Ein neuer Ausbruch des Vesuv

Durch die Gegend von Neapel läuft wieder einmal die Schreckenskunde: der Vesuv arbeitet. Professor Semmola telegraphierte von dem seismographischen Observatorium, daß gewaltige Explosionen im Innern, von starken Detonationen begleitet, Lavablöcke und glühende Massen hunderte von Metern in die Höhe schleuderten, aus der sie dann gleich einem Feuerregen zur Erde niederfielen.

Zahlreiche Häuser und Hütten sind bereits zerstört, eine ganze Anzahl von Menschen getötet, die Bergführer sind aus Furcht vor der Lava geflohen, der Verkehr auf der zur Höhe des Berges führenden Drahtseilbahn ist eingestellt; in den um den Vesuv herum liegenden Dörfern werden allenthalben Bußgottesdienste abgehalten, und die Bewohner bringen auch die Nächte jammernd auf den Straßen zu.

Ein neuer Ausbruch des Vesuv – Die Kraterwände mit aufsteigenden Schwefeldämpfen

„Der Vesuv arbeitet“ heißt: er speit Tod und Verderben“, die Bevölkerung weiß es teils aus eigener Erfahrung, teils aus den Erzählungen der Väter und den Lehren der Geschichte nur allzu gut, welchen Schaden und welche furchtbaren Zerstörungen die glühenden Lavamassen, die der Berg aus seinem Innern hervorschleudert, in der ganzen Umgebung des Vesuvs anrichten.

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Während alle übrigen feuerspeienden Berge auf dem europäischen Kontinent im Lauf der Jahrtausende ihre Verderben bringende Thätigkeit völlig eingestellt haben, ist der Vesuv allein noch nicht zur Ruhe gekommen. Seit im Jahr 79 n. Chr. die Städte Herkulanum und Pompeji, die jetzt wieder ausgegraben sind und, in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten, uns manchen Einblick in das römische Leben gewähren, durch seine Lavamassen völlig verschüttet wurden, hat er von Zeit zu Zeit immer wieder durch größere Ausbrüche die Menschheit in Schrecken versetzt, so namentlich im Jahr 1631 n. Chr., wo er nach Millionen zählende Kubikmeter Lava auswarf, in denen mehr als 3000 Personen zu Grunde gingen. Daher herrscht vielfach die Vorstellung, als sei der Vesuv der einzige Vulkan von Bedeutung, während er unter den etwa 300 heute auf dem ganzen Erdball noch thätigen Feuerbergen in Wahrheit der kleinste ist. Sein Kraterrand hat einen Umfang von noch nicht zwei Kilometern, und er erhebt sich nur bis zu 1137 Metern, während der größte Vulkan beinahe dem höchsten europäischen Berg gleichkommt; es ist dies der 4170 Meter hohe Maonaloa auf Hawaii, dessen Krater 15 Kilometer Umfang hat.

Ein neuer Ausbruch des Vesuv – Der Aschenkegel mit dem feuerspeienden Krater

Die bedeutendsten Ausbrüche des Vesuv im vergangenen Jahrhundert fanden 1822 und 1872 statt, dann blieb er still, bis in den letzten Tagen wieder die alte Wildheit über ihn kam. Der Vesuv beginnt seine Arbeit gewohnheitsmäßig beim Herannahen des Sommers, wenn der Fremdenstrom aus dem Norden nach Italien stärker wird, und bildet dann für die Gegend um Neapel einen Anziehungspunkt mehr. Auch jetzt war anfangs wieder nur die Rede davon, daß der Vulkan infolge feiner Thätigkeit einen schauerlich – schönen, prachtvollen Anblick gewähre, allein die lockenden Töne mußten nur zu bald dem Angstgeschrei der bedrohten Bevölkerung weichen.

Dahtseilbahn (funiculare) auf den Vesuv

So furchtbar freilich, so mörderisch wie zu Beginn der christlichen Zeitrechnung, als die bereits erwähnten Städte ihren Untergang fanden, werden die Eruptionen heute nicht mehr wirken, weil sie nicht mehr so überraschend kommen. Damals mögen wohl einige Gelehrte die vulkanische Natur des Vesuv gekannt haben, das Volk hatte jedoch keine Ahnung davon, von einem Krater war damals nichts zu sehen, denn der Monte Somma, jener Teil des Vesuv, der im Jahr 79 den Eruptionsherd bildete, war dem äußeren Anschein nach ein Berg wie andere auch, der mit seinem prächtigen Waldstand blau in die Ferne schimmerte. Es ist ja überhaupt eine der herrlichsten Gegenden, in deren Mitte der Verderben spendende Vulkan sich auftürmt, an dessen unterem Gelände trotz der immer wiederkehrenden Gefahren sich in einer größeren Anzahl von Städten und Dörfern, angelockt durch den fruchtbaren Boden, wohl hunderttausend Menschen angesiedelt haben. Sie können so recht die Kraft des menschlichen Geistes und ihre Grenzen erkennen. Wissenschaft und Technik haben die Natur bis zu einem gewissen Grad überwunden, die seismographischen Instrumente geben über die Stärke der Bewegungen im Innern der Erde Aufschluß und künden sie an, noch bevor der Mensch sie spürt. Der menschliche Geist ist wohl imstande, das Entstehen der Lavaströme zu ergründen, aber sie ins Innere der Erde zu bannen, vermag er nicht.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.