Die elektrische Hoch- und Untergrundbahn in Berlin von Siemens & Halske – VII. Die künstlerische Ausbildung

In einer Veröffentlichung, welche zur Betriebseröffnung der elektrischen Hoch- und Untergrundbahn in Berlin erschienen ist, [Zur Eröffnung der elektrischen Hoch- und Untergrundbahn in Berlin. Von Reg.-Rath a, D. Gustav Kemmann, Berlin 1902. Verlag von Julius Springe.] finden sich in dem Abschnitt, welcher die architektonische Durchbildung der Hochbahn behandelt, die folgenden Sätze: “Glücklicherweise hat die heutige Architektenwelt sich allmählich mehr und mehr mit dem Gedanken befreundet, dass auch die Formen des Eisens ihre Daseinsberechtigung, haben und dass die grossen Werke des Eisenbaues ein sehr dankbares Gebiet für die künstlerische Bethätigung bieten.

Der Ingenieur hat andererseits sich überzeugen können, dass die mathematischen Gesetze häufig eine schlechte Lehrmeisterin sind, wo es sich um die Geschmacksfrage handelt, dass sich vielmehr die Rechnung den Gesetzen der Aesthetik in sehr vielen Fällen unterzuordnen hat.” Diese Sätze, so zutreffend sie sind, haben doch, im Jahre 1902 geschrieben, etwas von der Bedeutung eines Anachronismus angenommen. Weder hat sich erst die “heutige Architektenwelt allmählich mehr und mehr mit dem Gedanken befreundet”, dass auch die Formen des Eisens ihre Daseinsberechtigung haben und ein dankbares Gebiet für eine künstlerische Bethätigung bilden, noch ist dem Ingenieur so spät erst die Ueberzeugung gekommen, dass die Mathematik eine schlechte künstlerische Lehrmeisterin ist. Als um die Wende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, also vor mehr als zwanzig Jahren, der damals schon viel erörterte Plan einer Wiener Stadtbahn als Hochbahn bei zahlreichen Beurtheilern arge ästhetische Beklemmungen verursachte, da suchte man nach wirkungsvollen Waffen zur Bekämpfung des Planes und man wandte sich an die zwei bedeutendsten Architekten des damaligen Wien, an Heinrich von Ferstel und an Theophil von Hansen, um eine Aeusserung. Man that es gewiss nicht von ungefähr und weil es zufällig die berühmtesten Architekten der schönen Kaiserstadt waren, sondern man suchte die beiden Fürsten der Baukunst sicherlich auch deshalb auf, weil man bei ihrer streng historischen Kunstweise eine bestimmte Aeusserung gegen die beabsichtigten Pläne, die vielfach selbst von sonst einsichtsvollen Beurtheilern hart geschmäht wurden, erwartete. Und was antworteten die beiden Künstler? Ferstel schrieb in einem die Angelegenheit betreffenden Berichte vom Jahre 1881: “Ich möchte den Satz aufstellen, dass da, wo irgend ein Bedürfniss wirklich besteht, und wo es klar und bestimmt in seinen Forderungen herantritt, die Kunst uns auch die Mittel an die Hand geben wird zu einer entsprechenden Lösung”. Und als Hansen gefragt wurde, ob die Ausführung einer Hochbahn wirklich so hässlich sei, wie allgemein behauptet werde, erwiederte er: “Ach, lieber Freund, lass sie reden, sie wissen nicht, was sie sagen. In Athen versteht man auch etwas von Aesthetik und Schönheit.

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In Athen giebt es grosse freie Plätze, deren Ueberschreiten nicht nur unangenehm, sondern im Sommer sogar gefährlich ist, denn die Hitze ist dort so gross, dass man sich leicht einen Sonnenstich holen kann.

Stützen und Pfeiler der elektrischen Hoch- und Untergundbahn Berlin

Was haben nun die Athener dagegen gethan? Sie haben Pflöcke eingeschlagen, haben über dieselben Längsgebälke und Quergebälke gelegt und haben daran überall Schlingpflanzen angelegt, sodass aus diesem Gebälke die griechischen Laubengänge entstanden sind. Kein Mensch hat aber gesagt, dass dies unschön ist. Sage Du den Engländern (die damals die Wiener Stadtbahn bauen wollten), sie sollen an jeder solchen Säule des beabsichtigten Eisenbahn-Viaduktes Schlingpflanzen anlegen, dann hat man in ganz Wien einen Laubengang, und das kann doch nicht so hässlich sein!” Wenn Hansen hätte die heutige Bülow-Promenade in Berlin erleben können!

