Von K. von Avx. Keine der deutschen Städte hat eine so eigenartige Lage wie Konstanz. Auf drei Seiten von schweizerischem Gebiet umschlossen, durch den Rheinstrom vom Mutterland abgetrennt und mit diesem äußerlich nur durch die stolze Rheinbrücke zusammenhängend, bildet es ein vorgeschobenes deutsches Vorwerk an der äußersten Grenze des Reiches. Die rings um die Stadt gruppierten Schweizerorte sind die Vorstädte von Konstanz, und mit dem einen, mit Kreuzlingen, ist es so eng verwachsen, daß ohne die Grenzpfähle schwer zu sagen wäre, wo Deutschland aufhört und die Schweiz beginnt.
Diese Eigenartigkeit der Lage bringt es mit sich, daß in der weiten Welt über die politische Zugehörigkeit von Konstanz gar viele im Ungewissen sind und auf dem Reichspostamt zu Konstanz nicht nur etwa ab und zu, sondern täglich Briefe aus aller Herren Ländern mit dem Leitvermerk „Konstanz, Schweiz“, „Constance, Suisse“, oder „Constance in Switzerland einlaufen.
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Es kann nicht überraschen, daß die Stadt mit ihren Interessen von jeher wesentlich auf die Schweiz angewiesen war, und wenn es auch heute nicht mehr zutrifft, „daß die Bürger von Kostnitz ihren besten Genuß und Einkommen im Lande der Eidgenossen haben“, wie der Konstanzer Stadtschreiber Jörg Vögeli im Zeitalter der Reformation bekennt, so neigen beim Mangel eines dichtbevölkerten deutschen Hinterlandes auch jetzt noch die gewerblichen und Handelsinteressen sehr stark nach der Schweiz.
Noch giebt es der gegenseitigen Beziehungen die Fülle, Verkehr und Freundschaft hin und her, Handel und Wandel hüben und drüben, und heute noch ist Konstanz in materieller und namentlich auch in geistiger Beziehung der Mittelpunkt, „die Stadt“, für einen Teil der östlichen Schweiz. Ehemals Freie Reichsstadt, wurde Konstanz um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts Oesterreich unterworfen, und erst seit 1806 gehört es zum Großherzogtum Baden. In allem Wandel der Zeiten ist Konstanz eine gut deutschgesinnte Stadt geblieben und läßt sich von keiner an Reichstreue übertreffen.
Fast mehr noch als politisch ist die Eigenartigkeit der Lage von Konstanz geographisch bemerkenswert und bedeutsam. Inmitten mächtiger Wasserreviere erfreut sich die Stadt am See und Rhein einer hydrographisch so fein gegliederten Umgebung wie keine zweite deutsche Binnenstadt und verdankt dem See und den nahen Alpen eine Gleichmäßigkeit und Ausgeglichenheit der Temperatur, als wäre sie am Ocean selber gelegen. Dabei ist Konstanz ein wahres Schatzkästlein alter Kunst und geschichtlicher Erinnerungen, wo noch so vieles die gemütliche Sprache längst vergangener Zeiten redet. Mittelalterliche Türme und Thore, malerische Architektur- und Straßenbilder wechseln ab mit Kirchen und Kapellen und alten Patrizierhäusern, die ihre eigene Geschichte haben und von bürgerlichem Behagen, alter Wehrhaftigkeit und Frömmigkeit erzählen.
Wie stimmungsvoll reckt nicht gleich am Landungsplatz der Bodenseedampfer das massige Kaufhaus sein altersgraues Haupt in die Höhe! Einsam ragt es empor und hat nichts gemein mit der prosaischen Gegenwart; es träumt von alter Bürgerherrlichkeit, da die Konstanzer Linnen Weltruf genossen und als „tela di Costanza“ auf den italienischen Märkten die begehrtesten waren. Es träumt weit zurück in die Zeiten des großen Konzils, da der neugewählte Papst Martin V. auf weißem Zelter, vom Kaiser und vom Herzog Ludwig von Heidelberg zu Fuß geführt, thronend über der weltlichen Macht, im Triumphzug vom „Konziliumssaal“ aus die Gassen der Stadt durchzog.
Heute ist die weite Halle für große Festversammlungen und Ausstellungen eingerichtet und übt mit den schönen historischen Fresken, die Bilder aus dem Kulturleben und der Geschichte des alten und neuen Konstanz vorführen, auf Einheimische und Fremde ungeschwächte Anziehungskraft aus.
