Für eine Stadt mit 1000jähriger Geschichte, die mannichfache Umwandlungen erlebt hat, sind als feste Marksteine ihrer Entwicklung einzelne Perioden planmässiger Erweiterung des Stadtgebietes zu unterscheiden. In dem nebenstehenden Uebersichtsplane von Ulm ist versucht worden, diese Erweiterungen in ihrer geschichtlichen Reihenfolge entsprechend hervorzuheben.
Ausgangspunkt der Entwicklung von Ulm war der Weinhof, welcher den Kern des einstmals hier vorhandenen Römercastells und der an derselben Stelle erbauten kaiserlichen Pfalz bildete. An diesem früher Kaiserhof genannten Platz steht heute der sog. „Neue Bau“, ein gewaltiges Kanzlei- und Lagergebäude, das in den Jahren 1583-1599 auf den Mauern des Prätoriums erbaut wurde. Vor den Thoren der kaiserlichen Burg siedelten sich die Pfahlbürger an; die Ummauerung dieser unter dem Schutze der Burgmauern entstandenen Ansiedelung ergab auch die erste Stadt Ulm, deren Ausbau sich gegen Norden und Osten vollzog, während gegen Süden und Westen der Steilabfall der Hochfläche von der Blau und der Donau bespült wurde. Diese erste Befestigung eines Stadttheils ausserhalb der Burg stammt aus dem 10. Jahrhundert und wurde wohl infolge der Einfälle der Ungarn errichtet. Ist die Gründung der Pfalz nach den ältesten Urkunden den Karolingern zuzuschreiben, so erfolgte die erste Erweiterung derselben zu einer Stadt unter den sächsischen Kaisern.
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Die zweite Erweiterung, deren Spuren in den Strassen der Altstadt noch deutlich verfolgt werden können, geschah unter den Hohenstaufen im 12. Jahrhundert. Dieselbe schliesst den heutigen Münsterplatz vollständig mit ein. An der jetzigen Einmündung der Hirschstrasse auf dem Münsterplatz stand das sog. Lowenthor. Manche in der Stadt zerstreute Ueberreste erinnern noch an die dort angebrachten Wappenthiere.
Gegen die Donau, an dem Zugang zu der jetzigen Ludwig-Wilhelmsbrücke, stand auf der Ostseite der damaligen Stadt das Armbrustschützenthor. Vor den Mauern entstanden sodann allmählich 2 Vorstädte. Gegen Norden die Löwenstadt und über der Donau drüben, durch eine Brücke mit dem linken Ufer verbunden, der Ort Schwaighofen, das heutige Neu-Ulm. General v. Löffler bezeichnet in seiner Geschichte der Festung Ulm diese hohenstaufische Befestigung der erstmals in grösserem Umfange erweiterten Stadt als die romanische – dem Stil entsprechend, welcher damals in der Baukunst herrschte. Von all diesen ältesten Bauwerken der Stadt sind infolge der mehrfachen gründlichen Zerstörungen, welchen dieselbe in Kriegszeiten ausgesetzt war, nur noch kümmerliche Ueberreste in einigen Mauern und Skulpturtheilen vorhanden. So wurde im Jahre 1134 unter Lothar II. die Stadt von Herzog Heinrich dem Stolzen von Bayern bezwungen und eingeäschert.
Schon bei dem Wiederaufbau der Stadt, der unter dem hohenstaufischen Kaiser Konrad III. erfolgte, scheint die dritte Erweiterung des Stadtgebietes auf den Umfang der gegenwärtig noch vorhandenen mittelalterlichen Befestigung erfolgt zu sein. Dieselbe ist im Süden und Südosten durch die Donau begrenzt. Gegen Norden bildet die heutige Olgastrasse und untere Promenade, zwischen Alt- und Neustadt gelegen, eine deutliche Abscheidung des damals schon eingefriedigten Stadtgebietes, während sich auf der West- und Südwestseite entlang der Promenade bis zur Donau eine Reihe alter Bauten und Befestigungswerke hinzieht, deren Grundmauern bis in die Hohenstaufenzeit zurückreichen.
