Der Weihnachtskarpfen

(Vom Präsidenten des deutschen Fischervereins Dr. Herzog zu Trachtenberg, Fürsten von Hatzfeld wurde uns obiger Artikel freundlich zur Verfügung gestellt, zuerst erschienen in Die Woche 1903.)

In der Weihnachtszeit ist in Berlin der Karpfen der gesuchteste Fisch. Täglich treffen jetzt große Karpfentransporte aus der Lausitz, Schlesien, Böhmen und Galizien dort ein. Dresden verlangt hauptsächlich Spiegelkarpfen, Hamburg nur Schuppenkarpfen, Berlin hat keine ausgesprochene Vorliebe für Schuppen · oder Spiegelkarpfen; aber zu Weihnachten verlangt der Berliner unbedingt einen “Rogner” Als einer meiner Freunde noch in Berlin wohnte, sandte ihm einer seiner schlesischen Bekannten jedes Jahr einen Weihnachtskarpfen; als er einmal einen “Milchner” erhalten hatte, machte er seinem Freund bittere Vorwürfe. Auf die Frage, ob er denn einen “Milchner” einem “Rogner” nicht vorziehe, erwiderte er: “Zu Weihnachten sicherlich nicht; denn der Rogen bedeutet Gold, und je mehr Rogen der Karpfen hat, desto mehr Gold wird das kommende Jahr bringen.”

Man ißt den Karpfen entweder blau gekocht mit Meerrettichsauce oder aber nach polnischer Art mit einer braunen Pfefferkuchensauce. Diese Art der Zubereitung hat namentlich in Schlesien viele Liebhaber. Der Franzose ißt ihn la Chambord. Doch nicht von der Zubereitung des Karpfens will ich schreiben sondern ich will den Lesern der “Woche” von dem Werdegang des Karpfens erzählen.

Der Karpfen stammt aus den asiatischen Gewässern. Gezüchtet wurde er zuerst auf der Insel Cypern, daher ihn die alten Römer Cyprinus carpio nannten.

Von Cypern kam er nach Griechenland und verbreitete sich in späteren Jahrhunderten in ganz Europa. Mit dem Vordringen der Kultur hielt auch ũberall der Karpfen seinen Einzug.

Namentlich waren es die Mönche, die bei ihren Niederlassungen und Klöstern Karpfenweiher anlegten und sich mit Karpfenzucht befaßten.

Sie waren es auch, die den Karpfen in Schlesien einführten, jener Provinz, die noch heute die größten Teichflächen hat.

Karpfen im Netz gefangen

Am Ende des Mittelalters war in Schlesien die Fischzucht, und damit ist zumeist nur Karpfenwirtschaft gemeint, allgemein verbreitet und bildete einen besonderen Zweig der Landwirtschaft.

Durch den Dreißigjährigen Krieg, der weite Länderstrecken verwüstete, verfiel auch die blühende Teichwirtschaft. Mit der Aufhebung vieler Klöster verschwanden viele Teiche, ihre regelrechte Bewirtschaftung ging immer weiter zurück. Dies sowie der Mangel an guten Verkehrswegen ließen die Erträgnisse der Teichwirtschaft beträchtlich sinken. Vor allem aber trug später das mächtige Emporblühen der Landwirtschaft dazu bei, daß ein Teich nach dem andern trocken gelegt und zu Acker und Wiese umgewandelt wurde.

Karpfenfischer beim Verkauf

Teilweise durchbrochene oder abgetragene Dämme geben noch heute in manchen Orten Schlesiens Kunde davon, daß einstens dort der Karpfen schwamm, wo jetzt der Pflug die Furche zieht.

Eine treffende Illustration hierzu bietet der Pachtvertrag eines schlesischen Ritterguts, das im Eigentum einer kirchlichen Stiftung steht. Der Pächter ist noch heute verpflichtet, den der Stiftung vorstehenden geistlichen Herren etliche Weihnachtskarpfen von bestimmtem Gewicht zu liefern, die er natürlich selbst kaufen muß.

Schließlich waren es nur noch wenige größere Gutsherrschaften, die einigermaßen rationelle Karpfenzucht weitertrieben. Dort, wo vielleicht die Oertlichkeit es nicht zuließ, Teiche in Acker oder Wiese umzuwandeln, wurden sie zu verwahrlosten Sümpfen und Wasserlöchern, in denen wohl Fische lebten, wo aber von einer regelrechten Bewirtschaftung keine Rede mehr war. Mit dem Rückgang der -Teichwirtschaft schwand auch das zu einer rationellen Karpfenzucht nötige Wissen, und der Karpfen selbst entartete infolgedessen.

Das Zurückgehen der Bodenrente der landwirtschaftlich genutzten Flächen in den letzten Jahrzehnten bewirkte, daß man vielfach mit der Wiederherstellung ehemaliger Teiche oder der Anlage neuer vorging. Die Karpfenproduktion ist jetzt in fortwährendem Steigen begriffen.

In erster Reihe war es der österreichische Fischzüchter Dubisch, der bahnbrechend in dem Verfahren der Bruterzeugung auftrat und ein neues System begründete.

