Man ist gewohnt, den Ruf, den München als Kunststätte heule in der gesamten Kulturwelt genießt, als einen kaum ein Jahrhundert alten anzusehen.
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Man datiert ihn von dem Zeitpunkt ab, da König Ludwig I. die unvergessenen Worte sprach: er wolle München zu einer Stadt machen, die jeder gesehen haben müsse, wenn er behaupten wolle, Deutschland zu kennen. Man vergißt, daß auch die Vorgänger der zur Zeit den Thron innehabenden Zweibrücker Linie des Hauses Wittelsbach warme Beschützer der Kunst waren. Gerade in München begegnet man auf Schritt und Tritt in dieser Hinsicht ihren Spuren. Die stattliche alte Residenz, die Kurfürst Marximilian I. erbaute, dicht daneben das im entzückendsten Rokokostil ausgeschmückte Residenztheater, ein Werk des Kurfürsten Max III. Josef, das alte Rathaus, zahlreiche schöne Kirchen, wie die der Theatiner und der Sendlingerstraße, und vor allem der ehrwürdige Dom all diese Bauwerke sind ebenso viele beredte Zeugen dafür, daß den Wittelsbacher Fürsten nicht erst im neunzehnten Jahrhundert die künstlerische Ausgestaltung ihrer Hauptstadt am Herzen lag.
Es ist eine von der Geschichte aller Länder bestätigte Erfahrung, daß die Künste am freisten unter dem Schutz der Herrscher gediehen, die in Lebensweise und Hofhaltung zugleich die Pracht und den Prunk am meisten liebten. Wenn dies auch für die veränderten Verhältnisse unserer Zeit nicht mehr so unbedingt zutrifft so genügt es, den Namen eines Ludwig XIV. von Frankreich, eines Cosmo di Medici, eines Papstes Leo X, eines Friedrich I. von Preußen zu nennen, um die Wahrheit des Satzes für die Vergangenheit nachzuweisen.
Glänzender nun war, von Wien abgesehen, kein Hof in Deutschland, als der der bayrischen Kurfürsten im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Er bildete den geselligen Mittelpunkt des fränkischen und schwäbischen reichsunmittelbaren Adels, wie der übrigen Herrengeschlechter des südlichen Deutschlands und zog auch zahlreiche Ausländer in seine Nähe. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Dynastien Habsburg, Bourbon, Savoyen hatten ihr Teil daran, dem Münchner Hoflager einen Rang zu verleihen, mit dem der anderer deutscher Residenzen kaum wetteifern konnte. Und als nach dem Aussterben der eigentlichen Münchner Linie Bayern an den Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz gelangte, der allerdings nur ungern aus seinem reicheren und üppigeren Stammland schied, ward München der Schauplatz prächtiger Feste, von denen die Chronisten uns manche interessante Schilderung überliefert haben. Unter Karl Theodor erhielt die Residenzstadt ihren schönsten Schmuck, den englischen Garten, noch heute täglich das Ziel aller, die sich in freier Luft und schön gepflegter Natur von den Anstrengungen und Aufreibungen des großstädtischen Lebens auf ein paar Stunden erholen wollen. Damals diente der Garten, den Sir Benjamin Thompson, Graf von Rumford, des Kurfürsten Günstling, angelegt hatte, zugleich als Scenerie für die Feierlichkeiten, die der Landesfürst bei wichtigen Anlässen veranstaltete. An solchen Tagen – zuletzt, als Karl Theodor, einundsiebzigjährig, die um zweiundfünfzig Jahre jüngere Erzherzogin Maria Leopoldine von Oesterreich-Modena als zweite Gemahlin heimführte – erstrahlte der englische Garten im Licht von Tausenden von bunten Lampen, und das Volk erfreute sich an Wettrennen zu Fuß, Lustfahrten auf dem See, dem Tanz der Musen im Tempel des Apollo und an dem materielleren Genuß der Weiß- und Rotwein hervorsprudelnden Fontänen. Damals schon ging der Deutschland bereisende Fremde „von Distinktion“ nicht mehr achtlos an München vorüber.