Dieser noch heute in ihrem Umfang durch die mittelalterliche Befestigung und in ihrer Bauweise durch die engen gewundenen Strassen und dicht aneinander gereihten Häuser deutlich erkennbare Theil der Stadt, die sog. Altstadt, umfasst einen Flächenraum von rd. 100 ha. Der allmählichen Verbesserung der Waffentechnik entsprechend und in Anlehnung an die nach und nach entstehenden reicheren Stilformen, wurde die Hohenstaufenmauer mit Zinnen, Eck-, Wacht- und Thorthürmen reichlich versehen. Diese sog. gothische Befestigung bildete sich in 2 Haupt-Bauperioden immer mehr aus und herrschte von der Mitte des 12. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, also bis gegen Ende des Mittelalters.
Als im 16. Jahrhundert zurzeit der Reformations-Kriege die Feuerwaffen an Bedeutung gewannen, konnten die seither angewandten Mauern und Thürme mit den hohen Dächern, Erkern und Verzierungen der Gothik als der Zerstörung zu sehr ausgesetzt, dem Bedürfniss nicht mehr genügen. Hauptsächlich fehlte es auch an Raum zum Aufstellen von Geschützen auf den Mauern. Kein Geringerer als Albrecht Dürer machte damals, im Jahre 1527, Vorschläge zur besseren Befestigung der deutschen Städte. Aus Anlass des Bauernkrieges kam bald in Ulm der Einfluss der Nürnberger zur Geltung; es wurden die Dürer’schen Bastionen gebaut und die Hauptthore, das Glöcklerthor, Herdbrucker-Thor, Frauenthor und Neuenthor mit Vorwehren versehen.
Verbesserungen dieser Befestigungsart nach italienischer Weise folgten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. und wurden fortgesetzt, bis mit der Durchführung der niederländischen Befestigung zu Anfang des 17. Jahrh. ein gewisser Abschluss erreicht war. Heute noch steht an der Donau beim Gänsthor die sog. Adlerbastei mit dem steinernen Reichsadler und dem hoch über der Donau gelegenen Erker als ein Wahrzeichen aus jener Zeit.
Manche Aenderungen erfuhren die Festungswerke in den Kriegen des 17. Jahrhunderts, bis General Moreau im Oktober 1800 die Schleifung der Festung anordnete. Nochmals musste Ulm die Schrecken einer Belagerung durchmachen, als Napoleon I. im Oktober 1805 die Festung einnahm. Die schon halb zerstörten Werke waren von General Mack wieder nothdürftig instand gesetzt worden. Sofort wurden nun die Werke vollends niedergelegt und Ulm war von da ab offene Stadt. Leider war die Zeit zu Anfang dieses Jahrhunderts, in der Ulm zuerst kurze Zeit unter bayerischer Herrschaft stand, dann aber unter Abtrennung seines rechtsufrigen Gebietes dem Königreich Württemberg einverleibt wurde, nicht dazu angethan, die günstige Gelegenheit zu einem Aufschwung in wirthschaftlıcher Beziehung ausnutzen zu können.
Als im Jahre 1841 der Major v. Prittwitz vom königl. preussischen Ingenieur-Korps, der spätere Gouverneur der Festung, seinen ersten Bericht über die Erbauung der neuen Bundesfestung von Ulm einreichte, hatte die Stadt ihren seitherigen Stand nothdürftig erhalten.
Von einer Ueberschreitung der unmittelbar der mittelalterlichen Befestigung vorgesetzten späteren Werke war keine Rede und sollte auch noch lange nicht die Rede sein, trotzdem Prittwitz sich in seinem Bericht sehr entschieden dafür aussprach, dass bei dem Entwurf der neuen Befestigung von Ulm auf „die Möglichkeit, die Stadt zu erweitern“ Rücksicht genommen und daher von der Benutzung, bezw. Wiederherstellung der alten Umfassung namentlich der alten Befestigung der Stadt oberhalb und unterhalb an der Donau, abgesehen werde.
