Der mit einem ersten Preis gekrönte Entwurf zu einem Realgymnasium für Gera

Architekt Hermann Thüme in Dresden. Die von den städtischen Behörden der Stadt Gera im Jan. d. J. ausgeschriebene Wettbewerbung für ein Realgymnasium auf einem der Stadtgemeinde in NO. Geras gelegenen Baugrund hatte 98 Entwürfe im Gefolge, von welchen 33 Entwürfe zur eingehenden Beurtheilung zugelassen wurden, während 5 Entwürfe auf die engste Wahl kamen.

Dies waren die Entwürfe mit den Kennworten: „Langklasse,“ „Veritas,“ „Ihr seid das Saatkorn einer neuen Welt,“ „Non scholae, sed vitae,“ und „Ost-Licht.“ Die Gesichtspunkte, welche für die letzte Entscheidung massgebend waren, sind in kurzen Worten die, dass 1. die Anlage einer grossen Freitreppe zu vermeiden sei, dass 2. die bebaute Fläche nur wenig über 1000 qm betragen sollte, dass 3. das Hauptgebäude thunlichst an die Blücherstrasse zu stellen sei und dass 4. eine offenbare Ueberschreitung der Bausumme von 180.000 M. als dem Programm nicht entsprechend zu bezeichnen sein würde.

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Die nach diesen Gesichtspunkten gefällte letzte Entscheidung des Preisgerichtes haben wir bereits auf S. 196, Jahrg. 1891 d. Bl. gebracht. Dem mit dem ersten Preise ausgezeichneten Entwurfe des Hrn. Architekten Hermann Thüme in Dresden widmet das Preisgericht die folgende Beurtheilung: Grundriss und äussere Architektur gelungen, bebaute Fläche 1019 qm, Rampenanlage gut, doch etwas steil. Aborte etwas nahe an der Nordgrenze.

Lageplan

Die hier nach den Originalzeichnungen mitgetheilten Abbildungen, Fassade nach der Blücherstrasse, Grundrisse vom Erdgeschoss und I. und II. Obergeschoss, sowie vom Kellergeschoss, dürften genügen, um die Grundzüge der Anlage vollständig erkennen zu lassen.

Das für das Realgymnasium zur Verfügung stehende, an der Blücher-, Louisen- und 14a – Strasse gelegene Baugelände ist unregelmässig nach der Blücherstrasse 7,80 m fallend und liegt mit keiner Strasse in ein und demaelben Niveau. Nach Lage der genannten Strassen ist die Blücherstrasse diejenige, an welche naturgemäss die Hauptschauseite zu legen ist. Die Absicht, einen freien und geräumigen Spiel- und Turnplatz zu schaffen, den Schulräumen die vortheilhafteste Gestalt, Beleuchtung und Lage in der Richtung von Nordost und Nordwest zu geben, aber auch in der Gesammteintheilung die geringste bebaute Fläche zu erhalten, führte zu der angenommenen zweibündigen Grundrissform. Durch Zurücklegung der Hauptschauseite von der Strassengrenze um 10 m wurde eine günstige Gesammtwirkung des Schulgebäudes erzielt und ein bequemer Zugang zum Haupteingang geschaffen. Die Höhenlage der Rampen beträgt 3,75 m, die der Vorhalle und der Eintrittshalle 4,35 m und die des Erdgeschoss-Fussbodens 6.15 m über dem Nullpunkt der Blücherstrasse. Zwischen der Rampe und der Flucht der rückwärtigen Gebäude sind nach der Blücherstrasse hin abfallende gärtnerische Anlagen geplant; in der Flucht der Rampe ist ein Abschlussgitter vorgesehen, sodass dadurch eine vollständige Abgrenzung der dahinter liegenden Gartenanlagen hergestellt wird. Nach der Louisen- und 14a – Strasse sind starke Futtermauern nothwendig, um die Erdmassen zu stützen, während nach dem Spielplatz an der 14a-Strasse Böschungen anzulegen sind. An der Kreuzung der 14a-Strasse und der Louisen-Strasse ist es möglich, eine Einfahrt zum Spielplatz zu gewinnen, da sich die beiden Höhenlagen nähern.

Grundriss

Das Schulgebäude gliedert sich in einen Mittelbau zur Aufnahme der geräumigen Aula, und den zu beiden Seiten anstossenden Klassenbau. Der 3 m breite Mittel-Korridor empfängt ausreichend Licht an beiden Enden und durch die beiden an den Mittelbau angrenzenden grossen Treppenhäuser.

