Süddeutsche Magnaten

Nirgends bot vor hundert Jahren die Weltkarte einen bunteren Anblick als im südlichen Deutschland. Hier drängten sich auf verhältnismäßig engem Raum die Territorien der weltlichen und geistlichen Fürsten, der Grafen, freien Herren und Reichsstädte, kaleidoskopartig ineinander sich schiebend.

Die napoleonischen Kriege vereinfachten das Bild gründlich, und als nach dem Sturz des Imperators der Wiener Kongreß an eine Revision der Weltlage ging, blieb es im wesentlichen bei dem neugeschaffenen Zustand. Den ihrer Souveränität beraubten Grafen und Fürsten aber, deren Gebiete als Standesherrschaften unter die Hoheit der größeren Staaten getreten waren, wurden als Entschädigung besondere Vorrechte verliehen, deren vornehmstes darin bestand, daß ihnen die Ebenbürtigkeit mit den regierenden Familien bestätigt ward.

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So wurden diese „Mediatisierten“, wie man sie noch heute nennt, aus Duodezmonarchen, deren Scheinherrschaft so oft den Gegenstand des Spottes gebildet hatte, vornehme, reiche Magnaten, die in den ihnen übergeordneten Staaten in mancher Hinsicht, namentlich durch die ihnen für ihre familienrechtlichen Verhältnisse gewährleistete Autonomie, eine bevorzugte Sonderstellung einnehmen und auch meist Träger der obersten Würden des Hofes sind.

Besonders groß ist die Zahl der in Bayern heute angesessenen ehemals reichsständischen Fürsten und Grafen. Den Sommer auf ihren Schlössern, den Zeugen einer langen, stolzen Vergangenheit, verbringend, verleben sie meist den Winter in München und erhöhen den Glanz des bayrischen Hofes durch ihre Repräsentation. Bei feierlichen Gelegenheiten, den Hochzeiten im Königshaus, dem jährlich wiederkehrenden Fest des Sankt Georg Ordens, der Neujahrscour und dem großen Hofball, entfaltet sich im Münchner Königsschloß eine Pracht, die den Vergleich mit andern Höfen nicht zu scheuen braucht und sich in den etwas steifen, aber durchaus nicht unschönen Formen des alten spanischen Hofzeremoniells bewegt.

Fürst Albrecht zu Oettingen-Spielberg

An diesen Tagen walten die Hofchargen ihres Amtes. Sie sind, wie in Preußen, in verschiedene Klassen eingeteilt, deren oberste die „Großbeamten der Krone“ bilden. Zu ihnen gehört das Haupt des fürstlichen Hauses Oettingen, Fürst Albrecht zu Oettingen-Spielberg (Porträt). Er hat die in seinem Geschlecht erbliche Würde eines „Kronobersthofmeisters des Königreichs Bayern“ inne. Das Stammland der Fürsten Oettingen liegt im Riesgau, dem von Nördlingen nordwärts bis Donaubühl sich hinaufziehenden, an geschichtlichen Erinnerungen überreichen Landstrich, an dessen mannigfachen Merkwürdigkeiten und Schönheiten der Fremdenstrom achtlos vorüberzieht und der sich diese auch im Zeitalter der Eisenbahnen – im Ries kennt man nur die richtige, gemütliche Klingelbahn – bewahren konnte. Die Residenz des Fürsten ist Oettingen, ein betriebsames Landstädtchen mit einem schönen Schloß im Empirestil, das ein weitläufiger Park umgiebt. Diesen Sitz vertauscht der Fürst im Winter mit seinem Münchner Palais, einem der geschmackvollsten Privatgebäude der bayrischen Hauptstadt. Fürst Albrecht Oettingen steht im 54. Lebensjahr und ist mit der Prinzessin Sofie Metternich vermählt, die von ihrer Mutter, der Fürstin Pauline, regen Wolhtätigkeitssinn und ein lebhaftes Interesse für Litteratur und Kunst geerbt hat.

