Neuere Kunst- und Gewerbe-Museen – IV. Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums in München

Ansicht des westlichen Theiles des Museums, des Gebäudes für Ausstellungen. (Nach photogr. Aufnahme von Fr. Bruckmann in München)

Von Albert Hofmann.
Architekt: Gabriel von Seidl in München.

Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so hat die Eröffnung des neuen Gebäudes des Bayerischen National-Museums in München am 29. Septbr. d. J., zum Oktoberfeste, zu dem grossen Feste des bayerischen Volkes, dem es nach dem Willen seines königlichen Stifters Ehre und Vorbild sein sollte, in der baulichen Entwicklung der kunstreichen Isarstadt wohl die Bedeutung eines Marksteines, nicht aber auch die eines Abschlusses, wie man noch vor wenigen Jahren, als die sogenannte neue Bewegung so laut einsetzte, hätte glauben können. Das neue Gebäude, das nach den Entwürfen des Architekten Prof. Gabriel von Seidl errichtet und unter dem künstlerischen Einflusse des Malers Prof. Rudolph von Seitz eingerichtet wurde, ist nicht mehr und nicht weniger als die schützende Hülle für eine der reichsten historischen Kunstsammlungen der Welt.

Die Anfänge derselben reichen etwa 75 Jahre zurück. Als König Ludwig I. im Jahre 1825 den bayerischen Thron bestieg, da sprach er das Wort, es solle angelegentlichst getrachtet werden, Kunst in die Gewerbe zu bringen. Er erliess eine Reihe von Anordnungen, welche nach dem Zerfall des deutschen Vaterlandes nach den Befreiungskriegen den Zweck verfolgten, die Heimathsliebe und den Nationalsinn wieder zu wecken und zu fördern. Er bestimmte, dass in gleicher Weise der Gelehrte wie der Landmann, der Geistliche wie der Bürgermeister, jeder in seinem Wirkungskreise mit dazu beizutragen hätten, die Zeugnisse nationaler Vergangenheit zu sammeln und zu erhalten. Es entstanden eine grosse Reihe lokaler Sammlungen und es entstand auch das Antiquarium der Akademie der Wissenschaften in München, in welchem die vorgeschichtlichen, die römischen und die frühmittelalterlichen Funde aufgestellt wurden. Sie bildeten den Grundstock für das später durch König Maximilian II. begründete „Bayerische National- Museum“, dessen erste Anfänge somit eigentlich auf König Ludwig I. zurückgehen. In diesem Sinne bedeutet die nunmehr erfolgte feierliche Eröffnung des Museums die Krönung einer seit dreiviertel Jahrhundert unternommenen zielbewussten und sich über das ganze Land erstreckenden Bewegung zugunsten der vaterländischen Kunst und Geschichte, zugunsten der Hebung des Nationalsinnes.

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Das Museum bildet, wie erwähnt, eine der reichsten nationalen Sammlungen aller Kulturvölker. Indem es galt, für diese Sammlung eine Aufnahmestätte zu bereiten, welche nicht nur den köstlichen Schatz erhalten und schützen, sondern auch seine volle künstlerische Würdigung ermöglichen und, soweit irgend thunlich, seine Beziehungen zu seiner einstigen Umgebung zeigen sollte, war man sich der Bedeutung und Schwierigkeit eines solchen architektonischen Unternehmens sowie auch des Umstandes bewusst, dass nur eine im Geiste der alten Kunst erprobte Kraft ersten Ranges das Werk unternehmen und mit glücklichem Erfolge durchführen könne. Als man sich daher aufgrund eines engeren Wettbewerbes unter drei hervorragenden Münchener Baukünstlern, welche in die Bedürfnisse des Museums bis in das Kleinste eingeweiht waren und sich in ihrer Kenntniss historischer Stilformen bewährt hatten, für Gabriel Seidl als den Erbauer des neuen Museums entschied, da geschah es in der Hauptsache aufgrund der erfolgreichen künstlerischen Vergangenheit dieses Meisters der: Baukunst und des Kunsthandwerkes. Seit 25 Jahren steht der 1848 geborene Künstler in der Münchener Kunstbewegung und lebte insbesondere jene Periode thätig mit durch, in welcher unter dem Einfluss von „der Väter Werke“, unter verstärktem Zurückgreifen auf deutschnationale Kunst und unter der Einwirkung zahlreicher Kräfte aus dem Gebiete der Malerei und Bildhauerei der Architektur und namentlich dem Kunstgewerbe, die unter dem Einflusse einseitiger Schulbestrebungen einer gewissen Erstarrung entgehen zu gehen drohten, wieder jener flüssige, malerische Geist zugeführt wurde, welchen beide in früheren Jahrhunderten besassen. Die Bewegung brachte ein grösseres Empfinden für die Wirkung des Innenraumes, sie lehrte gegenüber der früheren Bevorzugung der antiken Formenwelt und der etwas schematisch verwendeten italienischen Renaissance die Vorzüge der nationalen Kunst kennen, sie brachte nach und nach ein vertiefteres Gefühl für das Wesen und:die Bedeutung der Einzelform; die Wiedergaben historischer Stilformen wurden wärmer, treuer, lebensvoller, selbstloser. So vermochte sie namentlich Gabriel Seidl wiederzugeben und daher erschien er für die grosse Aufgabe als der rechte Mann.