Lageplan des Bahnhofs Nollendorfplatz

Freilich, hier ist es nicht allein das vegetabilische Element, welches in der Erscheinung mitwirkt, sondern in wesentlichem Maasse auch das künstlerische. So weit wären die Engländer und Amerikaner nie gegangen, denn ihnen sind die städtischen Hochbahn-Anlagen reine Nützlichkeitsbauten, bei denen, wie Kemmann treffend sagt, “auch im Aeusseren der Bauwerke der materielle Zweck des Unternehmens ausgeprägt ist”, wie die Hochbahnen in Liverpool, New-York und Chicago beweisen. Obwohl die Ingenieur-Wissenschaft in dem heute betriebenen rein mathematischen Sinne erst seit 100 Jahren etwa ein Glied der modernen Kultur ist, beansprucht der Engländer für sie doch die Herrschaft selbst für den hier inbetracht kommenden Theil der künstlerischen Kultur. Zu Beginn der neunziger Jahre wurde von dem neugewählten Präsidenten der Londoner Institution of Civil Engineers, Sir Benjamin Baker, eine bemerkenswerthe Rede über die Aesthetik in der Technik gehalten. Es ist freilich der Erbauer der Forth-Brücke bei Edinburgh, der hier sprach, einer Brücke, deren Formengebung einen so lebhaften Meinungsaustausch über die ästhetische Wirkung solcher Bauten hervorrief. Man wird die Aeusserung daher als eine solche des äussersten Gegenflügels aufzufassen haben.

Die elektrische Hoch- und Untergundbahn Berlin – Bahnhof Schlesisches Thor

Er klagte über die Vorwürfe, die den Ingenieur häufig träfen, dass er das Leben weniger erfreulich mache durch das, was die “uneingeweihte” Kritik die Hässlichkeit von Fabriken und anderen Anlagen nenne, die allmählich die Landschaften bedecken. Einen grossen Theil der Schmähungen, die der Kunstkritiker früher gern auf Ingenieurbauten häufte, könne man seiner völligen Unbekanntschaft mit den Zwecken und der Bestimmung der Bauten, seiner Unfähigkeit bei völligem Mangel an Erfahrung zuschreiben, zu empfinden, wie geeignet die Formen für ihren jeweiligen Zweck seien und wie klar sie ihn zum Ausdruck brächten. Gelegentlich sei der Techniker nachgiebig genug, eine Versöhnung mit solchen Kritikern zu versuchen, anstatt sie allmählich zu erziehen, indem er seine Konstruktionen so forme, wie sie wissenschaftlich und wirthschaftlich am besten ihrem Zwecke entsprechen. Wenn der Ingenieur nur ehrlich dabei bleibe, einfach und wissenschaftlich richtig zu entwerfen, so müssten die Aesthetiker schrittweise den erforderlichen Beurtheilungsmaasstab gewinnen, um die Schönheit und Zweckmässigkeit in solchen Konstruktionen zu entdecken. Baker kennt, im Gegensatz zu seinem rein mathematischen und ausschliesslichen Nützlichkeitsstandpunkte, welcher auch der der genannten Stadtbahnen ist, allerdings nur die an älteren Gitterbrücken angeklebten oder aufgesetzten Ornamente in Form von Rosetten, Cartouchen, Fialen, ältere Schiffsmaschinen mit gothisch stilisirten Rahmen, schwere Pumpwerke und Betriebsmaschinen mit Säulen von einem griechischen Tempel oder einem ägyptischen Königsgrabe; den Messingadler auf dem Dampfdome einer alten Lokomotive, “förmlich schreiend vor Schmerz, dass er an eine heisse Stelle gebannt ist”, Diese Art Kunst ist keine Kunst, so weit ist der “Fortschritt der Dinge” bereits gediehen; sie ablehnen ist aber noch keineswegs gleichbedeutend mit der unbedingten Vertretung des reinen Nützlichkeitsstandpunktes.