Fürst Albert von Thurn und Taxis

Großbeamter der bayrischen Krone, wie der Fürst Oettingen, ist Fürst Albert von Thurn und Taxis (Porträt) als Kronoberstpostmeister, ein Titel, der an die Rolle erinnert, die seine Vorfahren Jahrhunderte hindurch als Leiter des deutschen Postwesens gespielt haben. Als die Entwicklung des Verkehrs es notwendig machte, das in den meisten deutschen Staaten dem Hause Taxis vertragsmäßig überlassene Postmonopol aufzuheben, konnte dies natürlicherweise nicht ohne angemessene, zum Teil außerordentlich hohe Entschädigungen geschehen, die die Taxis zu den reichsten Fürsten Bayern machten. So erhielten sie damals – 1819 – von Preußen das Fürstentum Krotoschin, mit dem ein erblicher Sitz im Herrenhaus verbunden ist. Vor anderthalb Jahrhunderten verlegten sie ihren Wohnsitz von Frankfurt am Main nach Regensburg, und so ist ihre Geschichte mit der dieser Stadt allmählich eng verwachsen. Wenn man den Fürsten im prächtigen, aus dem Sattel gefahrenen Viererzug, die Jockeys und Lakaien in purpurroten Röcken, aus dem Hof seines stattlichen Schlosses kommen und durch die Straßen Regensburgs fahren sieht, könnte man sich einem wirklichen Landesherrn gegen über wähnen. Der gegenwärtige Chef des Hauses, der 33 jährige Fürst Albert von Thurn und Taxis, liebt es, nach außen hin glänzend aufzutreten. Er hat einen förmlichen Hofstaat, Oberstallmeister, Hofmarschall, Hofdame und Kavalier, und der Stil seiner Hofhaltung, die Korrektheit seiner Gespanne, die Livreen seiner Dienerschaft gelten Kennern derartiger Dinge als mustergiltig. Für seine eigene Toilette, behauptete einmal ein französisches Blatt, verwende er jährlich 75 000 Frank – eine Bagatelle im Verhältnis zu seinem Einkommen, aber immerhin eine recht artige Summe. Fürst Taxis ist durch seine Mutter, die eine Schwester des Herzog Karl Theodor und der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich war, dem bayrischen, durch seine Vermählung mit der Erzherzogin Margarethe, einer Tochter des Erzherzogs Josef, dem österreichischen Herrscherhaus nahe verwandt.

Residenzschloss des Fürsten Albert von Thurn und Taxis in Regensburg

Die Rolle der Fürsten Taxis spielen in Augsburg die Fürsten Fugger, die Abkömmlinge jener von einfachen Webern zu Beherrschern des Weltmarktes gewachsenen Handelsherren, denen die altehrwürdige Reichsstadt Augsburg nicht den geringsten Teil ihres Blühens und Gedeihens im Mittelalter verdankte. Die Zeiten haben sich gewandelt. Augsburg ist nur mehr eine Provinzstadt ohne die internationale Bedeutung, die sie im Mittelalter gewonnen hatte, und die fabelhaften Reichtümer ihrer Ahnherrn stehen den jetzigen, ziemlich zahlreichen Sprossen des Fuggerschen Stammes nicht mehr in diesem Maß zu Gebot. Die Familie teil sich in mehrere Linien und Aeste.

Fürst Karl zu Fugger-Babenhausen

Haupt des fürstlichen Zweiges ist der Fürst Karl zu Fugger-Babenhausen (Porträt), geboren am 4. Februar 1829, der erst im vorgerückten Alter, als Erbe eines kinderlosen älteren Bruders, die Fürstenwürde erlangte, nachdem er lange Jahre im österreichischen Militär- und Hofdienst zugebracht hatte. Drei Jahre lang war der Fürst, von 1890-93, auch Präsident der ersten bayrischen Kammer.