Ansicht des westlichen Theiles des Museums, des Gebäudes für Ausstellungen. (Nach photogr. Aufnahme von Fr. Bruckmann in München)
Ansicht des westlichen Theiles des Museums, des Gebäudes für Ausstellungen. (Nach photogr. Aufnahme von Fr. Bruckmann in München)

Freilich, eine Zeit lang schien es, als ob der Künstler in der architektonischen Bewegung unserer Tage isolirt dastehe, als ob seine Anschauungen von Kunst und seine Empfindungen für die Kunst nicht mehr jener allgemeinen Anerkennung sich erfreuten, die sie besassen, ehe die Sturmfluth der sogenannten modernen Bewegung über das künstlerische Schaffen der Gegenwart hereinbrach und die alten Wege zu verschütten drohte, ohne imstande zu sein, neue zu öffnen. Vor drei Jahren etwa, als die in wilder Gährung sich befindenden jüngeren Elemente der Münchener Künstler aus dem Gebiete der Architektur und des Kunsthandwerks gebieterisch eine Umwandlung der Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins in München forderten, die dann auch – ob zu ihrem Vortheil oder Nachtheil bleibe, bei aller Anerkennung der feinsinnigen und umsichtigen Leitung derselben, dahingestellt – zur Ausführung kam, jedoch nicht in dem ausschliesslichen Sinne, den die Antragsteller im Auge hatten, vor drei Jahren sah Gabriel Seidl sich veranlasst, seiner Anschauung über die architektonische Kunst inform eines Protestes gegen die erwähnte Umwandlung Ausdruck zu geben. Damals führte er aus, es sei gegenüber dem starken Betonen einer neuen, modernen, noch nie dagewesenen Richtung daran zu erinnern, dass sich eine solche niemals mit Gewalt machen lasse, sie komme von selbst durch die neuen Elemente der Zeiten, durch grosse Geister. Es sei überflüssig, zu besorgen, dass das Rad der Zeit stehen bleibe, dass die Werke nicht den sehr deutlichen Stempel unserer Zeit trügen. Der ausschliessliche Ruf nach Neuem und Modernem ohne tiefere, innere Gründe sei der Typus des Modebazars und nicht jener der Kunst. Die Münchener Art, an welcher er einen überwiegenden, wenn nicht den bestimmenden Antheil hat, bezeichnete er als entsprungen „aus der Liebe, Anhänglichkeit und Freude an unserem Land und seinem Charakter, seinen herrlichen Städten und Städtchen; den erhabenen stolzen Bauwerken, Domen, Rathhäusern, Schlössern und nicht weniger auch dem einfachen, schlichten Bürger- und Bauernhause. Diese innerlichste Freude und Andacht, die ihr Studium gewährt, muss doch einen Feuereifer in uns entflammen, auch etwas zu schaffen, was anklingt an ihr Wesen und ihre Schönheit. Natürlich im heutigen Sinne in modernster Weise, ganz und gar dem heutigen Zeitbedürfniss Rechnung tragend – ja – voranschreitend und bahnbrechend für kommende Zeiten und Zeitgenossen. ……. Man kann wohl sagen, es ist eine Volkskunst, die in München lebendig ist, eine Kunst, aus dem Volke selbst herausgewachsen. Niemals wird sich diese überleben; sie trägt das wohlthuende Wesen des Volkscharakters: Einfachheit, Natürlichkeit, Geschmack und Tradition, und lieber als der Prunk ist ihr die Poesie“. Wir wiederholen: es schien eine kurze Zeit, als ob der Künstler mit solchen Anschauungen und Empfindungen unter seinen Münchener Kunstgenossen vereinzelt dastehe, oder doch gegenüber der zahlreichen Künstlerschaar nur wenige Gesinnungsgenossen um sich zu vereinigen, seinem weitreichenden Einflusse zu unterwerfen vermöchte. Es schien so in der überlauten Beharrlichkeit, mit welcher die Vertreter des Neuen ihr vermeintliches Recht forderten. Und wie hat der Künstler Recht behalten mit seiner Ansicht, der ausschliessliche Ruf nach Neuem und Modernem ohne tiefere, innere Gründe sei der Typus des Modebazars. In die ernste, architektonische Kunst Münchens ist dieses Neue kaum übergegangen; im Gegentheil, was an dieser Kunst heute geschätzt und was dauern wird, das ist das, was auf heimischer Erde aus heimischer Erde und aus heimischem Geiste geschaffen ist. Und wenn ein so feinsinniger Künstler wie Martin Dülfer, den die Modernen gerne in ihr Lager hinüberzuziehen versuchen, und der, wie zugegeben sein mag, durchaus von modernen Gedanken erfüllt ist, aber eingesehen hat, dass er, soweit ernste und grosse Werke inbetracht kommen, ohne das Erbe der Vergangenheit nicht auskommt, wenn dieser Künstler bei seinem neuen Theater für Meran auf dem Umwege über das antikisirende Louis seize wieder der antiken Formenwelt sich zuwendete, so that er es mit nicht grösserer Freiheit und mit nicht mehr neuem Geiste, als sie in dem Berliner Schauspielhause Schinkels wahrgenommen werden können. Wozu also der Lärm? Will man Martin Dülfer in der That der neuen Bewegung zurechnen, so ist er jedenfalls eine Säule unter den beweglichen Charakteren, die Parteitrieb oder Unverstand zu der genannten Bewegung rechnet. Das Bleibende im Wechsel ist aber das Erbe der Vergangenheit, das haben diese Säule und die drei Jahre Münchener Kunstentwicklung unter dem Feldgeschrei und Losungswort des Neuen zur Genüge dargethan.

Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum
Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum
Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum
Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum

Und in diese Erkenntniss fällt die Eröffnung des neuen Gebäudes des National-Museums, welche die Krönung aller jener Bestrebungen bedeutet, die, ausgehend von der Väter Werke, in den Errungenschaften vergangener Jahrhunderte jenes sichere Fundament erblicken, auf welchem die Werke errichtet werden konnten, die eine Dauer über den Eintag hinaus fordern. In keiner seiner Arbeiten ist die Kunstanschauung Gabriel Seidl’s treuer verkörpert, als in diesem neuen Gebäude, freilich kam auch keine andere in ihren Forderungen den Wünschen des Künstlers so entgegen.

Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums in München
Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums in München

Der Auftrag zur Gestaltung des Werkes wurde in hartem Kampfe errungen. Im Jahre 1894 fand ein engerer Wettbewerb statt, an welchem ausser Gabriel Seidl noch die Professoren Hauberrisser und Romeis betheiligt waren. Insbesondere der Entwurf Hauberrisser’s trat mit seinen hervorragenden künstlerischen Eigenschaften in einen scharfen Wettbewerb mit der Arbeit Seidl’s, scheiterte aber schliesslich an der Erkenntniss, dass seine Ausführung die in Aussicht genommene Bausumme von 4 600 000 M. erheblich überschritten haben würde. Wir haben über diesen Wettbewerb wie über die Platzfrage und das Bauprogramm für das neue Museum S. 89 ff. Jahrg. 1894 unserer Zeitung ausführlich berichtet. Der Seidl´sche Entwurf hatte in seinem schlichten Vortrag nicht viel Bestechendes, seine Vorzüge bestanden nächst der Möglichkeit der Einhaltung der Bausumme vorwiegend in der zwanglosen, jede akademische Art vermeidenden, auf die Bedürfnisse der Sammlungen und namentlich auf die Aufstellung der einzelnen bevorzugten Theile derselben sorgfältigste Rücksicht nehmenden Lösung des Grundrisses. In Bezug auf die künstlerische Durchbildung rechneten die entscheidenden Faktoren augenscheinlich auch weniger mit dem vorliegenden Entwurfe, als mit der anerkannten Fähigkeit Seidl’s, sich unter weitgehendster Selbstverleugnung bei feinstem künstlerischen Geschmack den Forderungen einer besonderen Aufgabe, wie sie das neue Museum, beinahe in jedem Raume stellte, unterwerfen und sie in dem Zeitgeiste, den die bezüglichen Sammlungstheile ausathmeten, ausführen zu können.

Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums in München. (Nach einer photogr. Aufnahme von Fr. Bruckmann in München)
Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums in München. (Nach einer photogr. Aufnahme von Fr. Bruckmann in München)

Und wie das heutige fertige Gebäude beweist, hatte man sich in dieser Erwartung nicht getäuscht, In sechsjähriger Arbeit ist unter liebevollstem Versenken in die so verschiedenartig gearteten Ansprüche der reichen Sammlungen ein Werk entstanden, welches der Minister Dr. von Landmann in seiner Ansprache an den Prinzregenten bei der Eröffnung mit Recht mit hohen Worten feiern durfte. Ein Ehrendenkmal sei das Museum für das bayerische Volk, dessen künstlerischer Sinn und dessen reiches Gemüth in diesen Schätzen wundersam zutage trete; ein Ehrendenkmal für das Haus Wittelsbach, das einen grossen Theil dieser Kunstschätze hervorgerufen habe. „Ungetheilte Freude und Bewunderung wird überall die innere Raumeintheilung, die abwechselungsreiche Folge der Gelasse, Höfe und Gärten, die phantasievolle und doch stilgerechte Dekoration der Räume, die vom feinsten künstlerischen Geschmack geleitete und zugleich die kunsthistorischen Anforderungen nicht ausser Acht lassende Aufstellung der Sammlungs-Gegenstände erregen. Jeder einzelne Saal der kulturhistorischen Sammlung ist ein Kunstwerk für sich geworden und auch für die Fachsammlungen sind charakteristische und vornehme Räume geschaffen, in welchen die Gesetze der Schönheit durchweg die Anordnung des gleichförmigen Stoffes beherrschen.“ Mit grösserem Rechte als das alte Haus in der Maximilians-Strasse, das nicht viel mehr war als ein mit einigen Fresken ausgestattetes Magazin und den reichen Schätzen bayerischer Kunstfertigkeit eine Stätte bot, die nur ihren Bestand sicherte, keineswegs aber ihre Kunst zur Geltung kommen liess, mit grösserem Rechte trägt das neue Gebäude die Inschrift des königlichen Begründers der Sammlungen: „Meinem Volke zu Ehr’ und Vorbild.“ Das, was zum Oktoberfeste der Jahrhundertwende die Weihe erhielt, bedeutet eine Ehre für das bayerische Volk und ist sein Vorbild für dasselbe für lange Zeiten.
(Fortsetzung folgt.)

Neuere Kunst- und: Gewerbe-Museen IV. – Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums in München.

Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums erhebt sich in bevorzugter Lage am nord-östlichen Ende der Prinzregenten-Strasse, der vornehmsten, nach und nach zu einer Prachtstrasse ausgebauten Verkehrsanlage des neuen München, die nördlich vom Englischen Garten begrenzt ist, an ihrer südlichen Seite von palastartigen Wohngebäuden eingesäumt wird, nach Osten den Blick auf die Prinz-Regenten-Brücke und das neue Friedens-Denkmal eröffnet und die Verbindung zu einem jenseits der Isar gelegenen, nicht minder vornehmen, in freier Bauweise bebauten Stadtviertel, welches auch das neue Prinzregenten-Theater enthalten wird, herstellt. Vor dem Museum erweitert sich die Strasse zu einem forumartigen Platze, welcher durch die verschiedene Höhenlage einzelner Flächen, durch Balustraden usw. eine architektonische Untertheilung erhalten hat, die in unserer Abbildung S. 493 noch erkannt werden kann.

In der Gesamtanlage des Gebäudes folgte Gabriel von Seidl, in gleicher Weise den Forderungen der Sammlungen gehorchend und dem eigenen Triebe, dem Grundsatze ungezwungener und freier Aneinanderreihung in Form und Stil verschiedenartig gestalteter Räume oder Raumgruppen. Als im Jahre 1833 das um die Wende des XV. und XVI. Jahrhunderts durch die Aebte der reichen Benediktiner-Abtei Cluny bei Mácon (Departement Saóne-et-Loire) im südlichen Burgund errichtete, zierliche spätgothische und bereits mit zahlreichen Renaissance-Elementen versetzte Hótel de Cluny in Paris in den Besitz des unermüdlichen Sammlers Du Sommerard kam und nach dessen 1842 erfolgten Tode mit Einschluss der Sammlung 1843 durch den Staat angekauft und zu einem öffentlichen Museum erklärt wurde, da fand dieses Museum, das eigentliche Werk des Jacques d’Amboise, die ungetheilte Zustimmung aller Besucher, nicht allein der Laien unter denselben, sondern auch der Fachleute. Und diese Zustimmung und Bewunderung hat sich trotz einiger entstellender, ohne jedes Gefühl für Einordnung errichteter Anbauten bis auf den heutigen Tag erhalten, ein Zeichen, dass diese Empfindung nicht allein dem romantischen Zuge jener Zeit entsprang, sondern sich auf die zwanglose, malerische, reich bewegte Aneinanderreihung der einzelnen Räume dieses Kleinodes der spätgothischen Architektur sowie auf die Thatsache gründete, dass zahlreichen der ausgestellten Gegenstände eine Umgebung gegeben werden konnte, welche der ihres ursprünglichen Aufstellungsortes, welchem sie die Zwischenfälle politischer und anderer Ereignisse sowie die nur materiellen Trieben folgenden Verhältnisse des Kunstmarktes entfremdet hatten, entsprach und die dem Werke selbst einen verstärkten Eindruck und damit eine höhere Bedeutung verlieh. Es kann deshalb nicht Wunder nehmen, dass als es galt, dem am 16. Aug. 1852 auf einer Versammlung deutscher Geschichts- und Alterthumsforscher zu Dresden nach einem Antrage des Frhrn. Hans von Aufsess gegründeten Germanischen National-Museum in Nürnberg eine bleibende Stätte zu geben, das 1382 erbaute ehemalige gothische Karthäuser-Kloster gewählt wurde und durch den im Jahre 1866 zur Leitung der Sammlungen berufenen Architekten August Essenwein († 1892) unter Einbeziehung von Theilen der alten Stadtbefestigung von Nürnberg und später von Theilen des verfallenen Augustiner-Klosters zu jenem köstlichen, malerisch bewegten, den freien und unabhängigen Charakter des deutschen Geistes, welchen auch die mittelalterlichen Satzungen nicht zu beeinträchtigen vermochten, wiederspiegelnden, in sich geschlossenem Stadtbilde ausgestaltet wurde, auf welches jeder Deutsche mit Recht als auf einen der werthvollsten Theile nationalen Besitzes mit Stolz hinblicken kann. Es scheint, dass diese beiden Beispiele auch in anderen Ländern, z. B. Italien, Beachtung und Nachahmung gefunden haben, denn als dieses Land daran ging, seinen Kunstbesitz zu ordnen, schuf es im Bargello in Florenz, im Museo Civico in Venedig, im städtischen Museum von Palermo usw. unter theilweiser Zuhilfenahme alter Bauten oder unter Errichtung neuer Bauten im alten Geiste Anlagen von nicht minder bestrickendem Reiz.

Ansicht der Architektur-Ausbildung des Renaissancegartens
Ansicht der Architektur-Ausbildung des Renaissancegartens
Ansicht der Architektur-Ausbildung des Zopfgartens
Ansicht der Architektur-Ausbildung des Zopfgartens

