1905, von Professor Dr. Ernst von Halle. Der Friede von Portsmouth als Abschluß der Ereignisse, die ihre Krönung in der Seeschlacht von Tsuschima fanden, hat, das haben wir oft genug gehört, eine „neue Epoche der Weltgeschichte eröffnet“. Seit Goethe nach der Kanonade von Valny den schriftstellernden Vertretern der öffentlichen Meinung dieses schöne Schlagwort an die Hand gab, ist es wohl bei jedem größeren Ereignis in vieldutzendfacher Wiederholung gedruckt worden.
Es war stets für den vorliegenden Zweck passend, denn die Philosophie lehrt uns, daß wir jeden beliebigen Standpunkt als Ausgangspunkt vor- und rückschauender Betrachtungen und somit auch als Beginn einer neuen Epoche benützen können. Hier allerdings, da ist’s wirklich einmal anders, da stehen wir an einem größeren Einschnitt als seit einer längeren Reihe von Jahrzehnten, ohne daß wir allerdings nicht schon diesen oder jenen Vorgang für manche Einzelheiten hätten.
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Wenn man in den letzten Jahren von einem Zusammengehen Deutschlands und der Türkei oder Englands und Japans hörte, war ein großer Teil der Öffentlichkeit leicht geneigt, sich darũber großartig zu entrüsten, daß ein christlicher Kulturstaat der weißen Rasse sich mit heidnischen Barbaren, Asiaten und Mongolen, wider die Vertreter der westlichen Kultur einlasse. Dies konnte man lang und breit in der englischen Presse hinsichtlich Deutschlands und der Türkei und dann in der russischen Presse hinsichtlich Englands und Japans lesen.
Darin liegt aber in Wahrheit nichts Neues. Seit die Venezianer mit dem Mameluckenreich in Aegypten trotz des drohenden Kirchenbannes verträge gegen ihre europäischen Gegner schlossen und der Heilige Stuhl dann gegebenenfalls derartige Konstellationen mit mehr als wohlwollender Billigung ansah, oder seit die Könige von Frankreich sich mit den Türken in Verbindung setzten, wenn sie dem Haus Habsburg und dem Deutschen Reich Schwierigkeiten machen wollten, hat man sich durch religiöse oder Rassenerwägungen nicht von der Vertretung grundlegender Erfordernisse der Staatsraison abhalten lassen. In der Zeit der aufkommenden Maschinenwirtschaft sind solche Abmachungen vielfach allerdings erheblich zurückgetreten. Die europäische Rasse fühlte sich im Besitz der modernen Naturwissenschaften und ihrer Anwendungen so sehr überlegen, daß sie sich vielfach ihre Stellung gegenüber gelben, roten und schwarzen Völkern nicht anders als vom Standpunkt der herrschenden Rasse aus denken konnte. England hat zielbewußt mit dieser Anschauung abermals gebrochen, als es sich in den siebziger Jahren zum offiziellen Beschützer der Türkei gegenüber Rußland aufwarf und zum Dank dafür das gute Pfand Cypern ein für allemal in Verwahrung nahm. Aber es ist auch noch einen Schritt weiter gegangen und hat dann, in Gemeinschaft mit den übrigen europäischen Mächten, nach Ostasien nicht nur die Gedanken des Bündnisschutzes, sondern auch grundlegende Elemente unserer westeuropäischen Machtkultur hinausgetragen.
Eine merkwürdige Wandlung in weniger als einem Jahrhundert! Damals war es noch in allen europäischen Staaten, zumal in England, verboten, sowohl wichtige Erfindungen und Entdeckungen, Maschinen und dergleichen, als auch die Träger der Kenntnis von deren Anfertigung und Arbeitsweise zu exportieren. Die Auswanderung von gelernten Arbeitern usw. war strikt verboten und strafbar. Seit diese Bestimmungen in England in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts aufgehoben wurden, hat man allerwärts nicht nur seine Maschinen und Arbeiter, sondern auch seine Kriegswaffen und Unterweisung in deren Anwendung, schließlich das ganze Rüstzeug nationalen Wissens dem Ausland zur Verfügung gestellt; seit einem Menschenalter auch den Asiaten gestattet, in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten zu studieren; ja, ihnen sogar das eigene Wissen ins Land getragen, ihnen geholfen, Universitäten und Hochschulen mit ausländischen Gelehrten einzurichten und zu besetzen.