Bahnhof Nollendorfplatz

Schon 1866 hat es ein hervorragender deutscher Ingenieur, R. Baumeister in Karlsruhe, in seiner “Architektonischen Formenlehre für Ingenieure”, ein Buch mit goldenen Lehren für den Ingenieur, ausgesprochen, zur vollkommenen Schönheit eines Ingenieurwerkes gehöre nothwendig ein gewisser ästhetischer Ueberfluss. Ein gewisser Reichthum an den von der Gesammtheit benutzten Werken sei nicht blos künstlerisch, sondern auch nationalökonomisch gerechtfertigt. “Es ist roher Materialismus, wenn man die Blüthe der Völker ausschliesslich nach ihrem Vermögen und ihrem Produktionsquantum misst, wenn man glaubt, durch blosse Steigerung des materiellen Wohlbefindens der Nation dieselbe nach aussen mächtig, nach innen kraftvoll und gesund zu machen. Auch die Schätzung der geistigen Potenzen gehört dazu, und unter ihnen ist die Kunst keineswegs eine Luxuspflanze, von deren Gedeihen nichts abhängt.” An einer anderen Stelle führt Baumeister aus, für die Ansicht der Utilitarier lasse sich leicht anführen, dass allerdings vom Standpunkte des gemeinen Nutzens aus alles als unnütze Verschwendung erscheinen müsse, was über den nächstliegenden Zweck hinausgehe. Das sei der Standpunkt, welchen auch das Thier einnehme, nur nicht so vollkommen entwickelt. “Giebt man aber zu, dass der Mensch höhere Bedürfnisse als materielle hat, so folgt, dass das scheinbar Ueberflüssige das wahrhaft menschlich Nothwendige ist.” Es ist viel Missbrauch getrieben worden mit dem schlichten Worte: “Zweckmässig ist schön”. Es spielt heute noch in manchen ästhetischen Ausführungen eine Rolle und man weist mit Behagen auf die Natur hin, welche in allen Dingen die höchste Zweckmässigkeit und deshalb die grösste Schönheit entfalte. Und doch ist gerade sie es, welche in dem Reichthum der Formen so oft über die einfache Nothwendigkeit hinausgeht. Nicht allein Baumeister, auch andere Kreise haben sich in ausgesprochenen Gegensatz zu dem nackten Utilitarismus der englischen Ingenieure gestellt. Der holländische Ingenieur de Koning von der polytechnischen Schule in Delft warf einmal die besorgte Frage auf, ob die Ingenieure wirklich die Pioniere der Bildung seien, als die man sie bezeichnet habe. “Ist es nicht vielmehr eine niedere, denn eine höhere Bildung, der wir als Pioniere dienen?

Bahnhof Schlesisches Thor

Vernachlässigen wir nicht oft die höhere ethische Seite unseres Faches zugunsten der materiellen?

Und ist nicht die Materie, zu der wir nach der Schrift und nach aller menschlichen Erfahrung wieder zurückkehren, dasjenige, was uns mehr beschäftigt, als der “Geist”? Was hat die Kunst, was hat das Schöne uns zu danken?”

Geländer in der Bülow-Strasse über der Steimetz-Strasse

Diese Worte sind 1893 gesprochen; fünfzehn Jahre vorher noch konnten französische Architektenkreise mit Besorgniss darüber klagen, dass seit dem Auftreten der neuen Materialien Stahl und Eisen Architekten und Ingenieure tagtäglich in zwangvollen Beziehungen zu einander, ja in einem unaufhörlichen Kampfzustande lebten. “Der natürliche Verlauf der Dinge”, schrieb Davioud, “der stets den “Eindringling” begünstigt, hat die berechtigte Furcht entstehen lassen, dass eine vollständige Verschiebung der Rollen sich vollziehen, dass der Architekt in die Abhängigkeit des Ingenieurs gerathen werde.” Diese Befürchtung hat sich bewahrheitet und auch nicht, je nachdem man in der heute unzweifelhaft vollzogenen weitgehenden Annäherung der beiden Fächer einen Gewinn sehen will oder nicht.

Pfeiler der elektrischen Hoch- und Untergundbahn Berlin

Für alle Einsichtigen aber, die nicht auf der Aussersten Utilitaritätsseite wie Baker, oder auf der äussersten entgegengesetzten Seite stehen, wie Davioud, hat sich aus der Annäherung ein grosser Gewinn für beide Theile ergeben. Es war, wie Kemmann sagt, der “feinsinniger veranlagte Deutsche”, welcher die Annäherung herbeiführte. Der deutsche Ingenieur war ideal genug, dem deutschen Architekten ein gewisses Maass “ästhetischen Ueberflusses” zuzugestehen, und der deutsche Architekt war unbefangen genug, aus den Einflüssen der Ingenieurkunst eine ungeahnte Bereicherung seiner Formenwelt als Gewinn aufzunehmen. Eines der hervorragendsten Ergebnisse dieser gegenseitigen Annäherung, ein Werk, welches die Bedeutung eines Wendepunktes beanspruchen darf, ist die künstlerische Ausgestaltung der Berliner elektrischen Hoch- und Untergrundbahn. Freilich, so leicht ist das Werk nicht zustande gekommen. Der sogenannte ästhetische Ueberfluss kostet allemal Geld, mitunter sogar sehr viel Geld, ein Umstand, der bei einer Erwerbsgesellschaft doppelt ins Gewicht fällt.

