Das geplante Velodrom am Kurfürstendamm zu Berlin

Architekten: Cremer & Wolffenstein, Rinkel in Berlin. Die ungewöhnliche Ausdehnung des Radfahrsportes hat in den verschiedenen Grossstädten verschiedene Einrichtungen grösseen Stiles gezeitigt, welche nicht nur darauf angelegt sind, die Ausübung des Radfahrsportes zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung zu gestatten, sondern welche auch die Möglichkeit bieten sollten, Sportfeste der verschiedensten Art abzuhalten.

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So wurde in Paris das eine der beiden grossen, aus Anlass der Weltausstellung von 1889 auf dem Marsfelde errichteten Bauwerke, das Palais des arts liberaux, dem Radfahrsporte dienstbar gemacht und es kam diesem Zwecke in seiner Anlage so entgegen, dass eine gerade Fahrbahn von etwa 500 m Länge erreicht werden konnte. – Der Umstand, dass in Berlin wohl eine Reihe kleinerer gedeckter Bahnen bestehen, welche das Radfahren bei jeder Witterung ermöglichen, dass aber bis zur Stunde keine grössere gedeckte Anlage vorhanden ist, welche neben der unabhängigen Ausübung des Radfahr-Sportes auch die Möglichkeit zu festlichen Veranstaltungen grösseren Stiles bietet, wie zu Sommerfesten mit Illumination, Maskenfesten zu Rad, Blumenfesten usw., leitete die Architekten und eine Gruppe unternehmungslustiger Kapitalisten, welche sich zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zusammenschlossen, auf den Gedanken, in Berlin ein solches Unternehmen hervorzurufen. Als Bauplatz bot sich hierfür ein Gelände am Kurfürstendamm, an dem von den Radlern bevorzugtesten Strassenzuge Berlins, der nach dem vielbesuchten Grunewald führt, dar. Die Lage war eine ausgezeichnete und das Grundstück selbst für den Zweck wohl geeignet. Es wird nach dem Lageplan vom Kurfürstendamm einerseits, auf welchen der Hauptzugang zu dem Velodrom münden sollte, andererseits von der Strasse 12a, der Knesebeck- und der Lietzenburger Strasse begrenzt und hatte ausschliesslich des Eckgrundstückes an der Lietzenburger und Knesebeck-Strasse einen Flächenraum von 9 Morgen 155 Q.-Ruthen oder 25 183 qm.

Abbildg. 1 – Lageplan
Abbildg. 2 – Grundriss

Von dem Gedanken ausgehend, die auf dem Platze mögliche geräumige Anlage zu einem Sammelpunkte der Sportwelt des Rades und ihrer Anhänger zu machen, führte unter verschiedenen Gedanken auch zur Bearbeitung desjenigen, nach welchem auf dem Grundstücke in der Richtung von Norden nach Süden eine möglichst lange Fahrbahn nach dem Vorbilde der Fahrbahn im Palais des arts liberaux in Paris angelegt werden sollte. Da es sich jedoch herausstellte, dass auf diesem Wege höchstens eine Länge von 250 m (gegen 500 in Paris) zu erreichen war, so liess man diesen Gedanken wieder fallen und gelangte zu der in den beigegebenen Abbildungen dargestellten sorgfältig durchdachten Anlage. Dieselbe wurde nicht in voller Freiheit geplant, sondern diese wurde durch die Absicht eingeschränkt, das sehr werthvolle Gelände an den Fronten gegen den Kurfürstendamm und gegen die Knesebeck-Strasse möglichst durch Wohnhausbauten auszunutzen, wie es der Lageplan (Abbildg. 1) andeutet, und lediglich den rückwärtigen Theil des Geländes mit einem Ausmaass von 22 606 qm zu der geplanten Anlage zu benutzen. Nach der endgiltigen Planung sollte diese nach dem Grundriss Abbildg. 2 aus einem vorderen passageartigen Eingangstheile mit Läden, Restaurationsräumen, Räumen für die Hauswirthschaft, aus Umkleideräumen für Herren und Damen, aus einem Aufbewahrungsraume für Fahrräder, aus einer 15 m breiten und 69 m langen Lehrbahn, aus einem 40 m breiten und nahezu 100 m langen Velodrom, aus einer Rundbahn von 9,5 m Breite, aus einer von dieser eingeschlossenen elliptischen Sommerbahn, aus einem Kesselhause mit Akkumulatoren-Magazin und aus einer Räder-Reparatur-Werkstätte bestehen. Bis zu seiner etwaigen Bebauung war geplant, den Theil des Geländes, welcher an der Ecke des Kurfürstendammes und der Knesebeck-Strasse liegt, als Sommergarten für Restaurationszwecke anzulegen.

