Berliner Neubauten 97 – Das Gemeinde-Doppelschulhaus in der Glogauer-Strasse 12-16

Berliner Neubauten 97 - Das Gemeinde-Doppelschulhaus in der Glogauer-Strasse 12-16

Architekt: Stadtbaurath Ludwig Hoffmann.
Gleichzeitig mit dem städtischen Schulhause an der Wilms-Strasse, das in No. 44 d. Bl. veröffentlicht wurde, ist am 14. Mai d. J. eine zweite ähnliche Schulanlage, das Gemeinde-Doppelschulhaus in der GlogauerStrasse 12-16 festlich eingeweiht worden.

Das Interesse, welches an beide Bauten sich knüpft, gilt weniger der Anordnung und Gestaltung derselben für ihre Benutzung zu Schulzwecken, sondern betrifft vorzugsweise ihre architektonische Durchbildung und entspringt aus dem Umstande, dass diese Anlagen die ersten sind, die nach den Plänen des gegenwärtigen Leiters des Berliner städtischen Hochbauwesens, Stadtbaurath Ludwig Hoffmann, zur Vollendung gelangt sind. Man darf mit Recht annehmen, dass sich aus ihnen die künstlerische Richtung erkennen lässt, in welcher fortan die umfangreiche Bauthätigkeit der grössten deutschen Stadtgemeinde sich bewegen wird. Und es erscheint aus diesem Grunde erwünscht, der Fachgenossenschaft auch jene zweite Anlage in gleicher Weise vorzuführen.

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Lageplan
Lageplan

Die Stadtgegend, in welcher die für die Gemeindeschulen No. 232 und 219 bestimmten Baulichkeiten zu errichten waren, liegt im äussersten Südosten des Weichbildes, wo die Bodenpreise bisher noch keine so grosse Höhe erreicht haben, dass es nothwendig gewesen wäre, für jene ein Grundstück mit schmaler Strassenfront und tiefem Hinterland zu wählen, wie dies sonst bei den Berliner Gemeindeschulen üblich und auch für die Schulen in der Wilms-Strasse geschehen ist.

Das zu diesem Zwecke erworbene Gelände an der Glogauer Strasse – einer Verbindungs – Strasse zwischen dem Kottbuser-Ufer des Schiffahrts-Kanals und der an der Südseite des Görlitzer Bahnhofes sich hinziehenden Wiener-Strasse – kehrt vielmehr seine längere Seite der Strasse zu, erstreckt sich aber zugleich zu so bedeutender Tiefe, dass es möglich war, die für die Schule erforderlichen Gebäude zu einer von der Strasse her sichtbaren malerischen Gruppe zu vereinigen. Es sei übrigens bemerkt, dass diese Stellung der Gebäude auf dem Bauplatz schon in dem von dem früheren Stadtbaurath un Geh. Baurath Blankenstein bearbeiteten Vorentwurfe enthalten war und aus ihm übernommen wordem ist, während die Anordnung der Grundrisse und die Architektur völlig neu gestaltet worden sind.

Grundriss
Grundriss

Inmitten des Grundstücks, rings von Gartenanlagen umgeben, erhebt sich in üblicher viergeschossiger Anlage das Schulgebäude, dessen Räume zu beiden Seiten eines 3,5 m breiten, in den drei unteren Geschossen zu einem mittleren Vorplatz erweiterten Korridores sich aufreihen. Breite Fenster an den Schmalseiten, sowie das von der inmitten der Rückseite liegenden Haupttreppe und den beiden vorderen Nebentreppen einfallende Licht sichern diesem Korridor eine reichliche Beleuchtung. Eine Aufzählung der im Hause enthaltenen Räume und weitere Erläuterungen können an dieser Stelle wohl entbehrt werden.

An der Strassenfront liegen, dicht an die Nachbargrenzen gerückt, links das Lehrer-Wohngebäude mit den Wohnungen für die beiden Rektoren, den Schuldiener und den Heizer – rechts ein Gebäude für die Turnhalle, dem in halber Tiefe jedoch ein Obergeschoss mit einem Saal für eine städtische Lesehalle hinzugefügt worden ist. Beide Bauten werden durch eine Mauer verbunden, in deren Mitte ein kleines Thorgebäude angeordnet ist. Hinter der Turnhalle bezw. in der nördlichen Ecke hinter dem Schulgebäude liegen die Aborte für Knaben und Mädchen.

