Berliner Malerateliers. III.

Eckmann und Leistikow – zwei Berliner Meister, die mit ihren Werken mächtig in das moderne Kunstgewerbe eingreifen! Bei Walter Leistikow ist es mehr Beigabe und Ergänzung seines künstlerischen Wirkens als Landschaftsmaler, bei Prof. Eckmann, der im Königlichen Kunstgewerbemuseum als Lehrer ausschließlich auf kunstgewerblichem Gebiet thätig ist, ist es das Wahrzeichen seiner Bedeutung in der modernen Kunst geworden.

Die Zurücklenkung gewerblicher Arbeit unter den bestimmenden Einfluß der Kunst ist an sich eine moderne Errungenschaft, wenn auch die Ansätze und ersten Versuche durch private Unternehmer und staatliche Anstalten um mehrere Jahrzehnte älter sind, als das, was wir heute unter modernem Kunstgewerbe verstehn. Damit greift die Arbeit unserer Tage zurück auf die Blütezeiten der Antike und der mittel alterlichen Renaissance.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Unser Kunstgewerbe entwickelte sich, indem es zunächst antike und mittelalterliche Formen auf die Schmuck· und Einrichtungsstücke des Hausrats übertrug, indem es die Schöpfungen früherer Stilperioden, der gotischen, der Renaissance und des Barock, nachmachte, bis endlich die führenden Geister moderner Kunst darauf kamen, neue Formen zu schaffen. Der neue Still! Einer der Meister des neuen Stils, Oberbaurat Otto Wagner in Wien, sagt in seinem grundlegenden Werk „Moderne Architektur“ darüber: „Alle modernen Formen müssen dem neuen Material, den neuen Anforderungen der Zeit, entsprechen, wenn sie zur modernen Menschheit passen sollen, sie müssen unser eigenes, besseres, demokratisches, selbstbewußtes ideales Wesen veranschaulichen und den kolossalen technischen und wissenschaftlichen Erfolgen sowie dem durchgehends praktischen Zug der Menschheit Rechnung tragen.“ Diese von einer ersten Autorität moderner Kunst ausgesprochenen Grundsätze geben uns denn auch den Leitfaden zur Würdigung der kunstgewerblichen Thätigkeit jener beiden Meister, von denen wir heute in Wort und Bild einiges mitteilen.

Professor Otto Eckmann mit Frau in seinem von ihm entworfenen Speisezimmer

Unser erstes Bild führt uns in das Speisezimmer Otto Eckmanns, das ganz nach den eigenen Entwürfen des Künstlers eingerichtet ist. Alle Möbel zeigen neue, eigenartige Formen, und alle diese Formen haben neben dem originalen Liebreiz etwas Anheimelndes, Behagliches. Man hat das Gefühl, auf diesen Stühlen möchte sich s bequem sitzen, dieses bürgerliche Büffett beherberge gute Sachen für Gaumen, Kehle und Magen, an diesem Tisch müsse sichs angenehm tafeln lassen. Und diesem Eindruck strebt auch mit vollem Zweckbewußtsein die Kunstarbeit Eckmanns entgegen, die er in seinem großen Atelier im ersten Stockwerk des Kunstgewerbemuseums für sich und als Lehrer seiner Schüler leistet. Ist Eckmanns Wohnung ein reizender Schmuck· und Schaukasten seines Wirkens, so macht der hohe, helle Arbeitsraum des Ateliers den ernsten und imponierenden Eindruck der Vielseitigkeit einer Arbeit, die alle kunstgewerblichen Gebiete beherrscht und sich den großen Weltmarkt erobert hat. Auf dem mit Papieren und Zeichnungen überladenen Schreibtisch stehen in Flaschen und Vasen getrocknete Zweige mit Blumen, Blättern, Knospen, aus denen Motive für Ornamente gewonnen werden. An den Wänden Skizzen zu Landschaftsbildern, dann begonnene und vollendete Tapetenmuster in ruhigen, vornehmen und durchaus originalen Farben und Formen. Auf Gestellen modellierte Thonarbeiten für Geräte aus Glas, Porzellan, Terracotta, Silber und Bronze, auf Zeichentischen Konstruktionszeichnungen für Möbel – ein Museum des Werdenden.