Schloss Wellenburg bei Augsburg, Sommersitz des Fürsten Karl zu Fugger-Babenhausen

Nicht weit von Wellenburg und Babenhausen, den Schlössern des Fürsten Fugger, nahe bei Augsburg, liegt Schloß Waal, der Sitz des Fürsten Erwein von der Leyen und zu Hohengeroldseck (Porträt). Dessen Geschlecht gelangte erst spät nach Bayern. Seine Wiege stand im gesegneten Weinland, zwischen Rhein und Mosel, und noch heute nennt es dort verschiedene Güter sein eigen, während es in Baden die Herrschaft Hohengeroldseck besitzt. Diese brachte dem Urgroßvater des jetzigen Fürsten 1806, indem er dem Rheinbund beitrat, den Fürstenhut und die Souveränität. Dem Protektor des Rheinbundes, Napoleon I., trat der erste Fürst Leyen durch die Heirat seiner Tochter mit dem Grafen Tascher de la Pagerie, einem Vetter der Kaiserin Josefine, dann auch verwandtschaftlich nahe. Dieser Umstand war wohl nicht ohne Einfluß auf die Entscheidung des Wiener Kongresses, als dieser dem neugeschaffenen Fürstentum die Souveränität wieder absprach. Der gegenwärtige Fürst Erwein von der Leyen steht im 38. Lebensjahr und ist mit einer Schwester des Fürsten Salm-Dyck verheiratet.

Fürst Erwein von der Leyen

Das den mediatisierten Standesherrn verliehene Recht der Ebenbürtigkeit ermöglichte vor zwei Jahren die Vermählung des Grafen Hans Veit zu Törring-Jettenbach (Porträt), dessen Familie zu den ältesten Oberbayerns zählt, mit einer Tochter des Wittelsbachschen Königshauses, der Herzogin Sophie in Bayern. Graf Törring ist am 7. April 1862 zu Augsburg geboren, während seine Gemahlin im 27. Lebensjahr steht. Dieser Ehebund, der im Juli 1895 in München geschlossen wurde, ist nicht nur im ganzen bayrischen Land sehr populär, sondern auch ein sehr glücklicher geworden.

Hans Veit Graf zu Törring-Jettenbach

Die Geschichte der Grafen Pappenheim verliert sich, wie die der Törring, im Dunkel der Vorzeit. Als Erbmarschälle des heiligen Römischen Reiches spielten sie bei den Kaiserkrönungen eine wichtige Rolle, die kein Geringerer als Goethe in „Wahrheit und Dichtung“ geschildert hat. Das Städtchen Pappenheim bei Eichstätt ist einer der anziehendsten Punkte Mitteldeutschlands und die mächtige Ruine des im 30jährigen Krieg zerstörten Stammschlosses das Ziel vieler Touristen. Der regierende Graf Ludwig zu Pappenheim, der in demselben Alter wie Graf Törring steht, gehört sowohl dem preußischen Heer als Hauptmann a. D., zuletzt des Augustaregiments, wie dem bayrischen als Hauptmann la suite an, wie unsere Bilder ihn zeigen.

Graf Ludwig zu Pappenheim
Graf Pappenheim als bayrischer Hauptmann

Im Königreich Württemberg nehmen unter den mediatisierten Herren die Fürsten Hohenlohe und Waldburg die erste Stelle ein. Beider Familien sind sehr reich an Mitgliedern und in viele Zweige geteilt.

Fürst Johannes zu Hohenlohe-Bartenstein

Der Fürst Johannes zu Hohenlohe (Porträt oben) ist das Haupt der Linie Bartenstein, so genannt nach dem gleichnamigen Schloß, das im Jagstkreis nahe bei Schillingsfürst, Oehringen, Langenburg und Waldenburg liegt, nach denen die andern Linien sich bezeichnen. Fürst Johannes Hohenlohe hat sich vor kurzem mit der Erzherzogin Anna Maria von Oesterreich-Toskana vermählt, die nun als Schloßherrin an der Seite des jungen Fürsten in Bartenstein residiert.

