Unsere Diplomaten im Ausland – 1. Die deutsche Botschaft in Washington

Der Empfangssalon in der Botschaft

Hierzu 10 photographische Aufnahmen. In Washington, der prächtigen Hauptstadt der nordamerikanischen Union, ist ein zweites „Weißes Haus“ erstanden. Das ältere und berühmtere gehört Uncle Sam, das neue, in dem aber auch schon ein gut Teil Geschichte gemacht worden ist, dem deutschen Michel.

In dem ersteren residiert Präsident Theodor Roosevelt, in dem andern der Vertreter des Deutschen Reichs, Freiherr Speck von Sternburg. Seitdem der deutsche Botschafter und seine amerikanische Gemahlin ihren Einzug in das Botschaftspalais an der Massachusetts Avenue gehalten haben, ist dieses, dem jahrelang die sorgende Hand der Hausfrau gefehlt hat, einer gründlichen Renovierung und Umgestaltung unterzogen worden, wobei dem Geschmack und den Wünschen der neuen Herrin des Hauses in jeder Hinsicht Rechnung getragen worden ist. An den Kosten ist nicht gespart worden, und so gilt die deutsche Botschaft heute für eine der schönsten Residenzen in Washington, würdig ihre Eigentümers, des Deutschen Reichs.

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Das Botschaftspalais verdankt den Namen des „Weißen Hauses“ nicht seinem Aeußern, wie die herrliche Amtswohnunag des amerikanischen Präsidenten, sondern seinem Innern, in dem überall die weiße Farbe vorherrscht, die den prächtigen Gemächern, den weiten Sälen und Hallen einen ungemein freundlichen und doch anheimelnden Ton verleiht. Weiß überall, auf den Treppen, an den Wänden und Decken, und von dieser Grundfarbe heben sich die reichen Vorhänge und Draperien, die orientalischen brie-á-brac, die Gemälde und die übrigen farbigen Dekorationen kräftig und wirkungsvoll ab. Das Arrangement ist ganz das Werk der Frau von Sternburg, die einen Teil des Urlaubs opferte, um alles persönlich zu überwachen. Sie und ihr Gatte, der amerikanischen Charakter und Wesen wie keiner seiner Vorgänger erkannt hat, haben das Botschaftspalais zu einem der gesellschaftlichen Mittelpunkte Washingtons gemacht, und ihre Gäste sind einstimmig in der Bewunderung des auserlesenen Geschmacks, der bei der Umgestaltung des Palais gewaltet und es in ein Feenschloß umgewandelt hat. Die weiße Farbe begrüßt den Besucher bereits beim Betreten der weiten Halle im Erdgeschoß, das fast ganz den Bureaus der Botschaft überlassen ist. Von hier aus führt eine weiße Marmortreppe ins erste Stockwerk, in eine Empfangshalle. Wie im unteren Stockwerk sind Wände, Decke und Holzwerk auch hier schneeweiß, ein wirkungsvoller Grund für das tiefe Rot der Fenstervorhänge und der Mahagonimöbel. Der Treppe gegenüber hängen lebensgroße Oelgemälde des Kaisers und der Kaiserin. Mehrere massive chinesische Schränke, ein chinesischer Windschirm und auserlesene Nippes erhöhen den künstlerischen Eindruck des Arrangements.

Palais der deutschen Botschaft in Washington
Palais der deutschen Botschaft in Washington
Vorhalle mit dem Kaiserbildnis
Vorhalle mit dem Kaiserbildnis

In die Halle mündet linker Hand der weite Empfangssaal. Dessen Decke ist weiß, und die Wände sind mit zartgelbem Seidendamast bekleidet. Die Fenstervorhänge und Portieren sind grün und die reichgeschnitzten Eichenmöbel mit modefarbenem Gobelinstoff bezogen, eine Farbe, die auch in den Teppichen vorherrscht. Ueberall stehen reich eingelegte indische und chinesische Schränkchen. Ein chinesischer Schirm verdeckt den Kamin, auf dessen Gesims wundervolles chinesisches Porzellan seinen Platz gefunden hat. Was aber dem Gemach eine ganz besondere Physiognomie gibt, ist eine Anzahl eigentümlich geformter Spiegel in silbernen Rahmen und ebensolche Wandleuchter. Sie bilden eine eigenartige Dekoration, die den Anspruch der Neuheit und Originalität erheben kann. An den Salon stößt ein kleiner Alkoven, dessen Wände mit alten Stichen und Photographien mit Autogrammen bedeckt sind.