So wurden damals in 15jährigem ununterbrochenem Bau die gegenwärtig vorhandenen Werke der Festung erbaut. – Erst nach den Kriegsjahren 1870-71 sollte sich aber die Voraussicht des Erbauers der neuen Festung bewähren. In den Jahren 1870-1895 wurde die sogen. Neustadt mit einem Flächeninhalt von 60 ha vollständig überbaut. Diese vierte Erweiterung des Stadtgebietes war jedoch hierdurch erst zumtheil für die Bebauung in Anspruch genommen worden. Auf der Nord- und Ostseite waren noch 2 grössere Gebietstheile frei geblieben, bei welchen besondere Umstände eine rasche, ungehinderte Inanspruchnahme für Bauzwecke erschwerten. Während nämlich die Neustadt gegen Norden und Nordosten in ebenem Grund bis zum Fusse des Michelsberges, an dem sich die Hauptbahn nach Stuttgart entlang zieht, im Allgemeinen günstiges Baugelände vorfand und nur die Gräben der niederländischen Werke Schwierigkeiten für die Gründung einzelner Gebäudegruppen boten, ist einerseits der Michelsberg ein steiler Hang, der bis zu 100 m über der Altstadt aufsteigt und nur mangelhafte Zugänge besitzt, während andererseits auf der unteren Bleiche der alte Friedhof und der Kehlrayon eines Laboratoriums auf dem Festungsgelände auf lästige Weise in das sonst günstig gegen Baugelände eingriffen. Erst der dringenden Noth, welche in neuester Zeit aus der raschen Entwicklung der Stadt wegen des Mangels an Plätzen für kleinere Wohnungen und industrielle Anlagen erwuchs, gelang es, auch diese Fesseln zu sprengen und die Heranziehung dieser beiden Gebiete für die Ausdehnung der Stadt mit einem Gesammt-Flächeninhalt von rd. 90 ha zu bewirken. Damit waren bis gegen das Ende des Jahrhunderts die sämmtlichen Plätze innerhalb der neuen deutschen Befestigung vergeben. Wenn sie auch noch nicht vollständig überbaut waren, so hatten sie doch ihre feste Bestimmung und mit der Befriedigung dringender Bedürfnisse, wie des Baues von Arbeiter-Wohnungen, musste schon hinausgegriffen werden über die durch die innere Umwallung gezogenen Baugrenzen. Nur dem einsichtsvollen Entgegenkommen der Reichsbehörde war es zu danken, dass die ausnahmsweise Genehmigung zur Erstellung eines Wohnviertels für Arbeiter und Bedienstete auf der unteren Bleiche ausserhalb des Walls unmittelbar vor der Ostfront ertheilt werden konnte.
Bald ergab sich jedoch, dass diese ausserordentliche Genehmigung nur einen Nothbehelf darstelle und dass ein entscheidender Schritt in der Richtung auf eine grössere fünfte Erweiterung geschehen müsse, wenn die Entwicklung nicht stocken sollte. Die bezgl. Verhandlungen mit den Reichsbehörden zeigten, dass eine Beseitigung der Hauptumwallung, wenn auch mit bedeutenden Opfern, zu erreichen sein werde. Die Vorverhandlungen sind vor kurzem inform eines Vertrages zum Abschluss gekommen. Die innere Umwallung geht nach Abschluss desselben mit einer Fläche von rd. 70 ha nach Abzug der für militärische und Eisenbahnzwecke nothwendigen Flächen um einen Preis von rd. 3 900 000 M., welche in 20 gleichen unverzinslichen Jahresrathen zu bezahlen sind, in das Eigenthum der Stadtgemeinde über. Während das seitherige Stadtgebiet innerhalb der Umwallung rd. 280 ha umfasste, zeigt das Erweiterungsgebiet ausser den rd. 70 ha der Hauptumfassung noch weitere rd. 480 ha. Hiervon liegen auf der Ostseite der Stadt rd. 120 ha, auf der Westseite rd. 360 ha, welche nun von den lästigen Bestimmungen des Festungesrayons befreit werden. –
Die neuen Theile sind abwechslungsreich und günstig gelegen. Der kleinere Theil gegen Osten wird, soweit er in der Thalsohle liegt, als Arbeiter- und Fabrikviertel ausgestaltet werden, während an den Hängen des aussichtsreichen Safranberges sich ein günstig gelegenes Wohnquartier entwickeln wird. Hier soll auch das neue Bürgerhospital am Südabhang eine äusserst vortheilhafte Stellung einnehmen. Auch für den Michelsberg ist ein besseres Wohnquartier vorgesehen; es ist bestimmt worden, dass dort nur mit 14 m Gebäudeabstand und nicht über 14 m Gebäudehöhe gebaut werden soll. Besondere Pflege wird dem an der Donau gelegenen Park in der Friedrichsau mit seinen Gesellschaftsgärten zugewendet. Der grösste Theil gegen Westen umfasst die breite Sohle des Blauthales und die dieselbe einschliessenden Höhen am Eselsberg gegen Norden und am Kuhberg gegen Süden.
