Ein Gang durch Hildesheim

1904, von Otto Apel, Hannover. Nachdem die Straßenbahn von Hannover nach Hildesheim fährt, bildet Hildesheim, die altehrwürdige Bischofsstadt, das “Nürnberg des nordwestlichen Deutschland”, das Ziel vieler Touristen. Und da ist es besonders das Alte, was anzieht. Die ehrwürdigen Kirchen mit ihren reichen Kunstschätzen, die hohen Giebelbauten mit den kunstvollen Bild und Schnitzzwerken, die herrliche Umgebung der Stadt sind das Sehenswerteste und Interessanteste. Wolle sich der Leser daher uns anschließen auf einem Gange durch Hildesheim.

Der uralte Ort macht mit seinen stattlichen Türmen und den ihn umgebenden schattigen Alleen und Spaziergängen von außen einen freundlichen Eindruck; das Innere enthält viele enge und winkelige Straßen, beseht mit hohen, altertümlichen Häusern, deren obere Stockwerke überragen und mit Erker und reichem Schnitzwerk versehen sind.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Mit Recht kann man Hildesheim eine Stadt der Kirchen nennen. Es hat sechs (ehemals zehn) katholische und vier (ehemals acht) protestantische Kirchen, von denen mehrere jetzt zu Profanzwecken benutzt werden. Die erste Stellung unter ihnen nimmt ohne Zweifel der Dom ein.

Lenken wir deshalb zunächst dorthin unsere Schritte.

Schon auf dem Domhofe präsentiert sich uns ein Kunstwerk, das seinesgleichen sucht, nämlich das Bernward-Denkmal. Dieses ist 1893 von Professor Harzer errichtet. Auf mehreren Stufen folgt ein runder Mittelbau, an welchem auf einer Erztafel steht: “† St. Bernward, Bischof von Hildesheim von 993 -1022.” Außerdem sind an diesem Teil dargestellt: Bernward von Sylvester II. in Rom begrüßt; Bernward in seiner Künstlerwerkstatt; Bernward wird Erzieher des Königs Otto III. Auf einer Sandsteinstufe folgt dann das lebensgroße Bild Bernwards aus Erzguß, mit dem Hirtenstabe in der Hand.

Der Dom in Hildesheim

Bis vor einigen Jahren stand hier auf dem Domhofe auch die von dem im Staats- und Kirchenleben, in Kunst und Wissenschaften hocherfahrenen Bischof Bernward in seinem Todesjahr 1022 vollendete Bernwardssäule aus Erzguß. Diese Säule, welche sich ehemals in der St Michaelislirche befand und jetzt im Dome selbst Aufstellung gefunden hat, ist vier Meter hoch und mit einem Kapitäl gekrönt. An der Säule ist in 28 Gruppen, halb erhaben, die Geschichte Christi von seiner Taufe bis zum Einzuge in Jerusalem dargestellt, in Windungen um dieselbe aufsteigend. Der früher auf der Säule stehende gekreuzigte Christus, in der Vollendung seiner Lehre und seines Wirkens, bildete den Schluß der Bilderreihe. Das Kapitäl wurde nach einer Nachricht zur Zeit der Stiftsfehde und der Reformation zum Gusse eines Geschützes verwendet und durch ein hölzernes erseht; nach einer andern Nachricht soll das ehemalige Kapitäl zu einer Glocke verbraucht sein Im Jahre 1871 erst wurde das jetzige Kapitäl durch Professor Küsthardt auf die Säule gesetzt; auch ist die Säule noch mit einer Figur gekrönt, welche vom Domherrn von Brabeck im Jahre 1546 gestiftet sein soll.

