Die Kaiserpaläste auf Capri

Die Villa Jovis auf Capri. Ansicht von Südosten. Nach dem Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden

Capri! Einem Zauberworte gleich wirkt der Name des wie eine Sphinx im Meere vor der Bucht von Neapel lagernden Felseneilandes. Byron verglich es mit der sturmgepeitschten Welle, Gregorovius sah in ihm einen auf dem Meere ruhenden gewaltigen Sarkophag.

Wer je dieses köstliche Eiland betreten, dem bleibt seine eigenartige Gestalt in ewiger Erinnerung haften und wer je den spärlichen Spuren seiner Geschichte nachgeangen ist und dabei bis auf die Zeiten der Römer und Griechen vordrang, dem füllte sich die Phantasie mit einer Reihe von unvergleichlichen Bildern. Der feinsinnigste Geschichtsschreiber der Insel, Ferdinand Gregorovius, sagt von ihr: „Ich sass manche Stunde auf den Trümmern und baute mir Capri wieder auf. Welch’ ein Anblick, denkt man sich alle diese Gipfel mit Marmorpalästen geschmückt und das Eiland bedeckt mit Tempeln, Arkaden, Statuen, mit Lusthainen und Strassen.“

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Nach Tacitus besass der römische Kaiser Tiberius, welcher die letzten 11 Jahre seiner Regierung weltscheu und von der Angst um das Leben gepeinigt, auf Capri verlebte, dort 12 Paläste und Villen, unter welchen eine der grössten die Villa Jovis auf dem steilen Ostgipfel der Insel war. Umfangreiche Ueberreste, im Volksmunde noch heute Villa Timberio genannt, lassen ihre ehemalige Anlage wenigstens ungefähr wieder zu einem Bilde zusammenfügen, bei welchem der malerische Reiz zweifellos eine grosse Rolle gespielt hat. Der Darstellung dieser kaiserlichen Palastanlage in erster Linie ist ein Werk gewidmet, das nach Möglichkeit auf die vorhandenen Reste und Quellen sich stützt, gleichwohl aber nicht als eine archäologische Arbeit, sondern als die Phantasiearbeit eines reich begabten Künstlers betrachtet werden muss. (Das Schloss des Tiberius und andere Römerbauten auf Capri. Dargestellt von C. Weichardt. Verlag von K. F. Köhler in Leipzig. Quer 4°.) Ein längerer unfreiwilliger Aufenthalt an jenen gesegneten Gestaden hat den Architekten Prof. C. Weichardt in Dresden veranlasst, in die Vergangenheit Pompeji’s und Capri’s, jener beiden Stätten des römischen Alena in welchen sich städtisches Leben in glücklichster Weise mit dem Zusammenleben mit der Natur vereinigte, vorzudringen und ihr reiches Bild unter seinem kunstgeübten Stifte wiedererstehen zu lassen. Ueber die Tempelanlagen von Pompeji konnten wir bereits im Jahrg. 1897 der D. B. berichten; die Wohnhäuser der römischen Sommerfrische sollen nachfolgen. Inzwischen hat uns der Verfasser mit seiner schönen Arbeit über Capri beschenkt. Neben der Villa Jovis berührt er noch eine Anzahl anderer Römerbauten, „um das Bild über das antike Capri bis zu einer gewissen Grenze abzurunden……

Die Villa Jovis auf Capri. Ansicht von Südosten. Nach dem Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden
Die Villa Jovis auf Capri. Ansicht von Südosten. Nach dem Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden

Ein Bild der Insel im Alterthum, nicht eigentliche Rekonstruktionen sollen hier gebracht werden.“ Das giebt den Maasstab für die Beurtheilung der Arbeit. Er wird auch durch folgende Ausführungen gegeben: „Im Herbst, wenn noch das Weinlaub an den Stöcken hängt, die fruchtbaren Gelände zwischen den steilen Felsen mit einem goldenen Netz umspinnend, zurzeit, da der Strom der Fremden noch fern ist, gewährt es besonderen Genuss, durch die Insel zu schlendern und, nur den Gregorovius in der Tasche, zwischen den sonnenbeschienenen Ginstersträuchern zu ruhen. Dann steigen vor dem inneren Auge die Tage des Kaisers Augustus und des Tiberius herauf, Träume in der flimmernden Mittagssonne; die unförmigen, von Gras überwucherten Steinhaufen nehmen Gestalt und Farbe an, glänzende Schlösser erheben sich wieder auf den Höhen und in den Buchten der fruchtbaren Thalsenkungen über zerfallendem Gestein, Treppen und offene bemalte Hallen, Ehrensäulen und Statuen ragen hervor über den kaiserlichen Gärten. Alles ist jedoch auf kleinem Raum gedrängt, denn kaum hat es sich entwickelt, so hemmt die steile, zum Meer abfallende Felswand die Entwicklung.“