Abbildg. 3 – Fassade am Kürfürstendamm
Abbildg. 4 – Schnitt durch das Velodrom
Abbildg. 8 – Querschnitt durch die Passage und Läden

Der Hauptzugang zum Velodrom war vom Kurfürstendamm her durch eine 8,14 m breite, mit Glas überdeckte Passage mit Läden und einem Restaurant gedacht. Von ihr aus sollte man in eine in gleicher Richtung liegende Vorhalle gelangen, an welcher rechts und links die Umkleideräume für Damen und Herren in Verbindung mit ausgedehnten Toilette- und Douche-Räumen geplant waren. Nicht weit davon sollte der geräumige Aufbewahrungsraum für Fahrräder an einem besonderen Hofe zum Reinigen der Räder liegen. Durch eine unmittelbare Zufahrt konnte er mit der Strasse 12a in Verbindung gesetzt werden. An dem grossen Velodrom (s. Querschnitt Abbild. 4) sollte eine ausgedehnte Restauration liegen, welche von der zweckmässig gelegten Küchenanlage für die Strassenrestauration aus mit bedient werden konnte. Zu ebener Erde umzieht nach dem Plane sowohl das Velodrom wie die Rundbahn ein erhöhtes Trottoir für Zuschauer, während eine Empore an der nördlichen Seite des Velodroms angeordnet war und durch zu beiden Seiten der Vorhalle wie auch zu beiden Enden des Velodroms liegende Treppen zugänglich gemacht war. Sowohl die Rundbahn wie die 72 m lange und 76 m breite Sommerbahn standen einerseits unter sich durch zahlreiche verschliessbare Thüren in Verbindung und ermöglichten auch durch grosse Oeffnungen ein Einfahren in das Velodrom derart, dass ausgedehnte Rundfahrten hätten gefahren werden können. Es war geplant, die Sommerbahn im Winter in eine Eisbahn umzuwandeln. Für die Wandflächen der Rundbahn war eine Dekoration gedacht, welche im Laufe der Zeit gewechselt werden konnte.

Abbildg. 5 – Ansicht gegen die Strasse 12a

Die gesammte Anlage sollte in ihren konstruktiven Theilen aus Mauerwerk und hauptsächlich aus Eisen bestehen, für welches in dem auf zusammen 900 000 M. berechneten Kostenüberschlag eine Summe von 220 000 M. vorgesehen war. Allenthalben waren die Architekten für eine ausgiebige Beleuchtung durch Tageslicht, entweder durch hohes Seiten- oder durch Oberlicht bedacht. Mit Rücksicht auf festliche Veranstaltungen war ausserdem eine reiche elektrische Beleuchtung von 75 Bogen- und 1250 Glühlampen mit einem Aufwande von etwa 75 000 M. geplant. Eine Frage vieler Ueberlegung war die Heizungsfrage. Einerseits war der gewaltige Luftraum von 111,240 cbm zu erwärmen andererseits ergab sich eine nicht leicht zu lösende Schwierigkeit aus dem Wunsche, mit der Heizung sowohl dem lebhaft sich bewegenden Radfahrer, wie auch dem ruhig stehenden oder sitzenden Zuschauer gerecht zu werden. Man hoffte das mit der Dampfheizung erreichen zu können, für welche ein Betrag von etwa 60 000 M. ausgeworfen war.

Abbildg. 6 – Innen-Längsansicht nach dem Haupteingang

Die architektonische Durchbildung der Anlage geht aus unseren Abbildungen deutlich hervor und lässt erkennen, dass sie der. Bedeutung und der Bestimmung der Anlage entsprechend würdig und schön geplant war.

Abbildg. 7 – Längsschnitt durch die Passage

Die Ausführung dieses interessanten Entwurfs unterblieb, weil die Grundstücke des infrage kommenden Baublockes inzwischen eine solche Werthsteigerung erfahren hatten, dass es aussichtsreicher erschien, sie für Wohnungszwecke auszunutzen. Aber auch nur als Entwurf werden unsere Leser den hier zur Darstellung gebrachten Gedanken als einen interessanten Beitrag zu dem Satze: „Neue Bedürfnisse, neue Bauwerke“ entgegennehmen. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 25.06.1898 in der Deutsche Bauzeitung.