Ein Beitrag zur weiteren Entwicklung des Personen-Verkehrs auf der Oberspree in Berlin

Mancher wohl hat den stark verwahrlosten Zustand der Ufer der Oberspree in Berlin gesehen und sich kopfschüttelnd gefragt: Wie können inmitten der Stadt solche Verhältnisse so lange bestehen? Warum legt man nicht Uferstrassen an und macht sie für die Allgemeinheit nutzbar?

Wohl zeigt der Bebauungsplan eine grosse Anzahl von Uferstrassen, aber warum werden diese nicht angelegt? Die Antwort erhält nur der, welcher tiefer in die bestehenden Rechtsverhältnisse geblickt hat; er erfährt, dass hier wieder ein kleiner Streit zwischen dem Fiskus und der Stadtgemeinde Berlin die wahre Ursache für die Unterlassung dieser Anlagen ist. Der Fiskus hat nach dem Vertrage (§ 1) vom 11./31. Dezember 1875 betreffend „die Uebernahme der fiskalischen Strassen- und Brückenbau- und Unterhaltungslast durch die Stadtgemeinde Berlin“ die Pflicht, an den Wasserläufen die Ufereinfassungen und Böschungen im Weichbilde Berlins herzustellen, wann das aber zu geschehen hat, davon steht nichts im Vertrag. Die Befestigung der Ufer am Wasser durch Bollwerke usw, ist nun aber die Vorbedingung für die Anlage einer Uferstrasse und hierzu sind seitens des Fiskus die Mittel aufzubringen. Derselbe hat jedoch bekanntlich wenig Geld für solche öffentliche Anlagen übrig, die ihm nicht unmittelbar etwas einbringen und so ist denn, trotzdem die Nothwendigkeit der Anlage von Uferstrassen allseitig anerkannt ist und über einige Anlagen besonders im Herzen der Stadt schon seit Jahren Verhandlungen zwischen der Stadt und dem Fiskus geführt werden, diese Angelegenheit noch keinen Schritt vorwärts gekommen. Damit ist manches unterblieben, was für die Entwicklung Berlins und seinen Verkehr förderlich wäre.

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Im kommenden Jahre werden an Berlin gelegentlich der Gewerbeausstellung hinsichtlich der Bewältigung des Personenverkehrs ganz besondere Ansprüche gestellt werden und da die Spree eine naturgemässe Verbindungsstrasse vom Herzen der Stadt nach dem Ausstellungsplatze bildet, so dürfte ein Beitrag zur Hebung des Personenverkehrs auf derselben nicht unwillkommen sein. Von den verschiedensten Unternehmern ist die Nothwendigkeit einer Verbesserung der Verkehrs-Verhältnisse erkannt, es fehlt aber an Anlegestellen für die Boote. Ueberall, wo nur eine Möglichkeit vorzuliegen scheint, vom Zentrum der Stadt eine Dampfer-Verbindung ausgehen zu lassen, liegen beim kgl. Polizeipräsidium Konzessions-Gesuche für Anlegestellen vor. Von den Behörden wird aber mit Recht eine zu starke Zersplitterung der Anlage von Anfangs – Stationen als nicht im Interesse eines gesicherten Verkehrs erachtet. Die vielen Unglücksfälle auf der Spree haben gezeigt, dass eine planmässige Regelung und sachgemässe Ueberwachung dieser Verkehrsmittel eine unbedingte Nothwendigkeit ist. Dazu ist aber erforderlich, dass der Beginn der Motorboots-Linien möglichst zentralisirt wird. Im Innern der Stadt ist in unmittelbarer Nähe der Mühlendammbrücke wegen des Schleusenbetriebes die Errichtung einer grösseren Anlegestelle für Motorboote unmöglich, höchstens käme hier die Ostfront des Inselspeichers inbetracht. Da dieser jedoch Privateigenthum ist und allein dinglich die Wasserberechtigung nach den neuesten Entscheidungen des Reichsgerichts besitzt – Zugangsstege von der Inselbrücke wie der jetzige zur städtischen Badeanstalt oder zu einer Anlegestelle also unzulässig sind – so wäre, um eine solche Anlage dort machen zu können, die Erwerbung des gewiss sehr kostspieligen Geländes eine Vorbedingung; ob dies aber wirthschaftlich empfehlenswerth wäre, mag dahingestellt sein. Das einzige Ufer, welches noch inbetracht käme und dessen Gelände sich bereits im Besitz der Stadt befindet, ist das linke Spreeufer zwischen der Waisen- und Jannowitzbrücke. Wegen seiner Länge von rd. 200 m, der Breite der Spree von 72 bezw. 65 m zwischen den festgesetzten Uferlinien, wegen seiner Lage gegenüber der Haltestelle Jannowitzbrücke der Stadtbahn und seiner Nähe an den Hauptlinien der grossen Berliner Pferdebahn-Gesellschaft eignet sich diese Stelle ganz besonders für eine Verkehrs-Entfaltung von Personenbooten auf der Oberspree, denn alle Vorbedingungen hierfür sind vorhanden: die Länge des Ufers gestattet ein gleichzeitiges Anlegen von 4-5 Booten, wegen der Breite der Spree ist die Einbauung einer Landungsbrücke ohne Behinderung der Vorfluth möglich und die Lage ist gerade, weil die in reichem Maasse dort vorhandenen Verkehrsmittel genügende Zubringer für die Entwicklung des Verkehrs abgeben, eine vor allen anderen Stellen bevorzugte (vergl. den Lageplan).