Der bedeutendste der Capreser Römerbauten war die Villa Jovis; zweifellos in mehreren Geschossen über einander hat sich der Bau auf steilem Felsen im Osten erhoben. Ferner standen die Bauten unten am Meere, auf dem heutigen Exerzirplatze; ihre Ruinen ragen aus den brandenden Meereswogen heraus; sie standen auf halber Inselhöhe, wo heute das Kloster sich erhebt, sie standen an der Punta Vitara, an der Punta Tragara, am Monte Castiglione, auf dem Monte Michele, sie standen an allen hervorragenden Punkten der östlichen Hälfte des gesegneten Eilandes. Die auffallende Bevorzugung dieses Theiles der Insel erklärt sich aus seiner vielgestaltigeren Form und aus der grösseren Nähe zum Festlande. Von dieser römischen Ansiedelung ein Bild zu geben, ist der Zweck des inrede stehenden schönen Werkes. Aber wenn auch alles Thatsächliche zu Rathe gezogen und sorgfältige Vergleiche mit anderen Römerbauten angestellt wurden, so bezeichnet der Verfasser das Verhältniss des von ihm hervorgerufenen Bildes zur einstmaligen Wirklichkeit doch nur gleich dem des historischen Romanes zur wirklichen Geschichte. Es sei eine Arbeit, „geboren aus der sonnigen Feiertagsstimmung, die das ganze Jahr hindurch, selbst beim Brausen der Stürme, auf diesem glücklichen Eiland herrscht“. Und in dieser archäologischen Anspruchslosigkeit wollen wir die Arbeit, welche einen reichen Buchschmuck an Titelköpfen und Randleisten, die unter der Leitung des Verfassers von seinen Schülern an der kgl. Kunstakademie in Leipzig gezeichnet wurden, erhalten hat, hinnehmen. – (Schluss folgt.)

Die Kaiserpaläste auf Capri.

(Schluss.)
Interessant sind die Anführungen des Verfassers, dass die Insel Capri in vorhistorischer Zeit ungefähr 200 m tiefer im Meere lag, in der Römer- und Griechenzeit aber 6 m höher aus dem Wasser herausragte, wie heute. Aus dem letzteren Umstande erklärt es sich, dass die Bauten des Augustus und Tiberius „heute noch 6 m tief im Meer als Ruinen liegen oder als schwarzbraune eisenfeste Ziegelwände aus dem Wasser hervorragen und am Meeresgestade hinaufklettern“.

Die Villa Jovis auf Capri. Wiederherstellungs-Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden
Die Villa Jovis auf Capri. Wiederherstellungs-Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden
Die Villa Jovis auf Capri. Ansicht von Osten und Wiederherstellung der Obergeschosse nach dem Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden
Die Villa Jovis auf Capri. Ansicht von Osten und Wiederherstellung der Obergeschosse nach dem Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden

Von der griechischen Stadt Capreae, die im ersten Jahrh. n. Chr. eine römische Kolonie wurde, sind Gebäude nicht mehr übrig, dagegen finden sich in den Weinbergen und Citronenpflanzungen noch zahlreiche Reste antiker Hausanlagen. Im Jahre 29 v. Chr., bei seiner Rückkehr aus Asien und kurz vor seinem dreitägigen Triumph in Rom, kam der 33 Jahre alte Augustus nach Capri, das 43 Jahre in seinem Besitz war. Weichardt nimmt an, dass der Kaiser seine grosse Baulust auch auf dieser Insel bethätigte. Eine der augusteischen Villen lag auf dem Vorgebirge, das heute den Namen Punta Tragara führt. Auf einem Bergkegel an der Nordseite der Insel, westlich von dem Gelände der alten Stadt Capreae, lag eine römische Palastanlage, deren Erbauer wohl auch Augustus war. „Palazzo al mare“ heissen die Ruinen noch heute; der Palast war ein Sommerschloss, „im Nordschatten der steilen Bergwände“, „Das Schloss am Meer lud ein zu Lustfahrten an der Küste, zum Aufenthalt und zum Baden in den kühlen Grotten, zum Wandeln in den Schattengängen des kaiserlichen Gartens auf dem sanft ansteigenden Terrain hinter dem Palast, zum Aufenthalt auf den terrassen am Meer, von denen der hohe Bau die Sonne abhielt“. Der Palast lag auf dem 25 m über dem Meeresspiegel liegenden Plateau, das 90 m lang und 60 m breit ist und heute als Exerzirplatz verwendet wird. Weichardt nimmt an, dass der Bau, „rücksichtslos gegen die Terrainschwierigkeiten“, eine Fläche von mehr als 220 m Länge und 110 m Breite bedeckt und dass er wohl den Eindruck gemacht habe, als ob er unmittelbar aus dem Meere aufsteige, „während in dem Bau ein Hügel von 30 m Höhe und beträchtlicher Breite verborgen lag“. Ausser diesem Palaste scheinen noch an anderen Stellen in der Nähe der alten Stadt kaiserliche Villenbauten oder Besitzungen reicher Bürger gelegen zu haben. Umfangreiche Römerbauten auf halber Höhe der Insel sind auf der kleineren östlichen Hälfte derselben zu suchen. Weichardt giebt von ihnen, sowie auch von den übrigen Römerbauten der Insel ein Bild, dessen Phantasiereichthum nicht leicht übertroffen werden kann. Die Anlage, die er an der Stelle des heutigen Klosters Certosa gelegen sich gedacht hat und die Gesammtanlage des augusteischen Palastes an der Punta Tragara sind treffende Bilder des üppigen Reichthumes römischen Wohllebens. Sein Hauptinteresse aber vereinigt der Verfasser auf die „Villa des Tiberius“.