Pfeiler an der Froben-Strasse

Die eigene Neigung, über das Nothwendige hinauszugehen, scheint daher erst gereift zu sein, nachdem die Einwohnerschaft durch Presse und Vereine, nachdem die Stadtverwaltungen und die Staatsbehörden unzweideutige Wünsche in dieser Beziehung zum Ausdruck gebracht hatten. Als aber einmal der Entschluss gefasst war, mehr als das Nothwendige zu geben, da wurde dieses Mehr – das muss unter allen Umständen besonders anerkannt werden – reichlich und mit vollen Händen gegeben. Und wir glauben nicht falsch unterrichtet zu sein, wenn wir dem berathenden Architekten, Hrn. Direktor Reg.-Bmstr. Paul Wittig, hierbei eine erfolgreiche Mitwirkung zuschreiben.

Bahnhof Bülowstrasse

Mit zwei verschiedenen Momenten ist bei der künstlerischen Ausbildung der elektrischen Hoch- und Untergrundbahn zu rechnen: einmal mit dem künstlerischen Einfluss des Architekten auf die formale Ausbildung der reinen Konstruktion, und zum anderen mit dem durch den Architekten ahnen schmückenden Beiwerk der Viaduktstrecken wie der Bahnhöfe.

Welchen Einfluss beide Momente auf die Erscheinung des Bauwerkes ausüben, zeigt deutlich ein Vergleich der östlichen mit der westlichen Strecke. Die formale Ausbildung der ersteren Strecke lässt erkennen, dass sie in der Hauptsache unter dem Einflusse des rechnerischen Material-Minimums entstanden ist und dass erst, als diese Strecke sich in der Erscheinung etwas zu sehr den englischen und amerikanischen Hochbahnen näherte, der Architekt zur künstlerischen Mitarbeit angerufen wurde. Herrschte bis dahin in der östlichen Strecke das starre Konstruktionsprinzip, welches Konstruktionsungethüme wie z. B. die beiden Viaduktportale am Sedan-Ufer und anderes hervorgebracht hat, was sich auf der westlichen Strecke mit Ausnahme einiger Bildungen am Bahnhof Nollendorfplatz nicht mehr oder doch nur da wiederholt, wo die Eigenschaften der Oertlichkeit keine besondere Rücksichtnahme auf die Formengebung verlangten, so wurde auf dieser Strecke der Ingenieur, wie es einer der hervorragenden Mitarbeiter des grossen Werkes, Reg. Bmstr. Bousset ausdrückt, “wo er zu grausam vorging, vom Architekten zu sanfteren Umgangsformen gezwungen”. Andererseits ist festzustellen, “dass die Architekten mit bewusster Absicht den Konstruktionsideen der Ingenieure folgten und diese Ideen eher noch schärfer zu betonen suchten, als sie zu verdecken. Und zuweilen standen die Architekten im ersten Augenblick ablehnend vor ungewöhnlichen Ingenieurformen, mit denen sie sich später gern abfanden”. Aus dieser interessanten Darstellung des gegenseitigen Arbeits- und Einflussverhältnisses der beiden in ihren Grundprinzipien verwandten, im Laufe der Zeit aber mehr als erwünscht auseinander gekommenen Gebiete lassen sich leicht die Gründe für die frische und neue Erscheinung der Bauten der Hochbahn erkennen. Mustergültig ist die elegante Erscheinung der Hochbahn-Viaduktstrecke zwischen Potsdamerstrasse und Nollendorfplatz. Sowohl die konstruktiven Anordnungen wie der künstlerische Schmuck zeigen eine so neue und eigenartige Schönheit, dass dieser Theil des Werkes eine dauernde Bereicherung des Formenschatzes unserer Nützlichkeitsbauten bildet. Die örtlichen Verhältnisse der breiten Mittelpromenade erlaubten es, die Fusspunkte der Stützen hinauszurücken und die Stützen schräg zu stellen. Dadurch wurde der Eindruck der Standsicherheit verstärkt und zugleich der Konstruktion die Starrheit der rechtwinkligen Bildungen genommen. In der Längsrichtung führt eine schön geschwungene Bogenlinie den Horizontalträger in die Stütze über; Bogenlinien von schönem Schwung sind auch an den übrigen Theilen der Konstruktion die vermittelnden Elemente. Durch die Anwendung der geschwungenen Linie erhält die Konstruktion eine so neue und überzeugende Schönheit, dass sie ohne Zweifel zum Vorbild für spätere Bauwerke werden dürfte. «Und wenn es gelingt auch die, die Konstruktion herstellenden Werke dazu zu bringen, auf die kleinen Einzelheiten zu achten, sodass nicht ein Querflansch da, wo er rechnerisch nicht mehr nöthig ist, plötzlich und unvermittelt aufhört, sondern als begleitende Linie bis zu einem natürlichen Endigungspunkt weiter geführt wird, dann dürfte eine Vollkommenheit der Erscheinung erreicht werden können, welche nicht nur weitgehende künstlerische Wünsche zum Schweigen bringt, sondern welche auch zu der Anerkennung zwingt, dass das Hochbauwesen durch die Ingenieure eine werthvolle Bereicherung seiner Erscheinungsformen erfahren hat.

