Die Rennbahnanlagen in Carlshorst bei Berlin

Ing.: R. Jürgens in Hamburg; Arch.: Johannes Lange in Berlin. Im April des Jahres 1893 erwarb der Verein für Hindernissrennen zu Berlin bei der heutigen Vorortstation Carlshorst der schlesischen Eisenbahn im Südosten von Berlin ein etwa 350 Morgen grosses Gelände, um auf demselben eine neue Rennbahn anzulegen.

Bis dahin hatte der Verein die Rennbahn Charlottenburg in pachtweiser Benutzung; der Wunsch jedoch, eine eigene Rennbahn zu besitzen, liess denselben von einer Erneuerung des Pachtvertrages absehen und zu dem Erwerb des vorzüglich geeigneten, durch waldige Umgebung wie durch Wasserreichthum gleich ausgezeichneten Geländes schreiten. Mit der Oberleitung der Rennbahn-Anlagen wurde Hr. Ing. R. Jürgens in Hamburg betraut, ein Fachmann, dem einerseits eigene Kenntniss des Rennsportes, sowie der Einrichtungen und Bauten der besten englischen Rennbahnen, wie andererseits volles Verständniss für die landschaftlichen Schönheiten des Geländes nachgerühmt werden können. Für die Bahn dienten die fashionablen englischen Bahnen wie die von Sandown, Goodwood, Kempton Park, Ascot usw. als Vorbild. Die Anlage der einzelnen Bahnen, die Hindernisse und die Gruppirung der Bauten sind aus dem beistehenden Lageplan ersichtlich.

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Der leitende Gedanke bestand darin, sämmtliche Bahnanlagen und Zuschauerplätze zu einem einheitlichen Park mit wirkungsvollen landschaftlichen Bildern zu vereinigen. So lag in der Erschliessung des landschaftlichen Reizes der Bahn eine der Hauptbedingungen der Anlage. Die Zuschauerräume einerseits und die Anlagen für den technischen Betrieb wie Waage, Totalisator, Sattelplatz, Führplatz der Pferde andererseits bilden zwei eng aneinander geschlossene Gruppen.

Lageplan der Rennbahn

Mitarbeiter des Hrn. Jürgens waren Hr, Arch. Martin Haller in Hamburg für die Grundzüge aller Hochbauten vom sporttechnischen Standpunkte aus und die Hrn. Maschinen-Ingenieure Hennicke & Goos in Hamburg für die Wasserversorgung des Geländes. Für die Ausarbeitung des architektonischen Theiles der Hochbauten und für die Leitung der Bauarbeiten wurde Hr, Arch. Johannes Lange in Berlin gewonnen. Mit seinen Werken wird sich die folgende Schilderung zu beschäftigen haben.

Die Entwürfe des Hrn. Johannes Lange erstreckten sich auf die grosse Zuschauertribüne, auf die Waage- und Vereinstribüne, auf den Totalisator, sowie auf den Kaiserpavillon mit Damenpavillon und Theehaus. Für die Wahl des Bauplatzes für diese Gebäudegruppe, sowie für die Stellung der Tribünen auf demselben war der Umstand maassgebend, dass bei der Beobachtung des Rennens die Sonne den Zuschauern im Rücken stehen muss. Die von allen Plätzen der Tribünen mögliche Beobachtung des Anlaufes der Pferde gebot die weitere Rücksicht, die Bauflucht der Tribünen im spitzen Winkel zur Flucht des Gebäudes anzulegen. Der Erdboden vor den Tribünen nach der Geläufseite zu ist bis 4 m hoch angeschüttet, sodass die Möglichkeit vorhanden ist, ohne die Tribünen zu besteigen schon von jedem Punkte dieses erhöhten Rasengeländes Geläuf und Bahn im ganzen Umfange gut übersehen zu können.

Von der Anlaufseite an gerechnet folgen sich die Gebäude in 3 Hauptgruppen. Zunächst der Kaiserpavillon mit Theehaus und Damenpavillon, in farbiger Haltung und bewegter Gruppirung der einzelnen Bautheile und ihrer Umrisslinie; er vereinigt sich mit dem dunklen Waldhintergrunde zu einer malerischen und in der Farbenstimmung wirksamen Baugruppe. Nach ihm folgen die grosse Zuschauer- und die Vereinstribüne; vor der Vereinstribüne liegt am Ziel das Richterhäuschen, hinter ihr, durch gärtnerische Anlagen dem Blick entzogen, der Totalisator.