Berliner Neubauten 97 - Das Gemeinde-Doppelschulhaus in der Glogauer-Strasse 12-16
Berliner Neubauten 97 – Das Gemeinde-Doppelschulhaus in der Glogauer-Strasse 12-16

Einer Beschreibung der äusseren Erscheinung der Gebäude entheben uns die mitgetheilten Abbildungen, zu denen nur bemerkt werden mag, dass die Mauerflächen in rauhem grauen Putz gehalten, die Portale, Fenster-Einfassungen und Giebel-Verzierungen dagegen aus Sandstein hergestellt, die Dächer einschl. desjenigen über dem Treppenthurm des Lehrerhauses in rothen Ziegeln gedeckt, die Thurmhauben und die beiden Entlüftungs-Laternen auf dem First des Schulgebäudes mit Kupferplatten bekleidet sind. Plastischer Schmuck ist nur an den Portalen und für die Giebel-Verzierungen angewendet. Dabei ist – wie auch in dem Schulgebäude an der Wilms-Str. – Werth darauf gelegt, dass bedeutungsloses Ornament und Allegorien von dem Volke unverständlicher Art möglichst vermieden, dagegen überall geistige Beziehungen heran gezogen wurden, um dem naiven Beschauer ein Interesse abzugewinnen, das über das Wohlgefällen an der künstlerischen Form hinausgeht. Die langsame Schnecke und Schildkröte, die fleissige Biene, der schlaue Fuchs, die aus Rosenranken hervorschauenden, jugendliche Frische athmenden Köpfe eines Knaben und eines Mädchens, das Bild der Frau Sonne usw. sind jedenfalls viel mehr geeignet, die jugendliche Phantasie zu beschäftigen und anzuregen als Akanthus-Ranken und Palmetten mit griechischen Götter-Typen.

Auch in dem sehr einfach gehaltenen Inneren des Schulgebäudes, dessen Holzgeräth durchweg in rother Farbe gestrichen ist, fehlt es nicht an ähnlichen sinnigen Beziehungen, die insbesondere in den als Bekrönung der Wände aufschablonirten Friesen sich aussprechen.

Das Ganze eine künstlerische Schöpfung, in der die reife Sicherheit eines zielbewussten Meisters sich ausspricht. Fasst man mit diesem Bau zugleich jene oben erwähnte, aus dem gleichen Geist aber in so wesentlich verschiedener Form gestaltete Schulanlage an der Wilms-Str. ins Auge, so wird man als Ziel des Architekten dasjenige erkennen, welches die besten baukünstlerischen Kräfte unserer Zeit zum Ideal sich erkoren haben: eigenartige Gestaltung jeder einzelnen Aufgabe aus den Bedingungen derselben heraus, volle Beherrschung der Form, aber Unterordnung derselben unter den geistigen Inhalt des Werkes. Die Stadt Berlin kann sich in der That Glück wünschen, einen Meister dieses Schlages und dieses Ranges für die Lösung der ihr obliegenden und für die Zukunft noch erwachsenden baukünstlerischen Aufgaben gewonnen zu haben. Zudem stehen die sparsamen Hausväter der Stadt, die früher von der Vorstellung beängstigt worden sind, dass eine freiere künstlerische Gestaltung der städtischen Bauten mit unerschwinglichen oder doch wenigstens unverantwortlichen Mehrausgaben verknüpft sei, vor der überraschenden Thatsache, dass die Kosten dieser beiden ersten Bauausführungen ihres gegenwärtigen Architekten innerhalb der durch die frühere Bauthätigkeit desselben Gebietes ermittelten Durchschnitts-Sätze sich halten.

Berliner Neubauten 97 - Das Gemeinde-Doppelschulhaus in der Glogauer-Strasse 12-16
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Als Gehilfen haben Hrn. Brth. Hoffmann bei Aufstellung des Entwurfes die Hrn. Stadtbmstr. Matzdorff und Arch. Kühn zurseite gestanden, während die Ausführung durch Hrn. Städtbauinsp. Neumann und Arch. Knütter bewirkt ist. Die Bildhauerarbeiten hat nach Modellen von H. Giesecke Bildhauer Schwarz in Stein gemeisselt, die Malerarbeiten die Firma M. J. Bodenstein besorgt. Von den sonstigen Ausführenden seien noch H. Steubel f. d. Maurerarbeiten, G. A. L. Schultz & Co. f. d. Zimmerarbeiten und die FirmaWimmel & Co. f. d. Steinmetzarbeiten genannt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 11.08.1900 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „- F. -“.