Lageplan

Diese Uferstrasse ist nun nach der Allerhöchsten Genehmigung vom 27. Mai 1878 schon derart festgesetzt, dass sie in eine 16 m breite Verkehrs- und eine 11 m breite Ladestrasse zerfällt und zwar sollte die Verkehrsstrasse mit der Ladestrasse in einer Höhe und etwa 3 m über dem damaligen Mittelwasserstand der Oberspree angelegt werden. In Gemässheit des § 8 des Gesetzes vom 2. Juli 1875 ist die Verkehrsstrasse auf einer Seite durch Festsetzung einer Baufluchtlinie zur Bebauung bestimmt, während auf der Ladestrasse nach diesem Gesetz eine Bebauung ausgeschlossen ist. Ursprünglich war es Absicht der Behörden, hier eine Ladestrasse für den Frachtverkehr anzulegen; hiervon sind dieselben abgekommen, nachdem die Erfahrung gelehrt hat, dass eine in gleicher Höhe wie die Verkehrsstrasse liegende Ladestrasse für den Strassenverkehr zu störend und dass nach der Neuerbauung der Waisenbrücke die Zugänglichkeit einer tiefer als die Verkehrsstrasse liegenden Ladestrasse nicht anders als durch Rampen von der Verkehrsstrasse aus zu ermöglichen ist. Ausserdem sind die hohen Kosten für die Erbauung einer Ladestrasse zur Bewältigung des Frachtverkehrs im Vergleich zu dem Nutzen, welchen sie bei ihrer verhältnissmässig nur geringen Länge und Breite bietet, wirthschaftlich nicht zu rechtfertigen. Dagegen hat der Plan, das hier liegende Ladebankett nach dem in den Abbildungen dargestellten Entwurf für den Personenverkehr der Schiffahrt nutzbar zu machen, bei den Behörden allseitigen Anklang gefunden, so dass eine Veröffentlichung nicht ohne Interesse sein wird.

Durchschnitt

Die Uferstrasse soll nach dem Entwurf in eine 14 m breite Verkehrs- und eine 13 m breite Ladestrasse getheilt werden; die Ladestrasse liegt etwa 4 m tiefer als die Verkehrsstrasse, dadurch ist es möglich, sie mit Bauwerken so zu besetzen, dass diese grösstentheils nur wenig über den Bürgersteig der Verkehrsstrasse ragen, mithin letzter keine Luft und kein Licht nehmen. Es dürfte daher im Wege des Dispenses eine Bebauung dieses Strassentheils zu ermöglichen sein. Das Schaubild zeigt eine Ausbildung dieser Uferstrasse für den vorliegenden Zweck, wozu bemerkt sei, dass der Entwurf keineswegs den Anspruch auf eine rationelle Ausnutzung des Geländes erhebt; auch besitzen die Baulichkeiten nur den Charakter des Provisoriums. Im Lageplan und dem zugehörigen Schnitte ist dagegen eine weit intensivere Ausnutzung angedeutet. Der tiefgelegene Strassentheil ist grösstentheils mit Gebäuden besetzt; vor denselben ist ein schmaler Gartenplatz angelegt und vor diesem, um etwa 60 cm tiefer, die eigentliche 6 m breite Landungsbrücke gelegen. Die Gebäude sind für den Betrieb und die Beaufsichtigung der Dampfschiffahrt, für eine Gastwirthschaft mit Sommer- und Winterbetrieb, für Verkaufs- und Wartehallen nutzbar gedacht, damit alle Bedingungen erfüllt werden, welche von einer solchen modernen Anlage – die einem Bahnhof ähnlich – gefordert werden können.