Die Villa Jovis auf Capri. Ansicht von Osten. Nach dem Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden
Die Villa Jovis auf Capri. Ansicht von Osten. Nach dem Entwurf von Prof. C. Weichardt in Dresden

Die nach dem Jupiter benannten Schlossanlagen des Tiberius liegen auf dem Nordostgipfel der Insel, auf einem jäh ins Meer abfallenden Vorgebirge. Aus einer Aehnlichkeit der Palastanlage auf Capri mit dem augusteischen Palaste auf dem Palatin in Rom wird Weichardt auf die Vermuthung geführt, dass das hochgelegene Schloss auf Capri auch durch Augustus angelegt, durch Tiberius aber nur für seine besonderen Zwecke umgebaut wurde. Die Reste der Palastanlage und ihre Ergänzungen zu dem muthmaasslichen früheren Zustande sind in den Abbildungen S. 558 und 559 dargestellt. Die Buchstaben in den einzelnen Räumen der Grundrisse geben folgende Erläuterung: Von dem untersten Vestibül A I führt eine lange einarmige Treppe zu der Halle A im Erdgeschoss und zu den Wohnungen B der Haussklaven. C ist das Gebiet der Cisternen im Inneren der Gebäudegruppe, D ein tiefer liegender Gebäudetheil mit Bädern, E sind die seitlich gelegenen Räume des kaiserlichen Gefolges und F die der Palastwache. Eine breite Freitreppe führte westlich zu der Vorhalle des Erdgeschosses empor: Eine umfangreiche Rampenanlage vermittelte die Höhenverhältnisse an der Südseite des Schlosses und gab insbesondere Zutritt zum kaiserlichen Garten. Terrassen, Bogenhallen, Laubengänge usw. bereicherten das malerische Bild auch an dieser bewegtesten Seite der lebhaft zerklüfteten Baugruppe. Ueber der Vorhalle des Erdgeschosses lag im ersten Obergeschoss die offene Halle a vor den Gemächern des Kaisers, hinter ihr das Vestibül b und das Tablinum c, dann folgten die Privatzimmer des Kaisers d, das Peristil e, das halbkreisförmig ausgebaute Triclinium f, neben ihm weitere Räume des Kaisers g und h, sowie eine Reihe von Nebenräumen. Das Schlafgemach des Kaisers s mit Vorraum r lag in einem weiteren Obergeschosse und überragte die gesammte Bauanlage. Auf diesem Grundrisse erhob sich in der lebhaften Gruppirung, wie ihn die Linienzeichnung S. 559 zeigt, der von Weichardt angenommene Aufbau. Alles war mit römischem Luxus erfüllt; aber er bannte nicht die Sorge, die schwarz „ums Cederngebälk der Decke flatterte“. Von dieser Pracht, welche in Wirklichkeit kaum hinter den Annahmen des Verfassers zurückgeblieben sein dürfte, sind heute nur noch die Gewölbe, einige Fussböden und verstreute Fundstücke erhalten. Sie zu einem lebensvollen Bilde gestaltet zu haben, ist das Verdienst des schönen Werkes Weichardts. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 07. & 14.11.1900 in der Deutsche Bauzeitung.