Freifrau Speck von Sternburg. Gemahlin des deutschen Botschafters
Freifrau Speck von Sternburg. Gemahlin des deutschen Botschafters
Der deutsche Botschafter Freiherr Speck von Sternburg
Der deutsche Botschafter Freiherr Speck von Sternburg

Besonders reich und eindrucksvoll ist der anstoßende Speisesaal. Die Wände sind bis zur halben Höhe mit weißem Holzgetäfel und darüber mit weißer Ledertapete bekleidet, die einen prächtigen Hintergrund für die schon erwähnten Spiegel und Wandleuchter bildet. Das Meublement besteht aus unpolierter, prächtig geschnitzter Eiche. Die Anrichte ist orientalischen Ursprungs, reich eingelegt und geschnitzt. Die Sitzmöbel sind mit rotem Leder gepolstert, und ebenso sind Vorhänge und Teppiche in Rot gehalten. Zum besonderen Schmuck dient dem Speisesaal das reiche Familiensilber der Sternburgs, das hier seine Aufstellung gefunden hat. Die Familie derer von Sternburg verdankt ihren Reichtum der geschäftlichen Umsicht und Tätigkeit des ersten dieses Namens, der den großen König mit den notwendigen Subsistenzmitteln für seine Heere versorgte und eine Menge Tafelgerät käuflich an sich brachte, das die preußischen Truppen bei Roßbach und auf andern Schlachtfeldern den französischen und österreichischen Generalen abgenommen hatten. Diesem Grundstock haben er und sein kunstverständiger Sohn im Lauf der Jahre manches prächtige Stück hinzugefügt, namentlich sehr wertvolle Erzeugnisse der Nürnberger und Augsburger Goldschmiedekunst des Mittelalters, und manches verwöhnte amerikanische Auge ruht mit Bewunderung auf diesen gleißenden Schätzen.

Der Empfangssalon in der Botschaft
Der Empfangssalon in der Botschaft
Der Ballsaal in der deutschen Botschaft
Der Ballsaal in der deutschen Botschaft

An der andern Seite der Empfangshalle liegt der Ballsaal. Scharlach und weiß sind die vorherrschenden Farben, und das Eichenpaneel erhebt sich an den Wänden weit über die halbe Höhe. Der Rest der Wände wird von reich gestickten, farbenprächtigen orientalischen Seidendraperien verdeckt. In diesem Raum haben ebenfalls mehrere herrliche chinesische Schränke Aufstellung gefunden, und hier sei auch erwähnt, daß in ganz Washington, selbst nicht in der neuen chinesischen Botschaft, so viele chinesische und sonstige orientalische Kunstgegenstände zu finden sind wie in der Behausung unseres deutschen Botschafters.

Was aber das Entzücken jedes weiblichen Besuchers der deutschen Botschaft bildet, das ist das Boudoir der Hausfrau, zu ebener Erde hinter der Empfangshalle gelegen. Hier empfangen sie und ihre Schwestern, Violet und Ivy Langham, ihre Gäste. Hier sind die Wände über dem weißen Paneel mit himmelblauem Satin bekleidet, und Fenstervorhänge, Portieren und Polsterung sind in gleicher Farbe gehalten. Den Boden bedecken kostbare orientalische Teppiche, die Frau von Sternburg selbst in Asien erworben hat. Auch hier ist fast Verschwendung mit chinesischen Wunderwerken getrieben worden, die die andern Räumlichkeiten charakterisiert. Eine reiche Sammlung von Abbildungen der weiblichen Kleidung aller Zeiten vervollständigt die Einrichtung dieses Frauenparadieses. Gegenüber liegt das einfach möblierte Arbeitszimmer des Botschafters mit seinen wohlgefüllten, geräumigen Bücherschränken.