Stützen der elektrischen Hoch- und Untergundbahn Berlin

Zu diesen in der reinen Konstruktion liegenden künstlerischen Momenten treten nun noch die rein schmückenden Zuthaten, deren Bestimmung es ist, Härten zu verdecken, Uebergänge geschmeidiger zu machen, und es ist erstaunlich, wahrzunehmen, mit wie wenigen und einfachen Mitteln es möglich ist, harten Bildungen ein völlig verändertes Aussehen zu verleihen.

Was Alfred Grenander, Bruno Möhring und Paul Wittig in der Ersinnung charakteristischer und anspruchsloser Zuthaten geleistet haben, ist aus unseren Abbildungen zu erkennen und über alles Lob erhaben. Eine runde oder eckige Volute, eine geschwungene Verzierung, ein Band, ein an den Ecken charakteristisch aufgebogener Eisenstab, das sind die einfachen Schmuckmittel, die mit grösster künstlerischer Sicherheit zur Verwendung gelangten. In diesen bescheideneren Arbeiten scheint uns das Hauptverdienst der architektonischen Ausschmückung der Hochbahn zu liegen, denn sie nur machen es unter der nothwendigen Berücksichtigung der wirthschaftlichen Lage möglich, ein Ingenieurwerk von grosser Ausdehnung aus dem Charakter des reinen Nutzbaues überzuleiten in den mit idealen Forderungen ausgestatteten Charakter des Kunstbaues.

Bahnhof Hallesches Thor

Grössere Aufwendungen wurden auf der westlichen und auf einem Theile der östlichen Strecke an den Stellen gemacht, an welchen Strassenzüge den Zug der Hochbahn kreuzen. Hier schliesst nicht nur ein reicheres Gitterwerk die seitlichen Gehwege des Bahnkörpers ab und verdeckt die hier nicht zu umgehenden, nicht eben schönen konstruktiven Bildungen der grösseren Spannweiten, sondern es treten zu dem Eisenwerk als markante Begrenzungspunkte der Zwischenviaduktstrecken schwere Steinpfeiler mit obeliskenartigen Endigungen von frischer und neuer Erfindung.

Wir geben in unseren Abbildungen einige dieser höchst anziehenden Bildungen nach Entwürfen von Bruno Möhring, Alfr. Grenander und Cremer & Wolffenstein wieder. In diesen interessanten Werken feiert der “ästhetische Ueberfluss” einen völligen Sieg über den rein wirthschaftlichen Standpunkt.

