Die deutschen Fabrik- und Gewerbeinspektionen

im 50. Jahr ihrer Tätigkeit. Von Dr. Walter Adelsdorff (Heidelberg).
Das deutsche Fabrik- und Gewerbeinspektionswesen sieht nunmehr auf eine 50jährige Tätigkeit zurück.

Das preußische Gesetz vom 16. Mai 1853 schuf es. In der ersten Hälfte des Jahres 1854 wurden für einige stark Industriereiche Gegenden Preußens drei Beamte kommissarisch eingestellt. Die erste Instruktion wurde am 10. Juni 1854 von dem Regierungsbezirk Düsseldorf für dessen Fabrikinspektor erlassen. Es folgten weitere Instruktionen für Arnsberg und Aachen. Paragraph 11 des Gesetzes sagt zu Beginn: “Die Ausführung dieser Bestimmungen soll, wo sich dazu ein Bedürfnis ergibt, durch Fabrikinspektoren als Organe der Staatsbehörden beaufsichtigt werden.” – In den folgenden beiden Jahrzehnten lag wohl anscheinend ein Bedürfnis zur Vermehrung der Aufsichtsbeamten auch für andere Industriezentren nur in geringem Maß vor, denn erst 1875 finden wir zehn preußische Fabrikinspektoren angestellt. – Die Zunahme des Gewerbeaufsichtspersonals für die vier Königreiche und Deutschland zusammen ergibt sich aus folgenden Zahlen; Im Jahr 1855 hatte in Deutschland nur Preußen 3 Gewerbeinspektoren. Im Jahr 1901 aber zählen wir in Preußen 226, in Bayern 20, in Sachsen 42 und in Württemberg 56 Gewerbeaufsichtsbeamte.

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Seit der Neuordnung der Reichsgewerbeordnung im Jahr 1891 und den bald zahlreich erlassenen Sonderbestimmungen des Reichs und der Landesbehörden für einzelne Betriebsarten, durch die die Tätigkeit für diese Beamten außerordentlich erweitert wurde, ist das Tempo in der Zunahme der Fabrik. und Gewerbeinspektoren besonders rasch geworden.

Zwei Hauptmomente bedingten diese starke Vermehrung des Aufsichtspersonals: erstlich das rapide Anwachsen der Zahl der Gehilfenbetriebe (besonders auch der Großbetriebe) und die dadurch notwendig gewordene erhöhte Inspektionstätigkeit; zweitens die umfangreiche Verwendung der Gewerbeaufsichtsbeamten zu verschiedensten Arbeiten sozialpolitischer Art.

“Den Fabriken gleichgestellte Anlagen” heißen für 1901 noch alle solche Betriebe, für die auf Grund des § 120e der Gew.-Ordn. besondere Vorschriften erlassen worden sind.

Hierher gehörten z. B. alle Buchdruckereien, auch solche, die zweifelsohne ihrer Natur nach handwerkmäßig betrieben wurden. – In den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1902 sind die den Fabriken nicht gleichgestellten Anlagen ausgeschieden, aber leider nicht besonders angeführt worden, so daß z. B. für Preußen die Zahl der Fabriken und der nunmehr diesen gleichgestellten Anlagen von 135 390 auf 99 000 gesunken ist.

Eine stetig wiederkehrende Statistik dieser jetzt fortgelassenen, mit Sondervorschriften belegten, sowie aller übrigen handwerkmäßigen Betriebe wäre schon zur richtigen Erkenntnis und Beurteilung des stets zunehmenden Arbeitsgebiets der Gewerbeaufsichtsbeamten – nur in Bezug auf die Inspektionen der Anlagen selbst – sehr wünschenswert, ganz abgesehen von den zahlreichen sozialstatistischen Momenten, die solche Tabellen wertvoll machen. Die handwerkmäßigen Betriebe gerade erfordern nicht selten wiederholte Revisionen, da technische oder hygienische Schutzvorschriften aus pekuniären Gründen oft weniger schnell und sachgemäß als in größeren Anlagen zur Ausführung gelangen.

Bezüglich der Revisionstätigkeit aber ist das Arbeitsfeld der Gewerbeaufsichtsbeamten bei weitem nicht erschöpft; diese Haupttätigkeit der Beamten muß vielmehr seit einer Reihe von Jahren gegenüber andern dringlichen Aufgaben nicht unwesentlich zurücktreten.