Südlich hinter den Tribünen ist ein kleiner See von länglicher Gestalt ausgehoben; an ihm liegt das Restaurationsgebäude mit Musikpavillon. An der Front des Geläufes folgt weiterhin gegen Norden die Waagetribüne mit Waagehof und ein kleines Gebäude für Post, Telegraphie, Presse, Arzt und Lazareth.

Was die Gebäude im einzelnen anbelangt, so hat der Kaiserpavillon (s. die Abbildungen), mit welchem das Theehaus und der Damenpavillon in loser Verbindung stehen, die gediegendste künstlerische Ausbildung erfahren. Den Mittelpunkt des Pavillons bildet ein quadratisches Zimmer, an welches sich rechts und links Loggien für das Gefolge des Kaisers, vorn eine Veranda mit Freitreppe, hinten Nebenräume und eine Treppenanlage angliedern. Das Kaiserzimmer ist zu einem die Gruppe beherrschenden Bau in die Höhe gezogen, mit einem vierseitigen, kuppelartig geschwungenen Dach mit Laterne gedeckt und hat sowohl aussen wie innen in Deckenhöhe eine Gallerie, von der aus ein übersichtlicher Blick über das ganze Rennfeld ermöglicht ist. Für die Aussenarchitektur sind die mit modernen Elementen versetzten Formen des altnorwegischen Holzbaustils verwendet und im übrigen ist in der lebhaften Färbung der Holzarchitektur, zusammen mit den glasirten Ziegeln des stattlichen Daches eine frische Wirkung erreicht worden. Das Innere hat eine der Bestimmung entsprechende reichere Durchbildung erfahren. Die Wände umzieht eine hohe Täfelung, in welche ein grosser Mantelkamin eingesetzt ist; die Wandflächen sind mit Gobelinmalerei auf Leinwand geschmückt. Den oberen Abschluss des Raumes bildet eine reiche Holzdecke; seine Einrichtung besteht in Möbeln in altnorwegischen Stilformen. Das Holzwerk des Aeusseren und Inneren ist lasirtes amerikanisches Cypressenholz.

Kaiserpavillon mit Theehaus

Der Damenpavillon, nördlich sich an den Kaiserpavillon anschliessend und mit diesem durch einen kleinen Salon verbunden, besteht ausser diesem Salon mit Nebenräumen aus einer Treppe, einem grösseren Salon und aus dem eigentlichen 12seitigen Pavillon, der zweigeschossig, unten als Glashalle, oben als offene Halle angelegt ist.

Das Theehaus ist ein. eingeschossiger Bau von länglichem Grundriss, der sich gegen die beiden Pavillons zurückschiebt, um den Blick auf den Anlauf frei zu geben.

Die Fronten sind durch flachvortretende Erker unterbrochen, die einen freien Ausblick auf Anlauf und Ziel gewähren.

Kaiserpavillon mit Theehaus (Grundriss)

Das Innere ist als grosse Holzhalle mit offenem Dachstuhl ausgebildet. Das gesammte Holzwerk des Innern ist lasirt, das des Aeusseren grün und weiss gestrichen. Die Eingangsthüren sind zum Zwecke des schnelleren Auffindens roth gestrichen. Die Dächer sind mit rothbraunen und grünen glasirten Falzziegeln bedeckt. Auch das Aeussere des Theehauses zeigt die an nordische Einflüsse erinnernde lebhafte Gruppirung durch Eckaufbauten und basilikaartige Anordnung des Hauptraumes. Vor diesen schiebt sich nach Süden eine ungefähr halbrunde Glasveranda mit Dachterrasse vor.

Rennbahnbauten in Carlshorst bei Berlin – Kaiserpavillon mit Theehaus und Damenpavillon

Die Baukosten für die vorstehend skizzirte Baugruppe haben für 1 qm nur 155 M. betragen, unter Berücksichtigung der 4,5 m hohen Untermauerung ein sehr niederer Betrag.

Der nächstbedeutende Bau der Anlage ist die grosse Zuschauer-Tribüne. Um die geforderte grosse Anzahl von Plätzen unterbringen zu können, musste die Tribüne bei 63 m Länge die ungewöhnliche Tiefe von 14 m erhalten und es musste darauf Bedacht genommen werden, im mittleren Theile der Tribüne und in halber Tıefe noch eine Dachtribüne anzulegen. Grundrissanlage und Schnitt sind aus den beistehenden Abbildungen ersichtlich, Zu ihnen ist noch zu bemerken, dass die Stufenabsätze eine Höhe von 0,48 m, etwas mehr, als gewöhnlich üblich, erhalten haben, um dem Zuschauer zu ermöglichen, sowohl sitzend wie auch stehend das ganze Gelände übersehen zu können. Rechnet man dazu die schon früher erwähnte 4 m hohe Erdanschüttung der Tribüne, so ergab sich für dieselbe eine ungewöhnliche Höhe, welche unter anderem dadurch zum Ausdruck kommt, dass die mittleren Binderstiele von 26:26 cm Querschnitt 17 m hoch wurden. Diese erhebliche Höhen-Entwicklung war die Veranlassung, die sonst übliche Form des Pultdaches zu verlassen und ein Satteldach zu wählen.

