Drahtlose Telegraphie im Krieg

Beispielbild Telegraf

Von Ingenieur G. Graf von Arco.
Seit den vor etwa sechs Jahren erfolgten ersten praktischen Ausführungen von Stationen für drahtlose Telegraphie hat diese neue Nachrichtenübermittlungsmethode bereits heute ein großes Anwendungsgebiet für verschiedenartige kommerzielle Zwecke gefunden. Ein großer Teil der die Ozeane kreuzenden Schnelldampfer führt drahtlose Stationen an Bord, und mittels dieser können die Passagiere zu bestimmten Tarifen private Telegramme aufgeben, sowohl nach andern Schiffen hin, wie auch nach Küstenstationen, die heute bereits an den verkehrsreichsten und wichtigsten Wasserstraßen in großer Zahl betrieben werden.

In Zeiten der Seenot, wenn Menschenleben gefährdet sind oder wertvolles Eigentum, erhalten diese Stationen eine besonders große Bedeutung. Um zu Hilfeleistung schnell zur Stelle zu sein, hat ein Teil der sogenannten Rettungs- oder Bergungsdampfer ebenfalls drahtlose Telegraphie vorgesehen.

Solche Dampfer sind hierdurch in der Lage, wesentlich schneller an der Unglücksstelle eintreffen zu können, als wenn, wie bisher, der Hilferuf eines Schiffs erst durch Vermittlung von Flaggensignalen oder dergleichen Stunden oder Tage später beim Bergungsdampfer eintrifft.

Zahlreiche Feuerschiffe benutzen heute bereits diese neue Signalmethode, und vor etwa zwei Jahren wurde beispielsweise das bei der Insel Borkum stationierte Feuerschiff Borkum Riff und seine Mannschaft dadurch gerettet, daß sie mittels drahtloser Telegraphie nach dem Land hin melden konnten, ein Unwetter habe die Verankerung zerrissen, und das Schiff treibe in See. Noch wichtiger als diese kommerziellen Zwecken und dem Rettungswesen dienenden drahtlosen Signaleinrichtungen ist die Anwendung der drahtlosen Telegraphie für militärische Zwecke geworden. Hier ist sie heute bereits nicht nur wichtig, sondern geradezu unentbehrlich. Abgesehen von geringen Anwendungen bei den Chinaexpeditionen 1900, bisher nur im Frieden benutzt, hat jetzt die drahtlose Telegraphie im ostasiatischen Krieg ihre Feuertaufe erhalten.

Es dürfte daher nicht uninteressant sein, eine Betrachtung darüber anzustellen, in welcher Weise und zu welchen Zwecken die drahtlose Telegraphie nach ihrem heutigen technischen Stand im Krieg ausgenutzt werden kann.

Zwei charakteristische Eigenschaften besitzt die drahtlose Telegraphie, die sie, wie eingangs behauptet, für militärische Zwecke heute schon unentbehrlich macht. Um diese Eigenschaften verstehen zu können, müssen wir zuvor ganz kurz noch einmal die allgemeine Wirkungsweise dieser Nachrichtenübertragung besprechen.

