Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – II. Die Versorgung der Ausstellung mit Betriebs-Kraft und Licht

Weltausstellung in Paris. Elektrisch betriebener Laufkrahn von Carl Flohr in Berlin in der Maschinenhalle der fremden Nationen

Das Programm der diesjährigen Pariser Weltausstellung stellt an die Versorgung derselben mit Kraft Anforderungen, die grundsätzlich verschieden sind von denjenigen aller bisherigen Ausstellungen. Während sonst die im Betriebe vorzuführenden Maschinen in Gruppen zusammengefasst in grossen, gemeinsamen Maschinenhallen untergebracht wurden und von langen Transmissionswellen ihren Antrieb erhielten, ist dieses Mal die Anordnung derart getroffen, dass die Maschinen der verschiedenen Fabrikationszweige neben den Rohstoffen und den fertigen Erzeugnissen aufgestellt sind, so dass dem Beschauer der ganze Werdeprozess in seinen einzelnen Stadien vorgeführt werden kann.

Diese Aufgabe konnte nur mit Hilfe der elektrischen Kraftübertragung gelöst werden, als deren naturgemässe Folge sich eine Zentralisirung der Krafterzeugung ergab. Von einer grossen Kraftzentrale auf dem Marsfelde aus wird das ganz, weite Ausstellungsgebiet mit Triebkraft und elektrischem Lichte versorgt. Es war hiermit der Vortheil verbunden, dass eine einheitliche, übersichtliche, im Betriebe einfache Kraftanlage geschaffen werden konnte, die nur zwei, im Ausstellungsbilde nicht unangenehm bemerkbare Schornsteine erforderte, denen ausserdem solche Abmessungen gegeben werden konnten, dass die Ausstellung von der Rauchbelästigung befreit bleibt. Transmissionswellen finden sich nur da, wo die ausgestellten Arbeitsmaschinen nur auf solchen Antrieb eingerichtet sind. Unter dem Fussboden der Hallen angeordnete Elektromotoren, die von der Zentrale gespeist werden, setzen diese Wellen in Bewegung.

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Entsprechend der zur Hauptaxe völlig symmetrischen Anordnung der grossen Ausstellungs-Gebäude auf dem Marsfelde, vergl. den Grundriss in No. 43, ist auch die Kraftanlage in 2 gleichwerthige Theile gespalten von je einem Kesselhaus und einer unmittelbar daneben stehenden Maschinenhalle, welche die Dampfdynamos enthält. Kesselhaus und Maschinenhalle an der Avenue de la Bourdonnais sind den französischen, an der Avenue de Suffren den fremden Ausstellern in der Hauptsache eingeräumt. Gleise, die unmittelbar an den Güterbahnhof am Marsfelde anschliessen, führen in die Hallen hinein und verzweigen sich mittels Drehscheiben weiterhin in die anderen Ausstellungs-Gebäude, sodass es möglich war, die schweren Maschinentheile mittels Bahn bis an die Verwendungsstelle selbst zu schaffen und auch die Kohlenanfuhr auf diesem Wege zu bewirken.

Abbildg. 1-5
Abbildg. 1-5

In Abbildg. 1 und 2 ist Grundriss und Querschnitt des Kesselhauses an der Avenue de Suffren dargestellt. Das Kesselhaus besteht aus einer allseitig offenen Eisenhalle von 28,5 m Weite und 105 m Länge, die rings von breiten Gängen umgeben ist. Beiderseits der Mittelaxe, in welcher das Zufahrtsgleis angeordnet ist, liegen die Kessel mit den Stirnen nach aussen gerichtet. Unter der Halle in der Axe befinden sich die beiden Rauchabzugskanäle, die nach dem 70-80 m hohen, monumental ausgestalteten Schornstein führen, der oben noch 4,5 m Lichtweite, unten einen äusseren Durchmesser von 12 m und eine Fundamentplatte von 18 m Breite besitzt. Die Abzugskanäle nehmen vom Hallenende bis zum Schornstein entsprechend der wachsenden Anzahl der Feuerstellenanschlüsse im Querschnitt absatzweise zu. Abbildg. 3 und 4 zeigen den kleinsten und grössten Querschnitt.

Der von den beiden Gruppen eines Kesselhauses erzeugte Dampf von 10 Atm. Spannung (1889 nur 9 Atm.) wird zunächst in je 1 Dampfsammler geführt und sodann mit Stahlröhren von 250 mm Durchmesser, die mit einem Wärmeschutzmantel umgeben sind, durch unterirdische begehbare Kanäle oder Galerien auf die Verbrauchsstellen vertheilt. Diese Kanäle, die sowohl parallel zu den beiden genannten Avenuen, wie senkrecht zu denselben geführt sind, wurden in 3 Typen hergestellt, je nach der Bedeutung der Gruppe, zu der sie führen.

Der grösste Querschnitt von 2,6 m innerer Breite bei 2,7 m Höhe ist in Abbildg. 5 dargestellt und in 530 m Gesammtlänge ausgeführt. Type 2 hat 2,4 m Weite zu 2,6 m Höhe und 730 m Gesammtlänge, Type 3 schliesslich 2 m Breite, 2,6 m Höhe, 210 m Gesammtlänge. Insgesammt sind also 1,47 km derartiger Kanäle mit einer veranschlagten Kostensumme von etwa 320 000 M. hergestellt worden.

