Die Katastrophe in Antwerpen

Der Brand des Petroleumlagers, vom Scheldequai aus gesehen

Eine furchtbare Explosion hat am 6. September 1889 einen Theil des Antwerpener Hafenviertels zerstört und zahlreiche Opfer an Menschenleben gefordert. Wenige Minuten vor 2 Uhr Nachmittags vernahm man in der ganzen Stadt einen furchtbaren Knall, welchem eine gewaltige Erschütterung, wie von einem Erdbeben hervorgerufen, auf dem Fuße folgte.

Die erschreckte Bevölkerung eilte sofort auf die Straße, wo sich den Blicken ein wahrhaft gräßlicher Anblick darbot. Die Patronenfabrik von Corvilain, Place de la Commune Nro. 1, welche unmittelbar neben der Petroleum-Raffinerie von H. Rieth & Comp. lag, war in die Luft geflogen. Corvilain hatte 50 Millionen alte Remingtonpatronen in Spanien angekauft, um sie zu entladen und das zu den Hülsen verwandte Kupfer anderweitig zu verwerthen. Er hatte sich bereits an mehrere Patronenfabrikanten gewendet, die ihm bei dem Entladen helfen sollten, aber wegen der Gefährlichkeit des Unternehmens überall abschlägige Antworten erhalten. Die Patronen bestanden nämlich aus einer Hülse, welche Pulver, Vorladung und Kugel enthielt, und einer Kapsel mit Zündstoff. Letztere explodirt beim geringsten Stoß, und das größte Unglück war unvermeidlich, wenn ein Fünkchen auf das noch in der Nähe sich befindende oder um den Arbeiter herumliegende Pulver fiel, wodurch wahrscheinlich auch in diesem Falle die Explosion entstanden ist.

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Die Arbeiter und Arbeiterinnen hatten nach dem Mittag essen gerade ihre Arbeit wieder aufgenommen, als die Explosion erfolgte. Außer den brennenden Patronenhülsen flogen auch noch Kugeln herum, da von den 50 Millionen Patronen erst 15 Millionen entleert waren.

Der Brand des Petroleumlagers, vom Scheldequai aus gesehen
Der Brand des Petroleumlagers, vom Scheldequai aus gesehen

Unmittelbar neben der in die Luft geflogenen Fabrik befanden sich die Aufbewahrungsplätze für Petroleum, in denen gegen 10,000 Petroleumfässer lagerten. Bevor man sich’s versah, erfolgte auch die Explosion des Petroleumlagers, und in wenigen Augenblicken stand ein großer Theil der Docks in einem Flächenraum von mehr als einem Hektar in Flammen. Eine ungeheure Rauchsäule erhob sich über dem Brandplatze, wie auf unserem oberen Bilde zu sehen.

Das untere stellt die Bemühungen der herbeigeeilten Feuerwehr dar, wenigstens die riesigen Petroleumreservoirs der Firma Rieth & Comp., deren in Ganzen fünf mit je 500,000 Liter Inhalt vorhanden waren, vor einer Explosion zu sichern, indem sie dieselben fortgesetzt mit Wasserströmen überschütteten. Stundenlang mußten Feuerwehr und Genietruppen arbeiten, um das Feuermeer zu beschränken und ein ferneres Umsichgreifen des Brandes zu verhüten.

Die Feuerwehr schützt die großen Petroleumreservoirs der Firma Rieth & Comp
Die Feuerwehr schützt die großen Petroleumreservoirs der Firma Rieth & Comp

Die 70 Wohnhauser des Vorortes Austruweel brachen infolge des gewaltigen Luftdruckes bei der Explosion sämmtlich zusammen. Beinahe in der ganzen Stadt zersprangen die Fensterscheiben, und die furchtbare Erderschütterung war in einem Umkreise von acht Meilen bemerkbar. Die Zahl der Todten wird auf 53, die der Vermißten auf 42 und die der Verwundeten auf 62 angegeben. Der materielle Schaden ist natürlich ein ungeheurer und noch nicht annähernd genau abzuschätzen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Heft 6/1890 des Das Buch für Alle.