Mitten in der Stadt ist ein gar malerischer Platz, der Obere Markt, flankiert von historisch denkwürdigen Häusern, zum Teil mit hübschen Renaissancegiebeln. Unser Bild S. 12 und 13 zeigt rechts das Haus „Zum Barbarossa“, curia pacis – Friedenshof, mit den Räumen, wo Kaiser Friedrich I. 1183 den Frieden mit den lombardischen Städten schloß. Rechts daneben steht, auf dem Bilde nicht mehr sichtbar, das Haus „Zum hohen Hafen“, und Kaiser Wilhelm I., der die Stadt während seines öfteren Aufenthaltes auf der nahen Insel Mainau wiederholt besuchte, mag wohl gedankenvollen Blickes zu diesem Haus aufgeschaut haben, vor dem sein Ahnherr, Friedrich IV., Burggraf von Nürnberg, zur Konzilszeit am 18. April 1417, vom Kaiser Sigismund die Brandenburger Mark zu Lehen erhielt. – Schon in den ältesten Zeiten war der „Obermarkt“ die Malstätte, öffentliche Gerichtsstätte, und der Sammelplatz von Obrigkeit und Bürgerschaft bei „Geschellen und Gelöffen“. – Nur wenige Schritte davon fesselt jedermanns Aufmerksamkeit das Rathaus mit der Stadtkanzlei, ein schöner Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert. Die zweigiebelige, maßvoll profilierte Fassade, die romanischen Bogenfenster, die schönen Renaissanceornamente und das prächtige schmiedeeiserne Portalgitter würden auch ohne den reichen neueren, von Ferdinand Wagner aus Augsburg herrührenden Freskenschmuck immer eine interessante Sehenswürdigkeit bleiben. Die unteren Fresken stellen vier Hauptbegenisse der Geschichte von Konstanz dar, den Lombardischen Friedensschluß durch Barbarossa, den Einzug Kaiser Friedrichs II. 1212, die Belehnung des Burggrafen Friedrich von Nürnberg mit der Mark Brandenburg durch Kaiser Sigismund, den Kampf der Konstanzer gegen spanische Truppen 1548. Darüber finden sich die Bildnisse berühmter Konstanzer, darunter das des edlen Patrioten J. H. von Wessenberg. Noch mehr aber fesselt der Rathaushof, mit seinen Türmen und Wendeltreppen und schöner Gartenzier ein Schmuckkästchen der Renaissance, dessen Bild Künstler mit Vorliebe in ihren Skizzenbüchern festhalten.
Malerische Zeugen des alten Konstanz sind noch einige Türme und Thore; so der von Pappeln und Weiden umstandene Rheinthorturm, der alte Wächter der Stadt am Rheinstrom dann das als Ueberbleibsel der alten Stadtbefestigung noch wohlerhaltene Schnetzthor (vgl. die Anfangsvignette) mit Zwinger, ein charakteristisches Bild aus dem Ende des 13. Jahrhunderts.
Ein reizender Anblick harmonischer Verschmelzung des Alten mit dem Modernen ist die alte Konstanzer Insel mit ihrem schattigen, seeumspülten Gartenpark, dessen Reize einstens schon Kaiser Maximilian I. während seiner Anwesenheit beim Reichstag 1507 so sehr zu schätzen wußte, daß er sich von der bischöflichen Pfalz, wo er wohnte, einen eigenen Gang nach der Insel bauen ließ.
Die Räume des hier im Jahre 1236 errichteten Dominikanerklosters sind heute in ein modernes Hotel, das Inselhotel, umgestaltet. Ungemein stimmungsvoll ist der von Prof. Carl Haeberlins Meisterhand mit Fresken aus der hochinteressanten und bewegten Inselgeschichte geschmückte Kreuzgang, der mit seinen zierlichen Doppelsäulchen, den epheuumrankten Fenstern und dem Rundbogenfries einen stillen Blumengarten umschließt. Innerhalb dieser klösterlich feierlichen Umgebung versetzt uns die Phantasie unwillkürlich in vergangene Zeiten. Wir sehen die alten Mönchsgestalten wandeln, düstere Ascetiker, gedankenvolle Mystiker, wie einen berühmten Amandus Suso, den eine der Fresken zeigt; Philosophen und Künstler, Büchergelehrte und praktische Leute, und wir hören sie Gebete murmeln, disputieren und memorieren, wir brauchen nur das Klostergespräch auf dem Bilde an der Wand zu betrachten und wir sind mitten unter ihnen. Vergangene Zeiten! Eine elektrische Klingel schrillt durch die Luft, ein junges Ehepaar kichert vor einem der Bilder, ein Bädeker lesender Sohn Albions versperrt uns den Weg. Vom nahen Stadtgarten her fallen die Klänge eines kräftigen deutschen Armeemarsches ein, denn Konstanz ist auch Garnisonsstadt.
Der vornehmste und älteste Zeuge der vielbewegten Konstanzer Geschichte ist das Münster, ein majestätischer Bau aus dem elften Jahrhundert, neben den Kirchen der Insel Reichenau eines der ältesten kirchlichen Bauwerke am Oberrhein. Einst, in den Jahren des großen Konzils, 1414 – 1418, waren die Blicke der gesamten Christenheit auf Konstanz und seinen Dom gerichtet. Wie man Worms, Speyer, Augsburg stets nennt, wenn man der Reformation gedenkt, so wird Konstanz in der Entwicklungsgeschichte der gewaltigen kirchlichen Bewegung des fünfzehnten Jahrhunderts dauernd feinen Platz behaupten, mag man auch über den Verlauf des weltberühmten Konzils verschiedener Meinung sein. Die Konstanzer waren eben Kinder ihrer Zeit, als sie am 6. Juli 1415 in hellen Haufen aus der Stadt hinausströmten auf den Brül, den Prager Magister und Agitator Johannes Hus auf dem Scheiterhaufen sterben zu sehen. Heute steht auf der Stelle, etwa 10 Minuten von der Stadt, ein Denkmal, der „Husenstein“, ein mit Inschriften versehener Felsblock. Hundert Jahre nach Husens Tod, als die Reformation auch in Konstanz Wurzel geschlagen hatte, ließen die Konstanzer Bischof und Domkapitel ziehen, ohne ihnen eine Thräne nachzuweinen.