An den Kreuzungspunkten sind Kammern von 4,5 zu 4,5 m innerer Grundfläche angeordnet. Die Kanäle sind elektrisch beleuchtet und an je 2 grosse Abzugsschlote in jedem Kesselhause angeschlossen. Sie nehmen ausser den Dampfröhren noch Leitungen für Kondensationswasser, für Quell- und Druckwasser auf.

Zum Betriebe der Ausstellung werden 20 000 Pferdestärken erforderlich; davon entfallen 5000 auf die im Betrieb befindlichen Maschinen, 15 000 auf die elektrische Beleuchtung. Die sämmtlichen Dampfmaschinen erfordern stündlich 200 000 kg Dampf, also bei 205 Ausstellungstagen zu 7 Stunden gerechnet imganzen 287 Mill. kg Dampf, d. i. fast das 4fache des Jahres 1889. An Kondensationswasser werden 1200 l in 1 Sek. verbraucht oder 8 Mill. cbm während der Ausstellungsdauer. Dieses Wasser dient gleichzeitig zur Speisung der grossen Kaskade am Marsfelde.

Von dieser Dampfmenge hat jedes Kesselhaus die Hälfte zu liefern. Thatsächlich kann erheblich mehr geleistet werden, sodass stets ein Theil der Kessel in Reserve bleibt. Das Kesselhaus der französischen Aussteller hat 50 Kessel, das der fremden Nationen 41, von denen jedoch auch noch einige französischen Ursprungs sind. Die Kessel sind gleichzeitig Ausstellungs-Gegenstände. Die Lieferanten haben die Kosten der Aufstellung, der Heizung, Wartung usw. zu tragen, erhalten aber 1200 M. für je 1000 kg Dampf-Leistungsfähigkeit und etwa 3,60 M. für je 1000 kg thatsächlich gelieferten Dampf für die Stunde.

Von deutschen Ausstellern haben sich betheiligt mit je 1 Kessel Fitzner & Gamper, M. Berninghaus, Petzold, Simonis & Lanz, Pauksch, mit 4 Kesseln von Ewald Berninghaus die Firma Schuckert und Siemens & Halske mit 5 Steinmüller Kesseln.

Die Kraftmaschinen sind unmittelbar neben den Kesselhäusern in 2 Maschinenhallen untergebracht, die z. Th. aus den Bindern der alten 30 m Halle von 1889 hergestellt sind, welche früher in der Axe des Marsfeldes senkrecht an die grosse Maschinenhalle anschloss. Je 2 gegeneinander versteifte Binder dieser Halle, die mit den Versteifungen 162,5 t wogen, wurden auf Rollen gesetzt und in die neue Lage geschoben und gedreht.

Die Dampfmaschinen sind unmittelbar mit den Dynamos gekuppelt und waren von demselben Unternehmer zu liefern einschl. Widerstands- und Schaltbrett. Zu den Kosten der Einrichtung zahlt die Ausstellungsverwaltung den Ausstellern 272 000 M., davon 80 000 für die Dynamos, 192 000 M. für die Dampfmaschinen. Die französische Gruppe stellt 15 000 P.S,, die der fremden Aussteller 21 000 P.S, sodass also mehr als das Doppelte des Bedarfs gedeckt ist. Die Dynamos liefern Gleichstrom von 125, 250, 500 Volt, Wechselstrom von 2200, Drehstrom von 2200, 3000, 5000 Volt Spannung. Von deutschen Werken haben sich betheiligt Helios-Köln, mit der Augsburger Maschinenfabrik, Lahmeyer-Frankfurt a. M., mit der Augsburger und Nürnberger Maschinenfabrik, Siemens & Halske mit Borsig-Berlin, und schliesslich Schuckert-Nürnberg, mit der Nürnberger Maschinenfabrik.

In jeder der beiden Maschinenhallen ist ein mächtiger Laufkrahn von 25 t Tragfähigkeit zur Versetzung der schweren Maschinen angeordnet. Der Krahn in der französischen Ausstellung ist ein in der Hallenaxe laufender Drehkrahn mit gleicharmigem Ausleger. Für die Halle der fremden Nikon ist der Krahn von der Berliner Firma Carl Flohr geliefert, während die Eisenkonstruktion dazu von Steffens & Nölle, ebenfalls einer Berliner Firma, ausgeführt ist. Das Krahngerüst überspannt hier die ganze Hallenbreite, und zwar von Mitte zu Mitte der Laufschienen 27,6 m weit.

