Die deutsche Südpolarexpedition

Von Professor Dr. Erich von Drygalski (Berlin). Mit der jetzt erfolgten Vergebung des Schiffbaus für die deutsche Südpolarexpedition an die Howaldtwerke in Kiel ist dieses große nationale Unternehmen in das Anfangsstadium seiner Ausführung getreten, nachdem reifliche Erwägungen über Form und Stärke des Schiffs, über seine Ausrüstung mit wissenschaftlichen Instrumenten und Gebrauchsgegenständen sowie über seine Besatzung voran gegangen waren.

Es mag daher jetzt umso eher angezeigt erscheinen, den Plan und den Wert des Unternehmens hier zu beleuchten, als es in den Verhandlungen des internationalen Geographenkongresses, der sich vom 28. September bis zum 4. Oktober 1899 zu Berlin versammelte, einen Hauptgegenstand gebildet hat und zu verschiedenen Malen dabei der Erörterung bewährter Sachkenner auf dem Gebiet der Polarforschung unterlag.

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Es muß zunächst festgestellt werden, daß die Erörterungen über die deutsche Südpolarexpedition, so verschieden sie auch Einzelheiten beurteilen mochten, alle in einen Glückwunsch an das Deutsche Reich ausklangen, daß es sich zu diesem Unternehmen entschlossen hat und so den andern Nationen mit einer That voranzugehen gewillt ist, die nicht allein durch die Erschließung des letzten unbekannten Erdraums von kontinentaler Größe wissenschaftliche Resultate von hoher Bedeutung verspricht, sondern auch durch die praktische Bethätigung der nautischen Kräfte der Nation an dem größten und schwierigsten Problem der Meere, das die Erde noch stellt, eine gewaltige Hebung an Deutschlands Ansehn zur See herbeizuführen bestimmt ist. Denn in der glücklichen Lösung solcher Probleme bei der Fahrt durch unerforschte Meeresräume haben auch die älteren seefahrenden Nationen stets ihre praktische Schulung gesucht und ihre Erfolge in der Seegeltung begründet.

Von diesen beiden Standpunkten ist das Unternehmen von vornherein durch die maßgebenden Kreise des Reichs und des Staats beurteilt worden, indem das Reichsamt des Innern und das preußische Kultusministerium es ebenso wohlwollend wie thatkräftig förderten und das Reichsmarineamt ihm seine volle und wesentliche Unterstützung zuteil werden ließ. Von diesem nationalen Standpunkt hat es der Deutsche Reichstag betrachtet, indem er einstimmig die Bewilligung der erforderlichen Mittel der Regierung anempfahl und sodann auch beschloß. Die gleiche Auffassung haben zahlreiche, stark besuchte Versammlungen in den verschiedenen Teilen des Reichs, im Norden wie im Süden, in Berlin wie in München, bekundet. Von demselben Standpunkt wird das deutsche Unternehmen auch im Ausland beurteilt, wie nicht am wenigsten der Umstand gezeigt hat, daß in England die lange erstrebte Sicherung einer gleichzeitigen englischen Südpolarexpedition erst auf die Nachricht von der bereits erfolgten Sicherung der deutschen Expedition gelungen ist.

Karte der deutschen Südpolarexpedition

Die Grundzüge des Plans sind kurz die folgenden. Die Expedition wird mit einem hölzernen Schiff, das wegen der zu erwartenden schweren Stürme und Seen eine besonders gute Seetüchtigkeit haben muß und dazu wegen der Gefahren des Eises selbstverständlich so stark wie nur möglich und aus den denkbar widerstandsfähigsten Hölzern gebaut wird, im August oder Anfang September 190l die Heimat verlassen und sich zunächst über Kapstadt nach den Kerguelen begeben, einer kleinen Inselgruppe in der Mitte des südlichen Indischen Ozeans, die in französischem Besitz, aber unbewohnt ist. Schon auf der Fahrt dorthin sollen Lotungen und Temperaturmessungen im Meer sowie magnetische, meteorologische und biologische Arbeiten zur Ausführung kommen. Auf den Kergueleninseln werden vermutlich vier Teilnehmer der Expedition in einem besonders dazu hergerichteten Gebäude stationiert werden, um während des Jahres, in dem die Hauptexpedition weiter südlich thätig ist, magnetische und meteorologische Messungen anzustellen, die man zum Vergleich mit den von dieser auszuführenden Messungen bei der späteren wissenschaftlichen Verwertung der Ergebnisse braucht.

Die Hauptexpedition wird von den Kerguelen nach Süden vordringen und den Packeisgürtel zu durchqueren bemüht sein. Da man von der Land und Wasserverteilung in jenen Gebieten noch so gut wie gar nichts weiß und sogar noch darüber im unklaren ist, ob im Südpolargebiet ein Kontinent existiert oder ob nur einzelne Inseln das Eismeer erfüllen, ist es naturgemäß die Hauptaufgabe der Expedition, hierüber Klarheit zu schaffen und sodann in allen Zweigen der Naturwissenschaften die Beobachtungen anzustellen, die sich erreichen lassen und die diese zu ihrem weiteren Fortschritt dringend bedürfen. Die Expedition wird deshalb danach streben, ein Land zu erreichen, um dort mit dem Schiff zu überwintern. Sie wird bemüht sein, dieses Land in den verschiedenen Beziehungen zu untersuchen. Sie beabsichtigt, mit Hundeschlitten auch auf dem Land selbst vorzudringen, um dessen weitere Gestaltung gegen den Südpol hin kennen zu lernen und die genauere Lage des für die praktische Schiffahrt so wichtigen magnetischen Südpols zu ermitteln.

