1905, von Dr. M. Wilhelm Meyer. Jüngst befand ich mich in einer Versammlung von Gesandten aus allen Teilen der Welt, nicht der Menschenwelt, sondern der der Sterne. Von überall her aus den unendlichen Räumen des Universums waren sie gekommen und hatten sich zusammengefunden in einem großen Saal. Es war im Wiener Hofmuseum, wo sich die größte und wertvollste Meteoritensammlung befindet.
Wenn sie erzählen könnten, diese Boten aus der Unendlichkeit Was würden sie uns alles sagen über die Welten da draußen, an denen sie auf ihrer jahrtausende langen Weltreise vorübereilten, bis sie an unserer Erdscholle scheiterten, zu Fall kamen und nun ausruhen, sorgsam verwahrt als wunderbarste Raritäten der Natur!
Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.
Es gibt Meteorite, von denen das Gramm gegen 20 Mark kostet, das ist zehnmal teurer als Gold; von den allerbilligsten aber bekommt man das Kilo immer noch nicht unter 120 Mark.
Hellstrahlend, wie es überirdischen Gästen geziemt, erschienen sie, und mit dröhnendem Donnerwort verlangten sie Einlaß in unsere kleine Welt. Oft konnte man den Lauf des in unsere Atmosphäre eindringenden Körpers derart verfolgen, daß man daraus seine Bahn berechnen konnte, die er vorher beschrieb, längst ehe man ihn noch sehen konnte. Man fand, daß die Meteorite mit ganz ungeheuren Geschwindigkeiten zu uns gelangen, die nicht unter 35 Kilometer in der Sekunde betragen, aber in einzelnen Fällen 100 Kilometer noch merklich übersteigen.
Hundert Kilometer in der Sekunde! Unsere schnellsten Zuge machen so viel in der Stunde; die Meteorite sind also ein 3600mal schnelleres Beförderungsmittel. Dafür geht es aber auch nie ohne Unfall ab. Im leeren Weltraum waren solche enormen Geschwindigkeiten wohl möglich, aber an der Luft unserer Atmosphäre finden sie einen Widerstand, als sei die Luft ein undurchdringlicher Stahlpanzer. Sie werden vollständig darin still gehalten und hüllen sich am Hemmungspunkt in eine schwarze Wolke aus der sie nur noch infolge der Erdanziehung weiter herabfallen.
Wie anders würde unser Planet durchlöchert sein, wenn er diesen schützenden Panzer seines Luftkleides nicht besäße! Aus der Zahl der wirklich beobachteten Meteoritenfälle, die sich jährlich auf etwa fünf beläuft, kann man schließen, daß auf die erde überhaupt 600 bis 900 Steine im Jahr aus dem Himmel herabfallen, also täglich zwei bis drei. Da Gewicht der Erde muß sich dadurch jährlich um mindestens 300 000 Kilogramm erhöhen Da dieses Gewicht der Erde rund sechs Quadrillionen Kilo beträgt, so würden zwanzig Trillionen Jahre dazu gehören, um die ganze Erde aus Meteorsteinen zusammenzusetzen. Das ist ja nun wohl ein bißchen viel, aber den Astronomen imponieren keine großen Zahlen. Man hat allen Ernstes die Hypothese aufgestellt, überhaupt alle Weltkörper seien ursprünglich aus solchen Schwärmen von Meteorsteinen entstanden, die sich an bestimmten Stellen des Weltalls zu großen Wolken zusammenfanden. Gewisse Nebelflecke am Himmel könnten solche meteorische Wolken sein.
Wollten wir solch ein Geschenk des Himmels das uns etwa vor die Füße fallt, schnell aufheben, so würden wir uns die Hände gewaltig daran verbrennen; und doch, als man einmal solch einen Stein unmittelbar nach seinem Fall auseinanderschlug, war er im Innern eisig kalt. Das ist auch nicht zu verwundern, denn der Ankömmling durchwanderte vorher ja seit ungezählten Jahrtausenden den Weltraum, dessen Temperatur sicher unter minus zweihundert Grad liegt. Aber an ihrer Oberfläche zeigen alle diese Steine die deutlichsten Spuren einer plötzlichen enormen Erhitzung. Man sehe sich daraufhin den nebenstehend abgebildeten Stein an, der am 27. März 1886 in Arkansas (Cabin Creek) vor Augenzeugen fiel. Er hat ein ganz gewaltiges Gewicht und besteht aus gediegenem Eisen. Als Eisenmeteorit ist es der größte, der im Fall wirklich beobachtet worden ist. Man sieht, wie er überall tiefe, sogenannte Fingereindrücke zeigt, die offenbar im Fall ausgeschmolzen wurden, und wie die schmelzende Masse in feinen Striemen über den Stein hingeblasen wurde. Häufig hat solch ein Stein auch, wie Abb. 4 zeigt, eine deutlich zugespitzte Gestalt, eine „Brust- und eine Rückenseite“, so daß man sehen kann, in welcher Richtung er geflogen sein muß.