Zugang zur Metropolitian in Paris

In gleichem Maasse ist das der Fall bei einzelnen Bahnhöfen oder Haltestellen, wie sie von der Verwaltung genannt werden. Die Hoch- und Untergrundbahn hat im ganzen 10 Zwischenstationen, von welchen die Haltestellen “Kottbuser Thor”, “Oranien-Strasse”, “Prinzen-Strasse”, “Möckern-Brücke” und “Hallesches Thor” nach einer Normalie ausgeführt sind. Von ihnen allerdings wurde mit Ausnahme der Haltestelle “Hallesches Thor” der veredelnde Einfluss der Kunst ferngehalten. Sie sind schlauchartige Bildungen mit senkrechten Glaswänden und gewölbtem Wellblechdach, ohne allen Anspruch, sich der architektonischen Umgebung anzupassen, ein Umstand, der besonders bei der Haltestelle “Möckern-Brücke” (Jahrg. 1901 S. 596) empfunden wird und den Wunsch auslöst, es hätten die künstlerischen Mittel, die zum Schmucke der benachbarten Hochbahnbrücke über den Landwehrkanal verwendet wurden und die, fortdauernd dem Rauch der Lokomotiven der Anhalter Bahn ausgesetzt, bald ihre Wirkung versagen dürften, zur Ausschmückung dieses Bahnhofes verwendet werden sollen. Indessen ist hier die Verwaltung nicht ganz unabhängig gewesen. – Eine infolge der geringen Mittel nur bescheidene architektonische Ausbildung ist durch Hrn. Reg.-Bmstr. Necker für den Bahnhof “Stralauer-Thor” versucht (s. Jahrg. 1901 S. 596). Da indessen der Bahnhof eine unmittelbare Fortsetzung der in reichem märkisch-gothischem Backsteinstil gehaltenen Oberbaumbrücke ist, so ist, namentlich auch im Hinblick auf die baldige Fortsetzung der Bahn über diesen vorläufigen Endpunkt hinaus anzunehmen, dass der hier errichtete Bahnhof nicht das letzte Wort der Verwaltung ist.

Mit erheblichem Aufwande hat der Bahnhof “Schlesisches Thor” durch Grisebach & Dinklage eine ansprechende, durch die Eigenartigkeit der örtlichen Verhältnisse lebhaft gruppirte künstlerische Gestalt erhalten. Die Bahn überschreitet unter spitzem Winkel einen langgestreckten Platz, dessen bescheidene Grössenverhältnisse im Grundriss zu äusserster Ausnutzung der Fläche veranlassten und so die merkwürdigen Verschneidungen und Ausbauten hervorriefen. Der Bau ist ein Werksteinbau mit Backsteinfläche und ist in der gothisirenden Frührenaissance gehalten, welche den zahlreichen Bauten der Firma ihr charakteristisches Gepräge verleiht. Soweit die Räume im Erdgeschoss nicht durch den Bahnbetrieb in Anspruch genommen werden, sind sie Läden und Restaurationslokale. Nur einzelne Theile der Anlage sind zur Gewinnung eines schönen malerischen Bildes über das Erdgeschoss hinausgeführt. Werden die Bauten des Bahnhofes “Schlesisches Thor” wesentlich durch die Verschneidungen der Platzverhältnisse beeinflusst, so ist das in ähnlichem Maasse der Fall bei dem Bahnhofe “Prinzenstrasse”. Dieser zerfällt in drei Theile: in die eigentliche Bahnhofshalle, die sich in nichts von der Normalie der kunstlosen Zwischenbahnhöfe unterscheidet, in das nördliche Zugangshaus mit Schalterhalle, welches als ein für diesen Zweck erworbenes Wohnhaus sich gleichfalls in nichts von den Wohnhausbauten der dortigen Gegend unterscheidet, und in das südliche Zugangshaus, welches auf einer dreieckigen Baustelle errichtet wurde, die sich aus dem Zusammentreffen der Gitschiner und der Prinzenstrasse bildet und nach den Entwürfen von Paul Wittig eine höchst geschickte Grundriss-Ausnutzung bei ansprechender Gestaltung des Aeusseren und des Inneren erfahren hat.

Ein Bahnhof, dessen künstlerische Gestaltung besondere Schwierigkeiten bot, die durch die Architekten Solf & Wichards in glücklicher Weise überwunden wurden, ist der auf der Scheide zwischen der Ost- und der Weststrecke stehende Bahnhof “Hallesches Thor”.