Die Uebertragung bei der drahtlosen oder Funkentelegraphie erfolgt bekanntlich dadurch, daß elektrische Energie in Form von Wellen oder Schwingungen von der Aufgabestelle der Telegramme aus ausgestrahlt werden und an der Aufnahmestelle der Telegramme durch geeignete Mittel wahrnehmbar gemacht werden. Zu diesem Zweck ist – und diese Einrichtung bildet einen sehr wichtigen Punkt der gesamten Uebertragung – sowohl an der Aufgabestelle wie an der Empfangsstelle je ein senkrecht an einem Mast in die Hohe gezogener, oben frei endigender Luftdraht oder Luftleiter – die sogenannte Antenne oder das Fühlhorn der Station – vorhanden. An der Gebestelle werden in dem Luftleiter mittels elektrischer Funkenentladungen – daher der Name Funkentelegraphie – Schwingungen erzeugt und diese von dem Luftleiter nach allen Richtungen hin ausgestrahlt. Die Dauer der Strahlung, d. h. die Zahl der ausgeschickten Impulse, wird durch Schließen und Oeffnen eines Stromkreises mittels eines vom Telegraphisten bedienten und auch bei der gewöhnlichen Drahttelegraphie üblichen Stromschlüssels, „der Taste“, reguliert und so kurze oder länger andauernde Strahlungswirkungen ausgesandt. Die kurz andauernden bilden die Punkte, die längeren die Striche des bekannten Morsealphabets. An der Empfangsstelle befindet sich ein ähnlicher Luftleiter oder Fühlhorn wie an der Gebestelle. Die ausgestrahlten elektrischen Wellen treffen den Empfangsluftleiter und versetzen ihn in ähnliche Schwingungen, wie sie der Geberluftleiter ausstrahlt. Die ankommenden und aufgenommenen Wellenwirkungen sind für unsere Sinne unmittelbar nicht wahrnehmbar. Sie werden wahrnehmbar gemacht mit Hilfe eines sogenannten Wellendetektors. Der Wellendetektor ist ein Apparat, der in einen Stromkreis des Empfängers eingeschaltet, diesen schließt, sobald die vom Geber kommenden und vom Empfangsdraht aufgesammelten Wellen auf ihn wirken. Er öffnet ihn, sobald die Wirkung aufhört.

Durch das Oeffnen und Schließen des Empfängerstromkreises werden die Wellenwirkungen als Morsezeichen wahrnehmbar gemacht entweder in Form der gewöhnlichen Morseschrift; Punkte und Striche auf dem Papierband eines Morseschreibers, oder mittels eines Telephons, in dem man die Punkte und Striche als kurze oder länger andauernde Geräusche hört. Die erste Gruppe von Empfangsapparaten nennen wir kurz „Schreibapparate“, die letztere „Hörapparate“. Eine genauere Besprechung der Einrichtungen würde vom Thema abführen. Die Wirkungsweise des Schreibapparats habe ich im Jahrgang 1903, Nr. 51, S. 2286 dieser Zeitschrift, etwas eingehender besprochen.

Für die drahtlose Telegraphie sind demnach folgende beide Tatsachen charakteristisch. Die Uebertragung erfolgt einerseits durch eine Strahlenerscheinung, und es gelten für diese Uebertragung alle Analogien von Lichtsignalmethoden; ferner erfolgt die Uebertragung durch elektrische Schwingungen, und daher gelten hierfür auch die Gesetze und Analogien, die für andere Schwingungserscheinungen bestehen, z. B. für akustische.

Die Uebertragung erfolgt durch eine Strahlungswirkung.
Wir können daher zur Erleichterung der Vorstellung den Luftdraht des Gebers mit dem lang ausgezogenen Glühfaden einer elektrischen Glühlampe (Birne) vergleichen. Ebenso wie dort die Lichtstrahlung, erfolgt hier die elektrische Strahlung nach allen Richtungen des Raums und pflanzt sich nach allen Seiten hin mit Lichtgeschwindigkeit fort. Jeder empfängt die Strahlung, der nicht eine zu große Entfernung vom Geber hat und nicht durch Hindernisse besonderer Art vom Geber getrennt ist. Die elektrische Strahlung überwindet Hindernisse im allgemeinen leichter als die Lichtstrahlung. Der hinter den Hindernissen entstehende elektrische Schatten ist nicht so scharf begrenzt wie der Schlag- und Halbschatten des Lichts. Die beiden Stationen haben daher auch dann noch Verbindung miteinander, wenn sich die Luftdrähte nicht mehr in ihrer ganzen Länge oder auch nur teilweise „sehen“ können. Die Stärke der Strahlung wächst, je länger der Luftleiter ist und je größer dessen Höhe. Mit der größeren Erhöhung erweitert sich der bestrahlte Horizont. Die Strahlung kann ebenso gut von einem einzelnen Empfänger wie von ungezählten aufgenommen werden, keine Richtung des Raums ist bevorzugt und kein Aufsuchen der Geberrichtung durch den Empfänger notwendig.