Dem Bischof Bernward verdankt Hildesheim sehr viel. Er umgab die Stadt mit Mauern und Türmen und begann (1001) den Bau der Michaeliskirche, welche 1022 eingeweiht und 1035 vollendet wurde. Auch im Dome zeugt noch manches von der Kunstfertigkeit Bernwards. Eine im Jahre 1013 im Dome entstandene Feuersbrunst nötigte Bernward, auch an dem Hochaltar seine Kunstfertigkeit zu zeigen. Er stellte den Hochaltar wieder her, herrlicher, als er gewesen war, schmückte ihn mit Gold, Silber und edlen Steinen und weihte denselben am 2. November 1013 ein.

Der herrliche, 67 Meter lange und 30 Meter breite Dom hat im Laufe der Jahrhunderte vielfache Veränderungen erlitten. Die erste Gründung reicht zurück auf die Zeit Karls des Großen, wo vom Bischof Gunther berichtet wird, daß er die Kathedralkirche neben der Marienkapelle und Bischof Altfried das Münster mit einer Gruft erbauten. Das Münster wurde am l. November 872 eingeweiht. Der Grundbau des jetzigen Domes stammt aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts und wurde am 5. Mai 1061 unter Bischof Hezilo eingeweiht. Die Krypta unter dem hohen Chor ist dagegen bedeutend älter; knüpft sich doch hieran die Sage von der Erbauung einer Kapelle, aus der nach und nach der Dom entstanden ist, und von dem tausendjährigen Rosenstock, der noch heute an der Außenwand der Grabkapelle fast zehn Meter hoch und zwölf Meter breit seine Zweige ausbreitet, jeden Sommer mit tausenden von Blüten beladen. Ein aus dem Holze des Rosenstockes im 11. Jahrhundert verfertigtes Kreuz mit dem Marienbilde wird noch im Dome aufbewahrt. Alle Zweiglein vom Rosenstock werden aufgehoben und als Reliquien verschenkt oder verwahrt. Alle Kunstdenkmale an Bildern, Skulpturen, Grabmälern, Steinarbeiten usw. des Domes hier näher zu beschreiben, würde zu weit führen. Wir wollen daher nur einiges näher betrachten.

Tausenjähriger Rosenstock am Dom in Hildesheim

Da sind es zunächst die beiden berühmten ehernen Torflügel am Haupteingange zum Dome, an dem sogenannten Paradiese, vom Bischof Bernward 1015 gestiftet, welche unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken. In 16 Bildern an denselben werden dem Beschauer Scenen aus der biblischen Geschichte vorgeführt, und zwar erzählen die Reliefs an der nördlichen Tür von den wichtigsten Ereignissen aus dem Alten Testament von der Schöpfung bis zum Brudermorde, die an der südlichen von solchen aus dem Neuen Testamente von der Verkündigung bis zur Auferstehung Christi. In dem durch diese Torflügel abgeschlossenen Raume sind an den Wänden großartige Reliefdarstellungen aus Holz und an jeder Wand ein großes Ölgemälde aufgehängt, welche die Bewunderung des Beschauers hervorrufen.

In der Mitte des Hauptschiffes hängt ein großer metallener Kronleuchter, welcher in seiner Ausführung und mit den verschiedenen Inschriften wohl das heilige Jerusalem nach Offenbarung Johannis 21 vorstellen soll. Dieser Kronleuchter ist eine Schenkung des Bischofs Hezilo, während die ersten ursprünglichen Bestandteile schon vom Bischof Bernward herrühren sollen. Lange Zeit fehlten an dem Kronleuchter verschiedene Bestandteile, welche jedoch vor zwei Jahren bei Auffrischung desselben wieder ersetzt sind, so daß derselbe nunmehr wieder vollständig in seiner ursprünglichen Form erscheint und zum Fronleichnam oder Weihnachtsfeste vorigen Jahres zum erstenmal wieder gebrannt hat.

Wir betreten nun eine Kapelle des nördlichen Seitenschiffes, die St. Georgskapelle, um dort das überaus kunstvolle eherne Taufbecken, aus dem 13. Jahrhundert vom Domherrn Wilbernus stammend, zu betrachten. Das Taufgefäß, 61 Centimeter hoch und 96 Centimeter im Durchmesser, wird von vier knieenden Figuren getragen, welche die Flusse des Paradieses darstellen sollen, wozu eine am unteren Rande des Gefäßes befindliche Umschrift die Erklärung gibt. Am Deckel und an den Seiten sind Darstellungen aus der biblischen Geschichte in Hochrelief angebracht.

