Rekrutenleben

„Dem Soldaten ist im Frieden gerade keine Ruh beschieden, denn er muß zu Friedenszeiten sich zum Kriege vorbereiten! So vom ersten bis zum letzten Tag im Jahr -“ so singt der Verfasser der in der ganzen Armee bekannten und beliebten Militärischen Vierjahreszeiten.

Das Manöver ist kaum beendet, da erscheinen schon wieder die Rekruten, das militärische Jahr beginnt von neuem. Die größte Arbeit und Unruhe stehen ohne Frage dem vielgeplagten Kompagniechef bevor, diesem „Wesen ohne Poesie“. Unterstützt von seiner besseren Hälfte, dem Feldwebel, hat er alles für die demnächst eintreffenden Kinder vorbereitet. Die Rekrutenstuben sind mit Hilfe von viel Wasser, Sand und Seife von den alten Mannschaften gereinigt, die sechsten Röcke haben die Schneider geradezu wieder in Paradesachen verwandelt. Kennen Sie, lieber Leser, eine sechste Hose? Wenn Sie nicht gedient haben, kaum. Aber Sie wissen wahrscheinlich, was Mosaik ist … Beide haben außerdem noch das gemeinsam, daß sie ununterbrochen geflickt werden müssen, nur, daß die Hosen schließlich doch noch besser halten. Einem on dit zufolge soll es sogar Exemplare geben, die außer den unverwüstlichen Knöpfen gar nichts Ursprüngliches mehr besitzen.

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In langen Kolonnen kommen die Rekruten anmarschiert, begleitet von Angehörigen und Freunden; hier trägt einer das Köfferchen des angehenden Vaterlandsverteidigers, dort reicht ein anderer seinem lLandsmann verstohlen zum Abschiedstrunk die geliebte Flasche – die wenig zahlreiche Begleitmannschaft drückt ein Auge zu, sie kann auch gar nicht auf alles achten, sonst müßte sie wie ein Schäferhund die Herde umkreisen – da ist auch die Kaserne schon erreicht.

Freiübungen

Bald herrscht auf dem Kasernenhof ein buntes Gewimmel. Wenn auch die moderne Männertracht an sich nichts Malerisches bietet, so zeigen sich doch Bilder, die des Stiftes eines Künstlers würdig wären: hier der stämmige Sohn des Gebirges in seiner schmucken Tracht, dort der feingekleidete Städter mit aufgewirbeltem Schnurrbärtchen, hier ein frischer Bauersmann in blauer Bluse, dort ein etwas mürrisch aussehender Handwerker in seinem Sonntagsstaat. Viele tragen schon die Militärmütze als Zeichen ihrer künftigen Würde. Schnell geht es auf die Stuben, wo die Messung der Körperlänge vorgenommen wird. Auf dem Kasernenhof teilt unterdes schon der Regimentsadjutant unter Assistenz der Feldwebel die Leute den Kompagnien zu. Dann werden die Handwerker verteilt. Der größte Kampf entspinnt sich um die Schneider, denn selten geht die Zahl der verfügbaren Helden der Nadel in der Zahl der Kompagnien auf. Schon am ersten Nachmittag beginnt man mit der Einkleidung, die zunächst nur in großen Zügen vorgenommen wird, die Detailarbeit folgt später. Aber selbst die bequemsten Sachen drücken und zwicken unglücklichen Träger. Früher hatte man ja nie einen Halskragen trragen, die Bluse war so weit und jetzt diese entsetzliche Binde und der Rock mit seinen Knöpfen! Und dann noch der Leibriemen und der Helm! „In ein paar Tagen paßt euch alles,“ tröstet der Kammerunteroffizier; „der muß es ja wissen,“ denken sie, „denn er ist ja schon sieben Jahre dabei.“ –

Stalldienst in der Kaserne

Allmählich neigt sich der erste Tag seinem Ende zu. Die Leute sind gebadet, und dann geht es ins Bett. Müde und matt sinken sie auf ihr Lager, die meisten hören kaum noch die Töne des Zapfenstreichs, der melancholisch in die Stille der Nacht hinausgeblasen wird. So ertönt denn in jeder Stube bald ein melodisches Schnarchen, nur ab und zu unterbrochen von dem Auffahren eines unruhigen Träumers.

Turnen am Querbaum
Zielen auf dem Kasernenhof

Am nächsten Tag beginnt sofort des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr. Es ist unglaublich, von welcher Mannigfaltigkeit der königlich preußische, bayrische sächsische oder württembergische Dienst ist. Zuerst werden die Leute bewegt, damit das Blut etwas in Wallung kommt und die Gelenke sich lockern. Diese Uebungen, die meist nicht reglementarisch sind und die daher der Phantasie des Ausbildungspersonals weiten Spielraum lassen, gewähren einen höchst komischen Anblick. Alles bimmelt und baumelt mit Armen und Beinen, die gewagtesten Spreiz- und Drehbewegungen werden gemacht, die einem Jongleur zur Ehre gereichen würden, wenn man sich nicht der Kameraden als Stütze bediente. Aber bald kommt Ordnung in das Chaos: die Leute werden von den Unteroffizieren einzeln vorgenommen, besonders im langsamen Schritt, der Vorübung zum Parademarsch. Wie mancher Tropfen Schweiß muß da vergossen werden, wie mancher Stoßseufzer, aber auch wie manches Donnerwetter steigt da zum Bimmel empor.

