Vor zwei Jahren benachrichtigte der Gouverneur von Jakutsk die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg von einem außergewöhnlichen Fund. Ein Kosak hatte durch einen Lamuten erfahren, daß im Eis ein Kadaver eines Riesentiers stecke mit mächtigen Zähnen; einen davon hatte der Lamute abgehackt und beabsichtigte, ihn zu verkaufen.
Die Akademie der Wissenschaften entnahm dem Bericht des Gouverneurs, daß es sich unzweifelhaft um einen Mammutfund handele, und entsandte deshalb den Museumskustos Otto Herz und den Präparator Pfitzenmayer sofort an den Fundort mit der Weisung, den Fund so gut als möglich nach Petersburg zu schaffen. Der Kadaver des mutmaßlichen Mammuts lag an der Beresowka, einem rechten Nebenfluß der Kolyma, 500 Werst von Svedni-Kolymsk in der Taiga.
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Im Mai 1901 reisten Herz und Pfitzenmayer von Petersburg ab, zunächst bis Jakutsk, dann begannen die Strapazen. Von Jakutsk bis zum Fundort mußten 2000 Werst auf Pferden durch die unwegsamsten Pfade der Taiga zurückgelegt werden. Der Kosak, dem die Entdeckung des Mammutkadavers zu verdanken ist, begleitete die Expedition. Entsetzlich war die Mückenplage in den Tundren, schlimmer noch als in den Tropen; dabei galt es, die gefährlichsten Sümpfe zu durchqueren, wobei einige der begleitenden Kosaken mitsamt ihren Pferden vor den Augen der entsetzten Reisenden versanken und dort den Tod fanden.
Am 10. September traf die Expedition am Fundort ein, der Jubel beim Anblick des viele tausend Jahre hier ruhenden Geschöpfes war unbeschreiblich. Seine Lage war vertikal. Das Tier muß gestürzt sein, während es seine Nahrung suchte, und so in die Eisspalte, die überwachsen war, geraten sein. Die Vorderbeine waren ganz gekrümmt, besonders das linke, ein Beweis dafür, daß das Tier bemüht war, sich zu retten, doch war der Körper zu schwer, die Hinterfüße glitten aus und blieben in horizontaler Lage unter dem Leib liegen, der alsbald eingefroren ist, nur so konnte sich der Kadaver die vielen Jahre (nach Annahme von Herz müssen es wohl 8000 sein) so frisch erhalten, wie ihn der Gelehrte auffand. Herz behauptet, daß das Tier unbedingt im Norden gelebt hat und nicht durch die Sintflut angeschwemmt ist. Der Fundort befindet sich auf einem mächtigen Absturzgebiet von 1 ½ Werst Länge. Unter dem oberen 60 Meter hohen Rand des Absturzgebiets traten unter einer schmalen Humusschicht und einer über 2 Meter dicken Erdschicht mächtige vertikale Eiswände von 5 bis 8 Meter zu Tage, die frei nach Osten lagen, vollkommen der Sonnenhitze ausgesetzt. Nach Ansicht von Otto Herz hat man es hier mit einem in Auflösung begriffenen fossilen Gletscher zu thun und keinen sogenannten Schneelehnen, die sich bei der fortwährenden Sonnenwärme nicht so lange hätten erhalten können. Das Eis enthielt eine Menge von Luftbläschen. An diesem Ort also lag der vorsintflutliche Riese vollkommen eingefroren. Es galt nun, ihn noch im Lauf des Winters von hier fortzuschaffen, da der Sommer zum Transport unmöglich war, ja das von den Bergen herabstürzende Frühjahrswasser konnte ihn direkt herunterwaschen.
Eine Konservierung an Ort und Stelle war trotz aller Ratschläge undenkbar vorzunehmen, denn solche Körper verwesen außerordentlich schnell, sobald sie nur an die Luft kommen, selbst wenn auch die ganze Feuchtigkeit mit Alaun und Salz herausgezogen würde. Herz beschloß deshalb, das Tier zu zerlegen und in gefrorenem Zustand nach Petersburg zu schaffen. Bei 50 Grad Reaumur durfte keine Zeit verloren werden. Volle zwei Monate nahm die Ausgrabung in Anspruch. Der Kadaver wurde fast vollständig erhalten gefunden, bis auf einen Teil der Kopfhaut und des Rückens, den wahrscheinlich wilde Bestien abgefressen haben. Der Kopf lag etwas abseits doch fehlten die Stoßzähne, ebenso der Rüssel, dagegen war die Schwanzspitze noch vorhanden, eine wichtige Entdeckung. Ueber den ganzen Kadaver wurde zunächst eine Hütte erbaut mit einem Kamin, der tagüber geheizt wurde. Sobald ein Teil abtaute, wurde er sofort abgeschnitten und in nötiger Weise geborgen. Die Beine und Füße ähneln ganz denen des Elefanten, nur mit dem Unterschied, daß der Elefant drei, das Mammut dagegen fünf Zehen hat. Interessant ist die Behaarung. Das Unterhaar oder Wollhaar ist 30 bis 35 Millimeter lang, von gelbbrauner Farbe, das lange Haar, auch Steifhaar genannt, 35 bis 45 Zentimeter lang, von rötlicher Farbe, die nach der Spitze zu immer heller wird. Das Haar ist dabei so dicht, daß der vorsintflutliche Adamit sicher keine Kälte verspürte. Das Fell ist 20 bis 23 Millimeter dick, darunter eine 9 Zentimeter dicke Fettschicht. Sogar das Blut war noch vorhanden, und die Zunge, verhältnismäßig nicht lang, ist außerordentlich gut erhalten. Zwischen den Zähnen wurden noch Futterreste gefunden, die deutlich die Lamellenabdrücke zeigten. Der kurze Schwanz, mit sehr langem, verfilztem Haar umgeben, ähnelt sehr dem Büffelschwanz. Ganz kolossal war der gefundene Mageninhalt, der sich noch vollkommen frisch präsentierte.
Mit seltener Hingabe und Lust machte sich Herz daran, alles so sorgfältig als möglich nach Petersburg zu schaffen, nichts ging dabei verloren, die geringste Kleinigkeit war wichtig für die Biographie und Beschaffenheit des seltenen, ja einzigen Fundes in der ganzen Welt, denn ein so vollständig erhaltenes Exemplar, als das in Petersburg eingetroffene, giebt es nicht mehr. Die Akademie der Wissenschaften ist nicht wenig stolz auf diesen einzigen Fund und arbeitet augenblicklich eifrig an der Präparation des Riesentiers, das ohne Zweifel eine der großartigsten Sehenswürdegkeiten bilden wird.
Dieser Artikel von U. von Aurich erschien zuerst am 05.07.1902 in Die Woche.