Die Heimat der Pest

Die Pest hat sich in diesen Tagen wieder in verschiedenen Ländern gezeigt, die für uns in ziemlich unheimlicher Nähe liegen: Konstantinopel, Aegypten u. s w.

Als eigentliche Heimat der Pest ist China oder Mesopotamien zu betrachten, aber seit etwa fünf Jahren hat sich die fatale Krankheit dermaßen in Indien und namentlich in Bombay festgesetzt, daß man bei dem Wort „Pest“ zuerst an Bombay denkt.

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Nun wird mancher denken, daß während der kritischen Zeit in Bombay alles drunter und drüber geht und man nur dem Augenblick lebt – im Gegenteil. Als Fremder merkt man kaum, daß man in einer verseuchten Stadt lebt. Als im Jahr 1896 die Krankheit ausbrach und die Todesfälle von der normalen Zahl 70 auf etwa 400 täglich stiegen, da allerdings ergriff so mancher das Hasenpanier die Läden waren bis zu 80 Prozent geschlossen, die Gerichtshöfe alle; ja sogar der Pferdebahnverkehr war auf einige Tage ganz eingestellt.

Ein Segen ist es, daß über zwei Drittel der Leichen in Bombay verbrannt werden.

Dies sind die der zahlreichen Kasten der Hindus oder Brahmagläubigen, deren Religion die Verbrennung vorschreibt. Europäer, Juden, Muhammedaner, eingeborene Christen usw. begraben ihre Toten. Die Parsis, deren es etwa 50 000 in Bombay giebt, nehmen eine Ausnahmestellung ein. Ihre Leichenbestattung hat auf den ersten Blick etwas Gräßliches; sie lassen die Leichen ihrer Verstorbenen von Vögeln fressen. Auf Malabar Hill, einem felsigen Hügel im Westen der Stadt Bombay, der jetzt mit reizenden Villen bedeckt ist und den vornehmsten Stadtteil bildet, liegen die „Türme des Schweigens“ inmitten eines schöngepflegten Gartens. Diese Türme haben oben einen mächtigen Rost aus eisernen Stäben, in der Mitte befindet sich eine Grube. Die Toten werden auf den Rost gelegt; die in der Nähe weilenden Raubvögel stürzen sich darüber her, und innerhalb einer Stunde sind nur noch die Knochen übrig, die in die Grube geworfen werden.

Der Turm des Schweigens auf Malabar Hill bei Bombay

Geier und Raben sind die Totengräber der Parsis. Das symbolische dieser Bestattung beruht darin, daß die Verstorbenen durch die Vögel der Sonne, der Spenderin alles Lichts und Lebens, zugetragen werden.

Längs des Strandes im Westen der Stadt führt eine fast zehn Kilometer lange Straße von Colaba bis nach Malabar Hill, gewissermaßen der Korso Bombays.

Nach Schluß der Geschäfte, also etwa von fünf Uhr an, ist auf dieser Straße ein derartiger Wagenverkehr, daß, ganz so wie in Berlin, an den Kreuzungspunkten Schutzleute stehen und den Verkehr beaufsichtigen.

In Nachoda Mbola, Strasse in Bombay

Das Leben und Treiben auf den Straßen Bombays ist derartig lebhaft, bunt und wechselvoll, die Bevölkerung vom tiefsten schwarz bis zum hellsten Weiß so mannigfaltig, der Stil der Häuser, der Bau der Wagen so eigenartig – kurz, das ganze Straßenbild so, wie man es kaum noch in irgendeiner Stadt des Orients findet.

Ich sah Bombay früher als z. B. das vielgerühmte Kairo und Konstantinopel und muß gestehen, daß die beiden letztgenannten Städte gegen Bombay sehr abfielen. Obenstehende Abbildung zeigt eine Straße in der Nähe der Markthalle, die sogenannte Nachoda Mbola hier wohnen die Trödler, hauptsächlich Händler mit alten Möbeln, die sämtlich Muhammedaner sind. Ueberhaupt findet man, daß die beiden großen Religionen Hindus und Muhammedaner, sich selten vermischen, sondern die Gemeinden für sich ganze Stadtteile und Straßen bewohnen. Die Gewohnheiten sind auch so verschieden daß die beiden Religionen gar nicht so nahe bei ander existieren können; die Muhammedaner sind reinlicher als die Hindus, was hauptsächlich religiösen Geboten zu danken ist. Die Hindus, wenigstens die niederen Kasten, sind schmutzig am Körper, in den Häusern und in allen ihren Gewohnheiten. Der Muhammedaner ißt außer Schweinefleisch alles, was auch Europäer essen, nur müssen die Tiere nach dem Ritus geschlachtet werden. Die Hindus essen aber kein Rindfleisch, die Kuh ist ihnen heilig. Einige Kasten der Hindus essen Ziegen und Schöpsenfleisch. schon aus dem Gesagten ergiebt sich, daß Muhammedaner und Hindus nicht in einem und demselben Hause wohnen können.

Fruchtladen in Bombay

Der Handel von Bombay ist von der Pest natürlich nicht unberührt geblieben, namentlich in den ersten Jahren, als dieSsache so überraschend gekommen war und man in Europa gar nichts von Bombay wissen wollte. Die nördlicher gelegene Hafenstadt Kurachee hat von der Situation viel gewonnen und in den letzten Jahren einen ganz bedeutenden Aufschwung genommen.

Die Dampfer der Bremer Hansalinie legen bei Kurachee an regelmäßig an, ebenso die des Oesterreichischen Lloyd.

Die Zahl der Dampferlinien, die Bombay anlaufen ist groß, außerdem verkehren dort eine Menge Frachtdampfer, sogenannte Outsiders. Im Jahr 1896, als Pest und Hungersnot auf den Handel drückten, ist vorgekommen, daß Frachten zu 4 Schilling per Tons nach Hamburg, Antwerpen u. s. w., ja sogar zu 2 ½ Schilling nach Liverpool gebracht wurden. Die Konkurrenz auf dem Wasser war überhaupt stets sehr groß, davon wird ein Kuriosum erzählt: zwischen Bombay und Goa verkehrte eine Linie, die Passagiere für 10 Rupien (etwa 14 Mark) beförderte, eine andere Linie wurde eröffnet und nahm nur 5 Rupien, da beförderte No. 1 für 2 Rupien, es folgte No. 2 mit einer Rupie, dann beförderte No. 1 umsonst, dann den No. 2 und gab jedem Passagier noch einen Kalender gratis; No. 1 gab noch zwei Hände voll Datteln als Wegkost. Dann – machte No. 2 bankrott, und No.

ließ sich sofort wieder 10 Rupien bezahlen.

Dieser Artikel von Kurz Töypen erschien zuerst am 09.08.1902 in Die Woche.