1548 kämpften sie tapfer für den evangelischen Glauben wider die spanisch-kaiserlichen Truppen, im Dreißigjährigen Kriege dagegen waren sie wieder beim alten Glauben und verteidigten diesen gegen die Schweden. Auf alle diese Sturmes- und Glanzeszeiten hat der altehrwürdige Dom herabgesehen, sie alle überdauernd.
Den Herz und Sinn ergreifenden Eindruck wie der Kölner Dom macht nun freilich das Konstanzer Münster nicht; es hat auch nicht die ruhige, geschlossene Schönheit und Kraft, die über das Ulmer Münster ausgegossen ist. Allein die edle Gliederung des Ganzen, der mächtige Eindruck des Mittelschiffs der reiche bildnerische Schmuck im Innern, das ein Kleinodienschrein alter und neuerer Kunst ist, nehmen doch wieder so gefangen, daß die Bewunderung alle kritischen Bedenken unterdrückt, und sinnend hängt der Blick an dem Schmuck der Altäre, an neu restaurierten Kapellen, Glasmalereien und Wandgemälden. Oberbaurat Friedr. Schmidt, der Vollender des Wiener Stephansturmes, spricht sich über die Gesamtanlage des Bauwerkes folgendermaßen aus: „An dem herrlichen Münster zu Konstanz hat jede Kunstepoche vom 12. bis 19. Jahrhundert bedeutsame Spuren ihrer Thãtigkeit zurückgelassen; trotzdem macht das Innere einen harmonischen Eindruck; denn die Meister des Spitzbogenstils waren darauf bedacht, die harmonische Gestaltung des Innenraumes zu bewahren, und die Meister der Hochrenaissance beschränkten sich darauf, Altäre, Epitaphien etc. einzufügen.“ Die schon seit lange in Aussicht genommene Gesamtrestauration des Innern wird den ohnehin schon bedeutenden monumentalen Eindruck des herrlichen Konstanzer Doms noch wesentlich erhöhen. – Neben dem geschichtlichen Panorama der Konstanzer Vergangenheit, wie es in den Fresken des Konziliumssaales im Kaufhaus und denen im Kreuzgang des Inselhotels geboten wird, besitzt die Stadt noch eine Schöpfung eigener Art im Rosgartenmuseum, die sie der Opferwilligleit der Bürger, vor allem aber dem geradezu idealen Sammeleifer des hochverdienten Stadtrates Ludwig Leiner verdankt. Was immer für die Entwicklung der Stadt und der Bodenseegegend in natur- und kulturhistorischer, sowie in geschichtlicher Beziehung von Interesse sein kann, ist hier zu einer Sammlung bereinigt, wie nur ganz wenige Städte eine solche in gleicher Reichhaltigkeit aufweisen Der Rosgarten besitzt auch die berühmte Konzilschronik des Ulrich von Richenthal, und wer jene bewegte Zeit in lebhaften Farben an sich vorüberziehen lassen will, vertiefe sich in das auch in photographischer Reproduktion zu jedermanns Einsicht aufgelegte altertümliche Buch.
Als Standquartier für vergnügliche Ausflüge zu Wasser und zu Land, mit Kahn oder Dampfer, ist Konstanz vermöge seiner Lage geradezu unvergleichlich. In fast unmittelbarer Nähe ist der liebliche Untersee mit der Insel Reichenau, den malerischen, burgen- und schlössergekrönten Uferhöhen, den vielen leinen Städtchen und Sommerfrischen bis hinunter an den Rheinfall. Bequem rudert sichs hinaus in die liebliche Waldumgebung der Stadt nach „Waldhaus Jacob“ und nach dem Fischerdörfchen Staad am Ueberlingersee. Hier winkt vom jenseitigen Bodenseeufer herüber das weißschimmernde Meersburg, trotzig auf stolzer Felsenhöhe, an ein Rivierabild gemahnend. Hier wohnte auf hohem Schloß von 1840 bis 1848 Annette von Droste-Hülshoff bei ihren Verwandten.
Die Perle der vielen Ausflugsziele ist aber das Inselidyll der lieblichen „Maienowe“ die allzeit zugängliche Sommerresidenz des badischen Landesfürsten, die Insel Mainau. Wer diese Stätte des Friedens kennt, mit dem schönen Schloß und den herrlichen Park- und Gartenanlagen, wo Orangen und Citronen, Palmen und Cedern im Freien üppig gedeihen, und wer von hier aus See und Alpen durch Lorbeer und Cypressen geschaut, den wird es immer wieder dorthin ziehen.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in der Illustrierte Chronik der Zeit vereinigt mit Gartenlaube.