Die Zugänglichkeit zu der Landungsbrücke ist durch je eine Treppenanlage von der Jannowitz- bezw. Waisenbrücke aus und durch eine 8 m breite Plattform, welche von der Mitte der Verkehrsstrasse und in Höhe derselben bis zum Ufer führt, und daran sich anschliessende Freitreppen bewirkt. Der zugang zum Restaurant wird durch Treppenhäuser von der Verkehrsstrasse aus vermittelt, auch ermöglichen die vorerwähnten Treppen den Zutritt zu demselben durch den Garten. Durch Pfeile ist im Lageplan gekennzeichnet, wie der Verkehr und die Kontrolle bei einem umfangreichen Betriebe sich regeln liessen. Dabei wird das mit den Booten abfahrende und ankommende Publikum so geführt, dass es nicht störend oder belästigend für de Restaurations-Betrieb werden kann. Die Ausbildung des Restaurants wird, da die Dächer zwischen den Betriebshäuschen und den Treppenhäusern massiv zu gestalten sind, hierauf also wieder eine Sommergarten-Ausbildung möglich ist, terrassenartig sein und somit dem Publikum ein angenehmer und gern gesuchter Aufenthalt geboten werden können. Da die Lage und die Ausbildung dieser Wirthschaft eine bevorzugte ist, so werden die Kosten des Baues reichlich durch die zu erzielende Pacht gedeckt. In gleicher Weise werden die Kosten der Landungsbrücke und der an den Fiskus zu zahlende Kanon für die Benützung des Spreebettes vollauf durch die Pacht, welche von den Motorbooten für das Anlegen zu erzielen ist, erstattet werden. Geschäftlich werden also der Fiskus sowohl als die Stadt nur Vortheile haben. Zugleich dürfte die Streitfrage, wer die Uferbefestigung hier zu machen, leicht dadurch ihre Erledigung finden, dass für die Befestigung des Spree-Ufers mit Rücksicht auf die vorliegende Landungsbrücke ein hölzernes niedriges, also nur geringe Kosten verursachendes Bollwerk als durchaus ausreichend erachtet werden kann. Es wäre nun noch die Frage zu beantworten, wer soll diese Anlage machen? Ohne Frage wäre es am richtigsten, wenn die Besitzerin des Geländes, die Stadtgemeinde Berlin, sie ausführte. Ihre Aufgabe ist es, den Verkehr in der Stadt zu regeln und, da sie hier nicht einen umfangreichen Betrieb zu übernehmen, sondern nur die Mittel für die weitere Ausbildung eines stark unterdrückten Betriebes zu bieten hätte, so ist sie geeigneter, wie jeder andere Unternehmer, zumal sie nur darauf zu sehen hat, dass die Kosten, welche für diese Anlage aufzuwenden sind, verzinst und amortisirt werden, während ersterer für seine Mühe und Arbeit sich noch einen Gewinn rechnen muss. Im Interesse der Entwicklung der Personen-Schiffahrt liegt es aber, soll sie konkurrenzfähig bleiben, dass sie nicht zu stark durch Abgaben belastet wird, was unbedingt geschehen müsste, wenn ein Unternehmer eine solche Anlage machen würde.

