Ein Zukunftsbild von F- E. Feiges, Neapel. Vor kurzem kam aus Neapel die Nachricht, daß ein Ingenieur, Namens Robert Piscicelli-Taeggi, ein Projekt ausgearbeitet habe, dessen Ausführung das gesamte Postwesen durch ausschließliche Verwendung der Elektrizität gänzlich umgestalten würde.
So utopistisch anfangs vieles in der Durchführung dieser Idee erschien, so hat doch eine fachmännischer Seite vorgenommene genaue Prüfung ergeben die Verwirklichung des Gedankens nicht unmöglich ist. Der italienische Postminister Galimberti und später auch König Viktor Emanuel ließen sich durch den Erfinder das Projekt erklären; der Monarch schien von dem Ganzen so überzeugt und befriedigt zu sein, daß er versprach, sobald als möglich eine Versuchslinie zwischen Neapel und Rom auf Staatskosten einrichten zu lassen.
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Das Projekt Piscicelli-Caeggi benutzt die bekannte Idee der elektrischen Schwebebahn, auf der kleine Motorwägeschen mit einer Geschwindigkeit von 400 Kilometern in der Stunde etwa in Häuserhöhe dahinrollen.
Das Neue bei Piscicellis Erfindung liegt in der Art der Briefabfertigung und -bestellung. Er teilt das Postgebiet jede Landes in drei Klassen ein. Die erste bilden die Hauptlinien die die wichtigsten Großstädte miteinander verbinden. Von diesen führen Linien zweiter Ordnung nach Städten mittlerer Größe, die wiederum der Mittelpunkt für den Postbetrieb nach den Städten und Ortschaften dritten Ranges sind. Nur die Städte erster Ordnung können demnach einander oder, auch den Städten zweiter Klasse Briefschaften direkt zusenden. An die Städte dritter Klasse muß die Sendung immer über eine Stadt zweiter Ordnung geleitet werden. So bemerkt man, daß in das Hauptamt einer Stadt zahlreiche schwebende Hochwege strahlenfömig einmünden, ähnlich den Drähten der Fernsprechzentralen, nur, daß diese Drahtlinien von allen Seiten her metallene Briefbeutel lautlos herbeiführen; es ist wie ein babylonischer Turm, der Lebenszeichen von allen Völkern und aus aller Herren Ländern in sich aufnimmt. Selbstverständlich soll nirgends, wenn immer nur möglich, Menschenhand wirkend eingreifen. Auf einer Linie, die mehrere Stationen verbindet, eilen die aufeinanderfolgenden Fahrzeuge ohne weiteres an den einzelnen Briefsäulen vorüber und stehen erst an ihrem Bestimmungsort automatisch still. Auch die Regulierung der Schnelligkeit, sowie das Wechseln der Richtung und das Anhalten geschieht automatisch. Der Wagen öffnet und schließt bei seiner Ankunft in den Stationen selbst die betreffenden Hebel, die seine Fahrt verlangsamen oder zum Stehen bringen.
Der elektrische Strom, der dem Betrieb dient, ist hochgespannter Drehstrom, der kurz vor seiner Verwendung in besonderen Transformatorenhäuschen, die längs der Bahnlinie verteilt sind, in niedrig gespannten verwandelt wird. Jede Linie besteht aus zwei Drahtseilbahnen, auf denen die Postfahrzeuge nach beiden Richtungen gleichzeitig in Abständen von 5 Kilometern laufen.
Betrachten wir nun kurz die einzelnen Stationen und Postämter. Bei einer Wanderung durch eine Stadt, die nach Piscicellis elektrischem System eingerichtet ist, bemerken wir zunächst eine Reihe Eisensäulen (s. Abb.), an denen an jeder zehnten unten ein Briefkasten angebracht ist; oben läuft eine besondere Drahtseilbahn, die nach dem Hauptpostamt führt. Das ist die Briefsammlerlinie. Sonach werden die Briefkastenleerer überflüssig. Alle fünf Minuten rollt vom Zentralamt aus ein leerer Sammelkasten das Drahtseil entlang. Bei jeder Briefsäule hält er an, und sogleich steigt im innern derselben der automatische Briefkasten herauf, entleert seinen Inhalt in den Sammelkasten und gleitet wieder geräuschlos hinab. Nach vollzogener Runde kehrt der Sammelkasten wieder zum Zentralamt zurück.
Hier in der Zentrale ist nichts mehr zu besorgen, als das Sortieren der Briefe. Auch das zeitraubende Abstempeln der Briefe hat schon mechanisch vor der Ankunft auf dem Hauptamt stattgefunden. Jede Briefsäule ist zugleich mit selbstthätigen Apparaten ausgerüstet, um die Briefmarke, an welcher Stelle des Umschlags sie sich auch befindet, zu entwerten und den Namen des Aufgabeortes, die Nummer der Briefsäule, Datum, Stunde und Minute der Auslieferung aufzudrucken. Es genügt, daß der Aufgeber den betreffenden Brief auf ein schmales Brettchen legt, das sich vorn an der Briefsäule befindet.