Tribünen-Anlagen der Rennbahn in Carlshorst bei Berlin

Die Lage der Traufkante der vorderen Dachfläche, welche soweit vorgeschoben ist, dass die Zuschauer den Schutz gegen den Regen nicht verlieren, wurde derart bestimmt, dass sich vom Sitzplatze der obersten Reihe aus ein Elevationswinkel der Sehstrahlen von 10° ergiebt. Die eigenartigen Verkehrs-Verhältnisse einer Rennbahn und die dadurch bedingte zeitweilige schnelle Besetzung der Tribüne machten eine grosse Zahl von Treppen-Aufgängen nöthig. Zwei besondere Treppenthürme vermitteln den Verkehr von der Restauration unter den Tribünen, die eine Länge von 54 und eine Breite von 14 m erhalten hat, bis zu den obersten Tribünenplätzen. An die Restauration schliessen sich rechts und links Geschirr-Räume, Damengarderoben und Toilettenräume an. Auch hier haben sich die aus dem Norden übernommenen Stilanklänge für die architektonische Gestaltung bewährt. Die Kosten auch dieses Baues hielten sich innerhalb mässiger Grenzen; sie haben für das qm bebaute Fläche nur 80 M. betragen.

Tribünen-Anlagen der Rennbahn in Carlshorst bei Berlin

Die Wage- und die Vereins-Tribüne sind kleinere Bauten nördlich der grossen Haupttribüne. Unter der Vereins-Tribüne befinden sich im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss Räume für die Hauptkasse, für das Sekretariat sowie Schreib- und Konferenzzimmer für den Vorstand. Unter der Wagetribüne befindet sich der grosse und hohe Wageraum: zu seinen beiden Seiten liegen Ankleideräume für Herren- und Berufsreiter.

Der Totalisator ist für 20 Einzahlungs- und 6 Auszahlungskassen eingerichtet. In der Mitte zwischen den letzteren befindet sich das Rechnungs-Bureau. Vor den Einzahlungskassen befindet sich ein Gehege mit Drehkreuz: der „Totalisatorring“. Maasszebend für die Anlage war Uebersichtlichkeit der Kontrolle. Die Baukosten der Wage- und der Vereins-Tribüne haben gleichfalls 80 M. für das qm betragen, die des Totalisators 55 M.

An der Ausführung der ganzen Rennbahn-Anlage waren ausser den bereits genannten Kräften noch betheiligt: für die sporttechnischen Fragen Hr. Major von Schmidt-Pauli; für die Erd- und Maurerarbeiten Ing. Selchow in Köpenick; den Haupttheil der Zimmerarbeiten führten Rathszimmermeister Hesse in Berlin und Zimmermeister Schubert in Friedrichshagen aus. Die dekorativen Holzarbeiten des Kaiserpavillons wurden von der Wolgaster Aktien-Gesellschaft, vormals J. Heinrich Kraeft, die glasirten Falzziegel von Neumeister in Berlin geliefert.

Die Malerarbeiten hatte Emil Hoffmann. Der Beginn der Arbeiten für die Hochbauten erfolgte im Oktober 1893, ihre Fertigstellung und Eröffnung bereits am 9. Mai 1894; sie beanspruchten somit zu ihrer Errichtung die auffallend kurze Zeit von nur etwas über 7 Monaten. Diese kurze Bauzeit, sowie die niedrige Bausumme der Hochbauten, die insgesammt den Betrag von etwa 320 000 M. nicht überschritt, sind ein sprechendes Zeugniss für die Thatkraft und die Umsicht des leitenden Architekten, dem Berlin in den genannten Hochbauten eine Rennbahn-Anlage verdankt, die sich der Anziehungkraft für weite Kreise erfreut. Beweis dafür ist das schnelle Aufblühen des neu gegründeten schmucken Vorortes Carlshorst. Auf das als ein Zubehör der Rennbahn zu betrachtende, aber als selbständiges Unternehmen und durch einen anderen Architekten errichtete, mit umfangreichen Stallungen verbundene Logirhaus beabsichtigen wir in einer späteren Mittheilung zurück zu kommen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 07.09.1896 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „-H.-“.