Bernwards Christussäule in Hildesheim

Vor dem Aufgange zum Chor steht die mit einem silbernen Marienbilde gekrönte sogenannte Irmensäule, welche angeblich die heidnischen Sachsen bei Eresburg verehrten und dann von Karl dem Großen zerstört wurde Jedoch ist noch sehr zweifelhaft, ob diese Annahme zutrifft; denn die Irmensäule hier besteht, entgegen den eigentlichen Irmensäulen (Baumschäfte) aus Kalksinter, wie es sich in römischen Wasserleitungen findet, und wird daher aus der Niederlassung der Römer am Rhein ins Innere Deutschlands gekommen sein.

Im Chor, der wie auch die Krypta nur mit besonderer Erlaubnis gezeigt wird, ziehen noch zwei romanische Sarkophage unsere Aufmerksamkeit auf sich, nämlich der Ehrensarg des heiligen Godehard auf der Epistelseite des Hochaltars und der Ehrensarg des heiligen Epiphanius auf der Evangelienseite des Hochaltars. Beide befinden sich in mit Glas ausgesetzten Behältern. Den ersteren ließ Bischof Bernhard I. anfertigen. Er besteht aus einer 1,22 Meter laugen, 0,51 Meter breiten, oben dachförmig gestalteten Tumba von Eichenholz, die mit vergoldeten Silberplatten belegt, mit getriebenen Figuren geschmückt, auch mit Inschriften und mit gefaßten Steinen und Perlen versehen ist. Der Ehrensarg des heiligen Epiphanius ist 1,27 Meter lang, 0,49 Meter tief und hat die Form eines Kirchenschiffes mit Satteldach und steilen Giebeln. Die vier Wandseiten haben figürlichen Schmuck. Auch sind beide Särge mit Inschriften versehen.

Decke der Michaeliskirche in Hildesheim

Erwähnt sei auch der herrliche, aus der Blütezeit der Renaissance (1546) stammende Lettner, der das Mittelschiff vom Chor trennt und mit Darstellungen aus der biblischen Geschichte versehen ist, die sowohl von der Vorder- wie von der Rückseite gleich fein ausgeführt sind.

Decke der Michaeliskirche in Hildesheim 02

Auf dem Chor ist noch besonders sehenswert das reich geschnitzte gotische Chorgestühl mit schönen Wappen, desgleichen auch die Gobelins an den Wänden.

Mit besonderer Erlaubnis und gegen Entrichtung von 1,50 M. wird uns auch der weitberühmte Domschatz gezeigt. Da sehen wir den Krummstab Bischofs Otto L, ganz aus Elfenbein gearbeitet, und einen aus Ebenholz gearbeiteten Bischofsstab, das Reliquienkästchen Ludwigs des Frommen, das er an jenem Rosenstock hing, den goldenen, sogenannten Bernwards-Kelch mit der zugehörigen goldenen Patene und andere Kelche und Abendmahlsgeräte, das Trinkhorn Karls des Großen und eine Gabel von ihm, mehrere Kreuze von Gold oder Silber, darunter eines, welches Karl der Große von dem Patriarchen Johann V. von Jerusalem geschenkt erhielt (799), ferner das silbern vergoldete Bernwards-Kreuz, ein von Bernward verfaßtes mathematisches Werk, nach welchem er Otto III. unterrichtete, zwei Reliquiengefäße der heiligen Maria, das silbervergoldete Haupt des heil. Bernward, mehrere mit vielen Malereien geschmückte Evangelien aus Bernwards Zeit, eine goldene, mit Edelsteinen besetzte Krone usw.