So ist Eckmann in seiner kunstgewerblichen Thätigkeit zugleich Maler, Bildhauer und Architekt. „Etwas Unpraktisches kann nie schön sein,“ ist einer der wichtigsten und führenden Grundsätze des Künstlers. Das Material wählen nach den Zwecken, denen es dienen soll, und es diesen Zwecken dienstbar machen, die Ornamentik nicht etwa willkürlich aufkleben, sondern organisch den Formen des Ganzen anpassen und einfügen, hierin liegt das stets erneute Suchen und Streben Eckmanns, der von der Natur die Motive, von der Zweckbestimmung des einzelnen Werkes die Methode ihrer Verwendung abnimmt. Gegenwärtig befinden sich auf der Pariser Ausstellung die Musikmöbel, Konzertflügel, Pulte und Notenständer, die Eckmann für die Hochschule für Musik im Auftrag der Regierung entworfen hat. In den Schlössern der Vornehmen und in den Salons der Reichen prunken die silbernen Schmuckgeräte, die er geformt hat, und alle Großindustrien des Kunstgewerbes fahnden nach seinen Arbeiten und Entwürfen.

Maler Walter Leistikow beim Entwurf einer kunstgewerblichen Arbeit

Wie schon früher bemerkt, hat der Künstlername Walter Leistikows seine erste und vornehmste Geltung als Landschafter. Dem entspricht auch die Lebensführung Leistikows.

Wahrend der rauhen Jahreszeit haust er in seiner schönen Wohnung im Hansaviertel, wo der Tiergarten gleichsam den letzten Ausläufer des von ihm so sehr geliebten Grunewalds darstellt, und nimmt mit emsiger Arbeit und regem persönlichen Verkehr teil an dem großen künstlerischen Getriebe der Reichshauptstadt. Selbst einer der liebenswürdigsten und geistvollsten unter den Berliner Künstlern, hat er an seiner geistig hochstehenden Frau die passende Gefährtin für Schaffen und Geselligkeit in seinem reichgeschmückten Heim gefunden. Wenn aber die Tage anfangen, lang und warm zu werden, dann flüchtet er aus dem großstädtischen Getriebe hinaus ins Herz des Grunewalds nach Halensee und durchwandert mit der Skizzenmappe den Wald, weilt an den Ufern der kleinen und großen Seebecken und dichtet mit zeichnender und malender Hand nach, was die Natur in des Deutschen Reiches vielverrufener Sandbüchse aus den kahlen Sandhügeln, Wasser und Wald zu schaffen vermochte. Es liegt ein männlicher Ernst und eine leichte Melancholie über seinen Grunewaldbildern, die fast alle der „grauliche Tag des Nordens“ umfängt. Es ist nicht viel Reichtum an Farben und Formen aus diesen Motiven zu holen:; schwärzliche Wasser, denen nur die Sonne und das Spiegelbild der Landschaft einigen Glanz giebt. Buchen oder das rotstämmige Nadelholz mit seinen buschigen Wipfeln, Wiesenhänge, zwischen denen der weißgelbe Sand hervorlugt, weichliche, träge Formen der Hügel und darüber der leichte, aufsteigende Dunst.

Der Zug nach dem Ornamentalen, der durch unsere ganze Zeit geht, ist auch an Leistikow nicht spurlos vorübergegangen. Unter seinem Pinsel entstehn Bilder, die halb Gemälde, halb Dekorationsstücke sind. Der Stimmungsgehalt einer Landschaft ist in ihnen gleichsam zum Typischen verdichtet: die Bäume haben ornamentale Formen, die Welle die charakteristische Linie. Dieselbe hochentwickelte Kunst zeigt sich in Leistikows kunstgewerblichen Entwürfen und in seinen Tapeten. Zwei Seelen wohnen in seiner Brust, aber jeder Seite seiner schöpferischen Kraft verdanken wir eigenartige und tiefe Kunstwerke.

Dieser Artikel von Emil Granichstaedten erschien zuerst 1900 in Die Woche.