Wenn die näher wohnenden Türken und Araber hiervon keinen Gebrauch gemacht haben, so liegt dies nicht an den lehrbereiten abendländischen Freunden, sondern an dem von ihnen gepflegten Geist des Islams, der mit seinem „Allah alaam“ – Allah allein weiß es, der Mensch darf es also nicht wissen – sich gegen die praktische Anwendung und den Weiterausbau der unsere Macht begründenden Wissenschaften absperrt.
Im fernen Osten aber fanden wir gelehrigere Schüler bei den Japanern, die mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zuerst alles von Europa zu beziehen, dann es genau zu kopieren suchten, dann die Grunde der Dinge und deren Zusammenhang zu studieren begannen, die Anwendung auf einer höheren Stufe lernten und heute an jener Schwelle stehen, wo sich ihre Zukunft insofern entscheidet, als sie vor der Frage stehen, ob sie, was sie vom Ausland gelernt haben, auch selbständig weiterzubilden und durch neue, eigene Entdeckungen zu vermehren imstande sind. Ist das der Fall und können dies etwa auch die Chinesen lernen, dann ist der Traum von der sicheren Alleinherrschaft der weißen ausgeträumt. Gebrauchen sie unser Erfindertalent dauernd, so bleiben sie von unserer Kultur abhängig. Machen sie eigene, große Entdeckungen auf dem Gebiet des Gewerbes und des Waffenwesens und der diesen zugrunde liegenden Naturwissenschaften, so kann der alte Kampf, den Europa mit der Zurückwerfung der Araber und Mongolen, Tataren und Türken abgeschlossen wähnte, aufs neue beginnen, und sein Ausgang wird ungewiß.
Ueber dies Problem hat der eben beendete Kampf allerdings noch keine ausreichende Aufklärung gegeben. Er hat nur gezeigt, was wir ja auch früher schon wußten, daß es in Asien Völker von großartigster und unbezähmbarer Tapferkeit gibt, und daß diese Völker, auch mit Waffen moderner Art, unterstützt von andern europäischen Nationen, erfolgreiche Vorstöße gegen Vertreter der abendländischen Welt zu machen vermögen, wobei in Betracht kommt, daß es die in vieler Beziehung weitest vorgeschrittenen westlichen Nationen waren, die Japan ihre finanzielle und technische Unterstützung, seine Ausrüstung mit Kampfmitteln und seine Vorbildung in deren Anwendung und weitgehende diplomatische Hilfe gegeben haben, während es gegen ein in langjähriger Mißwirtschaft schwer erschüttertes und in inneren Krisen befindliches Grenzland europäisch-asiatischer Kultur focht. Die Errungenschaften der modernen Kultur hat ja auch schon ein anderes nicht indogermanisches Volk, wenngleich ein kleineres und in längerer Frist, ganz aufgenommen: die Ungarn. Höchstens, daß dies in Japan so rasch ging, kann uns verwundern, und wir fragen uns, ob, was Japan von uns lernt, nur äußerlich ist, oder ob es auch die Japaner innerlich unserm Wesen assimiliert, und ob sie uns später wirklich überlegen sein werden. Darauf kann nur der Gang der Geschichte die Antwort geben.
Darum, weil sie heute noch vielfach andere Anschauungen haben als die Europäer, braucht das nicht so zu bleiben.
Und wenn sie heute den Fremden innerlich noch anders gegenüberstehen als ihren Landsleuten, brauchen wir nicht zu glauben, sie werden dabei beharren. Das Fremdenrecht war auch einst in Europa starr, grausam und ablehnend.
Erst der Verkehrsfortschritt hat es gewandelt.
Als welthistorisches Ergebnis betrachtet, wäre somit für den Augenblick der russisch-japanische Krieg keineswegs von überwältigendem Interesse. Seine augenblickliche Bedeutung würde sich beinah in der Machtverschiebung und in jener Menge von neuen Erfahrungen erschöpfen, die in der Waffen- und Kampftechnik zu Lande und in der ersten großen Anwendung der neuen Kampfmittel zur See gemacht wurden.
