Der Hofstaat des französischen Präsidenten

Am 14. Juli wird Frankreich wieder unter rauschendem Jubel sein Nationalfest begehen. Bei diesem Anlaß wird man sich in erster Linie der Männer erinnern müssen, die berufen waren, während des nun zweiunddreißigjährigen Bestehens der dritten Republik die Geschicke des Landes als Staatsoberhaupt zu leiten.

Herr Thiers, der erste Präsident der dritten französischen Republik, den man heute noch nicht anders als Monsieur Thiers nennt, blieb auch als Präsident noch der Premierminister. Ein ungemein fleißiger und thätiger Mann, that er alles selbst – alles und den Rest, wie die Franzosen sagen. Zum Repräsentieren hatte er keine Zeit. Er arbeitete in seinem Kabinett und leitete alle Staatsgeschäfte, aber das Publikum bekam ihn nicht zu Gesicht, und von öffentlichem Auftreten war nur in ganz seltenen Ausnahmefällen die Rede.

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Unter seinem Nachfolger Mac Mahon änderte sich das etwas, aber nicht sehr. Zwar fiel es dem Marschall nicht ein, gleich seinem Vorgänger sich an den Schreibtisch zu setzen und hier acht oder gar zehn Stunden zu arbeiten. Er begnügte sich vielmehr mit dem Unterzeichnen nötiger Urkunden und ließ seine Minister die ihnen zukommende Arbeit thun. Im übrigen aber war und blieb er Soldat, dem alle Zivilistendinge fremd und unangenehm waren. Alle Feierlichkeiten und Feste, die sein öffentliches Erscheinen bedingten, flößten ihm den größten Widerwillen ein. Die Hauptschuld an diesem Benehmen, das ihm unter den Deputierten und Senatoren viele Feinde machte, war im Grund der unüberwindlichen Schüchternheit des Marschalls zuzumessen, die ihn nur dann verließ, wenn er unter seinen Soldaten war, Truppen inspizierte oder sich sonst mit militärischen Dingen beschäftigte.

Empfang im Garten des Elyséepalastes
Loubet dekoriert einen Offizier

Der dritte Präsident, Herr Grévy, haßte jedes öffentliche Auftreten, weniger aus Schüchternheit, sondern weil er sich eben nur in seinen vier Wänden wohl fühlte. Zu ihm konnte das Publikum also ebensowenig Fühlung gewinnen wie zu seinen beiden Vorgängern. Carnot zeigte sich zwar dem Publikum häufiger, hüllte sich aber stets in eine kalte Würde und Korrektheit, für die sich die Franzosen nicht erwärmen konnten. Casimir-Périer eilte so schnell vorüber, daß er keine Zeit hatte, sich ordentlich zu zeigen. Für Felix Faure bestand sein Amt hauptsächlich in der äußerlichen Repräsentation, und er schwelgte förmlich in offiziellen Empfängen, Festen, Banketten, Reisen u.s.w. Bei dem großen Haufen war er deshalb der populärste Präsident.

Oberst Lamy vom militärischem Stab des Präsidenten
General Dubois, Generalsekretäs der Präsidentschaft

Emil Loubet ist wohl der erste Präsident der dritten Republick, der seinen Repräsentationspflichten mit ruhiger Gewissenhaftigkeit nachgeht, der ihnen weder ausweicht noch nachläuft, der sie mit Takt und Geschick ausfüllt, ohne ihnen eine überwiegende Stelle einzuräumen. Er hat nach und nach die Sympathien aller Kreise gewonnen und ist jetzt nicht mehr weit davon entfernt, dem Herzen des französischen Volkes näherzustehen als jemals ein Präsident vor ihm. Seine ruhige und doch freundliche Würde, die er bei feierlichen Gelegenheiten zeigt, hat den Leuten imponiert, die einst für Herrn Felix Faure schwärmten.

Lakaien und Diener im Elysée
Monsieur Troude, erster Spitzenreiter

Ich erinnere mich einer Vorstellung im Odéon wenige Monate vor dem Tod Faures, zu der der Präsident seine Gegenwart angekündigt hatte. Die Vorstellung wurde wegen dieser Ankündigung eine halbe Stunde aufgehalten und nahm erst ihren Anfang, als der von den Klängen der Marseillaise und von einer Schar Spalier bildender städtischer Gardisten empfangene Präsident gekommen war. Ein halbes Jahr später sah ich Loubet mit seiner Gattin und seinem Sohn ruhig und einfach im Französischen Theater erscheinen, ohne Marseillaise, ohne Gardisten, ohne vorherige Ankündigung und ohne dadurch verursachte Verzögerung des Schauspiels. Loubet kann man alle Tage in den Anlagen der Champs Elysées oder im Tuileriengarten begegnen, wo er mit seinem Sohn oder mit einem seiner Sekretäre oder sonstigen Palastbeamten spazieren geht und die Grüße der Vorübergehenden freundlich erwidert. Und so ist unter seiner Aegide auch das Elysée weit zugänglicher und gemütlicher geworden als zu Faures Zeiten.