Anstatt wie früher die Laichfische mit andern Altersklassen in größere Teiche zu setzen und das Laichgeschäft dem Zufall zu überlassen, werden nach dem Dubischschen Verfahren die Streichkarpfen nach Geschlechtern getrennt gehalten und erst etwa Mitte Mai zum Laichgeschäft gebracht. Früher laichten die Karpfen, wenn sie es wollten, nunmehr aber, wenn der Züchter es will. Kleine, flache, etwas 5 – 10 Ar große Teiche, die das ganze Jaht über tzrocke liegen, werden im Mai, nach Eintritt warmen Wetters bewässert und mit einen weiblichen (Rogner) und zwei männlichen (Milchner) Karpfen besetzt. Steigt die Temperatur – des Wassers von 15 Grad R. aufwärts, oder tritt gar Gewitterschwüle ein, so laichen zumeist die Karpfen noch an dem Tag, an dem sie ausgesetzt wurden, ab. Die weitere Entwicklung des Eies, beziehungsweise des jungen Fischchens hängt, von dem Bestand des warmen Wetters ab. In dem befruchteten Ei sieht man bald den sich bildenden Fisch als einen zarten, dunklen Strich. Nach 2 bis 5 Tagen schlüpfen die Fischchen aus dem Ei, mit einem Dottersack vorsehen, der ihnen für einige weitere Tage Nahrung gewährt.

Tritt nach dem Aussetzen der Laichfische plötzlich kaltes, windiges Wetter ein, so verzögert sich auch das Brutgeschäft.

Das Netz wird durch die halb abgelassenen Teiche gezogen

Die in ungeheuren Mengen vorhandene Brut wird nach weiteren fünf bis acht Tagen mit feinen Gazenetzen ausgefischt, da sie sonst bald wegen Mangel an Nahrung zugrunde gehen müßte. Die kleinen Fische werden dann entweder in sogenannte Vorstreckteiche und nach einigen weiteren Wochen in die eigentlichen Brutstreckteiche oder direkt aus dem Brutteich in letztere gebracht.

In dem Brutstreckteich verbleibt der junge Karpfen bis zur Herbstabfischung und erreicht dann ein Gewicht von etwa 50 Gramm. Im nächsten Frühjahr wird der Karpfen dann in die Streckteiche gebracht, um in ihnen bis zum Herbst zu einem Fisch von etwa 300 bis 500 Gramm heranzuwachsen. Bei Beginn eines dritten Sommers findet er in einem der größeren Abwachsteiche Verwendung; bei der Abfischung im Herbst muß er ein Gewicht von etwa 1500 Gramm erlangt haben.

Hiermit hat der Karpfen sein ihm vom Züchter gesetztes Ziel erreicht und wird nun zum Verkauf gebracht.

Fischzug mit dem grossen Netz

Vorbedingung für ein gutes Wachstum der Fische ist, daß sie von Mutterkarpfen abstammen, die diejenige Eigenschaft besitzen, die wir von der Nachkommenschaft erwarten, d. h. Schnellwüchsigkeit und gute Körperformen.

Nicht minder wichtig ist die Art der Besetzung der Teiche. Der Teichwirt muß genau die Größe seiner Teiche, deren Produktivität oder Nahrungswert kennen, um ihre richtige Besetzung je nach Alter, Stückzahl und Gewicht bestimmen zu können. Wird ein Teich übersetzt, d. h. finden die Fische in ihm nicht das zu ihrer Erhaltung und zu ihrem Zuwachs nötige Futter, so wird das Abfischungsresultat schwerlich noch ein befriedigendes sein; unter Umständen kann es sogar ein negatives werden. Eine zu geringe Besetzung würde eben so fehlerhaft sein, da die vorhandene Nahrung der Fische unausgenützt verloren ginge, d. h. nicht in Fischfleisch umgesetzt würde.

Das Fischen in den Verkaufshältern

Unerläßlich ist daher für den Teichwirt eine genaue Buchführung über seine Wasserobjekte, da er nur auf Grund einer solchen einen richtigen Besetzungsplan seine Teiche aufstellen kann.

Karpfenprahm auf der Spree

Weiterhin ist das Vorhandensein von guten Hälteranlagen, in denen im Herbst die Verkaufsfische aufbewahrt werden, von großer Bedeutung. Die Winterteiche in denen die für die Besetzung der Teiche im nächsten Frühjahr erforderlichen Fische überwintert werden, müssen bei entsprechender Tiefe permanenten Zufluß haben, um namentlich bei Eisbildung den Fischen den zu ihrem Leben unbedingt notwendigen Sauerstoff zuzuführen.

Wiegen und Verladen zum Engros-Export

Sämtliche den Sommer über bewässerte Teiche werden im Herbst abgefischt und bleiben zweckmäßigerweise den Winter über trocken liegen, damit der Frost den Teichboden durchdringen kann. Entsäuerung des Teichbodens, Zersetzung zu Boden gesunkener organischer Substanzen, Weiterentwicklung im Schlamm verborgener Krustaceeneier geben dem Teich bei seiner Wiederbewässerung erneute und erhöhte Nährkraft. Die Produktivität eines Teichs wird wesentlich erhöht, wenn er alle Jahre bewässert, sondern periodisch beackert wird.

In Schlesien steht der Militsch-Trachenberger Kreis an der Spitze der Karpfenproduktion. Dort war es das seither ausgestorbene Geschlecht der Freiherrn von Kurtzbach, das im 16. Jahrhundert große Teichflächen anlegte; noch jetzt bestehen die damals geschaffenen Anlagen in meist unveränderter Gestalt.

Abschleppen der großen Netze

Die Karpfenzucht ist heute zur Wissenschaft geworden.

Diese im Rahmen praktischer Verwertbarkeit zu fördern ist die spezielle Aufgabe der Versuchsstation in Trachenberg, der zu diesem Zweck ein geeignetes Teichareal und ein kleines Aquarienhaus in unmittelbarer Nähe zur Verfügung stehen.

Durch Abhaltung besonderer Lehrkurse die stets gern und zahlreich besucht werden, gibt sie gleichzeitig allen Interessenten Gelegenheit an zahlreicher Anschauungsobjekte sich über die Grundlagen einer rationellen Teichwirischaft zu orientieren.

Dieser Artikel erschien 1903 in “Die Woche”, die Bilder wurden nachcoloriert.