Hier zeigt sich recht deutlich die Ueberlegenheit der Funkentelegraphie gegenüber der Lichttelegraphie. Die Lichtttelegraphie oder Heliographie vollzieht sich bekanntlich in der Weise, daß an der Aufgabestelle des Telegramms entweder das Sonnenlicht oder das Licht einer kräftigen, künstlichen Lichtquelle mittels eines Spiegels, der vom Telegraphissen in der Hand gehalten und bewegt wird, nach der Empfangsstelle zur Vergrößerung der Reichweite konzentriert hinübergerichtet wird. An der Empfangsstelle steht ein Telegraphist und beobachtet entweder mit bewaffnetem oder bloßem das kürzere oder längere Aufblitzen des Spiegels an der Sendestelle. Diese Lichttelegraphie ist sowohl im Burenkrieg seitens der Engländer angewandt worden, wie auch jetzt von unsern Truppen beim Hereroaufstand in Deutsch-Südwestafrika. Wie unvollkommen ist aber diese Methode gegenüber der drahtlosen! Die beiden Stationen müssen sich unbedingt sehen und müssen hierzu auf hohen Punkten im Gelände aufgebaut sein. Trotzdem beträgt der größte erreichbare Abstand meist nur 20-30 Kilometer. Für eine Signalweite von 100 Kilometern sind demnach meist 4 bis 6 Zwischenstationen erforderlich. Pro Minute wird von einer Station zur nächsten ein Wort telegraphiert. Zehn Worte brauchen demnach pro 100 Kilometer 5 mal 10 Minuten, d. h. rund eine Stunde. Wird eine der Zwischenstationen vom Feind aufgehoben, so ist die ganze Verbindung zerstört. Tritt bei sehr starkem Sonnenlicht das bekannte „Flimmern“ ein, so hebt dieses die telegraphische Verbindung sofort auf. Das Aufsuchen der Stationen beim jedesmaligen Beginn des Telegraphierens kann Stunden dauern. Solche Schwierigkeiten und Unsicherheiten des Betriebes kennt die drahtlose Telearaphie absolut nicht.

Wir wollen jetzt die Funkentelegraphie von dem Gesichtspunkt aus betrachten, daß dieser Uebertragungsmethode ein Schwingungsvorgang zugrunde liegt.

Für die Aufnahme von Schall- oder akustischen Schwingungen ist nicht jeder Empfänger gleichwertig und gleich geeignet. Eine auf einen ganz bestimmten Ton gestimmte Stimmgabel kommt nur dann als Empfänger ins Mittönen mit einer zweiten als Geber gedachten Stimmgabel, wenn diese zweite Stimmgabel (der Geber) genau jenen Ton aussendet, in dem die Empfängerstimmgabel, angeschlagen, selbst schwingen würde, d. h. wenn die empfangende Stimmgabel auf den gleichen Ton gestimmt ist wie die gebende, oder, kürzer ausgedrückt, wenn der Empfänger auf den Geber „abgestimmt“ ist. Dieses Gesetz der „Abstimmung oder Resonanz“ gilt auch für die elektrischen Schwingungen. Nur der Empfänger tönt leicht elektrisch mit und ist daher elektrisch empfindlich, der so bemessen ist, daß seine Eigenschwingungen, sein elektrischer Strom übereinstimmt mit jenem, in dem der zugehörige Geber tönt.

Nehmen wir z. B. eine ganze Anzahl von Gebern an, jeden auf einen andern Ton gestimmt, und eine gleiche Anzahl auf gleiche Töne gestimmte Empfänger, so wird der Empfänger 1 nur ansprechen auf den Anruf des Gebers l, der Empfänger 2 auf den Geber 2 usw. Alle nicht gerufenen Empfänger werden schweigen. Wenn auch dieses Ideal einer abgestimmten Funkentelegraphie heute noch keineswegs von ungezählten Gebern / und Empfängern erreicht wird, so läßt sich doch beispielsweise mit drei auf verschiedene elektrische Töne gestimmten Geber- und Empfängergruppen unter bestimmten Voraussetzungen recht gut unabhängig voneinander arbeiten.

Wir sind jetzt in der Lage, verstehen zu können, weshalb die drahtlose Nachrichtenübertragung für militärische Zwecke besonders geeignet ist.

