Ein fürstlicher Künstler

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Als wir mit den Erzeugnissen der modernen russischen Autoren bekannt wurden, denen es vorbehalten blieb, einen so hervorragenden Einfluß auf die deutsche Literatur auszuüben, wandte sich das allgemeine Interesse naturgemäß auch der russischen bildenden Kunst zu. Während man bis dahin kaum den Namen eines einzigen russischen Malers oder Bildhauers gehört hatte, beeilten sich die verschiedenen Ausstellungskomitees, das Versäumte gründlich nachzuholen und uns mit dem russischen Kunstschaffen durch reichhaltige Kollektionen bekannt zu machen.

Zunächst führte man uns die russischen Maler vor. Obgleich wir auf diese Weise gar manches reifes Talent kennen lernten, blieb die erwartete Sensation aus.

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Man hatte gehofft, durch gänzlich neue Werte überrascht zu werden, war auf Emotionen vorbereitet, und man freute sich innerlich wohl auch auf die neuen Anregungen, die von den Werken der „kraftstrotzenden Barbaren“ ausgehen sollten. Was man dann zu sehen bekam, war durchaus nicht geeignet, die gehegten Erwartungen zu befriedigen. Neben zahlreichem Primitiven, dessen grelle Farbenkontraste uns nicht zu verblüffen vermochten, da bereits inländische Experimente gewagtester Art vorlagen, führte man uns eine Reihe von Bildern vor, die, ohne zum Teil schlecht zu sein, nur Wiederholungen dessen boten, was man in Pariser Salons bereits zu sehen bekommen hatte. Die durch hochgespannte Hoffnungen bedingte Enttäuschung war so groß, daß eine geplante Vorführung russischer Plastiken gänzlich unterblieb. Und man tat in gewissem Sinne gut daran, da das zweite Experiment wohl kaum einen besseren Erfolg gezeitigt hätte. Diese Feststellung, daß es eine russische plastische Nationalkunst moderner Richtung nicht gibt, verhindert natürlich nicht das gleichzeitige Zugeständnis, daß einzelne russische Bildhauer über eminentes Können verfügen. Es soll damit nur gesagt sein, daß den russischen Plastiken jene Note fehlt, die eine nationale Herkunft zweifellos dokumentiert. Wobei noch zu bemerken ist, daß die besten „echtesten“ russischen Denkmäler von Nordländern oder Deutschen geschaffen wurden. Das Urteil des verstorbenen Kunstkritikers Richard Muther über die russische Malerei läßt sich deshalb mit einigen Abweichungen fast wörtlich auf die russische Bildhauerei anwenden: „Man wird russische Ausstellungen stets mit Interesse anschauen. Denn es hat Reiz, ein fremdes Land zu durchwandern, zu sehen, wie reich an Besonderheiten unser alter Planet noch ist. Man denkt beim Wort Rußland an allerhand sehr russische Dinge: an Schneefelder und Pelzmützen, an Elentiere, Schlitten und Skiläufer, an Heiligenbilder und Schnaps, an byzantinische Ornamente und vorsintflutliche Holzbauten, an Popen, an bunte Kopftücher und Knuten, an dicke Offiziere, die nach Sekt, und rothaarige Kokotten, die nach Moschus riechen. Die Möglichkeit einer nationalen Kunst ist also in Rußland gegeben. Nur ist es leider so, daß diese beiden scheinbar so verträglichen Worte sich in Wirklichkeit schwer verbinden. Naturgemäß kann man zeigen, was dieses Land noch an Urwüchsigkeit, an bestialischen Barbarismen hat. Doch dann wird das Auge des gebildeten Mitteleuropäers an den Werken die Kultur, den äthetischen Charme vermissen. Und andererseits, wenn diese kultivierten Nuancen da sind, werden sie nicht mehr das ausdrücken, was dem Worte Rußland sein brenzlig scharfes Aroma gibt. An die Stelle des Nationalen wird das Kosmopolitische treten.

In diese beiden Gruppen teilen sich die modernen russischen Künstler. Die einen sind kühn. Neben den wilden Männern stehen aber die Salonrussen, fein, doch charakterlos: Imitatoren dessen, was man in Frankreich wagt.“

Fürst Paul Trubetzkoy
Fürst Paul Trubetzkoy

Fürst Paul Trubetzkoy, der Bildhauer, ist Salonrusse durch und durch. Und so stark Kosmopolit, daß ihm russische Sujets nicht einmal besonders liegen. Wenn er ein russisches Stimmungsbild schafft, etwa einen russischen Kutscher, der verschlafen und verfroren neben seiner Troika steht und auf den langersehnten Fahrgast wartet, oder einen Samoseden mit seinem Renntier, so hat der Beschauer den Eindruck, daß der Künstler hier eine sich selbst gestellte Aufgabe geschickt gelöst hat. Nicht aber den, daß Trubetzkoy damit zu den Motiven zurückgekehrt ist, die seiner eigentlichen Wesensart entsprechen. Trubetzkoy gehörte zu den intimen Freunden Tolstojs, den er in den verschiedensten Stellungen – so zu Pferde und hinter dem Pfluge schreitend (siehe die Plastik S. 450) – porträtiert hat. Aber auch hier gibt er nicht mehr als gute Porträts, als ähnliche Abbildungen, denen das belebende Element, die Seele des Dargestellten, fehlt. Man fühlt es förmlich, um wieviel der Künstler seinen autokratischen und plutokratischen Modellen näher steht, als dem philosophischen Weisen von Jasnaja Poljana, dem gesellschaftliches Milieu und mondaines Getue fremd und widerlich waren. Und Paul Trubetzkoys Kunst ist sehr mondain. So mondain wie Kunst eben nur in Paris sein kann, wo sie fast bedingungslos der Mode unterworfen ist. Die charakteristische Einschränkung beweist ohne weiteres, wie stark ihn die russischen Kritiker überschätzten, die von ihm die Geburt einer nationalrussischen Skulptur erwarteten. Sie überschätzten ihn fast ebenso, wie ihn diejenigen unterschätzen, die das Prädikat Fürst betonen, um das Wort „Dilettant“ durchklingen zu lassen.