Die Steine sind alle von einer dünnen Schmelzkruste umgeben, die auf der Vorderseite tiefer eingedrungen ist als hinten, aber auf die Hinterseite manchmal mit einem Wulst übergreift, so daß man sieht, wie die flüssige Masse nach hinten getrieben wurde und sich dort in den leeren Raum flüchtete, der hinter dem kosmischen Projektil zurückblieb.
Woraus bestehen nun diese Stoffproben außerirdischer Welten, die erwiesenermaßen nicht von Resten herrühren, die beim Bau unseres Planetensystems etwa übrig geblieben waren, sondern von den allerfernsten Sonnenwelten kommen, die mit der unsrigen niemals in irgendwelcher materiellen Verbindung gestanden haben könnend Man hätte wohl meinen dürfen, daß man ganz unbekannte Stoffe in ihnen finden würde, wie wir denn schon in entlegenen Ländern unseres eigenen Planeten so viel seltsam Neues antreffen. Das ist nun aber das Wunderbarste, was uns jene 560 Meteorsteine, die von den 634 überhaupt bis Ende 1902 bekannten Meteoritenfällen im Wiener Hofmuseum sich befinden, wie aus einem Mund sagen, daß zu allen diesen fernsten Welten keine andern Bausteine verwendet wurden wie auch zu der unsrigen, daß das Gefüge der Welt und das Wesen ihrer Materie mit den sie beherrschenden und umformenden Kräften der Natur überall im weiten Universum die gleichen sind.
Man hat in den Meteoriten bis jetzt 24 unserer chemischen Elemente entdeckt, unter ihnen herrschen vor: einerseits das Silizium, die Kieselerde, die auch den größten Teil unserer Erdkruste zusammensetzt und Eisen mit seinen Begleitern Nickel, Kobalt, Mangan und Chrom. Aber bei dieser völligen Uebereinstimmung der Grundstoffe treten doch in den Mischungsverhältnissen und sonstigen Anordnungen so deutliche Verschiedenheiten hervor, daß man es bei mehr oder weniger genauer Untersuchung immer herausbringen kann, ob ein Stein irdischen oder kosmischen Ursprungs ist.
Die Meteorite zerfallen in zwei Hauptgruppen, die Steinmeteorite und die „Eisen“. Die ersteren bestehen hauptsächlich aus Silizium mit wenig oder gar keinem Eisengehalt, die andern aus gediegenem Eisen, das immer mit Nickel „legiert“ ist. Die „Steine“ haben oft eine frappante Aehnlichkeit mit vulkanischen Produkten, und zwar hauptsächlich mit den Tuffen unserer Feuerberge, jenen zusammengewürfelten und zusammengeschmolzenen Schuttmassen, die von vielfach wieder durch Schmelzung abgerundeten Kristallen von Olivin und andern Silikaten erfüllt sind. Abb. 3 zeigt einen solchen Meteoriten. Es gibt nun die mannigfaltigsten Uebergänge von den „Steinen“ zu den „Eisen“. Anderseits hat man in neuerer Zeit ganz reine Silikate, vollkommene Gläser, als Meteorite erkannt. Es sind die sogenannten Moldavite, die genau wie gewöhnliches grünes Glas aussehen. Sie sind von ganz besonderer Härte, fast unschmelzbar und können in unseren Glasfabriken gar nicht hergestellt werden. Dennoch blieb man lange über sie im Zweifel, bis auch in Australien ein großes Gebiet aufgefunden wurde, über das ein offenbar vor sehr langer Zeit stattgehabter Meteoritenfall Tausende solcher „Bouteillensteine“ ausgestreut hat, wo es ganz gewiß niemals Glasfabriken gab.
Auch unsere Vulkane erzeugen bekanntlich reine Glasflüsse, die sogenannten Obsidiane. Bei den Uebergangssteinen findet man Eisenmassen um Olivin- und andere Kristalle geflossen, und schließlich kommen wir zu den reinen Nickeleisenmassen. Gediegenes Eisen gibt es in der Erdrinde, soweit wir sie untersuchen konnten nicht. Findet man also solche Massen, so kann man sie ohne weiteres als früher einmal gefallene Meteorite ansprechen, wofür es auch noch das ganz untrügliche Anzeichen der sogenannten Widmannstättenschen Figuren gibt, die auf polierten Durchschnitten von Meteoreisen entstehen, wenn man sie mit verdünnter Salpetersäure behandelt. Wir finden sie auf Abb. 5 sehr schön abgebildet.