Der monumentale bauliche Charakter der Oertlichkeit: die figurengeschmückte Kanalbrücke, die klassischen Thorbauten und die Bedeutung des Belle-Allianceplatzes als eines Denkmalplatzes forderten gebieterisch für diesen Bahnhof einen höheren architektonischen Aufwand, bei dessen Gestaltung es der reichen Erfindungsgabe der Architekten bedurfte, aus den schwierigen örtlichen Verhältnissen des Bahnhofes selbst etwas zu schaffen, was den innereren Zwiespalt des Werkes nicht allzu stark in die Erscheinung treten lässt Der Bau ist trotz aller Kunst der Architekten ein Kompromissbau geblieben und konnte nichts anderes werden, denn es galt hier nicht sowohl, die Bahnhofshalle architektonisch auszubilden, als ihr eine Architekturgruppe vorzulagern, welche das reine Nützlichkeitsgepräge der Bahnhofshalle verdeckte. Der Bahnhof wurde nur dadurch möglich, dass der Stromfiskus und die Strompolizei gestatteten, bis nahe an die Flucht der Widerlager der Belle-Alliance-Brücke in den Landwehrkanal hineinzubauen. Infolge der mangelnden Bodenfläche war daher die Lösung des Treppenhauses, für welches Stützen nicht aufgestellt werden konnten, eine jener schwierigen Konstruktionsfragen, welche die Gestaltung des Bahnhofes wesentlich beeinflusst haben, Die von den Künstlern vorgeschlagene Lösung, das erste Treppenpodest erkerartig aus dem Sandsteinvorbau herauszukragen und die Treppenläufe von diesem Erker aus frei schwebend zu den Bahnsteigen zu führen, ist, freilich nicht ohne einige konstruktive Kunststücke, der Schwierigkeiten Herr geworden (s. nebenstehende Abbildung).

Die Bahn verlässt den Bahnhof “Hallesches Thor”, berührt den kunstlosen Bahnhof “Möckern-Brücke”, und geht dann auf eigenes Gelände der Verwaltung über, welches u. a. den Zugang zum Gleisdreieck bildet.

Der Ankauf dieses an der Trebbiner und der Luckenwalder Strasse gelegenen Geländes ist nöthig geworden zur Freilegung des Weges für die Bahn und zur Errichtung des Kraftwerkes. Letzteres erhebt sich nach den Abbildungen als eine nach den Entwürfen von Paul Wittig errichtete geschlossene Anlage von grossem Zug in der Trebbiner Strasse; es ist an dem Gebäude der erfolgreiche Versuch unternommen worden, einem reinen Nutzbau ein charakteristisches künstlerisches Gepräge zu verleihen, welches namentlich durch die in der Fassade sich spiegelnde innere Gliederung des Hauses zum Ausdruck kommt.

Das Material ist sparsamer Sandstein für die Architekturtheile, rothes Ziegelmauerwerk für die Flächen.

Aus dem gleichen Material, jedoch in reicheren Formen, ist das dem Kraftwerk vorgelagerte Wohn- und Verwaltungs-Gebäude errichtet, welches die Bahn im Kopfe durchschneidet. Die räumlich beschränkten Verhältnisse der Baustelle waren die Veranlassung zu reichlicher Erkerbildung, durch welche auch dieses Gebäude ein eigenartiges Gepräge erhalten hat,

Einen besonderen Typus, von der knappen Normalie in vortheilhafter Weise abweichend, bilden die Bahnhöfe “Bülowstrasse” und “Nollendorfplatz”. Die stattliche Breite der Bülowpromenade erlaubte nicht nur, die Hauptträger der Bahn durch massive Steinpfeiler zu unterstützen, sondern es war auch möglich, statt der bei den anderen Bahnhöfen frei vorkragenden Bahnsteige besondere Bahnsteigträger von der Spannweite der Hauptträger anzuordnen und auch diese durch Steinpfeiler zu unterstützen. Durch diese konstruktiven Maassnahmen gewannen die beiden Bahnhöfe eine vollkommenere Gestalt und es war daher leichter, ihnen ein befriedigendes architektonisches Gepräge zu verleihen, als bei den anderen Bahnhöfen. “Die massiven Unterbauten gaben dem Architekten die von ihm so sehr gewünschten Massen, welche beim Eisenbau zu vermissen ihm schwer fällt” (Bousset). Für die Gestaltung des Bahnhofes “Bülowstrasse” wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, aus welchem Bruno Möhring in Berlin als Sieger hervorging. Was er dann aufgrund des Wettbewerbsentwurfes nach umfangreichen Vorstudien für die Ausführung geschaffen hat, ist in Entwurf und formaler Durchbildung so neu, so frisch, so kraftvoll und so schön, dass der Bahnhof “Bülowstrasse” vorbildliche Bedeutung für die Entwicklung der neueren Architektur in Berlin gewonnen hat.

