Der Transvaalkrieg hat die furchtbare Wirkung des Infanteriefeuers aus den kleinkalibrigen Gewehren der ganzen Welt offenbart. In den Schlachten bei Magersfontein und am Tugelafluß wurde die bisher nicht bestrittene Meinung von dem unbedingten Wert der rücksichtslofen Offensive zu Grabe getragen. Im Jahr 1870 stürmten die preußischen Garden über offenes Gelände die befestigten Gehöfte des Dorfs St. Privat – in Südafrika zerschmolz jeder Sturmangriff der britischen Infanterie vor dem vernichtenden Feuer der 7 mm Mausergewehre, und der Rest flutete zurück, vielfach ohne auch nur den Gegner gesehen zu haben.
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Die Nervenkraft, die ein Sturmlauf auf gedeckt stehende Gegner erfordert, deren Geschoß schon in weitester Entfernung die Reihen lichtet, kann man vom modernen Menschen, dessen Nervensystem durch das unruhige Arsbeits- und Erwerbsleben der Gegenwart erschüttert ist, nicht mehr verlangen. Schon lange war daher das Aufsuchen von Deckungen, das z. B. noch in der Armee Friedrichs des Großen ein fast unbekannter Faktor war, in allen europäischen Armeen ausgebildet und wurde überall geübt. Kein Wunder also, daß man zu diesem Zweck auch die gerade in unserer Zeit hoch entwickelte Technik herbeiholte, und so erlebt der Stahlpanzer, der durch Jahrhunderte hindurch die Schutzwaffe der Krieger war und bis in unsere Tage hinein als Küraß der schweren Kavallerie ein kümmerliches Dasein gefristet, sozusagen eine neue Auferstehung.
Die Idee ging von dem englischen General Boynton aus und fand erst ziemlich spät ihre Ausführung, als es der fortschreitenden Stahlindustrie gelungen war, durch Zusätze von andern Metallen eine Legierung herzustellen, die größte Widerstandsfähigkeit mit dem geringsten Gewicht verbindet, damit der Schutzschild vor allen Dingen den Soldaten nicht zu sehr belastet und an der Bewegung hindert.
Unsere Abbildungen zeigen die neusten Modelle, die gegenwärtig von der englischen Armee in Südafrika erprobt werden. Auf den ersten Blick muß die Kleinheit des Schutzschilds auffallen. Da aber im heutigen Feuergefecht der liegende Schütze die Norm ist und nur in den wenigen Momenten der Vorwärtsbewegung thatsächlich der ganze Mann als Zielscheibe dient, so genügt dieser Umfang, der Kopf und Schulter deckt, vollkommen.
Die Stärke der Metallplatte ist äußerst gering, sie beträgt nur wenige Millimeter, und doch ist sie für die Geschosse der Mausergewehre in einer Entfernung von 300 Metern undurchdringlich. Der Erfinder hofft, sein Werk in kürzester Zeit weiter zu vervollkommnen, so daß der Schutzschild noch leichter wird und auch bei kleinerer Entfernung sichere Deckung gewahrt.
Unsere Abbildungen erläutern die Art und Weise, wie der Infanterist mit dem Schutzschild hantiert. Der Schild ist am Gewehr befestigt, so daß die Last beim Marsch auf dem Rücken ruht. Mit ein paar Griffen ist er fertig zum Gebrauch gemacht, wenn die Truppen ausschwärmen und das eigentliche Feuergefecht beginnt. Beim Feuer dient er als Unterlage für das Gewehr, wodurch er nicht nur ein sichereres Zielen ermöglicht als bisher bei der Auflage auf den nackten Boden; er schützt auch auf diese Weise den sehr subtilen Mechanismus der modernen Magazingewehre vor Beschädigung durch Schmutz oder Sand. Lag bei den früheren Feldverschanzungen, die der Schütze aufwarf, um sich nur für eine kurze Zeit vor dem gegnerischen Feuer zu schützen, die Gefahr nahe, daß der Soldat, verführt durch die augenblickliche Sicherheit, seinen Stand nur ungern verließ und so der ganze Vormarsch ins Stocken geriet, so ist gerade diese neue Erfindung geeignet, trotz ihres defensiven Charakters auch der Offensive zu dienen, da der Soldat seine Deckung mit sich trägt und schon mit dem Bewußtsein, bei der nächsten Pause bereits wieder genügend gedeckt zu sein, den Sturmlauf um so bereitwilliger antritt.
Eine besondere Beachtung verdient die Einrichtung, daß man mit Hilfe des Seitengewehrs eine Anzahl dieser Schutzschilder zu einer umfassenderen Brustwehr zusammensetzen kann. Auf diese Weise entsteht in denkbar kürzester Zeit eine förmliche Feldverschanzung – ein paar Spatenstiche genügen, um dieser Eisenwand die nötige Stabilität zu geben – die einer hinreichenden Besatzung Schutz gewährt, deren Feuerenergie in Momenten des Gefechts von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. Man hat auch den Versuch gemacht, eine derartige Schutzwand, die mit Schießscharten versehen ist, auf Räder zu setzen und so eine Art rollender Festung zu schaffen. Die Verwendbarkeit aber hängt sehr von der Beschaffenheit des Geländes ab. Für die Artillerie hat man derartige Schutzschilde schon lange in Gebrauch. Speziell die Maschinengewehre und Maximgeschütze tragen seit langem Panzerschutz. Auch für das moderne Schnellfeuergeschütz hat man Panzerschilde konstruiert, wie unsere Abbildung zeigt. Der Schutzschild zerfällt hier in zwei Teile, die beim Fahren neben den Sitzen der beiden Bedienungskanoniere aufgeklappt werden; im Feuer bilden sie eine zusammenhängende Schutzwand, die Bedienung und Mechanismus schützt. Ob ein derartiger Panzerschild der Artillerie nicht zu viel von ihrer Beweglichkeit raubt, bleibt abzuwarten.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.