Im Innern und am Äußern des Domes fallen uns auch noch verschiedene Grabsteine, Denktafeln etc. auf, deren Inschriften und Reliefs zum Teil leider schon sehr lädiert sind.

Den inneren Friedhof an der Ostseite des Domes umschließt ein malerischer, romanischer Kreuzgang, an dessen Wänden zahlreiche Grabsteine und Grabplatten angebracht sind. In der Mitte dieses Friedhofs erhebt sich die im gotischen Stile erbaute St. Annenkapelle, neben welcher der berühmte Botaniker Dr. Leunis, welcher einst Lehrer am Josephinum und Domvikar war, seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Am unteren Kreuzgange befindet sich die St. Lorenzkapelle mit mehreren Grabsteinen. Über derselben liegt der Rittersaal, in welchem bis vor wenigen Jahren das fürstlich-hildesheimische Archiv, sowie die Archive des früheren Domkapitels und der Stifter aufgestellt waren. Ferner befindet sich hier noch die Kapelle St. Antonii.

Von den übrigen Kirchen Hildesheims ist zunächst die im romanischen Basilikenstile erbaute St. Godehardikirche zu erwähnen, welche dem würdigen Bischofe Godehard (1022 – 1038) zu Ehren seinen Namen erhielt. Godehard war der Nachfolger Bernwards. Auch ihm verdankt Hildesheim manches, und ihm zu Ehren gründete Bischof Bernhard I. ein Kloster und legte damit (am 16. Juni 1133) den Grund zu der schönen Godehardikirche. Sie ist in architektonischer Beziehung ein Meisterwerk romanischen Stils, gehört sie doch zu den wenigen Kirchen, die einen rein durchgeführten romanischen Bau darstellen und imponiert durch ihre Einfachheit bezüglich der inneren Ausstattung. Es befinden sich in der Kirche auch einige Grabsteine.

Ostchor von St. Godehard in Hildesheim

Ebenfalls im romanischen Basilikenstile ausgeführt ist die Michaeliskirche, welche unstreitig zu den schönsten Kirchen Deutschlands gehört.

Michaeliskirche in Hildesheim

Sie ist eine Schöpfung des Bischofs Bernward und stammt aus dem Anfange des 11. Jahrhunderts. Im Jahre 1186 wurde sie nach einem Brande aufs glänzendste restauriert, wobei allerdings manches in dem Inneren der Kirche eine Änderung erfuhr. Von den alten sogenannten Bernwardssäulen stehen nur noch zwei, in denen sich, wie aus den an ihnen angebrachten Inschriften zu entnehmen ist, Reliquien befinden. Vor allem ins Auge fällt die Malerei an der Holzdecke im Mittelschiffe, welche die sogenannte Wurzel Jesse zum Gegenstand der Darstellung hat. Da sieht man in acht Feldern die Hauptscenen aus der Geschichte des Alten Testaments vom Sündenfall an hinauf bis zur Geburt Christi und den in der Gloria thronenden Erlöser in überaus Künstlerischer Weise dargestellt, und an beiden Seiten der Hauptreihe der Bilder tritt uns die Schar der Patriarchen und Propheten des alten Bundes in Medaillonbildern vor Augen. Leider fehlt eine sichere Nachricht darüber, von welchem Meister dieses großartige Werk aus der Blütezeit der romanischen Kunst geschaffen ist. Man vermutet aber, daß die Holzdecke vom Abte Ratman herrührt. Im 13. Jahrhundert wurden die baufällig gewordenen Seitenschiffe abgerissen und im gotischen Baustil wieder aufgeführt; auch wurde der südliche Arm des westlichen Querschiffes abgetragen und nicht wieder aufgeführt. Endlich im 17. Jahrhundert wurde noch der östliche Chor mit der Krypta abgebrochen und zwischen den Armen des östlichen Querschiffes ein Turm erbaut. Der Besichtigung wert ist namentlich auch der Kreuzgang (durch die Irrenanstalt allein zugänglich). Besonders der westliche, im Übergangsstil erbaute Flügel ist recht malerisch und sehenswert. Auch die dreischiffige Krypta unter dem westlichen Chor mit der Bernwardsgruft möchten wir einer Besichtigung empfehlen. Hier ruhten in einem steinernen Sarkophag in dem von ihm selbst gebauten Grabe Bernwards Gebeine, welche jedoch später diesem Grabe entnommen wurden Der Schädel und der rechte Arm befinden sich im Dome, und das übrige ruht in der Magdalenenkirche. In der Grabkammer sprudelt eine klare Quelle hervor, welcher das Volk bei verschiedenen Krankheiten Heilkräfte zuschreibt.

