Eine mittelalterliche Kirche mit Vertheidigungs-Einrichtungen

Kirche Reinstädt

Das Dorf Reinstädt, an einem schäumenden Waldbache des Westkreises des Altenburger Landes, 8 km von Kahla gelegen, besitzt eine durch Vertheidigungs-Anlagen ausgezeichnete Kirche, welche der Architekt C. Timler in Jena in dankenswerther Weise aufgenommen und in den mitfolgenden Abbildungen in der Zeitschr. für Thüringische Geschichte u. Alterthumskunde, Bd. XIX. 1897, S. 110 ff. veröffentlicht hat. Ueber die Entwicklungsgeschichte der Kirche ist ein heftiger Meinungsstreit zwischen Prof. Dr. P. Lehfeldt, dem Bearbeiter der Inventarisationswerke über die Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, und dem Pfarrer Dr. H. Bergner enstanden, der in den ersten neunziger Jahren zum Austrag kam.

Lehfeldt hatte das Gotteshaus als ursprünglich kirchliche Anlage bezeichnet, welche in den kriegerischen Zeiten des 15. und 16. Jahrhunderts erst die eigenthümlichen Vertheidigungs-Anlagen sollte erhalten haben. Bergner dagegen vertrat die Ansicht, dass die Kirche urspünglich eine Burg, der Thurm ein Burgfried, das Langhaus ein Palas oder zweigeschossiges Herrenhaus gewesen sei.

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Timler ergreift aufgrund seiner Aufnahme die Partei Lehfeldt’s und ist der Ansicht, dass die der Kirche „anhaftenden Anlagen für eine planmässige Vertheidigung gegen feindliche Angriffe ihr in ihrer Eigenschaft als Kirche angehören und keineswegs Theile eines ehemaligen Baues von nichtkirchlicher Bestimmung sind“. Er bemerkt ferner, dass ganz besondere Umstände geherrscht haben müssen, die Versehung eines Gotteshauses „mit derartiger Ausrüstung von höchster Seltenheit“ zu erklären. Timler vermuthet, dass die Kirche von Reinstädt um die Mitte des 15. Jahrhunderts eine gewaltsame Zerstörung erlitten habe. In aller Eile wurde das Langhaus wieder aufgerichtet und mit Vertheidigungsanlagen versehen, um der Gemeinde als Zufluchtsort bei feindlicher Bedrängniss zu dienen. So wurden die Schiesscharten, der Giesschlot, die Wehrgänge, vielleicht auch Mauern und Gräben angelegt. Aus der Zeit heraus lassen sich derartige Anlagen wohl begreifen. In den thüringischen Landen wüthete der Bruderkrieg mit allen Gräueln mittelalterlicher Kriegführung, die Dörfer und Wohnstätten ganzer Landschaften wurden ausgeraubt und eingeäschert. Da hatte man Grund genug, „die Stätten des Friedens, die Kirchhöfe mit starken Mauern und Bastionen zu bewehren, wie wir sie in theilweiser Erhaltung in den nahegelegenen Orten Milda und Leutra und sonst hie und da noch finden, ja wohl auch ein zerstörtes Gotteshaus beim Wiederaufbau mit planmässigen Vertheidigungsanlagen zu versehen.“ Zunächst wurde das Langhaus allein wieder aufgerichtet, da es für die zusammengeschmolzene Zahl der Dorfbewohner Raum genug geboten haben mag. Später, in ruhigeren Zeiten, mögen Thurm und Chor nachgefolgt sein. Der Beginn des Wiederaufbaues der Kirche dürfte in das sechste oder siebente Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zu versetzen sein.

Kirche Reinstädt S. A., Ostansicht
Kirche Reinstädt S. A., Ostansicht
Kirche Reinstädt, Grundriss
Kirche Reinstädt, Grundriss

Der Wiederaufbau zu verschiedenen Zeiten erklärt auch die stilistischen Unterschiede zwischen Langhaus, Thurm und Chor.

Ueber die Anlage der Kirche im allgemeinen geben die Abbildungen eine ausreichende Auskunft. An den oberen Theilen des Langhauses zieht sich der ganzen Ausdehnung der Süd-, West. und Nordfront entlang die mit Zinnen verschiedener Anordnung und mit dazwischen liegenden Schiessöffnungen versehene hohe Brustwehr mit Wehrgang hin. Nach innen ist der Wehrgang durch eine offene hölzerne Dachwand abgeschlossen. Der Wehrgang stand mit dem Thurm in Verbindung und hatte einen steinernen Fussboden. Ueber der Westthür befindet sich ein Giesschlot, darunter zwei Schiesscharten, die auch an anderen Theilen des Gotteshauses sich wiederholen. Das sind die hauptsächlichsten Vertheidigungsanlagen der Kirche.

Kirche Reinstädt
Kirche Reinstädt

Die Thurmanlage, in welcher Bergner mit Unrecht den ehemaligen Burgfried sieht, enthält keine besonderen architektonischen Bildungen. Den Chorbau erklärt Timler für ein tüchtiges Werk der Spätgothik, von ausgesucht gutem Material, in „kräftigen, wirkungsvollen Formen mit Liebe und Geschick ausgeführt.“ Alles in allem spricht mit Ausschluss der Wehr- und Vertheidigungsanlagen im Langhaus und einigen Schiessöffnungen im Thurm nichts für einen profanen Ursprung der Anlage, während die Annahme eines befestigten Gotteshauses aus den Zeitverhältnissen und aus Anlagen ähnlicher Art genügend sich erklären lässt. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 29.11.1899 in der Deutsche Bauzeitung.