Wodurch werden nun die Revisionen der Gewerbeaufsichtsbeamten hauptsächlich zurückgedrängt? Da sind zunächst die Bestimmungen der §§ 105a und b, Absatz 1, 105c bis h, die Sonntagsruhe betreffend, zu erwähnen, die neben den Sonntagsrevisionen zahlreiche Begutachtungen der Aufsichtsbeamten erfordern, ferner die Kontrolle über die Arbeitsordnungen, ein Gebiet, das heute bereits eine umfangreiche Spezialliteratur aufzuweisen hat; Einsicht in die Lohnzahlungsbücher, in die seit 1. April 1903 in der Kleider und Wäschekonfektion eingeführten Lohnbücher oder Arbeitszettel ist zu nehmen, und die Kontrolle über die Beschäftigung der jugendlichen Arbeiter beiderlei Geschlechts sowie der der wachsenen weiblichen Personen ist auszuüben.

Von den durch das Reich erlassenen Sonderbestimmungen seien nur die über die Einrichtung und den Betrieb der Buchdruckereien und Schriftgießereien, die Bekanntmachung betreffend die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar- und Borstenzurichtereien sowie der Bürsten- und Pinselmachereien und endlich die Verordnung, die Werkstätten der Kleider- und Wäschefabrikation betreffend genannt. Die Begutachtung der zahlreichen Unfalluntersuchungen – in Preußen wurden 1902 deren 9166 vorgenommen – nehmen ebenfalls die Zeit der Gewerbeinspektoren erheblich in Anspruch, da nicht selten auch noch wiederholt Termine wahrzunehmen sind.

Seit einer Reihe von Jahren endlich werden die Gewerbeinspektionen vom Reichskanzler mit Sondererhebungen beauftragt. Erinnert sei nur an die Erhebungen über die Tage der verheirateten Frauen in Fabriken, über die Verhältnisse in den Schlächtereien, über die hygienische Lage der in Kellerwerkstätten beschäftigten Tapezierer und Polsterer und an die jüngsten Erhebungen über die Dauer der täglichen Arbeitszeit der in Fabriken beschäftigten Arbeiterinnen über 16 Jahre und über die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit einer weiteren Herabsetzung der gegenwärtig zulässigen Dauer ihrer täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden.

Noch andere umfassende Arbeiten gehören heute in das Bereich der Gewerbeinspektionen und müssen hier wenigstens aufgeführt werden; so in einzelnen Bundesstaaten die jährlich zu erstattenden Berichte an die Handelskammern über die industrielle Lage in dem betreffenden Aufsichtsbezirk, Gutachten für Handwerks- und Gewerbekammern, z. B. über den stets strittigen Punkt: welcher Betrieb charakterisiert sich als handwerksmäßig und welcher als Fabrik. Auch seien die Berichte über in Vorbereitung begriffene gesetzliche Bestimmungen auf dem Gebiet der Hygiene, des Arbeiterschutzes usw. erwähnt, die nicht selten wieder in einzelnen Bundesstaaten zu Spezialerhebungen Veranlassung geben. Auch Konferenzen mit der Baupolizei, der Inspektion des Feuerlöschwesens, der Gewerbepolizei erscheinen bisweilen zwecks Durchführung der gesetzlichen Vorschriften geboten.

Doch genug aus dem reichen Arbeitsgebiet der Gewerbeinspektionen, deren Zahl sich im letzten Jahrzehnt mehr als vervierfacht hat.

Kann man mit der Neugestaltung der Reichsgewerbeordnung im Jahr 1891 und dem gleichzeitigen energischen Einsetzen des Arbeiterschutzes eine zweite Stufe der sozialpolitischen Gesetzgebung erkennen, so stehen wir heute beim Inkrafttreten des Kinderschutzgesetzes einer bedeutsamen legislatorischen Tat, an der Schwelle einer dritten Epoche in dieser Entwicklung; ein erster segensreicher Eingriff in das Familienleben findet statt. – Hier wird der Aufsichtsbeamte durch die deutsche Lehrerschaft tatkräftige Unterstützung finden, haben sie doch vor allem bei der Schaffung dieses Gesetzes mitgeholfen. – Ein buntes Bild mannigfacher bedeutsamer Arbeiten ist an uns vorübergezogen, die unsern deutschen Gewerbeaufsichtsbeamten zugewiesen sind; ihre Jahresberichte dienen seit einer Reihe von Jahren als wertvolles Hilfsmittel zur Ergründung zahlreicher wirtschafts- und sozialpolitischer Erscheinungen.

So können wir denn mit vollem Recht der Ansicht Wilhelm Roschers in seinem System beipflichten, daß es wenig Aemter gibt, die in der Hand eines tüchtigen Mannes mehr Segen stiften können als das eines Fabrikinspektors! Denn je mehr er sich seiner Aufgabe bewußt ist, je ernster er sie zu lösen sucht, um so mehr wird er in der Lage sein, die Weiterbildung der sozialpolitischen, insbesondere der Arbeiterschutzgesetzgebung zu fördern.

Dieser Artikel erschien zuerst 1904 in Die Woche. Das Bild ist ein 5 Mark, Preußen, Bild von A_Different_Perspective auf Pixabay, der Originalartikel war nicht bebildert.