Ein moderner Großbetrieb

Flöha, 1905 – Die Firma E. J. Clauß Nachf. Baumwollfeinspinnerei und Zwirnerei in Plaue bei Flöha in Sachsen wurde im Jahre 1809 von der Familie Clauß in kleinem Umfange gegründet und ist somit die älteste, noch im Betrieb befindliche Spinnerei Sachsens wie überhaupt eine der ältesten Deutschlands.

Sie befaßt sich seit dieser Zeit mit der Fabrikation von Extra Prima und Prima Maco (ägyptischen) Baumwollgarnen für die Strumpf· und Trikotagenfabrikation, wozu im Jahre 1891 noch die Herstellung von Prima Maco- und Sea Island Zwirnen und Flors (gasierten Zwirnen) Trikotagen-, Tüll und Posamentenfabrikation sowie für die Stickerei und Weberei aufgenommen wurde.

Alte Fabrik im Vordergrunde

Derzeitige Inhaber der Firma sind seit 1. April 1890 Frau Magdalene, verw. Stadtrat Clauß in Chemnitz – die Witwe des im Jahre 1889 verstorbenen Reichstagsabgeordneten Ernst Otto Clauß in Chemnitz, welcher der nationalliberalen Partei des Reichstages von 1887 bis 1889 angehörte, und dem die Stadt Chemnitz zum dankbaren Gedächtnis für seinen in hervorragender Weise betätigten Wohltätigkeitssinn ein Denkmal im Stadtpark errichtet hat – sowie dessen Sohn, Herr Ernst Stephan Clauß, der das Unternehmen zugleich für seine Mutter leitet.

Mitinhaber der Firma, Herr Clauß

Zuerst mit der Hand und dann mit Wasserrad betrieben, erhielt die Spinnerei im Jahre 1861 die erste Dampfmaschine aus England. Die früher im Gebrauch gewesenen Handspinnmaschinen wurden in den 60er Jahren nach und nach durch Selfactoren ersetzt.

Die stetig fortschreitende Entwicklung dieses Unternehmens wird am besten durch die enorme Zunahme der Spindelzahl veranschaulicht. Von wenig über 8000 im Jahre 1830 ist die Anzahl der Spindeln bis zum Jahre 1905 fast auf das Achtfache gestiegen, und zwar waren 61, 298 Spindeln, davon 14, 590 Zwirnspindeln im Betrieb. Um diese riesige Vergrößerung es Betriebes durchzuführen, waren natürlich von Zeit zu Zeit umfangreiche Erweiterungsbauten erforderlich von denen der letzte, soeben beendete eine vollständig selbständige Spinnerei- und Zwirnerei-Anlage mit besonderer Kohlenhalle, eigenem Kesselhaus mit Schornstein und Maschinenhaus für sich ist. Diese Neubauten bedeuten eine weitere außerordentliche Steigerung der Leistungsfähigkeit der Firma E. J. Clauß Nachf., die nunmehr über 105, 298 Spindeln verfügt. Die Jahresproduktion ist entsprechend der Vergrößerung des Betriebes gewaltig gestiegen. Während sie im Jahre 1903 schon die gewaltige Höhe von 845,090 kg erreichte, wird sie im laufenden Jahre nach vollständiger Inbetriebnahme der Neuanlagen sich auf nicht weniger als 1, 400, 000 kg bringen lassen.

Gesamtansicht

Bei der Firma werden heute Garne aus ägyptischer, also Maco- Baumwolle bis Nr. 120 und unter Verwendung von Sea-Island Baumwolle sogar bis 200 hergestellt – das Unternehmen führt daher mit Recht die Bezeichnung einer Feinspinnerei. Als Betriebskräfte dienten bisher eine 1000 PS Dreifach-Expansions-Maschine, eine 600 PS Compound-Expansions-Maschine und eine ca. 300 PS Wasserkraft. Zu diesen betriebsmaschinellen Anlagen ist nun infolge der eben fertig gestellten Neubauten noch eine weitere in Gestalt einer 3000 PS Expansions-Maschine, erbaut von der Firma Gebruder Sulzer in Winterthur, hinzugekommen.