Sollen zwei Stationen miteinander in Verbindung treten, so ist kein Zeitaufwand erforderlich, um eine Drahtleitung zu ziehen oder zahlreiche Zwischenstationen zu bauen, keine Truppen nötig, um lange Drahtleitungen oder die Zwischenstationen zu bauen, keine Truppen nötig, um lange Drahtleitungen, oder die Zwischenstationen zu bewachen, und keine Möglichkeit der Zerstörung von Leitungen durch den Feind. Kein Zeitverlust entsteht, bis der Empfänger die Richtung des Gebers ermittelt hat. Nicht Dunkelheit noch Nebel oder Regen beeinträchtigen die Verbindung. Die Nachrichtenübertragnng kommt selbst zwischen Stationen zustande, die von ihrem gegenseitigen Vorhandensein vorher überhaupt nichts gewußt haben. Der Abstand zwischen den Stationen, über dessen Große wir im folgenden noch sprechen werden, kann während des Telegraphierens innerhalb weiter Grenzen geändert werden. Hindernisse, die in der Verbindungslinie liegen oder bei der Bewegung dazwischen kommen, behindern die Strahlung im allgemeinen nicht.

Die Strahlung erfolgt gleichzeitig nach allen Richtungen. Eine Zentralstation kann daher, und dies ist militärisch von der größten Bedeutung, an beliebig viele Empfangsstationen gleichzeitig ihre Nachrichten oder Befehle übermitteln. Sie kann auch aus einer großen Zahl von Empfängern, wenn diese einzeln oder in Gruppen auf verschiedene elektrische Töne gestimmt sind, durch Wahl des passenden Gebertons sich einen bestimmten Empfänger oder eine bestimmte Gruppe Empfänger auswählen.

Im Gegensatz zur Drahttelegraphie, bei der die Nachricht den begrenzten Leitungsdraht allein entlang eilt, ist bei der drahtlosen die Nachricht im ganzen Raum verbreitet. Sie ist überall – geeignete Hilfsmittel und geeignete Bedienung vorausgesetzt – aufzufangen und abzuhorchen. Die Offenkundigkeit der drahtlosen gegenüber der diskreten Nachrichtenbeförderung längs eines Leitungsdrahtes haben wir als großen militärischen Vorzug betrachtet. Natürlich fehlten auch nicht die Schattenseiten. Die Möglichkeit des unbeabsichtigten oder unberechtigten Auffangens der Telegramme, die Möglichkeit der Störung durch feindliches Zwischensignalisieren sowie der Verwirrung durch vom Feind ausgesandte irre führende Nachrichten sind natürlich nicht ausgeschlossen.

Wir gehen jetzt über auf verschiedene militärische Anwendungen. Wie Zeitungsnachrichten aus Ostasien melden, sind die Schiffe beider kriegführenden Nationen wenigstens teilweise mit drahtlosen Stationen ausgerüstet. Die Leistungsfähigkeit dieser Stationen, nach den erzielten größten Reichweiten zu schließen, scheint allerdings hinter dem heutigen besten Können zurückzubleiben. Die militärische Anwendbarkeit wächst, wie wir gleich sehen werden, mit der Reichweite. Von einer Schiffstation modernster Type muß heute eine gute Signalverständigung auf eine Entfernung von 100 bis 200 Kilometern gefordert werden, je nach der Masthöhe des Schiffes.

Zwischen Schiffen mit für drahtlose Zwecke eigens erhöhten Masten steigt die Reichweite bis auf 300 Kilometer und mehr.

Laut Zeitungsnachrichten hatten die Japaner drahtlose Telegraphie zwischen Chemulpo und Wei-hai-wei mit „Zwischenstationen“ hergestellt. Das hierbei angewandte japanische System stammt von dem japanischen Physiker Prof. Kimura und ist, soweit wir durch persönliche Unterhaltung mit Herrn Kimura festzustellen Gelegenheit hatten, aus Einzelheiten des Marconischen und der deutschen Systeme zusammengestellt. Herr Kimura hatte sich längere Zeit sowohl in England wie in Deutschland bei den drahtlosen Gesellschaften zu Studienzwecken aufgehalten.