Die Michaeliskirche in ihrer früheren Gestalt

Unmittelbar mit der Michaeliskirche verbunden stand das Michaeliskloster, welches jedoch im Jahre 1803 aufgehoben wurde, und die Klostergebäude seit 1826 zu Zwecken einer Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke benutzt werden.

Inneres der Michaeliskirche in Hildesheim

Die schon erwähnte Magdalenenkirche bewahrt kostbare Geräte und Reliquien, darunter das goldene Bernwardskreuz und die in dessen Sarge aufgefundenen beiden Leuchter. Ferner ist zu erwähnen die Martinikirche, welche das städtische Museum enthält. Die Hauptkirche der Lutheraner ist die Andreaskirche, in deren Umgebung sich viele altertümliche Häuser mit Inschriften und Bilderschmuck befinden.

Magdalenenkirche in Hildesheim

In einem gewissen Zusammenhange mit den kirchlichen Gebäuden steht das sogenannte “Templerhaus”, ein Eckhaus am Markte und an der Judenstraße, hat dieses Gebäude ohne Zweifel doch von dem Umstande seinen Namen, daß es auf dem Platze erbaut wurde, wo der erste Tempel der Juden in Hildesheim errichtet war. Das Gebäude stammt aus der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts und zeichnet sich besonders dadurch aus, daß der obere Teil des Daches nicht durch einen dreieckigen oder staffelförmigen Giebel abgeschlossen wird, sondern hinter einem rechteckigen Mauersatze sich verbirgt, dessen wagerechte Oberkante mit vier kleinen Spitzen besetzt ist. Auch die übrige Ausführung verleiht dem Gebäude einen altertümlichen, burgartigen Charakter, wozu auch die beiden über dem Eingange befindlichen Wappen der Familie von Harlessem noch einen Teil beitragen.

Rathaus in Hildesheim

Hier auf dem Altstädter Marktplatze ziehen noch andere Gebäude unsere Aufmerksamkeit auf sich, So das mit sehr gutem Schnitzwert ausgestattete Wedelindsche Haus. Ferner das aus dem 14 Jahrhundert stammende Rathaus mit seinen Vorhallen. An dem längs der Marktstraße sich hinziehenden Flügel steht unten eingehauen “Düt is de garen mathe” (hat ursprünglich aber “Dos is de garen mathe” geheißen), neben welcher Hinweisung früher eine eiserne, der Länge eines Garnlopps entsprechende Elle hing. Vor dem Rathause steht ein altertümlicher Brunnen, mit allerlei Figuren geziert, welche leider dem Zahne der Zeit beträchtlich zum Opfer gefallen sind.

Die Neustädter Schenke in Hildesheim vom Jahre 1550

Endlich erwähne ich noch das frühere Knochenhaueramtshaus, ein Holzbau, mit der Giebelseite dem Altstädter Markt zugekehrt, mit weit überhängendem Giebel, der mit prachtvollen Holzschnitzereien und mit vielen ernsten und heiteren Bildern von dem Maler Georg Bergmann in den lebhaftesten Farben, die mit entsprechenden Sinnsprüchen versehen sind, geschmückt ist.