Das Hauptamt der Großstadt steht aber auch außerdem, wie bisher, mit den Nebenämtern in Verbindung. In diesen werden eingeschriebene Briefe, Massensendungen, Pakete angenommen. Außerdem verrichten von den Zweigämtern aus die Briefträger ihre Obliegenheiten. Vom Turm, der ein Nebenamt überragt, bemerkt man, daß nur eine einzige Seilbahn ausgeht. Sie führt nach der Zentrale. Auf dieser Bahn bringen die Schwebefahrzeuge (s. Abb.) die Briefe, die für die Adressaten des Postbezirks bestimmt sind.
Im Zweigamt werden die angekommenen Briefe durch Beamte mittels schnell arbeitender Maschinen abgestempelt, so daß jede Sendung die ganze Geschichte ihrer Fahrt in kontrollierbarer und dokumentarischer Form aufgedruckt trägt. Sofort nach der letzten Stempelung werden die Briefschaften den Adressaten zugestellt, und zwar durch radelnde Boten, die nur einen kleinen Bezirk bedienen, so daß keine Zeitverluste und Verzögerungen in der Bestellung entstehen und die außerdem nicht an wenige bestimmte Bestellungsstunden gebunden sind, sondern sich sofort, selbst wegen eines einzigen Briefes, in Bewegung setzen, so wie jetzt bei einer Depesche oder einem Rohrpostbrief. Sie brauchen auch ihre Zeit nicht mit Treppensteigen zu verlieren. In jedem Haus muß nach dem Plan Piscicellis ein Briefaufzug angebracht sein, in dessen Fächern der Bote den Brief hineinlegt. Der Aufzug fährt dann nach oben, hält in dem Stockwerk, für das der Brief bestimmt ist, selbstthätig an, wirft in die Briefkästen der Partei rechts und links seine Briefe aus und macht die betreffen den Empfänger durch ein Glockenzeichen aufmerksam. Dann geht es zu den übrigen Stockwerken hinauf.
Die aufgegebenen Briefe müssen natürlich sofort und in Partien nach ihren verschiedenen Bestimmungsorten verteilt werden. Die vollzieht sich in den Postämtern erster und zweiter Klasse.
Die in diesen ankommenden Fahrzeuge schütten ihren Inhalt auf ein endlos fortlaufendes Tuch oder breiten Ledertisch. So gelangen die Briefmassen in die Hände der Postbeamten, die nur nachzusehen haben, ob die Frankierung und der Stempel richtig und wohin die Briefe zu schicken sind. Sie sondern diese in solche, die für den Bezirk selbst bestimmt sind und nach den Zweigämtern verteilt werden müssen, und in solche, die nach andern Bezirken gesandt werden. Die so geschiedenen Massen wandern, gleichfalls auf endlosen Tüchern, in verschiedene Bureaux, von denen die Weiterbeförderung bewerkstelligt wird. Von diesen Stellen führen Aufzüge in die Höhe, die die Postsendungen zur Schwebebahn emportragen und in die oben vorbeirollenden Fahrzeuge ausleeren.
Um nun endlich auch die oft mit Wertbriefen und sonstigen wichtigen Nachrichten beladenen Fahrzeuge gegen Diebstahl zu schützen, hat Piscicelli eine unfehlbar wirkende Vorrichtung getroffen. Mögen die Diebe auch die 15 Meter hohen eisernen Säulen erklettern, oben hemmt sie ein Metallring, den der Erfinder Panello della morte – Todesring – nennt. Durch ihn läuft der hochgespannte Betriebsstrom, und wer ihn berührt, erhält einen elektrischen Schlag von absolut tödlicher Wirkung.
So hofft Piscicelli einen Postverkehr zu ermöglichen, bei dem in Minuten vollzogen wird, was früher Stunden und Tage benötigte. Ein Brief, der in Neapel um 10 Uhr morgens aufgegeben wird, kann eine Stunde später schon seinem Empfänger in Rom ausgehändigt werden. Die Entfernung zwischen diesen beiden Städten beträgt immerhin 249 Kilometer Eisenbahnlinie.
Die Einrichtung dieses Systems soll außerdem wenig Kosten beanspruchen. Seine Schnelligkeit und Verläßlichkeit dürften deshalb, wie der Erfinder voraussagt, dem Briefverkehr einen Aufschwung verleihen, hinter dem die heutigen Millionen von Briefsendungen weit zurückbleiben.
Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 50/1902.