Wenn nun auch durch Anlage dieser Landungsbrücke die Entwicklung der Personen-Schiffahrt wesentlich gefördert wird, besonders wenn die Stadt ihre Durchführung mit „Volldampf“ betreibt, damit sie eines der wichtigsten, bequemsten und angenehmsten Verkehrsmittel nach der Ausstellung werde, so bleibt doch noch manches zu thun übrig. Vor allen Dingen müssen, um einen ständigen lohnenden Betrieb einzurichten, in der Stadt selbst Anlegestellen geschaffen werden. Leider ist die Spree aber von der Michaels- bis zur Mühlendammbrücke bezw. -Schleuse beim kgl. Schloss nur sehr schmal, so dass umfangreiche Einbauten nicht möglich sind, andererseits sind die Ufer nicht überall durch Strassenzüge freigelegt, so dass es nicht leicht ist, geeignete und für den Verkehr bequem zugängliche Anlegestellen zu schaffen. Auch hat sich unsere Personen-Schiffahrt bisher nur auf einen Verkehr von der Stadt nach entfernt gelegenen Vergnügungsorten, wo es nicht auf einen Betrieb in kurzen Intervallen, sondern nur auf eine Massenbeförderung in längeren Zwischenräumen ankam, eingerichtet und dementsprechend nur grosse, für die Enge der vorbezeichneten Spreestrecke zu schwerfällige und nicht genügend steuerfähige Boote in den Dienst gestellt. Hier müsste, sei es durch die bestehenden oder andere konkurrenzmachende Gesellschaften in erster Linie ein Wechsel geschaffen werden. Dass die grossen Boote unrentabel sind, beweist die Thatsache, dass heute die tarifmässig fahrenden Boote der Aktiengesellschaft „Stern“ durchschnittlich nicht bis auf 1/3 ihrer Tragfähigkeit ausgenutzt werden. Sie bewegen also mit Geldaufwand todte, theure und umfangreiche Massen, welche unnütz das Spreebett beengen, zum grösseren Theile nutzlos durch das Wasser. Schaffen die Gesellschaften hier Wandel, so ist wohl möglich, Anlegestellen für kleinere Boote auch im Herzen der Stadt und somit einen Wasser-Omnibusverkehr einzurichten. Die geeignetsten, für den Verkehr am bequemsten gelegenen Zugänge sind von den Brücken aus zu machen. Dass dies möglich ist, zeigen die in der Nähe der Brücken befindlichen öffentlichen Flussbadeanstalten. Geht man dabei noch einen Schritt weiter, erweitert diese nur ein wenig, legt sie passend für das Anfahren der Schiffe in den Strom und richtet noch besondere Zugänge hierfür ein, so lässt sich mit jeder Badeanstalt leicht eine Anlegestelle mit schutzbietenden Wartehallen für Personenschiffe verbinden, ohne dass die Spree wesentlich dadurch beengt wird. Auch ist es dann möglich, die theilweise hässlichen, viereckigen Kästen, als welche jetzt diese Badeanstalten sich dem Beschauer zeigen, in ansprechender Weise auszubilden. Macht man dann auf jedem Ufer in einiger Entfernung und beiderseitig von der Brücke eine solche Anlage, so wäre die Personen-Schiffahrt wohl befähigt, Antheil zu nehmen an der Beförderung des Publikums inmitten der Stadt.

Panorama

Durchführbar ist dies heute schon an der Oberbaum-, Eisenbahn-, Schillings-, Michael- und Inselbrücke; nur müsste auch die Stadt Berlin, die dazu berufen ist, thatkräftig diese Angelegenheit in die Hand nehmen. Ferner liesse sich noch eine weitere Anlegestelle am Spittelmarkt bei der Wallstrasse schaffen, da dieses Ufer des jetzigen Umbaues der Gertraudenbrücke durch Anlage eines Verkehrsweges aufgeschlossen wird. Gerade diese Anlagestelle, welche ferner durch die festgesetzte Wallstrassen-Verbreiterung noch besonders freigelegt und bequem zugänglich gemacht wird, könnte und würde, weil sie einen Hauptverkehrs-Zubringer bildet, wesentlich zur Hebung der Personen-Schiffahrt beitragen. Hoffen wir daher, dass jetzt, wo die Stadtgemeinde Berlin zur Hebung des Verkehrs Versuche in eigener Regie anzustellen beschlossen hat, sie auch in dieser Hinsicht die erforderlichen Einrichtungen trifft, um dieses Aschenbrödel der heutigen Verkehrsmittel hervorzuziehen und es zur vollen Geltung zu bringen.

Th. Kampffmeyer.

Dieser Artikel erschien zuerst am 21.08.1895 in der Deutsche Bauzeitung.