ voran gingen und bei welchem vielfach neue Erfahrungen erst zu sammeln wären.

Schade, dass es nicht zu einem derartigen eingehenderen Entwurfe kommen wird!

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “H.”.