Die politische Umwälzung am Beginn des 19. Jahrhunderts brachte eine große Anzahl ehemals souveräner oder halbsouveräner Häuser Süddeutschlands unter bayrische Herrschaft, so die Fürsten Hohenlohe, Fugger, Loewenstein, Turn und Taxis, Oettingen, die Grafen Pappenheim, Castell, Schönborn, Königsegg, Quadt, Waldbott Bassenheim, Törring. Dem hohen Adel zugehörig und als solche den regierenden europäischen Häusern ebenbürtig und ihnen vielfach auch verwandtschaftlich nahestehend, bilden diese jetzt die oberste Klasse des inländischen Adels und tragen durch ihre Repräsentation nicht wenig dazu bei, den Glanz des königlichen Hofes zu erhöhen. Die meisten von ihnen besitzen in München eigene Palais, in die sie zum Winter einziehn, um am geselligen Leben der Hauptstadt teilzunehmen. Manche von ihnen sind dem Hof auch dadurch in nahe, von Generation zu Generation vererbende Beziehung gebracht, daß aus ihren Reihen die obersten Hofchargen, die sogenannten „Großbeamten der Krone“, gewählt werden. So pflegt das Amt des Kronobersthofmeisters den Fürsten zu Oettingen-Spielberg, das des Kronoberstkämmerers einem Hohenlohe, des Kronoberstpostmeisters dem jeweiligen Chef des Hauses Taxis verliehen zu werden.
Von diesen Geschlechtern ganz abgesehn, verfügt Bayern überhaupt über einen außerordentlich zahlreichen Adel. Neben den schon erwähnten altenritterschaftlichen Familien, die zum großen Teil ihren Landbesitz schon jahrhunderte lang in Händen haben und auf Stammreihen zurücksehn, deren Ursprung sich bis in die Sagenzeit zurückverliert, besteht eine verhältnismäßig große Zahl von Familien ausländischer Herkunft – italienischer und französischer namentlich – deren Ahnväter einst aus welschen Landen an den glänzenden Münchner Hof gezogen kamen und dann auf deutschem Boden eine zweite Heimat fanden. Der Klang ihres Namens ist jetzt noch das einzige, was ihre fremde Abstammung verrät, sonst sind die Verri della Bosia, Pocci, Rambaldi, Spreti, die Seyssel, Basselet de la Rosée, Moy, Bray u.s.w. längst Bayern von echtem Schrot und Korn geworden.
Zur Zeit geht es in der Münchner Residenz stiller zu als sonst. Einmal ist der greise Regent kein Freund großer, rauschender Festlichkeiten. Soldatenberuf und Jagdpassion füllten sein Leben aus, ehe ihn das tragische Schicksal seiner königlichen Neffen zur Herrschaft berief. Seinen sechs Jahrzehnte lang geübten Gewohnheiten ist Prinz Luitpold auch als Landesverweser treu geblieben.
Er ist noch heute ein Frühaufsteher und geht, mit seltenen Ausnahmen, zu einer Stunde zu Bett, zu der die Vergnügungen der großen Welt ihren Anfang erst zu nehmen pflegen. Dann aber gebietet dem Prinzen die Thatsache, daß er nicht selbst König, nur des Königs Stellvertreter ist, an und für sich in Hinsicht der Repräsentation eine gewisse Beschränkung. Darum sind große Feste am Münchner Hof etwas verhältnismäßig Seltenes: eine Neujahrscour, ein Hofball, einige Galadiners – damit ist das regelmäßige Programm des Winters so ziemlich erschöpft. Aber so oft es die Gelegenheit erheischt, beim Empfang fremder Gesandten, bei Familienereignissen im königlichen Haus, bei Besuchen fremder Fürstlichkeiten, entfaltet der Hof eine Pracht, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Da werden die kostbaren Prunkwagen des Marstalls, meist Anschaffungen König Ludwigs II., aus den Remisen gezogen, wo sie im Sommer die Fremden als Sehenswürdigkeiten bestaunen, die Leibgarde der Hartschiere in ihren weißen Mänteln und schweren goldenen Helmen tritt in Funktion, und alles vollzieht sich streng nach den Regeln des Hofzeremoniells, das viele Aehnlichkeit mit jenem Wiens bietet und, wie dieses, auf das spanische zurückzuführen ist. Manche solcher Feste, so z. B. das alljährlich wiederkehrende des Georgsritterordens, bieten durch den dabei entfalteten Prunk und den Geschmack der Kostüme dem Auge einen höchst anziehen den malerischen Genuß.