Weltausstellung in Paris. Elektrisch betriebener Laufkrahn von Carl Flohr in Berlin in der Maschinenhalle der fremden Nationen
Weltausstellung in Paris. Elektrisch betriebener Laufkrahn von Carl Flohr in Berlin in der Maschinenhalle der fremden Nationen

Der obere Theil der Eisenkonstruktion, die als 3 Gelenkträger ausgebildet wurde, schliesst sich der Form des Hallendaches an. Der wagrechte Träger der Laufkatze nimmt gleichzeitig als Zugband den Horizontalschub auf. Der elektrisch betriebene Krahn durchläuft die Halle in 107 m Länge mit einer Geschwindigkeit von 30 m in der Minute, während sich die Laufkatze mit 10 m Geschwindigkeit in der Querrichtung bewegt. Die Hubgeschwindigkeit beträgt bei grösster Last 2,4 m in der Minute. Die Abbildg., die wir der Firma Flohr verdanken, lässt die Gesammterscheinung des Krahns deutlich erkennen. Trotz der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit, war der deutsche Krahn zuerst betriebsfähig, wie sich denn überhaupt die fremden und namentlich die deutschen Aussteller mit den Kraftmaschinen und Kesselanlagen weit pünktlicher, als die Mehrzahl der französischen Aussteller erwiesen haben.

Die Vertheilung der elektrischen Energie auf das weite Ausstellungsgebiet von den beiden Schaltbrettern der Kraftzentralen aus erfolgt mittels unterirdischen Kabelnetzes. Nur die Speisekabel für die Stufenbahn und die elektrische Bahn sind oberirdisch, entsprechend geschützt, angeordnet. Es sind 2 getrennte Netze zu unterscheiden: das für Gleichstrom niedriger Spannung, das sich ausschliesslich auf das Marsfeld beschränkt und dasjenige der hochgespannten Wechselströme, das sich mit 9 Hauptleitungen nach allen Seiten verzweigt. Die Hauptleitungen sind doppelt und derart mit Stromunterbrechern versehen, dass sie ganz oder stückweise ausgeschaltet werden können. Im letzteren Falle tritt das Parallelkabel für den ausgeschalteten Theil in den Stromkreis ein. Insgesammt sind 40 km Kabelleitungen vorhanden, welche von der Ausstellungsleitung hergestellt sind. Die Anschlüsse nach den einzelnen Verbrauchsstellen sind auf Kosten der Aussteller ausgeführt, denen übrigens z. Th. Betriebskraft zu den Maschinen umsonst geliefert wurde. 50 Transformatoren, deren Mehrzahl an der Invalidenesplanade angeordnet ist, sorgen für Reduktion des Stromes auf niedrigere Gebrauchsspannung, z. Th. gleichzeitig auch für Umformung des Wechselstromes in Gleichstrom.

Neben der von der Ausstellungs-Verwaltung gelieferten elektrischen Beleuchtung ist auch noch eine solche der städtischen Elektrizitätswerke, namentlich da, wo diese Beleuchtung auch späterhin verbleiben soll, vorhanden; ausserdem ist der Garten des Marsfeldes und des Trocadéro mit einer glänzenden Gasbeleuchtung ausgestattet, die übrigens auch zur Beleuchtung der beiden Kunstpaläste in den Champs Elysées herangezogen ist. Wie in Licht getaucht, erscheint das ganze Ausstellungsgebiet an den Tagen der festlichen Beleuchtungen, daher erklärt sich auch der ungeheure Kraftverbrauch von 15 000 Pf.-St., d. s. ¾ der ganzen in den beiden Zentralen zur Verfügung stehenden Betriebskraft. Allein am Haupteingang am Eintrachtsplatz sind 1500 Glühlampen, 2 Scheinwerfer und in der Kuppel mehre Bogenlampen untergebracht, die Alexander-Brücke besitzt 500 Glühlampen, das sogenannte Wasserschloss am Marsfeld 1100 Glühlampen, welche die Kaskadenbecken besäumen und eine ganze Anzahl von Scheinwerfern zur Beleuchtung der Kaskaden selbst; der Elektrizitätspalast dahinter, der von einem strahlenden Genius bekrönt wird, kann schliesslich 5000 Glühlampen und 30 Bogenlampen aufweisen.

Weit weniger glänzend ist die Beleuchtung an den gewöhnlichen Tagen und mit der Beleuchtung der Ausstellungsräume selbst ist man äusserst sparsam gewesen. Die Kunstpaläste und die Ausstellungs-Gebäude am Marsfelde zum grösseren Theile werden überhaupt nicht beleuchtet, sodass sie mit dem Eintritt der Dunkelheit geschlossen werden müssen. Der Besuch der Hauptausstellungsräume ist daher im Wesentlichen auf die Tagesstunden beschränkt.

Die Zahlenangaben in vorstehenden Mittheilungen stützen sich z. Th. auf „Le Génie Civil“.

Dieser Artikel erschien zuerst am 11.08.1900 in der Deutsche Bauzeitung.

Inhaltsübersicht

Die Artikelserie “Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900” besteht aus 5 Teilen:

I. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – I. Die Brücke Alexander’s III.

II. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – II. Die Versorgung der Ausstellung mit Betriebs-Kraft und Licht

III. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – III. Die Anlagen für den Verkehr innerhalb des Ausstellungs-Gebietes

IV. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – IV. Die Ausstellung von Ingenieurwerken

V. Das Ingenieurwesen auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 – V. Die Ausstellung in Vincennes und des Verkehrswesens