Setzen wir kleinere Reichweiten voraus, so bleibt als Hauptanwendungsgebiet der drahtlosen Telegraphie für die Schiffe die zentrale Befehlsübermittlung vom Flaggschiff auf die übrigen Geschwaderschiffe und die stetige Signalverbindung der Schiffe untereinander im Geschwaderverband. Diese Anwendung allein stellt aber schon einen nennenswerten Vorteil dar. Wenn z. B. im Geschwaderverband die Schiffe hintereinander laufen, so kann ein durch Flaggensignal gegebener Befehl des zu vorderst fahrenden Flaggschiffes nicht direkt von dem hinteren Schiff aufgenommen werden, sondern er wird durch Weitergabe von Schiff zu Schiff nach hinten übermittelt. Ein gleichzeitiger Befehl für alle Schiffe wird daher nicht gleichzeitig gehört. Die Ausführung des Befehls wird hierdurch verzögert und die Gefahr des Mißverständnisses beträchtlich vergrößert. Besonders nützlich ist die drahtlose Telegraphie bei unsichtigem Wetter, bei Nebel und Nacht. Wenn der Feind in der Nähe ist, bildet bei Nacht die drahtlose Nachrichtenübermittlung die einzige Möglichkeit des Signalisierens. Die sonst üblichen optischen Zeichen mit elektrischen Tampen würden unsere Nähe dem Feind verraten. Nun könnte man einwenden, daß in gleicher Weise auch die elektrischen Wellen bei der drahtlosen Telegraphie vom Feind aufgenommen, verräterisch wirken. Dies trifft aber nur teilweise zu. Der Feind kann weder die Richtung feststellen, woher die Zeichen kommen, noch die Entfernung. Er könnte zwar schließen; wenn die Stärke der Zeichen groß ist, wir sind nahe, und wenn die Zeichen schwach sind, wir sind fern. Wir können ihn indes leicht irreführen, indem wir absichtlich zur Täuschung die Zeichen sehr schwach und nur so stark geben, daß unsere eigenen Stationen sie gerade noch untereinander gut verstehen.

Schiffstationen mit Reichweiten von hundert oder mehreren hundert Kilometern sind für den Aufklärungsdienst von größter Wichtigkeit. Nehmen wir an, daß mehrere schnelle leichte Kreuzer vom Gros aus zur Aufklärung 200 Kilometer gegen den Feind hin vorgeschoben sind, so können diese Schiffe ihre wichtigen Meldungen etwa fünf Stunden eher dem Gros zugehn lassen, als wenn zu ihrer Uebermittlung ein Depeschenboot zurückgeschickt würde. Die Meldungen können aus diesem Grund auch viel häufiger und ausführlicher geschickt werden. Die Beobachtung des Feindes wird hierbei keine Minute unterbrochen. Die Kohlen, die sonst für derartige forcierte Meldungsfahrten verbraucht werden, sind erspart. Ein weiterer Vorzug des im Zusammenhang Bleibens der vorgeschobenen Aufklärungsschiffe mit dem Gros besteht in der Möglichkeit, daß das Gros diese Schiffe weiter in der Hand behält und von den obersten Kommandostellen aus über sie disponiert werden kann. Durch weitere drahtlose Verbindung des Gros der Schiffe mit den bedeutendsten militärischen Küstenbefestigungen und Stützpunkten wird das wichtige und notwendige Zusammenwirken von Land- und Seemacht gesichert. Die Verteidigungsoperationen können so vom Oberstkommandierenden einheitlich geleitet werden.

Noch weiter lassen sich die Grenzen ausdehnen, innerhalb der durch drahtlose Uebermittlung der Befehlszusammenhang gewahrt bleibt, wenn man an der Küste oder an den wichtigen militärischen Stützpunkten besonders große drahtlose Stationen einrichtet, sagen wir von tausend Kilometern oder noch größerer Reichweite. Mittels einer solchen Station könnte man ein Geschwader irgendwo in See dirigieren, so weit ab, daß der Feind seinen Aufenthalt überhaupt kaum ermitteln könnte. Eine solche Riesenstation vermag aber noch mehr. Wenn der gewaltige, von ihr ausgehende elektrische Wellenzug die feindlichen drahtlosen Stationen trifft, so können sich diese hiergegen kaum schützen. Die eingangs erwähnten Möglichkeiten, die Empfänger auf bestimmte Geber abzustimmen und gegen andere Geber taub zu machen, fällt gegenüber den gewaltigen Wirkungen solch einer Riesenstation fort. Die Schwingungen einer solchen durchdringen jede Abstimmung, und jeder Empfänger wird beeinflußt, jedes Telegramm unleserlich gemacht. Wir können demnach, einige Geschicklichkeit vorausgesetzt, dem Feind den Gebrauch seiner eigenen drahtlosen Einrichtungen unmöglich machen.