Der Erfolg dieser und ähnlicher Bestrebungen war allerdings kein unnatürlicher, wenn man in Erwägung zieht, was bis dahin auf dem Gebiete des Baues von Kunstmuseen geschehen war. Wo sie nicht der Bewegung der ersten fünf Jahrzehnte unseres Jahrhunderts ihre Entstehung verdankten, sind die Museen meist aus fürstlichem Privatbesitz hervorgegangen, in dem sie sich zumtheil heute noch befinden. Der überwiegende Theil derselben waren Gemäldesammlungen; die sogenannte Kleinkunst fand erst später die ihr gebührende Beachtung. In ihrer Gründung gingen diese Gallerien, die alten Kunstkammern, die Antiquarien und die Kuriositäten-Kabinette auf alte französische und namentlich italienische Vorbilder zurück, für welche der italienische Palazzo selbst oder in seinen ausseritalienischen Nachahmungen die Entfaltungsstätte war. Soweit Gemäldesammlungen inbetracht kamen, wurde darin kein Umstand gefunden, welcher dem Kunstwerke nachtheilig werden konnte. Die meisten Gemälde, welche nicht mit einem architektonischen Werke unlöslich verbunden sind, sind eine Welt für sich und infolge dessen vom Raume mehr oder weniger unabhängig. Daher fällt es denn auch nicht weiter auf, wenn wir sehen, wie der italienische Palastbau, der die Zeitströmung beherrschte, die Gestalt des Museums beeinflusste; wir sehen in Dresden durch Semper, in Wien durch Semper und Hasenauer, in München durch Klenze usw. Gemäldegallerien entstehen, zu welchen der italienische oder der antikisirende Palastbau die Anregung gab. Als man nun aber unter dem gleichen Einflusse daran ging, in Wien das der Kleinkunst gewidmete Hofmuseum, in Berlin das Kunstgewerbe-Museum, in anderen Städten ähnliche Gebäude zu errichten, da musste man bald erkennen, dass der Palaststil mit seiner strengen, beinahe schablonenhaften Folgerichtigkeit auch für den Innenraum nicht jener Stil sei, welcher der individualisirenden Behandlung, die das Werk der Kleinkunst erfordert, entgegenkam. Denn dieses Werk ist in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle im Gegensatze zudem Werke der Malerei oder Bildhauerei keine Welt für sich, sondern ein durch die verschiedensten Umstände aus dem Zusammenhange gerissener Theil eines grösseren Ganzen, welches nach Möglichkeit wieder herzustellen oder doch wenigstens andeutungsweise wieder herzustellen bei der das Historische gründlicher erfassenden Stimmung der Zeit als die vornehmste Aufgabe der neuen Richtung im Museumsbau. betrachtet werden musste. Es löste also das individualisirende Angliederungssystem mit seinen mannigfachen praktischen baulichen Vorzügen das generalisirende Palastsystem, es löste der Gruppenbau den Kastenbau ab. Der in dieser Ablösung liegende Fortschritt ist ein so auf der Hand liegender, dass wir ihn bei dem Bau neuer Museen für die Kleinkunst. soweit für die Unterbringung der Schätze nicht alte Gebäude gewählt werden, allenthalben beobachten können. Unsere vorangegangenen Veröffentlichungen über die Museen in Zürich, Magdeburg und Reichenberg bieten nicht minder bemerkenswerthe Beispiele hierfür, wie das im Bau begriffene Märkische Museum in Berlin. Auch wenn es daher nicht dem persönlichen Empfinden seines Erbauers entsprochen haben würde, hätte das neue Gebäude des National-Museums in München mit seinen ungemein vielseitigen Raumansprüchen in keinem anderen als in dem individualisirenden, gruppirten Stile errichtet werden können, das haben die Anordnungen im alten Gebäude in der Maximilian-Strasse überzeugend bewiesen.
(Fortsetzung folgt)

Neuere Kunst- und Gewerbe-MuseenIV. – Das neue Gebäude des Bayer. National-Museums in München.

unbeschriftet
unbeschriftet
Römisches Lapidarium
Römisches Lapidarium

Wer die Gesammtanlage des neuen Gebäudes verfolgt, erkennt bei aller unregelmässigen Gruppirung des Ganzen im Wesentlichen zwei Baugruppen: das Hauptgebäude für die Sammlungen und das westliche Nebengebäude mit Ausstellungs- und Arbeitsräumen, mit der Bibliothek und mit der Wohnung des Direktors. Es erschien erwünscht, diese Räume, die namentlich auch in den Abendstunden von den Kunsthandwerkern Münchens benutzt werden, vom Hauptgebäude, mit welchem sie nur durch einen kurzen Bogengang zusammenhängen, zu trennen. Es ist ein nicht unerheblicher Fortschritt gegenüber den engen früheren Raumverhältnissen, dass das neue Gebäude umfangreiche Zeichensäle und förmliche Werkstätten für Schlosser, Bildhauer, Maler, Holzschnitzer, Tischler, Drechsler usw. besitzt, in welchen das Vorbild unmittelbar in dem Material, in welchem es entstanden ist, nachgebildet werden kann. Mit Recht haben sich die leitenden Faktoren des Museums erinnert, wieviel des Eindruckes und der unwägbaren Bestandtheile eines Kunstwerkes auf dem Wege zwischen Museum und Werkstätte verloren gehen. Doppelt erfreulich ist es daher, dass man in unserer Zeit, in der man gewohnt ist, das Kunstwerk mit den scharfen Augen und dem vertieften Blick der Naturwissenschaften zu betrachten, sich entschlossen hat, der Arbeit neben dem kunstreichen Vorbild die Bedeutung zuzuerkennen, die sie thatsächlich besitzt. Dass dieser Theil des Baues auf der Seite gegen die Stadt angelegt wurde, geschah in richtiger Erfüllung der natürlichen Forderungen.