Diese Eisen sind also durch und durch kristallinisch.
Man fand riesenhafte Eisenblöcke, die in solchen Dimensionen gewiß nur in Zwischenräumen von Jahrhunderten zur Erde gelangen. Einen ganz ansehnlichen Block dieser Art birgt wieder das Wiener Museum; es ist das auf Abb. 8 wiedergegebene, 1884 in Westaustralien gefundene Eisen von Youndegin, das 909 Kilo wiegt.
Es soll in Diamant übergehenden Graphit enthalten, wie man es auch in andern kosmischen Eisenmassen gefunden hat. Die größte dieser Eisenmassen ist aber der aus seinem sagenumwobenen Dunkel jetzt ans Licht gezogene „Eiserne Berg“ der grönländischen Eskimos, die sich aus Splittern von ihm eiserne Waffen machten. Schon Kapitän Roß hatte 1818 von ihm gehört, aber erst dem unermüdlichen Polarreisenden Leutnant Peary gelang es, ihn zu finden und nach mehreren vorbereitenden Reisen mit unsäglichen Schwierigkeiten aus dem Eis der Melvillebucht zu befreien und nach Neuyork zu transportieren. Abbildung 9 zeigt das kosmische Ungeheuer, wie es am 3. Oktober des vergangenen Jahres seinen Einzug in Neuyork hält, und Abbildung 6 gibt es noch einmal größer wieder. Einen andern sehr eigentümlichen Eisenmeteoriten hat man im Herbst 1902 in Oregon gefunden, der 13 500 Kilo wiegt. Seine eigentümlich zerfressene Gestalt hat er jedoch sicher nicht beim Fall erhalten, sondern durch Auswitterung. In den Lücken befand sich wahrscheinlich ursprünglich Schwefeleisen, wie man es von andern Meteoreisen kennt. Dieses ist der Auslaugung viel leichter ausgesetzt als das gediegene Eisen. Um das Größenverhältnis des Blocks (Abb. 7) zum Ausdruck zu bringen, hat man bei der Aufnahme Kinder in die Aushöhlungen gesetzt.
Was für eine Vorgeschichte mögen wohl diese Sendlinge aus den Fernen der Fixsternwelt gehabt haben, ehe sie der Erde nahekamen? Man hat darüber die verschiedensten Vermutungen ausgesprochen. Am wahrscheinlichsten ist es, daß man es hier mit Trümmern von Weltkörpern, die unserer Erde sehr ähnlich waren, zu tun hat, denen irgendeine Katastrophe zugestoßen ist.
Würde unsere Erde in Trümmer gehen, so müßte sie wirkliche Meteorsteine liefern. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß gediegenes Eisen, das wir in den uns allein nur zugänglichen Oberflächenschichten der Erdkruste nicht finden, tiefer vorhanden ist. Der eigentümliche Kristallisationsprozeß, den wir durch die Widmannstättenschen Figuren erkennen, muß unter sehr hohem Druck vor sich gegangen sein, den wir in tieferen Schichten anfinden würden. Bei jener Weltkatastrophe müssen verschiedene Umschmelzungen der einzelnen Trümmermassen stattgefunden haben, wie die Innenstruktur der Meteorite anzeigt. In einem besonderen Fall konnte Prof. Berwerth, der jener Wiener Meteoritensammlung vorsteht, nachweisen oder doch sehr wahrscheinlich machen, daß der ursprüngliche Körper, der irgendwo außerhalb der Erde zertrümmert wurde, sehr groß, viel größer als die Erde gewesen sein muß. Die Untersuchung betrifft das erst kürzlich in Deutsch-Südwestafrika gefundene Eisen von Mukerop, das nebenst. Abb. zeigt. Wir sehen auf dem Durchschnitt die Widmannstättenschen Figuren und erkennen auch deutlich verschiedene Schichtungen im Stein, in denen die Kristalle verschieden gelagert sind. Das läßt sich nur so erklären, daß das Eisenstück einem ungeheuren Zwillingskristall angehörte.
Brezina, einer der besten Kenner der Meteorite, ist der Meinung, daß sich die Struktur der meisten durch eine plötzliche, überhastete Kristallisierung erklären lasse.
Bei jenen vermuteten Weltkatastrophen wird auch hierzu die Gelegenheit geboten, aber die Entstehung sehr großer Kristallindividuen, wie sie Berwerth nachwies, seht einen sehr langsamen Kristallisationsprozeß voraus, der jenen Katastrophen voranging. Das Schicksal der Meteorite ist ein recht verwickeltes gewesen, ehe sie bei uns zur Ruhe kamen.
Wir werden die himmlischen Boten noch um vieles fragen müssen, ehe sie uns ihr letztes Geheimnis verraten.
Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.