Die militärische Anwendung der drahtlosen Telegraphie auf dem Land erstreckt sich hauptsächlich auf schnell und nur vorübergehend herzustellende Verbindungen sowie auf solche Fälle, wo die Zerstörung einer Drahtleitung durch den Feind möglich ist. Verbindungen der letztgenannten Art werden namentlich in Kolonien in Zukunft häufig drahtlos ausgeführt werden. Welche Bedeutung hätten telegraphische Verbindungen ohne zerstörbare Leitung beispielsweise jetzt in Deutsch-Südwestafrika

Oberirdische Telegraphenleitungen von der notwendigen Länge wurden in Zeiten des Aufstandes ein viel zu starkes Aufgebot an militärischer Bewachung erfordern.

Der Landarmee gewährt die drahtlose Telegraphie die Möglichkeit, zwischen auf getrennten Wegen vormarschierenden Truppenmassen dauernd Verbindung zu halten, sowohl während des Marsches, wie nachher während des Rastens und der Ruhe.

Ebenso wird die drahtlose Telegraphie wie auf See zur rückwärtigen Nachrichtenübermittlung der vorgeschobenen Aufklärungsabteilungen, insbesondere der Aufklärungskavallerie, zugeteilt und gewährt dann die Möglichkeit, alle notwendigen Meldungen über Entfernungen von der Größe mehrerer Tagemärsche ohne Zeitverbrauch dem Gros zukommen zu lassen.

Um dem Marsch der Truppen und insbesondere den stellenweise auch abseits der Straßen vor sich gehenden schnellen Kavalleriebewegungen folgen zu können, werden die Stationen für derartige Zwecke auf ganz leichten, mit Pferden bespannten Fahrzeugen untergebracht, die fest genug gebaut sind, um gegebenenfalls auch in schnellster Gangart über Sturzacker oder dergleichen gezogen zu werden.

Bei der Chinaexpedition 1900 ist eine drahtlose Station hinübergeschafft worden, die auf einem Automobilfahrzeug eingebaut war. Beim Ausladen aus dem Transportschiff mußten die Räder des Fahrzeugs demontiert werden, und unglücklicherweise fielen zwei von ihnen über Bord in den Peiho. Da kein Ersatz vorhanden war, durfte sich das Fahrzeug von da ab einer behaglichen Ruhe erfreuen.

Das Hauptgewicht ist bei solchen leicht beweglichen Feldstationen auf einen möglichst schnellen Uebergang vom Marsch zum Telegraphieren zu legen. Es ist daher nicht angängig, zum In-die-Höhehalten des Luftdrahtes Maste zu benutzen.

An Stelle der Maste treten kleine unbemannte Luftballons. Diese werden an die Luftdrähte befestigt und besitzen gerade so viel Auftrieb, um die Drähte in gewünschter Höhe aufrechtzuhalten. Eine Zeit von 10 bis 15 Minuten genügt zum Uebergang vom Marsch zum Telegraphieren.

Der Nutzen der drahtlosen Telegraphie wird im ostasiatischen Krieg voraussichtlich nicht voll zur Geltung kommen. Beide kriegführende Parteien verfügen über nur wenige Anlagen. Andere Staaten haben die allgemeine Einführung dieser neuen Signalmethode, namentlich bei der Kriegsmarine, bereits beendet, beispielsweise Deutschland, England, die Vereinigten Staaten von Amerika, Schweden und Oesterreich. Erst wenn alle Schiffe einer kriegführenden Macht nicht nur miteinander, sondern auch mit der Küste und der Landarmee drahtlos verbunden sind, wird sich die militärische Anwendbarkeit und ihr Nutzen im Krieg in seiner vollen Bedeutung zeigen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 14/1904. Der Originalartikel war nicht bebildert. Das hier gezeigte Bild ist ein Beispielbild von Ray Shrewsberry • auf Pixabay.