Der Hauptbau erhebt sich in Keller-, Erd- und einem Obergeschoss; nur an einzelnen Stellen, wie im Mittel- und an dem westlichen Seitenbau, thürmt sich auf das erste Obergeschoss noch ein zweites. Die umfangreichen Kellerräume sind nicht minder für Sammlungszwecke benutzt, wie die Geschosse über der Erde. Sie enthalten neben den Wirthschafts- Gelassen, Reserveräumen und anderen Nebenräymen die prähistorische Sammlung, eine Wagenhalle, Räume für die Zinnsärge, für die Folterkammer, für eine kulturhistorische Sammlung und die Bauernstuben der acht Kreise Bayerns. Im hohen Erdgeschoss liegen alle die Räume, welchen es möglich war, durch vorhandene Kunstwerke oder Raumbestandtheile eine entsprechende Ausbildung zu geben, oder Nachbildungen künstlerisch bedeutsamer Räume, deren wirklicher Besitz nicht zu erreichen war. Das Obergeschoss enthält, in künstlerisch individuell durchgebildeten Räumen, die magazinartig geordneten Sammlungen; im zweiten Obergeschoss des Westbaues ist die Krippensammlung untergebracht, eine der merkwürdigsten Sammlungen aus der Volkskunst für die Weihnachtsspiele.

Wer dıe säulengetragene Vorhalle mit ihren reich stuckirten Gewölben und ihren Erz- und Steindenkmälern vorwiegend aus der Zeit der Renaissance durchschritten hat, gelangt zunächst zum römischen Lapidarium mit dem schönen Mosaikfussboden von Westerhofen (s. Kopfbild). In schlichter früher Haltung hat es die prähistorischen und die römischen Alterthümer aufgenommen. Die Bildung einer Art Atrium, die kolumbarienartig vertheilten Wandnischen zur Aufnahme von Vasen usw. verleihen dem Raume die Charakteristik der Zeit seiner Kunstschätze. Von ihm werden wir in den Merovingischen Raum mit den Mosaikbildern des Justinian und der Theodora, in den Rundraum für romanische Kleinkunst und.in das romanische Lapidarium geführt, welches mit seiner dunklen Holzbalkendecke, den gekuppelten Säulen der Emporen usw., mit seinem halbkreisförmigen Ausbau und den beiden kleinen Räumen für Miniaturen, Tafelbilder usw. aus der Zeit Ludwigs des Bayern an eine längst verschollene Klosterstimmung erinnert. Ihm folgen die gothische Halle mit dem berühmten Bamberger Altarwerk, weiter die Amtsstube des ehemaligen Weberzunfthauses in Augsburg mit ihrem bemalten hölzernen Tonnengewölbe, die Räume mit den Passauer-, Neu-Oettinger-Decken, den Decken aus Augsburg und Nürnberg, worauf dann die durch den Architekten schon in der Grundrissanlage gegebene Führung in den stimmungsvollen Kirchensaal überleitet (Beilage zu No. 80). Das köstliche gothische Lapidarium mit den Werken Tilman Riemenschneiders und die grossartige Waffenhalle schliessen die Räume der östlichen Hälfte des Hauses. Unmittelbar hinter dem Treppenhause liegt der geräumige Dachauer Saal, benannt nach seiner wuchtigen Holzdecke aus dem Schlosse in Dachau (s. Beilage). Von ihm aus führt die historische Reihenfolge in den italienischen Saal, in den Raum mit dem reizvollen Augsburger Fuggerstübchen, in den Saal aus der Regierungszeit des Kurfürsten Maximilian I., sowie in die Räume Ferdinand Maria’s mit ihrer verschwenderischen Prachtentfaltung. In dem Saale Max Emanuels erreicht der fürstliche Prunk in der Nachahmung des Ruhmes Ludwigs XIV. seinen Höhepunkt. Von wieviel Unheil, das durch die Verbindung Max Emanuels mit Frankreich über Bayern hereinbrach, könnte dieser Saal berichten! Die Räume Karl Albrechts, Max Josefs und das Landshuter Zimmer gruppiren sich um einen Hof, von dem auch der Saal Max Emanuels sein Licht empfängt. In den Räumen Karl Theodors und Max I. mässigt sich die Pracht zu der Einfachheit der Wende des Jahrhunderts, um in dem Raume Ludwigs II. in Ansehung des französischen Vorbildes wieder aufzuflammen. So schliesst die Führung des eindrucksvollen Erdgeschosses mit dem Andenken an den bayerischen Fürsten, dem die Kunst das Lebenselement geworden war.

Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum
Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum
Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum
Innenräume aus dem neuen Gebäude des Bayrischen National-Museum

Die Fachsammlungen des Obergeschosses, auf deren Anordnung und Vertheilung im Einzelnen einzugehen der Raum verbietet, sind keineswegs in schlichten „Sammlungsräumen“ untergebracht, sondern die Säle haben auch hier, angeregt durch das dem Architekten im Erdgeschoss gegebene Beispiel, eine Ausschmückung erfahren, die allenthalben die unerschöpfliche Phantasie des Erbauers, welche die Wände und die Decken mit den köstlichsten Gebilden belebt, zum Ausdruck kommen lässt. Was will das arme Wort gegenüber solcher Pracht und Phantasiefülle! Die von den verschiedenen, stark vorspringenden Bautheilen umschlossenen Höfe sind gleichfalls zur Aufstellung von Kunstwerken, hauptsächlich Steinskulpturen, Bronzewerken usw. benutzt. In ihrer verschiedenen Höhenabstufung, in der Vielgestaltigkeit ihrer architektonischen Bildungen, in ihren anscheinend so natürlichen, aber gut vorbedachten Vor- und Rücklagen verleihen sie dem ganzen Gebäude jenen gewinnenden malerischen Reiz, der die ohne Zweifel nicht sehr günstige Wirkung der Umrisslinie namentlich in der Nähe stark zurücktreten lässt. –