Nach letzterer Hinsicht kommt sogar noch in Betracht, daß das Urteil durch die vollkommen ungenügende Ausbildung, die unzureichende Fähigkeit der Russen zu ihrem Gebrauch getrübt werden muß. Alle allzu weitgehenden Betrachtungen über den Krieg selbst würden über das Ziel hinausschießen, denn selbst die politischen Erfolge Japans auf dem Lande sind zunächst prekär und vielleicht nicht viel anders zu betrachten als die der einstigen englischen Niederlassungen auf dem Kontinent. Die neueren englischen Historiker betonen mit Recht, welche Stärkung Großbritannien dadurch erfahren habe, daß es, durch die Franzosen vom Festland wieder verdrängt, seinen Schwerpunkt auf die See verlegte und hierdurch seine Stellung unbesieglich machte. Ein sich auf die See beschränkendes, eine riesige Seemacht entfaltendes Japan wäre für die Weltmächte, vor allem Rußland, das ihm zu Lande nahe ist, gefährlicher als ein kontinental engagiertes Japan, das in diesem Krieg, wie gleich zu zeigen sein wird, wesentlich englische Geschäfte besorgte. Und auch auf dem Gebiet des ostasiatischen und pazifischen Handels werden gegen Japan in dem bisher den Welthandel des Pacific beherrschenden England und seinen australischen Kolonien sowie in den als geborene Zukunftsherrscher des Pacific sich fühlenden Vereinigten Staaten zurzeit noch mehr als gleichwertige Gegengewichte bestehen bleiben. Da müßte und muß Japan noch den Beweis dafür ablegen, was es gegenüber den fortgeschrittenen Vertretern der modernen Kultur vermag.
Es ist ferner weltgeschichtlich interessant, daß das heutige Rußland mit seiner furchtbaren Mißwirtschaft und veralteten Staatsform auch von dem dritten Punkt, an dem es einen stets eisfreien und offenen Zutritt zum Weltmeer erlangen konnte, zurückgedrängt ist, daß die vermorschte Bureaukratie ohne Rückhalt im Volk die weltumspannenden Expansionspläne der der Entwicklung ihres Landes vorangeeilten Geister nicht zu verwirklichen vermag. Ob damit aber eine neue Epoche in der Weltgeschichte beginnt, soll erst die weitere Entwicklung in Rußland lehren.
Die weltgeschichtlich grundlegende Bedeutung gewinnt die Sache dagegen schon heute durch die Bewertung, die dem Ereignis im Gesamtrahmen der internationalen Politik beizumessen ist, und die zum Beispiel durch einen vollkommenen Umschwung in der öffentlichen Meinung Nordamerikas gekennzeichnet ist. Anfangs war Bruder Jonathan völlig überzeugt, der Kampf würde von Japan auch für seine eigenen Interessen und Ideale geführt, und auf einmal begann er dann einzusehen, daß er durch eine geschickte Preßtätigkeit einer älteren und in der Weltpolitik schon geschulteren Macht hier auf eine durchaus irrige Bahn gelangt sei. Die moralische Unterstützung der Union wurde benutzt, wie im Transvaalkrieg, so jetzt bei einer viel größeren Frage, den Zwecken der britischen Politik zu dienen. Dem Historiker der Zukunft, dem die Archive zur Verfügung stehen, wird es beschieden sein, in der Vorgeschichte des russisch-japanischen Krieges eines der merkwürdigsten Blätter der Weltgeschichte abzuschreiben und zu beweisen, wie innere Korruption durch das Geschick fremder Diplomaten dazu benutzt werden kann, der Weltmachtstellung des Staats auch nach außen hin einen schweren Stoß zu versetzen. Hohe Persönlichkeiten in Rußland, die mit Millionen von Menschenschicksalen und Rubeln jonglierten und den bisherigen Kern des russischen Wesens, die Selbstherrlichkeit des Zaren, dadurch illusorisch machten, besorgten unbewußt die Geschäfte jener vorsichtigen, klugen und patriotischen Staatsmänner eines andern Landes, die fühlten, die Seemacht des Auslandes werde für das britische Budget zu lästig.