Die Firma E. J. Clauß verfügt jetzt über eine Betriebskraft, wie sie in textilndustriellen Etablissements Deutschlands zu den Seltenheiten gehört. Es umfaßt infolge dessen auch die Dampfkesselanlage die stattliche Anzahl von 16 Kesseln. Die vorstehend geschilderten Tatsachen besagen mehr als alles andere, daß es der Firma E. J. Clauß Nachf. während einer beinahe 100 jährigen Betriebszeit gelungen ist, sich durch fortgesetzten Ausbau zu einem der angesehensten Unternehmen seiner Art in Deutschland herauf zuarbeiten; denn es gibt bekanntlich nur wenige gleichgroße Etablissements in der deutschen Spinner Branche die sich lediglich mit der Bearbeitung von Maco-Baumsmwolle befassen.

Maschinensaal – Ansicht von hinten

Insbesondere gebührt der Firma E. J. Clauß Nachf. das unbestrittene Verdienst, die früher eine alleinige Domäne der Engländer bildende Fabrikation von Florgarnen, in denen sie heute den größten Umsatz unter den deutschen Spinnern aufzuweisen hat, zuerst in Deutschland eingeführt zu haben, eine Errungenschaft, die den der gesamten Florgarn verbrauchenden Industrie Deutschlands mit großer Befriedigung begrüßt worden ist, und die selbst bei der deutschen Spinner Konkurrenz rückhaltlose Anerkennung gefunden hat.

Jetzt, nach Fertigstellung ihrer Neubauten beabsichtigt die die Firma einen Schritt weiter zu gehen und auch die Herstellung feiner Gardinen- und Webzwirne, die bisher ausschießlich von England bezogen werden mußten, aufzunehmen und so abermals ein neues Gebiet der deutschen Spinnerei zu eröffnen.

Maschinensaal – Ansicht von vorne

Daß die Firma E. J. Clauß Nachf. hinsichtlich der Wohlfahrts-Einrichinngen zugunsten ihrer Arbeitnehmer nicht im Rückstande geblieben ist, sondern auch für die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung jederzeit volles Verständnis gehabt hat, bedarf bei der vorstehenden Schilderung gewiß keiner besonderen Erwähnung. Außer einer Badeanstalt für die Angestellten – die Firma beschäftigt nicht weniger als 1100 Arbeiter – und einer Kinderbewahranstalt für die Beaufsichtigung der Kinder des Personals bis zu ihrem Eintritt in die Schule, bestehen eine Invaliditäts-, Witwen- und Waisenkasse und eine Stiftung der Seniorin, Frau Stadtrat Clauß, zur Gewährung von Beihilfen bei der Ausstattung weiblicher Arbeitnehmer.

Neues Maschinenhaus

Auch auf dem Gebiet des Feuerlösch- und Rettungswesens hat die Firma mit den Erfordernissen der Neuzeit Schritt gehalten indem sie schon seit seit länger als 10 Jahren eine sich aus den Arbeitnehmern rekrutierende, etwa 90 Mann starke wohldisziplinierte und bestorganisierte Feuerwehr unterhält die mit allen modernen Gerätschaften und Rettungsutensilien einer Berufsfeuerwehr ausgestattet ist, die Feuerwehr dient nicht nur des eigenen Etablissements und des eigenen Ortes sondern steht auch den umliegenden Ortschaften bei Feuersgefahr zur Verfügung.

Alte Fabrik im Vordergrunde

So gebührt der Firma E. J. Clauß ebensowohl der Ehrentitel einer Bahnbrecherin auf dem Wege des industriellen Fortschritts wie auch das nicht hoch genug zu de Verdienst mit weitausschauendem Blick dem Zuge der Zeit auf dem Gebiete sozialer Fürsorge Rechnung getragen zu haben, so bildet sie ein allseitig hochgeachtetes und bestrenommiertes Wahrzeichen der vaterländischen Industrie, so wohl zufolge ihres ehrwürdigen Alters, als auch wegen ihres jederzeit an den Tag gelegten Unternehmensgeistes und der damit verbundenen erfolgreichen Entwicklung für deren weiteres Anhalten die tatkräftige Testung dieses modernen Großbetriebes eine sichere Bürgschaft ist.

Dieser Artikel erschien zunächst im Jahre 1905 in Die Woche. Die Bilder wurden nachcoloriert.