Nach einjährigem Aufenthalt auf dem Land und ebenso lange planmäßig durchgeführten Arbeiten auf der dort anzulegenden wissenschaftlichen Hauptstation plant die Expedition im Frühjahr 1903 – also im Herbst der südlichen Halbkugel – das Land wieder zu verlassen und mit dem Schiff die Reise gegen Westen hin fortzusetzen. Sie beabsichtigt das etwa gefundene Land, soweit sich das wegen der Eisverhältnisse als möglich erweist, auf der Seite des Indischen und des Atlantischen Ozeans hin zu verfolgen, während die englische Südpolarexpedition das gleiche zu derselben Zeit auf der Seite des Stillen Ozeans beabsichtigt. Auf diese Weise sind die Grundlagen für ein gedeihliches Zusammenwirken der beiden Expeditionen auf das beste gegeben und lassen sich von einer solchen Kooperation bei der Größe des unbekannten Gebietes und der fast völligen Unkenntnis, in der wir uns über alle Teile befinden, noch weitere Ergebnisse erwarten, als sie schon eine einzelne Expedition zu zeitigen vermag. Die Rückkehr der deutschen Expedition dürfte von den Meeren südlich von Amerika her erfolgen und im Sommer 1903 über die Inselgruppen von Süd-Georgien und Tristan da Cunba ausgeführt werden. Die Gesamtdauer der Expedition würde hiernach zwei Jahre sein; es wird jedoch in der Ausrüstung eine Dauer von drei Jahren vorgesehen, um für alle Fälle gerüstet zu sein.

Zum Leiter der deutschen Südpolarexpedition ist der Verfasser dieses Artikels ernannt worden, der in den Jahren 1891 – 93 die beiden von der Berliner Gesellschaft für Erdkunde mit Unterstützung Seiner Majestät des Kaisers ausgesandten wissenschaftlichen Expeditionen nach der Westküste Grönlands geleitet hat und bei diesen Arbeiten im hohen Norden die polaren Eisverhältnisse studierte. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sind in dem 1897 erschienenen zweibändigen Werk über die Grönlandexpedition der Berliner Gesellschaft für Erdkunde niedergelegt. Den Leiter werden vier weitere wissenschaftliche Mitglieder begleiten, worunter als Zoologe Dr. Ernst Vanhöffen aus Kiel, der bereits die Grönlandexpedition und die deutsche Tiefseeexpedition an Bord der Valdivia mitgemacht hat, als Arzt Dr. Hans Gazert aus München und als Geologe Dr. E. Philippi aus Berlin ebenfalls bereits gewählt sind, während der Teilnehmer für die erdmagnetisch-meteorologischen Arbeiten noch nicht feststeht. Der Kapitän des Schiffs und die 4 Schiffsoffiziere einschließlich des ersten Ingenieurs, die die Expedition begleiten werden, sind bisher ebenfalls noch nicht gewählt worden. Die Besatzung des Schiffs wird aus 18 bis 20 Mann bestehen, einschließlich des Kochs und des Stewards, und möglichst derart zusammen gesetzt sein, daß die verschiedenen Handwerke und technischen Berufe darunter vertreten sind.

Mit der Vergebung des Schiffsbaus an die Howaldtwerke in Kiel, die auf Grund der von den Herren Kretschmer und Köhn von Jaski von der Bauabteilung der Kaiserlichen Marine aufgestellten Baubedingungen einen vortrefflichen Plan dafür entworfen hatten, ist die Expedition, wie gesagt, in das Stadium der Ausführung getreten, und die mannigfaltigen und verschiedenartigen Vorbereitungen werden nunmehr ihren weiteren Gang nehmen. Einige Instrumentenbestellungen sind bereits bei deutschen Firmen erfolgt, wie überhaupt die ganze Ausrüstung, wo nicht bei Einzelheiten zwingende andere Gründe vorliegen, in Deutschland beschafft werden wird. Die Ausrüstung wird auch einen Fesselballon, ein Naphthaboot und etwa 50 Polarhunde nebst den dazugehörigen Schlittengerätschaften in sich begreifen und selbstverständlich alle bisherigen bei Polarreisen gemachten Erfahrungen in weitestem Umfang benutzen.

Möchte das nationale Unternehmen einen in jeder Beziehung günstigen Verlauf nehmen und die vielen Erwartungen und Hoffnungen erfüllen, die daran geknüpft werden!

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.

Die deutsche Südpolarexpedition

Die deutsche Südpolarexpedition unter Führung des Professors Erich von Drygalsti ist an Bord der „Gauß“ in Ponta Delgada angekommen.

Aufbruch der Expedition nach dem Kaiser-Wilhelm II.-Land unter Führung von Prof. von Drygalski
Aufbruch der Expedition nach dem Kaiser-Wilhelm II.-Land unter Führung von Prof. von Drygalski
Mannschaft im Winterlager
Mannschaft im Winterlager

Alle Ergebnisse ihrer Forschungen wird man natürlich erst nach ihrer Heimkehr kennen lernen, aber daß sie sehr bedeutend sind, läßt sich schon nach den bisher vorliegenden Berichten übersehen. Die Strapazen, die sie auf sich nahm, indem sie mehreremal in der Eisregion überwinterte, werden reiche Frucht tragen.

Eisberg in der Nähe von Kaiser-Wilhelm II.-Land
Eisberg in der Nähe von Kaiser-Wilhelm II.-Land
Die Gauß im Winterlager
Die Gauß im Winterlager

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 47/1903.