Die Anordnung bei diesen Anlässen liegt in erster Linie in den Händen des Obersthofmeisters Grafen Gustav zu Castell-Castell und des Oberzeremonienmeisters Grafen Maximilian von Moy. Jener entstammt einem der ältesten fränkischen Dynastengeschlechter und ist der Vater der Gräfin Ludmilla Castell, der Oheim des jüngsten Flügeladjutanten des Regenten, des Rittmeisters Grafen Otto Castell. Dieser – ein Bruder des hochherzigen Spenders der von den Abgeordneten verweigerten 100 000 Mark leitet seine Herkunft von einer adligen, eingewanderten Familie der Picardie her. Die Gemahlin des Grafen Ernst Moy, Gräfin Sophie, ist väterlicherseits dem Stamm der Grafen von Arco entsprossen. Der Chef des Hauses Arco, Graf Karl Arco-Valley, ist der Vater der Baronin Max Speidel, deren Gemahl als Oberstleutnant das erste schwere Reiterregiment – die alte bayrische Gardedukorps – kommandiert. Die Fürstin Wanda Löwenstein und die Gräfin Klemens Schönborn, von Geburt Preußinnen – erstere eine Tochter des Fürsten Putbus, letztere eine Freiin von Welczeck gehören zwei der obenerwähnten Familien des hohen, den Regierenden ebenbürtigen Adels an, deren Geschichte mit jener Bayerns seit Jahrhunderten eng verknüpft ist. Die Grafen Schönborn haben dem alten Deutschen Reich eine Reihe mächtiger Kirchenfürsten gegeben, und die Fürsten Löwenstein sind selbst ein Zweig des Hauses Wittelsbach, als Nachkommen des Kurfürsten Friedrichs I. von der Pfalz und seiner morganatischen Gemahlin Klara Dettin. Wittelsbachisches Blut fließt auch von zwei Seiten – in den Adern der Grafen von Holnstein. Das derzeitige Haupt dieses Hauses, Graf Ludwig, ein Sohn des um den Anschluß Bayerns an das Deutsche Reich hochverdienten Oberststallmeisters Königs Ludwig II., ist der Gemahl einer der interessantesten Erscheinungen des Münchner Hofes, der Gräfin Maria Holnstein, geborenen von Apuchkin, einer Russin von Geburt. An diesen Kranz schöner Frauen schließt sich eine Schar anmutiger Mädchengestalten, von denen der Leser hier mehrere im Bild wiedergegeben sieht. Die Baronessen Annie Würtzburg und Marietta Ritter-Grünstein sind zwei liebliche Sprossen alter Rittergeschlechter aus Franken und vom Rhein, deren Vergangenheit sich fast um eintausend Jahre zurückverfolgen läßt, die Gräfinnen Maria Pocci und Elisabeth Courten dagegen welschen Ursprungs. Die Grafen Pocci – der bekannte Dichter und Kunstkenner war der Großvater der Gräfin Maria – waren ehemals italienische Patrizier die Wiege der Grafen Courten, deren Chef der Vater der anmutigen Gräfin Elisabeth ein geachteter Kunstmaler ist, stand im Wallis. Viel bewundert wird auch die graziöse Erscheinung des Fräulein von Kühlmann, die durch ihre Mutter eine Enkelin des Dichters Oskar von Redwitz ist.
Das diplomatische Korps in Munchen ist, nach dem in Berlin, das zahlreichste der an den deutschen Höfen akkreditierten. Während der Vertreter Preußens, Graf Anton Monts, Junggeselle geblieben ist, vereinigt der Salon des österreichisch ungarischen Gesandten, Grafen Zichy, und seiner Gemahlin in dem stattlichen Prinz-Karlpalais oft die Münchner Aristokratie des Geistes und der Geburt in geselligen Zusammenkünften.
Der Vertreter des Königreichs Italien, Graf Foresta, blickt auf eine verhältnismäßig lange Laufbahn zurück, die ihn auf die wichtigsten außerdeutschen diplomatischen Posten, nach Konstantinopel, Athen, Washington, St. Petersburg und Madrid geführt hat, während sein französischer Kollege, der Gesandte Graf d’Aubigny, nicht nur den Berliner Gesellschaftskreisen aus seiner Thätigkeit an der Berliner Botschaft, der er zweimal, als Sekretär und als Rat, angehörte, noch in gutem Andenken steht, sondern auch durch seine Abstammung mütterlicherseits von den westfälischen Grafen Sayn-Wittgenstein im deutschen Hochadel viele Verwandte zählt.
Charakteristisch für das gesamte Münchner Gesellschaftsleben, die Hofgesellschaft einbegriffen, ist, daß kein Stand sich ängstlich und engherzig von dem andern abschließt. Man kann diese Thatsache sicherlich zum Teil auf Rechnung der Bestrebungen des Herrscherhauses setzen, der nicht nach Klassenunterschieden fragenden Kunst eine Heimstätte unter seinem Schutz zu bereiten.
Es gereicht dem bayrischen, die hier kurz skizzierte Hofgesellschaft bildenden Adel nur zur Ehre, daß er sich erst kürzlich wieder in dieser Hinsicht als die festeste Stütze des Throns erwiesen hat.
Dieser Artikel von Dr. A. von Wilke-München erschien zuerst am 20.09.1902 in Die Woche. Er enthält 22 (nachkolorierte) photographischen Aufnahmen der Hofphotographen Baumann, Dittmar. Gebr. Lützel, Müller und des Hofateliers Elvira in München.