Die Wagen der Minister im Hof des Elyséepalstes
Der Herr Hausmeister im Elysée

Der Palast der französischen Präsidenten ist kaum größer und glänzender als die Wohnungen von hundert oder gar tausend reichen Leuten in Paris. Mit seinem Garten nimmt der Elyséepalast ein großes Geviert ein, das von den Straßen St. Honoré, Elysée, Marigny und Gabriel eingeschlossen ist und durch die letztgenannte Straße in direkter Verbindung mit der Avenue des Champs Elysées, der prächtigsten Straße der Welt, steht. Die Fassade des Palastes liegt an der engen und durchaus nicht majestätischen Rue St. Honorg, während der Garten an die Avenue Gabriel grenzt. Seit wenigen Jahren erst ist ein hübsches Thor durch die Gartenmauer gebrochen, das dem Präsidenten gestattet, von dieser Seite seinen Palast zu betreten oder zu verlassen. Indessen wird diese Einfahrt bei den offiziellen Empfängen nicht benutzt, sondern die Wagen der Geladenen fahren durch einen Thorweg in der Avenue Marigny in den Ehrenhof, von wo eine breite und stattliche Treppe in die Empfangsräume des ersten Stocks führt. Ein besonders anziehendes Bild bietet dieser Innenhof an den Tagen großer Empfänge oder auch, wenn die Minister zum Konseil im Elysée weilen und nun ihre eleganten Equipagen im Hof auf sie warten. Die Säle im Palast sind reich und vornehm, aber nicht besonders prächtig eingerichtet, und auch an Umfang stehen sie vielen an dem Pariser Palästen nach. Eine Hauptannehmlichkeit des Elysée ist der herrliche, mit hundertjährigen Riesenbäumen bepflanzte Garten, in dem sowohl der Präsident als auch seine Gattin ihre intimeren Sommerempfänge und ihre beliebten Gartenfeste zu geben pflegen (vergl. Abb. Seite 1299).

Der Präsident fährt aus
Präsident Loubet mit Gefolge im Tuileriengarten

Wer nicht zu diesen Festlichkeiten zugelassen wird, kann sich damit begnügen, die Gäste ankommen oder den Präsidenten und seinen Hofstaat ausfahren zu sehn. Das letztere geschieht bei den offiziellen Gelegenheiten, wo Herr Crozier, der seit dem Tode Herrn Faures melancholisch zu werden drohte, wieder einmal ein frohes Gesicht machen kann, und wo Herr Troude, der dem einst so berühmten Montjarret als erster Spitzenreiter des Prãsidenten im Amt gefolgt ist, sich in seinem vollen Glanze zeigen kann. Dann legt der Generalsekretär der Präsidentschaft, General Dubois, und der Oberst Lamy vom militärischen Stab seine glänzendste Uniform an, schmückt sich mit seinen zehntausend Orden, die Postillone der Equipage, die Lakaien und Diener, einführenden Huissiers und nicht zuletzt die eskortierenden republikanischen Gardisten glänzen und gleißen, daß den Zuschauern die Augen wehthun, und Herr Loubet selbst sieht in all der prunkenden Pracht so einfach und ruhig aus, daß man den Herzenswunsch seines Vorgängers, der absolut eine schöne Uniform haben und den schwarzen Frack aufgeben wollte, begreifen lernt. Indessen geht es derweilen auch im schwarzen Frack, und die natürliche Bonhomie, womit Herr Loubet seine Festreden hält, Offiziere dekoriert und fremde Diplomaten und Potentaten empfängt, kleidet den Präsidenten einer Republik vielleicht besser, als es der von Herrn Felix Faure ersonnene, über und über mit Goldstickereien bedeckte Frack gethan hätte. Herrn Faure, der ein großer und stattlicher Mann war, hätte die schillernde Uniform ja wohl ganz gut gestanden, aber Thiers, Grévy und Loubet hätten höchstwahrscheinlich in einem solchen Aufzug mehr komisch als erhaben ausgesehen.

Der Elyséepalst vom Park aus gesehen

Dieser Artikel von Karl Eugen Schmidt erschien zuerst am 11.07.1902 in Die Woche. Dazu 11 (nachcolorierte) Aufnahmen von Leon Bouẽt und Chusseau-Flaviens, Paris.