Es bedarf kaum des Hinweises, dass die Sicherung des Museums mit seinen kostbaren Sammlungen gegen alle möglichen Gefahren eine mit aller Sorgfalt bedachte ist. Das ganze Gebäude ist feuersicher konstruirt; die steinernen Treppen, die gewölbten Hallen, die massiven Decken, schwere Eisenthüren zum Abschluss der einzelnen Räume, die Trennung der Verwaltungs- von den eigentlichen Museumsräumen, eine ständige Feuerwache mindern die Gefahr für das Haus auf ein Mindestmaass herab. Eine zentrale Luftheizung macht eine Ofenheizung unnöthig. Es fehlt der Raum, auf die einzelnen Vorkehrungen näher einzugehen. Von den wirthschaftlichen Einrichtungen des Gebäudes sei nur flüchtig der Beleuchtungs-Anlage gedacht, weil sie in dieser Weise u. W. zum ersten Male zur Durchführung gelangt ist. Die eigentlichen Museumsräume sind in den Abendstunden nicht geöffnet. Die Versuche, die man nach dem Vorbilde des South-Kensington-Museums in London in Deutschland und anderwärts aufgenommen hatte, sind, soweit wir unterrichtet sind, nicht weitergeführt worden. Jedenfalls ist das Bayerische National-Museum in den Abendstunden dem allgemeinen Besuche nicht zugänglich. Gleichwohl glaubte man auf eine künstliche Beleuchtung nicht verzichten zu können, einmal, um doch jederzeit und bei besonderen Anlässen das Museum den Besuchern öffnen zu können, dann aber auch, um bei etwaigen Einbruchversuchen die Suche nach dem Einbrecher zu erleichtern. Man entschied sich für die Anlage einer elektrischen Beleuchtung, jedoch, und das ist der neue Gedanke, nicht innerhalb des Gebäudes, sondern aus Gründen der Feuersicherheit ausserhalb desselben. Zu diesem Zwecke sind in den einzelnen Höfen, im Renaissance-Garten, im Mittelalterlichen Hof, im Zopfgarten usw., kurz, an sämmtlichen Aussenfassaden, eine Reihe von Masten errichtet, welche Bogenlampen tragen, die auf einen Schlag zugleich in Betrieb gesetzt werden können und das Innere des Gebäudes gleich dem Tageslicht durch die grossen Fenster ausreichend erhellen. Die zahlreichen Lichtmaste der Höfe haben für den ersten Anblick unzweifelhaft etwas Befremdendes, es ist aber nicht zu leugnen, dass der praktische Gedanke, den sie vertreten, ernste Beachtung verdient.

Ansicht des römischen Lapidarium
Ansicht des römischen Lapidarium

Mit einem kurzen Worte sei nun noch der künstlerischen Mitarbeiter des Architekten gedacht. Dass ein Werk wie die Errichtung- und Einrichtung des neuen National-Museums nur durch das selbstloseste Zusammenarbeiten der verschiedenen künstlerischen Kräfte möglich ist, liegt auf der Hand. Die sämmtlichen baulichen Einrichtungen gehen auf den Architekten Gabriel von Seidl zurück. Ihm stand in der Person des Hrn. Arch. Heinrich Kronenberger ein gewandter und feinsinniger Mitarbeiter zurseite. Für den bildnerischen Schmuck des Gebäudes waren in dem Hrn. Prof. Anton Pruska für das rein ornamentale und für das figürlich-ornamentale, sowie in dem Bildhauer Prof. Fritz von Miller für die Löwen und die Statue König Maximilians I. an der Hauptfassade hervorragende Kräfte gewonnen. Seitens der Staatsbehörden war Hr. Bauamtsassess. W. Maxon mit einschlägigen Arbeiten für das Zustandekommen des grossen Werkes betraut. Kaum geringer wie für die Erstellung des Gebäudes, waren die Arbeiten für die Einrichtung desselben. Hier stand dem Architekten die einzige Kraft des Ehren-Konservators und Malers Prof. Rud. von Seitz in einer für das Werk ausserordentlich erfolgreichen Weise zurseite, und man darf wohl die Frage aufwerfen, ob das Museum das geworden wäre, was es heute ist, wenn ihm nicht Rudolf von Seitz seine ungewöhnliche künstlerische Fähigkeit und seine mit feinem Gefühl ordnende Hand geliehen hätte. Erfolgreich zur Sache stand auch Hr. Maler Fr. Ruedorffer.
(Schluss folgt)

Neuere Kunst- und Gewerbe-Museen – IV. Das neue Gebäude des Bayerischen National-Museums in München.