Die Fürstin Trubetzkoy. Plastik von Paul Trubetzkoy
Die Fürstin Trubetzkoy. Plastik von Paul Trubetzkoy
Das Atelier des Fürsten Paul Trubetzkoy in Paris
Das Atelier des Fürsten Paul Trubetzkoy in Paris

Trubetzkoy ist in erster Linie Porträtist. Und auf diesem Gebiet hat er vieles weit über das Durchschnittsmaß Reichende geleistet. Vor allem sind seine Porträts lebenswahr und ähnlich, ohne deshalb den Kunstgesetzen irgendwie Abbruch zu tun. Das ist eine unzweifelhafte Qualität in einer Zeit, die gewisse Begriffsverwirrungen noch nicht überwunden hat. Täglich hören wir von Neuen Prozessen, die daraus entstehen, daß der Auftraggeber dem – oft recht namhaften – Künstler die Abnahme des bestellten Porträts wegen mangelnder Ähnlichkeit verweigert. Es ist begreiflich, daß der Künstler die Freiheit seiner Auffassung gewahrt sehen will und lieber einen Auftrag zurückweist, ehe er das Opfer bringt, seinen Grundsätzen Abbruch zu tun. Ebenso begreiflich ist es aber, daß derjenige, der den Auftrag erteilt und bezahlt, verlangen darf, daß man seinen berechtigten Forderungen – und die Ähnlichkeit wird jeder vernünftige Sachverständige als berechtigte Forderung anerkennen – Rechnung trägt. Wir haben anläßlich verschiedener Gerichtsverhandlungen Gelegenheit gehabt, die fähigsten Künstler, z. B. Professor Max Liebermann, als Sachverständige über diese Frage urteilen zu hören. Trotzdem wird es dem Richter stets schwer fallen, einen Spruch zu finden, der beiden Parteien gerecht wird. Denn Ähnlichkeit ist ein Begriff, der sich mit Worten schwer oder gar nicht definieren läßt. Ein namhafter französischer Kritiker, der kürzlich von einer Dame in einer Gesellschaft befragt wurde, wen er für den geeignetsten Porträtisten in Paris halte, antwortete lächelnd: „Wenn Sie Ihre Seele porträtieren lassen wollen, so gehen Sie zu Rodin; wenn Sie ein Bild Ihres Körpers wünschen, so wenden Sie sich an Trubetzkoy.“ Im Scherz war’s gesagt, und doch steckt Wahrheit in diesem ruhigen Ausspruch.

Plastiken des Fürsten Paul Trubetzkoy
Plastiken des Fürsten Paul Trubetzkoy

Trubetzkoy hat die Bildnisse von vielen bekannten Persönlichkeiten geschaffen. Zu erwähnen wären da die Büsten Segantinis (Berliner Nationalgalerie), des Fürsten Galitzin, die Statue Rodins (siehe die Plastiken S. 449 und S. 450). Zu seinen besten Sachen gehören aber die zahlreichen Porträts seiner Frau, einer feinen Schönheit mit schier durchsichtigen Zügen, und diejenigen der amerikanischen Dollarköniginnen, deren schlanke elegante Gestalten für die mondaine Kunst Trubetzkoys das geeignetste Modell abgeben (siehe die Plastiken S. 449).

Graf Leo Tolstoj hinterm Pflug. Plastik des Fürsten Paul Trubetzkoy
Graf Leo Tolstoj hinterm Pflug. Plastik des Fürsten Paul Trubetzkoy
Fürst Galizin. Plastik von Fürst Paul Trubetzkoy
Fürst Galizin. Plastik von Fürst Paul Trubetzkoy

Über seine Persönlichkeit läßt sich nicht allzuviel sagen. Den Parisern ist er weniger durch seine Kunst als durch einige seiner Absonderlichkeiten bekannt. So z. B. pflegt er in dem Garten seiner kleinen koketten Villa, die im elegantesten Viertel von Paris liegt, stets einige wilde Tiere zu halten, die den Besucher beunruhigen und den Schrecken der Nachbarn bilden. Auf den Straßen und in den Lokalen hat er oft durch seinen zahmen Wolf, der ihn meist begleitet, Aufsehen erregt. In seinem Heim beherbergt er seit Jahren einen Wanderredner, der die Abkehr von der Fleischnahrung predigt und aus jedem Gast einen Proselyten zu machen versucht. So ist denn auch Fürst Trubetzkoy selbst Vegetarianer, doch resultiert seine Überzeugung nicht aus hygienischen Theorien, sondern sie ist das Ergebnis seiner großen Liebe zu den Tieren. Er hat auch mehrere Skulpturen geschaffen, die dieser Überzeugung Ausdruck geben sollen. Die bekannteste heißt „Die sich vom Aas nähren“ und demonstriert, daß der Mensch, der sein Beefsteak ißt, ebenso verächtlich ist wie die Hyäne, die am Leichnam nagt (siehe die Plastik S. 449). Ein Versuch, seine Wölfe zu vegetabilischer Nahrung zu bekehren, schlug jämmerlich fehl. Darum sind sie die einzigen im Haus, denen der Genuß einer rationellen Nahrung gestattet wird.

Paul Lothringer, Paris.

Dieser Artikel erschien zuerst in Reclams Universum Weltrundschau 18.-24.09.1911.