Auf dem Wege des unmittelbaren Auftrages ist der stolze Aufbau des Bahnhofes “Nollendorfplatz” durch Cremer & Wolffenstein entstanden. Die Bedeutung dieses Bahnhofes als des westlichen Endpunktes der Hochbahn, hinter welchem diese auf der schiefen Ebene in die Unterpflasterbahn übergeht, ferner die hervorragende Lage des Bahnhofes auf einem grossen Schmuckplatze sowie in der Axe bedeutender Strassenzüge haben die Künstler in glücklicher Weise veranlasst, den westlichen Endpunkt des Bauwerkes mit einer Walmkuppel mit Laterne zu krönen, die weithin nach allen Richtungen sichtbar ist. Die Kuppel besteht aus 4 Stirnbindern und 4 Gratbindern, welche in der Auflagehöhe der Bahnsteigträger von den Steinpfeilern aufgenommen werden. Diese massigen Sandsteinpfeiler endigen in hochragende Pylonen mit reichem bildnerischem Schmuck, welche die Kuppel an den Ecken wirkungsvoll bereichern. Eine eigenartige und neue Form hat die Laterne der Kuppel erhalten.

Hinter dem Bahnhof fällt die Hochbahn über die Schmuckanlage des Platzes hinweg zunächst auf eisernem Viadukt, dann auf steinerner Rampe zur Untergrundbahn. Die dem Platz zugekehrte Stirnseite der Rampe soll eine Brunnengruppe erhalten. Der Tunneleingang sowie der bis zur Eisenacher Strasse offene Einschnitt sind durch eine reiche und schöne Geländer-Entwicklung zwischen obeliskenartigen Sandsteinpfeilern, beides wieder nach dem Entwurf von Cremer& Wolffenstein, gegen die Fahrstrasse abgeschlossen.

Kraftwerk nebst Wohn- und Verwaltungsgebäude am Tempelhofer Ufer

Ueber die architektonische Ausbildung der Untergrundbahn-Strecke ist nicht viel, aber um so Bemerkenswertheres zu berichten. Die unterirdischen Stationsräume von vorgeschriebenen engen Abmessungen bieten der künstlerischen Thätigkeit nicht viel Spielraum. Gleichwohl hat man auch hier versucht, über das einfache Bedürfniss etwas hinauszugehen und einzelnen Stützen mit bescheidenen Mitteln eine interessante künstlerische Form zu geben. Die Versuche Wittig’s in dieser Beziehung sind in den Abbildungen dargestellt. Mehr Gelegenheit zu künstlerischer Thätigkeit gaben die Treppenzugänge zu den Bahnhöfen. Während die Pariser “Metropolitain” nach der beistehenden Skizze die Zugänge z. Th. überdeckte, sind sie in Berlin durchweg offen geblieben und die Stufen nach rückwärts geneigt, um durch Schlitze das Regenwasser abfliessen zu lassen, eine Anordnung, gegen die unseres Wissens sich bisher technische Anstände nicht ergeben haben, die aber den Vorzug besitzt, solcher Arbeiten auf grösste Sorgfalt geachtet werden und es darf leichtsinnigen Händen die Ausführung derartiger Bauten nicht anvertraut werden. Verfährt man jedoch mit der nöthigen Vorsicht, so wird das Ergebniss in jeder Beziehung befriedigend und es steht diese Bauweise in ihren günstigen Eigenschaften wohl unerreicht da. Die Möglichkeit eines Umbaues ist auch bei dem Eisenbetonbau gegeben; wie bei jeder Konstruktion muss ein herausgenommenes. Element durch ein anderes ersetzt werden; durch den innigen Zusammenhang der Konstruktion ist allerdings die Ausführung hier etwas schwieriger, bietet jedoch keine grössere technische Schwierigkeit anderer Bauart.

Die Anwendungsgebiete des Eisenbetons erstrecken sich auf alle Zweige des Bauingenieurwesens; es sind Wohn-, Lager- und Geschäftshäuser, sowie Mühlen, Fabriken, Silos, Reservoire, Brücken, Stütz- und Kaimauern, Kanäle usw. mit bestem Erfolge in Eisenbetonbau ausgeführt worden. Redner schliesst mit dem Wunsche, dass sich auch im Norden Deutschlands allmählich die Thatsache von der Trefflichkeit und Billigkeit sowie leichten Ausführbarkeit des Bausystems Bahn brechen möge.

Auf eine Anfrage aus der Versammlung nach der Feuersicherheit der Konstruktion erwidert Hr. Deimling, dass sich dieselbe bei einem grösseren Brande durchaus bewährt habe.

Dieser Artikel erschien zuerst 1902 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit “Hm”. Zuvor (1901) erschien eine Serie mit 6 weiteren Artikeln zur elektrischen Hoch- und Untergundbahn in Berlin von Siemens & Halske.

VII. Die künstlerische Ausbildung