Kopfbild, S. 537
Kopfbild, S. 537

Die Stellung des neuen Gebäudes in der Baugeschichte Münchens ist zumtheil schon in den Eingangsworten unseres Aufsatzes angedeutet. In seiner Ansprache an den Prinzreeenten bei der feierlichen Eröffnung des Museums unterliess der bayerische Kultusminister nicht, es auszusprechen, dass die unsymmetrische, mehr malerische als prunkvolle äussere Anlage des Baues „wie jedes originelle, von der überlieferten Auffassung abweichende Kunstwerk anfänglich manchen Widerspruch hervorgerufen“ habe; indessen sie gewinne mehr und mehr Freunde und werde der Prinzregentenstrasse „ein besonderes Gepräge geben“. Es war der Standpunkt Seidls bei Beginn seines Werkes kein leichter und es bedurfte der vollen Zuversicht der leitenden Kreise auf die künstlerische Vergangenheit des Meisters, um das Werk überhaupt zu ermöglichen. Das Isar-Athen lag noch zu sehr im Kampfe mit den traditionellen, aus der Antike und aus der Renaissance geschöpften Anschauungen. Die Werke Klenzes, Neureuthers und anderer in der eisernen, die individualistische Regung gänzlich verbannenden Strenge ihrer Auffassung und ihres Aufbaues übten einen schier unzerstörbaren, nachhaltigen Einfluss auf die künstlerischen Kreise aus, einen Einfluss, welcher durch den in der Maximilianstrasse unternommenen missglückten Versuch eines kunstbegeisterten Fürsten, durch einen Machtspruch und aus dem fürstlichen Eigenwillen heraus unter besonderen Bedingungen einen neuen Stil zu erfinden und zu schaffen, nur gestärkt wurde. Etwas von dem stolzen Bewusstsein König Ludwigs I., der nicht ohne eine gewisse Berechtigung sagen konnte: „Die Münchener Kunst bin ich“, war auch auf seinen Nachfolger übergegangen. Aber in der praktischen Ausübung dieses Hochgefühles unter den Tugenden eines idealen Zielen zustrebenden Herrschers war Max II. nicht von. dem Glücke begünstigt, wie sein grosser Vorfahre. Die Folge war, dass man um so fester zu der Kunstanschauung der antiken Periode Münchens stand. Erst das Wiedererwachen der nationalen Strömungen auf deutschem Boden nach den erfolgreichen Kämpfen, welche die germanische und romanische Kultur um die Hegemonie in Mittel-Europa führten, liess, zunächst bescheiden, jedoch im Laufe weniger Jahre mehr und mehr anwachsend, eine neue Auffassung der alten sich gegenüberstellen, welche, eine zweite Befreiung des Individuums herbeiführend, getragen von dem freiheitdurchglühten Ringen und Streben nach selbständiger künstlerischer Gestaltung und aufbauend nicht auf den Traditionen eines fremden, sondern auf denen des eigenen Landes, auf der Kunst der Werke der Väter, jener Königskunst der ersten Hälfte des Jahrhunderts ihr in seiner zweiten Hälfte eine auf breitester Grundlage ruhende Volkskunst gegenüberstellte. Waren die Propyläen, die Pinakothek, die Glyptothek, das Siegesthor, die Ruhmeshalle Werke einer Kunstperiode, welche der absolute Wille eines kunstbegeisterten Königs beherrschte, waren es Werke, welche einem politisch unmündigen Volke als Gnadengeschenke königlicher Huld gegeben wurden, so ist das neue Gebäude des National-Museums das erste grosse Werk der neuen Periode, die mit sicherem Ziele das zu erfüllen und zu verwirklichen trachtet, was lange Jahrzehnte hindurch in Sturm und Drang, in Kampf und Sieg, in Entbehrung und Hoffnung in der geistigen und künstlerischen Entwicklung des deutschen Volkes sich vorbereitet und zur Lebensfähigkeit und Vollendung durchgerungen hat. Das neue Museum ist einer der vornehmsten Repräsentanten des deutschen National-Bewusstseins, des aus der Unmündigkeit zur Erkennung seiner vollen Kraft erwachten Volksbewusstseins. Es ist ein Zeugniss jenes wiedererwachten künstlerischen Individualismus, der steht und fällt mit den politischen Gestaltungen und Errungenschaften, dessen Hervortreten ein Maasstab ist für die geistige und politische Unabhängigkeit eines Volkes. Was das bedeutet, wird so recht erkennbar, wenn man sich an den Ausspruch Klenze’s erinnert, es gebe nur eine wahre Kunst und diese sei die griechische, Später glaubte Max II., es gäbe nur eine wahre Kunst und diese sei die romanische. Beide übersahen, dass der deutsche Geist und die deutsche Kunst nicht in eine Richtung eingeschworen sind, sondern dass ihr deutscher Charakter in der vollen Freiheit ihrer Bethätigung, in der vollen Unabhängigkeit von fremden Einflüssen, in der Tiefe und der Poesie der Empfindung und in der Treue für die natürlichen Daseinsbedingungen besteht. Alle diese Eigenschaften finden in dem stolzen Werke an der Prinz-Regentenstrasse ihre Verkörperung. Es ist der in Stein übersetzte Individualismus, es ist eine Blüthe deutscher Volkskraft und deutschen Kunstgeistes, es ist das Denkmal einer Kulturperiode, welche das Nationalbewusstsein zu einem mit Stolz zur Schau getragenen Gefühle gemacht hat, es ist ein Denkmal des zu seinem vollen Bewusstsein erwachten Demos in jenem vornehmen Sinne, welchen die griechische Kultur in ihrer Blüthe jenem Worte beigelegt hat, es ist ein Werk, in welchem äussere Gestalt und Inhalt sich entsprechen und decken. Es giebt keine schärferen Gegensätze, als das angeführte Wort Ludwigs I. „Die Münchener Kunst bin ich“ und das in goldener Buchstaben am neuen National-Museum prangend: Wort: „Meinem Volke zu Ehr’ und Vorbild“. Dort der einsame Absolutismus, wenn auch durch ideale Züge gemildert, hier die Achtung vor der natürlichen Volkskraft. Es ist friederizianischer Geist, welcher in diesem Worte dem Werke aufgeprägt ist. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 06.10., 10.10, 27.10 & 03.11.1900 in der Deutsche Bauzeitung.