Fürst Wilhelm von Waldburg-Zeil

Fürst Wilhelm von Waldburg-Zeil-Trauchburg (Porträt) hat in der Politik seines Heimatlandes keine unbedeutende Rolle gespielt, indem er längere Zeit als Präsident in der württembergischen Kammer der Standesherren den Vorsitz führte, während der Fürst Eberhard II. von Waldburg-Zeil-Wurzach als Senior des Gesamthauses Waldburg – er ist am 17. Mai 1828 geboren – die Würde eines Reich-Erb-Oberhofmeisters des Königreichs Württemberg bekleidet.

Fürst Wilhelm von Waldburg- Zeil, der im 66. Lebensjahr steht, ist seit 1889 in zweiter Ehe mit Prinzessin Marie von Thurn und Taxis verheiratet.

Fürst Eberhard II. von Waldburg (Portr.) ehemals österreichischer Major, ist mit einer Schwester der allbekannten österreichischen Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach, der böhmischen Gräfin Julie Dubsky, vermählt.

Fürst Eberhard II. von Waldburg

Fürst Max Egon zu Fürstenberg, der begütertste Standesherr Badens, zu dessen Herrscherhaus er auch, als Enkel einer badischen Prinzessin, in nahem Verwandtschaftsverhältnis steht, verlebte seine Jugend auf den böhmischen Gütern seines Hauses, bis ihn der plötzliche Tod seines Vetters, des Fürsten Karl Egon, 1896 zu dessen Nachfolger berief.

Max Egon Fürst zu Fürstenberg und Fürstin Irma

Der Fürst, der gegenwärtig im achtunddreißigsten Lebensjahr steht, ist seit dem 19. Juni 1889 mit Irma Gräfin von Schönborn-Buchheim vermählt. Unser Bild zeigt das fürstliche Paar.

Residenzschloss des Fürsten Max Egon zu Fürstenberg in Donaueschingen

Der Mittelpunkt der herrlichen Fürstenbergschen Besitzungen in Baden ist das malerische Städtchen Donaueschingen. Dort, im Park des schönen fürstlichen Residenzschlosses, das inmitten herrlicher Gartenanlagen gelegen ist und das untenstehende Abbildung wiedergiebt, befindet sich die allerdings vielfach bestrittene Donauquelle.

Fürst Franz Josef zu Isenburg-Birstein
Graf Gustav zu Erbach-Schönberg

Fürst Franz Josef zu Isenburg-Birstein und Graf Gustav zu Erbach-Schönberg (Porträts) sind die beiden Häupter der wichtigsten standesherrlichen Familien des Großherzogtums Hessen.

Der erstere, Fürst Isenburg, ist als Sohn einer Erzherzogin von Oesterreich-Toskana, Graf Erbach-Schönberg als Gemahl der Prinzessin Marie von Battenberg und dadurch, daß sein Sohn, Erbgraf Alexander, kürzlich seine Heirat mit der Prinzessin Elisabeth von Waldeck (Schwester der verwitweten Königinmutter Emma der Niederlande) feierte, vielen regierenden Familien und fürstlichen Häusern Europas verwandt.

Mit Recht haben die „Mediatisierten“ oder ehemals Reichsunmittelbaren neben gewissen Sonderrechten, die ihnen unter anderm das Recht der persönlichen, erblichen Standschaft in den Landesvertretungen der Staaten, denen ihre Besitzungen einverleibt waren, sicherten, ihr Ebenbürtigkeitsrecht immer als ihr kostbarstes Privileg betrachtet und behütet.

Diesem Ebenbürtigkeitsrecht haben sie es zu danken, wenn sie, trotz des Verlustes ihrer Selbständigkeit, sich im Grunde die Zugehörigkeit zu der großen Gesamtfamilie der souveränen europäischen Dynastien bewahrt haben, mit denen sie meist durch verwandtschaftliche Bande verknüpft sind, und so thatsächlich eine „mediate“ Stellung zwischen der Krone und der breiten Masse der vom Schicksal nicht so bevorzugten Staatsbürger genießen.

Diesr Artikel von „L. von Nordegg“ erschien zuerst am 22.04.1901 in Die Woche.