Es ist auch wirklich keine Kleinigkeit, all die krummen Beine so gerade zu biegen, daß ihre Besitzer wie im Sylphidenschritt über den Erdboden hinschweben. Aber einige lernen es nie, und wenn die andern schon längst in geschlossenen Trupps nach den Klängen der Musik den ersten „Rekrutenball“ absolvieren, geben sie noch immer in einer entlegenen Ecke des Kasernenhofs ihre Solovorstellungen.

Schon am ersten Tag werden den Rekruten die Einrichtungen des Gewehrs bekannt gegeben. Mögen auch die theoretischen Begriffe der Seelenachse und Visierlinie, des Kornklemmens und Visierdrehens zunächst noch einen wirbelnden Tanz in dem Rekrutenhirn vollführen, die Praxis des Zielens ist bald erfaßt. Man beginnt mit den Zielübungen an dem auf einem Sandsack festgelegten Gewehr; diese Uebung ist zugleich eine Kontrolle der Sehschärfe der Leute. Nach ihren Angaben wird eine Zielscheibe so lange auf einer weißen Fläche hin- und herbewegt, bis ihr Mittelpunkt in der Verlängerung der Visierlinie sich befindet. Glaubt der Rekrut dies erreicht zu haben, so wird der Punkt markiert. Unser Bild zeigt eine solche Uebung. Bei mehrfacher Wiederholung, bei der das Gewehr natürlich nicht bewegt werden darf, sollen diese Punkte möglichst zusammenfallen; trifft dies nicht ein, so macht der Rekrut Zielfehler, oder aber er sieht schlecht. Leider mehrt sich die Zahl der mit herabgesetzter Sehschärfe eingestellten Mannschaften von Jahr zu Jahr. Der Vorschlag des Hauptmanns von Ziegler, über den vor kurzem in dieser Zeitschrift (Heft 35, S. 1547) berichtet wurde, die Augen der Schüler durch Sehübungen zu kräftigen, verdient daher volle Beachtung im Interesse der Armee.

Reitübungen

Jetzt läßt der Rekrutenoffizier zum Turnen antreten. „Natürlich wieder am Querbaum,“ denkt jeder, an diesem bestgehaßten aller Turngeräte. Es ist aber auch keine Kleinigkeit, sich an dem dicken Balken festzuhalten, geschweige denn, sich an ihm in die Höhe zu ziehn. Aber auch hier macht Uebung den Meister, wie denn überbaupt das Turnen bald zu den beliebtesten Dienstgegenständen der Rekruten gehört. Leider kann bei der zweijährigen Dienstzeit diesem wichtigen Dienstzweig, der den Körper geschmeidig macht und elastisch erhält, nicht soviel Zeit gewidmet werden, wie wohl wünschenswert wäre. Auch das Bajonettieren tritt immer mehr in den Hintergrund, während durch die wenig beliebten vorbereitenden Gewehrübungen – „Pumpen“ nennt sie der Soldat – mehr Zeit verwandt wird, um vor allen Dingen die Armmuskeln zu kräftigen, damit die Leute in der Lage sind, das nicht leichte Gewehr beim Schießen fest einzuziehn. Das ist dann ein ganz besonderer Tag, wenn dem Rekruten zum erstenmal das Gewehr zum Schießen in die Hand gegeben wird. Fröhlichen Mutes geht es hinaus auf den Scheibenstand, und mit dem ersten scharfen Schuß erhält das Leben des Infantristen erst seine militärische Weihe.

Exerzieren am unbespannten Geschütz

Die Ausbildung der berittenen Waffen ist mannnigfaltiger, als die der Fußtruppen. Hier tritt der vierbeinige Kamerad, das Pferd, hinzu. Wenn auch mancher Rekrut mit stolz geblähter Brust schon vor seinem Eintritt hoch zu Roß sich seinen Mitmenschen gezeigt hat, so wird ihm doch bald klar gemacht, daß er vom militärischen Schulreiten keine Ahnung hat. Sie können sich aber wenigstens auf dem Pferd halten, während die Neulinge häufig den starken Drang in sich fühlen sich als Parterregymnastiker auszubilden. So giebt es denn, besonders im Anfang, häufig sehr komische Intermezzi, „die Pferde haben,“ wie es in den „Jahreszeiten heißt, „nur bewegt mit Maß, mit Rekruten manchen Spaß.“ Neben dem Reiten füllt dann noch Stalldienst, Fußexerzieren, Gymnastik, Fechten, Instruktion in angenehmen Wechsel die Zeit aus. Für die Artillerie noch das Exerzieren am Geschütz hinzu, wie unser Bild zeigt.

Zielübungen der Artillerie

Es ist klar, daß die erste Ausbildungszeit zu wichtigsten Dienstperioden gehört – nebenbei bemerkt giebt es im ganzen militärischen Jahr nicht eine einzigste Periode, die diese Bezeichnung nicht hätte – und da es der Anspannung aller Faktoren, sowohl des Ausbildungspersonals wie der Rekruten selbst bedarf um den hohen Anforderungen zu genügen. Andrerseits ist aber dieses scharfe Training der Rekrutenzeit außer rdentlich wohlthätig für die Entwicklung des Körpers aus den schwächlichen Stubenhockern werden frische, muntere Kerls, die Wangen röten sich, und die Glieder werden straff.

Dieser Artikel von Carl August v. d. Pinnau erschien zuerst in Die Woche 48/1902.