Während sich in der Mitte des Ausdehnungsgebietes, entlang den klaren Gewässern der Blau, die 18 km weiter oben in dem herrlichen Blautopf entspringt, schattige Spaziergänge entwickeln werden, ist die Gestaltung des nördlich gelegenen Theiles des Erweiterungsgebietes bestimmt durch die Lage und Durchbildung eines grossen neu anzulegenden Rangirbahnhofes, an den sich Industriegebiete mit Gleisverbindung angliedern werden. Ob auch der Personenbahnhof eine Umgestaltung erfahren. kann, ist noch zweifelhaft, so wünschenswerth eine nähere Verbindung des durch den jetzigen Bahnhof abgetrennten Gebietes mit der Altstadt wäre. Je nachdem hier die Entscheidung fällt, sind die Verbindungsstrassen gegen Westen entweder über den bestehen bleibenden Bahnhof hinwegzuführen, oder es ist der Personenbahnhof gegen Nordwest zu verschieben; dann müssen die Hauptausfahrtgleise gegen Süden in die Höhe genommen und die Strassen unten hindurch geführt werden. Am unteren Kuhberg und Galgenberg gegen Südwesten gelegen ist noch genügend Raum für ein grosses Wohnviertel in herrlicher Lage am Steilabfall gegen das Iller- und Donauthal. Dass auch die Donauschiffahrt bei der Ausbildung der neuen Stadt einen wesentlichen Faktor bilden wird, ist selbstverständlich.
Ueberall im Reich wird mit Interesse verfolgt werden, wie die alte Festungsstadt, welche den grossartigen Münsterbau in ihren Mauern umschliesst, mit aller Kraft bemüht ist, sich die Grundlagen für eine weitere gesunde Entwicklung zu schaffen. Dass die Stadt in diesen Arbeiten von allen Seiten unterstützt wird, ist nicht zu verwundern. Aehnlich wie in Mainz sollen auch hier die Besitzer von Grundstücken, welche eine bedeutende Werthserhöhung erfahren, wenn die Rayonbestimmungen in Wegfallkommen, zu den Kosten der Niederlegung der inneren Umwallung herangezogen werden. Ob auch der Staat Württemberg seiner Reichsfestung einen Beitrag zu den Kosten der Niederlegung verwilligen wird, ist noch zweifelhaft.
Zur vorläufigen Orientirung über die geplanten Anlagen mag die mitgetheilte Planskizze genügen. Wir werden später nicht versäumen, Einzelheiten aus den alten und neuen Gebieten der interessanten Stadt vorzuführen.
Ueber die Art, wie dieser jüngste Stadterweiterungsplan vorbereitet wird, soll hier nur mitgetheilt werden, dass zunächst ein Vorentwurf aufgestellt worden ist, aufgra8 dessen unter Zuziehung der Hrn. Oberbrth. Prof. Baumeister-Karlsruhe, Geh. Brth. Stübben-Köln und Stdttbrth. Kölle-Stuttgart die Grundzüge für die Einzelbearbeitung festgestellt wurden. Nachdem dieselben in einer Sitzung der bürgerlichen Kollegien vom 18. August d. J. genehmigt worden sind, ist z. Z. die endgiltige Feststellung des Planes im Werke. –
Dieser Artikel erschien zuerst am 25.11.1899 in der Deutsche Bauzeitung.