Von 1893/94 bis 1903/04 stiegen die Ausgaben Großbritanniens für die Armee von 21 1/2 Millionen Pfund Sterling auf 46 1/2 Millionen Pfund Sterling, für die Marine von 15 Millionen Pfund Sterling auf 40 Millionen Pfund Sterling, eine Zunahme von nicht ganz 750 Millionen Reichsmark auf nahezu 1750 Millionen Reichsmark. Die Vermehrung in zehn Jahren betrug mehr als eine Milliarde Reichsmark, eine erheblichere Steigerung, als heutigentags das gesamte deutsche Heeres- und Flottenbudget ausmacht! Daß trotz dieser ungeheuren Mehrbelastung des englischen Volks die Flotte, der einzige Rückhalt britischer Macht, an Uebergewicht gegenüber der vereinigten Stärke der andern Nationen zurückging, war unverkennbar, und so lag es für eine weitausschauende Politik an der Themse auf der Hand, daß nur durch die Ausschaltung eines Teils der eventuellen gegnerischen Elemente die Sicherheit des Landes weiter gewahrt bleiben konnte. Anderseits war Großbritannien durch die großen Belastungen und Opfer des Burenkrieges noch erheblich mitgenommen und im Volk die Abneigung gegen weitere Kriege, deren Tragweite eventuelle Ausdehnung und Ausgang doch immerhin zweifelhaft war, sehr stark. So war es gegeben, entsprechend den Traditionen englischer Politik, die nötigen Kämpfe von andern ausfechten zu lassen.
Der japanisch-englische Vertrag von 1902, der englisch-französische Vertrag von 1903 legen Zeugnis davon ab, wie die britische Politik es noch immer meisterhaft versteht, durch Aussicht auf scheinbare oder reale kleinere Vorteile, Subventionen und Garantien andere für sich kämpfen zu lassen; jene wahre Staatskunst, die wir so fälschlich früher Krämergeist nannten, die aber in Wahrheit nur in einer richtigen Einschätzung der Werte besteht, die prüft, wie mit einem Minimum von Opfern die höchstmögliche Summe von öffentlichem Nutzen erreicht wird, die nicht mit der Aufwendung von vielen Dutzenden und Hunderten von Millionen kargt, wenn es des Preises wert zu sein scheint, und lieber das Geld verausgabt als das Leben der Söhne, aber in großen Entscheidungen auch die Scharen der letzteren stets ausreichend zur Verfügung zu stellen wußte. Man wußte in London schon, daß eine Aufrechterhaltung des Friedens nicht mehr möglich sei, als maßgebende Kreise in Petersburg noch damit rechneten.
Und wer die englische Presse und ihre Sprachrohre in andern Ländern in den letzten Jahren verfolgt hat, wird sich keinem Zweifel darüber hingeben, daß man sich eines ähnlichen Bewußtseins hinsichtlich der deutsch-amerikanischen oder der deutsch-französischen Beziehungen nur allzusehr gefreut haben würde. Da sich die Hoffnungen in letzterer Hinsicht nicht verwirklicht haben, ja die Politik der Vereinigten Staaten sich bereits klar bewußt wurde, daß ihre Ziele im pacifischen Meer eigene sein müssen, da schließlich der Ausgang der Schlacht von Tsuschima zwar die Vernichtung der russischen Seemacht brachte, aber die japanische hierbei nicht etwa, wie man wohl erwartet hatte, geschwächt, sondern gestärkt wurde, war für die englische Politik in dieser Richtung alles erreicht, was sich etwa erreichen ließ. Einem Wunsche der Vereinigten Staaten, den Abschluß eines Friedens in die Wege zu leiten, wollte man sich auch wieder nicht grundsätzlich widersetzen, da man schon bei der Frage des Panamakanals gesehen hatte, daß diese, sofern sie eine Sache als für ihre Interessen vital ansehen, zu sehr nachdrücklicher Sprache bereit sind und selbst Bestimmungen ihnen nicht mehr passender Verträge kurzerhand ausschalten.
Hierin erblicke ich die große Wendung in der Weltgeschichte wie die Vereinigten Staaten zielbewußt und auf Jahrzehnte vorausschauend in die große Politik eingreifen und damit für die Neuverteilung der Welt im 20. Jahrhundert, die, seit sie vor einigen Jahren vorausgesagt wurde, schon so gewaltige Fortschritte gemacht hat, sich neben den alten Ländern, vor allem neben England, eine entscheidende Stimme und Beteiligung sichern. Das ist bis auf weiteres bedeutsamer als die größten Erfolge japanischer Kriegskunst.
Im Altertum kämpfte man um die Herrschaft im Mittelmeer, im Mittelalter um Mittelmeer und Ostsee. Die Neuzeit verlegte den Schwerpunkt des Kampfes in den Atlantik, wo vor 100 Jahren Nelsons Sieg die Vorherrschaft Englands auf dem Meer für so lange entschied, bis, der ostasiatischen Küste vorgelagert, ein zweites Inselreich zu entstehen scheint, das von dem alten Albion sofort in seine Kreise gezogen wird.