Das Bauprogramm enthält den wahrscheinlich aus der beschränkten Bausumme hervorgegangenen Wunsch, die Turnhalle in das Schulgebäude aufzunehmen. Bei Aufnahme dieser Bestimmung wurde dieselbe massgebend für die gesammte Grundriss-Anordnung. Die Turnhalle erhielt demgemäss ihre Lage im Mittelbau und zwar mit der Langseite nach dem Spielplatz zu; sie hat eine Längsausdehnung von 18 m bei einer Breite von 9 m. Die lichte Höhe vom Fussboden bis Unterkante Decke beträgt 6,60 m. Der Zugang im Aeusseren geschieht vom Spielplatz durch eine sanft fallende Rampe und im Inneren des Gebäudes durch die rechts liegende Haupttreppe.

Das Laboratorium mit Nebenraum liegt hellerleuchtet im linken Flügel des Kellergeschosses, mit der Langseite nach der Blücherstrasse. Die Schuldiener-Wohnung nebst Zubehör, sowie genügender Raum für die Anlage der Niederdruck-Dampfheizung und reichliche Räume für das Heizungs-Material sind im Kellergeschoss angelegt. Das Heizungs-Material kann, durch den Rampen-Unterbau und durch eine bequeme Vorfahrt an der Blücherstrasse unmittelbar in die Kellerräume befördert werden,

Die unteren Klassen liegen theils im Erd- theils im I. Obergeschoss, die höheren Klassen im I. und II. Obergeschoss gleichartig nebeneinander. Naturalienraum und Schuldienererstube liegen im Erdgeschoss, Zimmer für den Direktor, für die Akten, Konferenz-Zimmer und Bibliothek sind im I. Obergeschoss untergebracht. Die Aula wurde einmal wegen der erforderlichen grösseren Höhe, dann aber auch, um sie nach Aussen als beherrschendes Architekturmotiv zu entwickeln, in das II. Obergeschoss gelegt, wo sich auch der Zeichensaal nebst Modellraum, die geräumige Kombinations-Klasse, das physikalische Kabinet und der Karzerraum befinden. Garderobenständer von 40 cm Tiefe zur Ablegung der Kleider, sowie Ständer zur Aufbewahrung der Schirme sind in den breit bemessenen Flurgängen vorgesehen und zwar sind dieselben aus L- Eisen mit drahtbesponnenen Thüren konstruirt gedacht, damit eine Ausdünstung der unter Umständen feuchten Kleider erreicht wird. Die beiden Haupttreppen bleiben im II. Obergeschoss liegen; als Zugang nach dem Dachraum ist eine Nebentreppe angelegt.

Das Abortgebäude ist abgesondert in unmittelbarer Nähe des Hauptgebäudes nach N.O. gelegen und durch überdeckte Gänge bequem mit letzterem in Verbindung gebracht. Für den Spielplatz bleibt ein freier Raum von rd. 800 qm, für den wagrecht nach S. W. angelegten Turnplatz ein solcher von rd. 500 qm, sodass sich die Gesammtgrösse des freien Platzes auf 1300 qm erhöht, d. i. 300 qm mehr als im Programm vorgesehen. Die Entwässerung des Spielplatzes geschieht durch die Neigung des Platzes und wird derart geregelt, dass die Wassermassen in zwei im Lageplan angegebenen Hof-Gully geleitet und von hier aus durch eine stark fallende Hauptrohrleitung dem Strassenkanal zugeführt werden.

Die Aula hat Abmessungen von 18 m Länge zu 9 m Breite; ihre lichte Höhe beträgt in den Kasettenfeldern 6, bez. 6,75 m. Der Zeichensaal hat eine Länge von 15 m und eine Tiefe von 6 m und liegt mit der Langseite nach Nordwest. Die Kombinationsklasse sowie das physikalische Kabinet liegen im II. Obergeschoss, Erstere hat eine Länge von 10 m und eine Tiefe von 9,25 m bei einer lichten Höhe von 4,60 m. Die Bänke sind aufsteigend angelegt, damit bei vorzunehmenden Experimenten den Schülern eine vollständige Uebersicht ermöglicht wird. Das physikalische Kabinet ist 7,75 m lang und 9,25 m tief und besitzt im übrigen dieselbe lichte Höhe wie die Kombinationsklasse. Die Lage beider Räume ist, wie nothwendig, nach Osten gerichtet.

Der Gesammtbau ist durchaus massiv mit Verwendung von gelben Ullersdorfer Verblendziegeln für Flächen und Schäfte gedacht. Die Architektur-Theile sämmtlicher Fronten waren auf einen weissen, wetterbeständigen Sandstein berechnet.

Entwurf zu einem Realgymnasium in Gera

Zum Schlusse sei bemerkt, dass nach den nunmehr eingegangenen, aber nicht näher begründeten Mittheilungen der städtischen Kommission für den Neubau eines Realgymnasiums in Gera der Beschluss gefasst worden ist, den mit dem III. Preis ausgezeichneten Entwurf des Regierungs-Baumeisters Wendorf in Leipzig mit einigen Abänderungen zur Ausführung zu bringen.

Dresden, im Dezember 1891.
Hermann Thüme.

Dieser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deuschen Bauzeitung.