Das Knochenhauer-Amishaus in Hildesheim

Nach der über dem Haupteingange befindlichen Inschrift “Erbaut im Jahre 1529. Wieder hergestellt im Jahre 1853”, wurde dieses Haus 1529 vollendet; 1853 kaufte es aber der Magistrat an und verlegte das Stadtleihhaus und die Sparkasse hinein. Solche altertümliche Bauten aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert treten besonders viel im nordöstlichen Stadtteil auf, infolge dessen dieser auch ein mehr mittelalterliches Gepräge hat und uns an Zeilen erinnert, die längst hinter uns liegen. Sie alle zu beschreiben, gestattet hier der Raum nicht; doch möchte ich mich noch über einen interessanten Bau etwas auslassen, nämlich über das Kaiserhaus an der Straße “Langerhagen”, welches durch seine Ausführung im Quaderbau und seine reichen Skulpturen alle anderen übertrifft. Es ist aus zwei in einem rechten Winkel sich vereinigenden Flügeln zusammengesetzt, von denen der eine die Straßenseite und der andere die Hofseite bildet.

Tempelhaus und Wedekindhaus in Hildesheim

Am Straßenflügel ist der auf dem Sockel ruhende Mauerteil in horizontale Streifen zerlegt, von welchen der unterste und die beiden oberen je eine Reihe medaillonförmiger, die Köpfe von 46 römischen Kaisern darstellender Reliefs mit bezüglichen Inschriften versehen sind, welcher Ausführung dieses Gebäude wohl die Bezeichnung “Kaiserhaus” verdankt. Der zweite Streifen zeigt Vögel. Außerdem sind noch zwei Engel, mit je einem Blashorn in den Händen, und fünf Knaben angebracht Auch findet sich hier ein Steinmetzzeichen und die Jahreszahl 1587. Gerade über dieser letzten Darstellung, über einem Türgesims erblickt man die von Engeln gehaltenen Wappen des Erbauers dieses Hauses, Caspar Borchholtzen, und dasjenige seiner Frau. Ferner fallen noch vier Nischen mit je einer lebensgroßen, auf einem Sockel stehenden Figur und die in den Fensterbrüstungsfüllungen des Erkers angebrachten fünf Flachgebilde ins Auge, von denen letzteren vier mit Inschriften versehen und wohl die vier Jahreszeiten darstellen sollen. An der dem Hofe zugekehrten Seite des Hauses tritt uns ebenfalls der verschiedenste Schmuck entgegen, und auch hier ist das oben erwähnte Steinmetzzeichen mit der Jahreszahl 1586 angebracht.

Lenken wir unsere Schritte in der Rolandstraße weiter, so tritt uns an der Ecke dieser und der Eckemäckerstraße das sogenannte Rolandsstift, welches jetzt allerdings anderen Zwecken dient, entgegen, das sich ebenfalls durch seine großartigen Verzierungen auszeichnet.

Der Kehrewiederturm in Hildesheim

Nach all dieser geistigen Nahrung verlangt auch unser Leib die nötige Erfrischung. Nachdem ihm diese geworden, unternehmen wir noch eine Tour nach dem nahen Galgenberge, der uns in seinem Namen ebenfalls an längst vergangene Zeiten erinnert, hat doch hier einst der städtische Galgen gestanden. Von hier aus hat man einen herrlichen Überblick über Berg und Tal, üppige Felder, grünende Wiesen und Wälder und die im Tale gelegene Stadt selbst.

Nach Norden breitet sich die norddeutsche Tiefebene aus, besät mit vielen Städten, Flecken und Dörfern, nach Süden und Westen wird der weitere Blick durch den Hildesheimer Wald abgeschnitten; doch kann man durch eine Senke den Schulenburger Berg mit der Marienburg sehen; endlich im Sudosten zeigt sich in weiter Ferne “Vater Brocken” Der Galgenberg ist auch insofern noch von besonderer Bedeutung, als am 9. Oktober 1868 von einigen mit Erdarbeiten beschäftigten Soldaten hier der berühmte Silberschatz gefunden wurde, der sich jetzt im Museum zu Berlin befindet.

Dieser Artikel erschien zuerst 1904 in Die Gartenlaube.