Diplomatische Posten in Washington, die in früheren Zeiten in der diplomatischen Welt nicht sehr gesucht waren, werden seit Jahren recht bevorzugt, da es sich dort vortrefflich leben läßt.

Familiensilber des Botschafters
Familiensilber des Botschafters
Miß Ivy Langham, Schwester der Freifrau von Sternburg
Miß Ivy Langham, Schwester der Freifrau von Sternburg

Außerdem hat Washington ja, seit die Union ihre Weltpolitik begonnen hat, in allen Welthändeln ein gewichtiges Wort mitzureden und ist daher eine gute Schule für jüngere Diplomaten geworden. Botschafter von Sternburg hat sich mit einem ganz neuen Stab umgeben, und alle die Herren, die unter Botschafter von Holleben in Washington waren, sind abberufen worden.

Die jetzigen Herren der deutschen Botschaft sind Legationsrat Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen (1. Sekretär), Dr. Scheller-Steinwartz (2. Sekretär), Dr. von Verdy du Vernois (3. Sekretär), Major von Etzel, Militärattaché, und Leutnant Martin, zur Botschaft kommandiert.

Die Herren der deutschen Botschaft in Washington
Die Herren der deutschen Botschaft in Washington. Von links nach rechts: Legationssekretär Dr. Scheller-Steinwartz, Zweiter Sekretär Leutnant Martin kommandiert zur Botschaft, Legationsrat Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen, Erster Sekretär (sitzend); Lagationssekretär Dr. von Verdy du Vernois, 3. Sekretär; Major von Etzel, Militärattaché
Blick in den Speisesaal
Blick in den Speisesaal

Da die Mehrzahl von den Herren der Armee, wenn nicht aktiv, so doch als Reserveoffiziere angehören, zeigen sie bei allen festlichen Gelegenheiten die deutsche Uniform in Washington und machen den Amerikanern den Unterschied zwischen dem deutschen und ihrem eigenen Militär klar.

Als flotte Tänzer und vollendete Kavaliere sind sie in der amerikanischen Gesellschaft natürlich sehr gesucht und beliebt.

Die Zeiten haben sich auch geändert, wo das Leben in Washington noch bürgerlich einfach, noch echt demokratisch war. Heute herrscht dort ein fast übertriebener Luxus, dessen Grund in den veränderten Lebensbedingungen der amerikanischen Gesellschaft zu suchen ist. Die Geldaristokratie, die sich mit den wachsenden Reichtümern in einzelnen Familien allmählich in der Neuen Welt herausgebildet hat, braucht sich keine Genüsse, Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten moderner Kultur zu versagen. Angelockt durch das gesellige Leben Washingtons, das durch den Verkehr mit den ausländischen Gesandtschaften ein internationales Gepräge bekonmmen hat, haben sich zahlreiche Geldfürsten hier in der Bundesstadt zur Ruhe gesetzt, die durch den Sitz des Präsidenten zugleich zum Mittelpunkt des politischen Lebens geworden ist.

Wer aber den üblichen Luxus nicht mitmachen kann, zählt nicht mit in der Gesellschaft, und daher sind auch die fremdländischen Diplomaten gezwungen, sich den Forderungen und Ansprüchen der Washingtoner Gesellschaft zu fügen.

Und so hat denn auch das deutsche Botschaftspalais ein neues schimmerndes Gewand anlegen müssen, reich und prunkvoll; vor Uebertreibungen aber ist die ganze Ausstattung durch den guten Geschmack des Botschafters und seiner Gemahlin bewahrt worden.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 15/1904, er war gekennzeichnet mit „F. E. Osthaus“.