Zwischen beiden bleibt aber nicht nur die Menge der zwiespältigen Mächte der Alten Welt bestehen, die diplomatischem Geschick und diplomatischer Intrige reichliche Gelegenheit bieten, sie zu beherrschen, indem man sie gegeneinander ausspielt, sondern auf der andern Seite ist zwischen den beiden Inselreichen ein Riesenimperium europäischer Mischrasse aufgewachsen, ein potenziertes Albion, die Vereinigten Staaten, die ihre Macht und unangreifbare Stellung bewußt auszunutzen beginnen. Daß damit der Schwerpunkt der Weltgeschichte in den Pacific gelegt ist und der alte Atlantic seiner Bedeutung bald ganz entkleidet sein wird, wie wir gelegentlich hören, ist wohl nicht ernsthaft ins Auge zu fassen; vielmehr wird es sich in Zukunft wieder um zwei Schwerpunkte handeln, die aber nicht wie einst Ostsee und Mittelmeer den Schauplatz ganz getrennter Interessenkämpfe bilden, sondern in der heutigen Zeit der weltumspannenden Interessen allen Mächten der Erde in verschiedenen Gruppierungen zum Betätigungsfeld dienen werden.
Die Kombination einer Beherrschung des größten Teils dieser Gefilde, wie sie die beiden englischen Verträge mit Frankreich für Europa und Afrika und mit Japan etwa von der Nähe des voraussichtlichen Endpunkts der Bagdadbahn, El Koeit, bis östlich von den japanischen Inseln – vorsehen, während man Amerika, mit dessen Vormacht man zu einem seit 1896 erstrebten Vertrag nicht gelangen kann, wohlweislich den Amerikanern überläßt, und mit Rußland wohl zu einem Uebereinkommen hinsichtlich der nördlichen Teile des europäisch-asiatischen Kontinents bereit wäre – das ist ein Gedanke, der größten Traditionen englischer Staatskunst und ihrer hervorragendsten Vertreter zu allen Zeiten würdig. Denn was gibt es Besseres, als wenn man durch ein internationales Uebereinkommen China gegen Rußland, Indien durch japanische Truppen gegen Rußland und die islamitische Welt, sich selbst gegen das Entstehen einer allzu starken japanischen Flotte durch eine maritime Garantie der japanischen Integrität und zugleich durch eine Kontrolle der japanischen Finanzen, wozu die nicht gezahlte Kriegsentschädigung die beste Sicherung bietet, gegen einen unerwünschten japanischen Flottenaubau sichert, wenn man ferner die französischen Truppen gegen Deutschland zur Verfügung hat und sicher ist, daß Frankreich weder eine allzu starke Flotte baut, noch für eine Entente der kontinentalen Mächte in absehbarer Zeit zu haben ist.
Nur die Vereinigten Staaten sind und bleiben neben Deutschland ein unerwünschter Faktor in den Berechnungen; weit gefährlicher noch als das letztere weil sie erponiert sind, weit stärkere Angriffsmittel haben und gar Traditionen englischen Vorgehens im eigenen Hundert Jahre nach Trafalgar erfüllt sich das prophetische Wort Napoleons, daß er durch den Verkauf Louisianas die Union den Aufstieg jener Macht vorbereite, die erreichen werde, was er nicht erreicht habe, das Gegengewicht gegen England zu bilden. Und diese Verschiebung ist durch die letzten großen Ereignisse im Pazific sehr beschleunigt, die Japan so nahe an England heranführen, daß man die Wirkungen des Bundes von Portland bis San Diego fühlt und in Neuyork fühlen wird, wenn der Panamakanal gebaut ist. Daß der Friede zwischen Rußland und Japan, der in Wahrheit das Ende einer Operation Englands gegen Rußland ist, in Amerika unter den Aufpizien des Präsidenten Roosevelt und mit Unterstützung des Deutschen Kaisers geschlossen ist, eröffnet einer Würdigung der politisch-wirtschaftlichen Zukunftsentwicklung wohl eine bedeutsamere Perspektive als das Grübeln über die sogenannte gelbe Gefahr.
Denn die Politik muß mit den Tatsachen der Gegenwart rechnen und nicht mit Ueberbleibseln der Vergangenheit und Sentimentalitäten oder mit dunklen Zukunftsmöglichkeiten.
Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche. Das Bild ist ein Beispielbild und steht nicht im Zusammenhang mit dem Artikel.