Das neue Stadttheater in Göttingen

Architekt G. Schnitger in Berlin. Nachdem das alte Theater in Göttingen vor einigen Jahren dem Schicksal der meisten Theater, einer gänzlichen Zerstörung durch Feuer, anheim gefallen war, schritt man im Jahre 1887/88 zum Bau eines neuen Stadttheaters.

Es ist für die kleineren Städte immerhin mit grossen Schwierigkeiten verbunden, die hohen Kosten eines derartigen Baues (im vorliegenden Falle 350 000 M.) aufzubringen; jedoch fanden sich, dank der Unterstützung des Hrn. Ober-Bürgermeisters Merkel, mehre thatkräftige Bürger bereit, eine bedeutende Summe aus eigenen Mitteln zum Zwecke eines Theaterbaues herzugeben. Ein weiterer Theil der Baukosten, im Betrage von 140000 M., wurde durch Vermittelung Sr. Durchlaucht des Fürsten von Bismarck aus dem Welfenfonds bereit gestellt; die Restsumme ist aus der Stadtkasse bestritten worden.

Grundriss

Die in den beigegebenen Abbildungen dargestellte Anlage, deren Flächeninhalt 1074 qm beträgt, enthält 770 Sitzplätze. Die Hauptzugänge der Zuschauer sind an der Vorderseite des Hauses angeordnet. Vom Kassen-Vestibül, welches sämmtliche Besucher durchschreiten müssen, führen in der Hinterwand, neben der Kasse, 2 Thüren zum Parquet; links betritt man die Treppe zum I. Rang; rechts die Treppe zum II. Rang und zur Galerie. Als Ausgangs-Oeffnungen sind für das Parquet ausser den 2 Thüren zum Vestibül noch 2 Seitenthüren angeordnet, die unmittelbar ins Freie führen. Die Ausgänge sind in der Breite so bemessen worden, dass auf rd. 44 Personen 1 m Thürbreite kommt. Der I. Rang besitzt ausser der Haupttreppe eine 2. Treppe als Nebenausgang und es sind auch hier die Thür-Oeffnungen so bemessen, dass auf rd. 34 Personen ein 1 m breiter Ausgang zu rechnen ist. Eine zweite Nothtreppe steht für die Besucher des II. Rangs und der Galerie neben der Haupttreppe zur Verfügung. Sämmtliche Treppen und Ausgänge sind so angelegt, dass bei etwaiger Feuersgefahr die Zuschauer nach verschiedenen Seiten entweichen können, ohne dass ihre Wege sich kreuzen. Bei normalen Verhältnissen findet daher die Entleerung des Hauses in etwa 3-4 Min. statt. Für den Zugang und Austritt des Bühnenpersonals sind 2 besondere Treppenhäuser an der Hinterseite des Hauses angelegt.

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Die Grundriss – Anordnung des letzteren bedarf im übrigen nur noch geringer Erläuterungen. Neben dem Vestibül liegt unter der Treppe zum I. Rang die Polizeiwache, von der aus das Vestibül leicht übersehen werden kann. Im Untergeschoss ist die ganze Fläche unterhalb des Zuschauerraums zu einem, seitlich von Nischen-Abtheilungen umgebenen Restaurations-Tunnel eingerichtet worden.

Ein Buffet befindet sich ausserdem noch in dem oberhalb des Vestibüls liegenden Foyer des I. Ranges.

Das Bühnenhaus ist, abgesehen von der Bühnenöffnung, durch massive Mauern vom Zuschauerraum abgeschlossen. Sein Dach, die inneren Laufbrücken, sowie sämmtliche, die Bühne mit den Neben- und Garderoben-Räumen verbindenden Thüren sind aus Eisen, die Dekorationszüge aus Stahldraht hergestellt. – Um bei etwaiger Feuersgefahr den entstehenden Rauch sofort abzuleiten, ist im Dache eine Oeffnung von rd. 4 qm Grösse angelegt, welche oberhalb des Daches mit einem Dachreiter überbaut ist. Die für gewöhnlich geschlossene Oeffnung ist so eingerichtet, dass sie von der Bühne aus durch eine Schnur leicht geöffnet werden kann; falls dies versäumt werden sollte, würde bei einem auf der Bühne entstehenden Feuer die Schnur abbrennen und die Klappen würden sich alsdann selbstthätig öffnen.

Schnitt

Die Theater-Maschinerie ist von dem Kgl. Bayerischen Hoftheater – Ober – Maschinenmeister Lautenschläger in München entworfen und geliefert worden. Die Theater-Dekorationen sind ein wohl gelungenes Werk des Hoftheatermalers Mohrmann in Oldenburg.

Die Beleuchtung des Hauses erfolgt durch Gaslicht. Die von der Firma Rietschel & Henneberg in Berlin ausgeführte Heizung und Lüftung besteht aus 3 Heizstellen mit 4 Kaloriferen; davon dienen die vorderen für den Zuschauerraum und das Foyer, während die beiden hinteren für das Bühnenhaus und die Ankleideräume bestimmt sind. – Die Wasserversorgung sowie die Speisung der Löschvorrichtung erfolgt ans der städtischen Wasserleitung. Um ein etwa entstehendes Feuer sofort dämpfen zu können, sind auf jedem Range, in den Korridoren, sowie neben der Bühne auf den Korridoren, Treppen, Laufbrücken und Schnürböden Hydranten mit Schlauchhaspeln in grosser Anzahl angeordnet.

Die im Stile italienischer Renaissance ausgestalteten, ziemlich einfach behandelten, aber gerade darum ansprechenden Fassaden sind in ihrem architektonischen Gerüst aus Sandstein hergestellt, in den Flächen mit kantig behauenen Tuffsteinen bekleidet; das innere Mauerwerk ist in Ziegeln ausgeführt. Von den inneren Räumen haben der mit Stuckverzierungen und Malerei ausgestattete Zuschauer – Saal, das Foyer und der Restaurations-Tunnel eine aufwendigere Dekoration erhalten – letzterer im altdeutschen Stil. Dass trotz der überall festgehaltenen, soliden und gediegenen Ausführung des Baues die Kosten desselben nicht höher als auf 350 000 M. (also auf 455 M. für 1 Sitzplatz und 326 M. für 1 qm bebauter Fläche) sich gestellt haben, liegt wesentlich in den billigen Bauverhältnissen. welche s. Zt. in Göttingen herrschten. Ein Vergleich zwischen einzelnen dort gezahlten Preisen und den gleichzeitigen Berlins stellt sich etwa folgendermaassen:

1 cbm Sandstein in Quadern bearbeitet kostete

in Göttingenrd. 70 M.
in Berlin180 – 220 M.

1 Maurer nezw. Zimmermann erhielt für die Arbeitsstunde einschliessl. Meistergeld

in Göttingen37 ½ Pf.
in Berlin65 Pf.

1 Steinmetz erhielt

in Göttingen37 ½ Pf.
in Berlin80 – 100 Pf.
Das neue Stadttheater in Göttingen

Die grossen Verdienste, welche sich der Architekt des Baues, Hofbaumeister a.D. G. Schnitger in Berlin, schon in Anbetracht der beschränkten Mittel durch seine Leistung erworben hat, erfuhren bei Eröffnung des Theaters vonseiten der Bürger und des Stadtmagistrats dadurch eine besondere Anerkennung, dass ihm ein Lorbeerkranz überreicht wurde.

Dieser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deutschen Bauzeitung.