Von den Thoren bis zum Alter Markt

Die Thore

Aber durch welches Thor wollen wir unseren Einzug halten?

Wir haben die Wahl. Zwölf Thore, von denen aber drei schon vermauert, laden uns von der Landseite, und nicht weniger als sechsunddreißig, deren viele ebenfalls bereits vermauert und verschüttet sind, von der Rheinseite zum Einzuge ein.

Auf der Landseite haben wir noch

1) das Severinsthor,
2) die Ulregassenpforte, zu einer Windmühle umgeschaffen,
3) die Pantaleonspforte, schon 1685 vermauert,
4) Die Bachpforte, jetzt Windmühle,
5) das Weyerthor,
6) die Schafenpforte, vermauert,
7) das Hahnenthor,
8) das Ehrenthor,
9) die Friesenpforte,
10) die Gereonspforte, oder Gereonsloch, wurde seit dem Jahre 1682 nicht mehr benutzt, jetzt wieder geöffnet,
11) das Eigelsteinerthor,
12) die Kalderhäuserpforte mit dem Juden-Wichhaus, seit dem sechszehnten Jahrhundert zugemauert.

Jede auf den Rhein aus der Stadt auslaufende Straße hatte auch ihren Ausgang, ihre Pforte. In der vom Bayen bis zur Bastion des Rheinthores reichenden, jetzt niedergelegten, Stadtmauer befanden sich:

1) das Bayenthor,
2) die Dreiklönigenpforte, zugemauert,
3) die Bleipforte, der Dränggasse gegenüber,
4) die Rosengassenpforte,
5) die Budegassenpforte,
6) die Sionspforte, alle vier waren verschüttet,
7) das ehemalige Nächelskaulenthor, neben einem im siebenzehnten Jahrhundert gebauten Bollwerk,
8) die Nächelskaulenpforte,
9) die kleine Hytzgasse- oder Witschgassenpforte,
10) die Holzpforte,
11) die große Witschgassenpforte, war vermauert,
12) ein kleines Thörchen als Eingang zu Lyskirchen für die Schiffer,
13) auf der anderen Seite der Bastion ein ähnliches,
14) die Filzengrabenpforte, jetzt neu gebaut,
15) eine kleine zugemauerte Pforte,
16) ein größeres Thor, welches beim hohen Wasser zum Anlanden der Schiffe diente,
17) eine kleinere Pforte,
18) das Rheingassenthor,
19) die neue Mühlenpforte, oder die Wachpforte,
20) die Zollpforte,
21) die Hasenpforte,
22) die Markmannsgassenpforte, seit 1824 bei der Erweiterung der Straße abgebrochen,
28) das Fahrthor,
24) die Wilportz, beide schon lange außer Gebrauch,
25) das Salzgassenthor,
26) die Weinpforte,
27) die kleine Fischpforte,
28) die große Fischpforte, 1804 bei Anlage des Freihafens zugemauert,
29) die Mühlengassenpforte,
30) die Neugassenpforte, jetzt zugemauert,
31) die Pforte im Frankenthurm, die 1828 bis auf die Stadtmauer abgebrochen wurde,
32) der Trankgassenthurm, 1826 in ein offenes Thor umgeschaffen,
33) die Kostgassenpforte, oder Waldmannsgassenpforte,
34) das Erbacherthor,
35) die Bludtgassen- oder Blumengassenpforten, mit der Erbauung des Stationshofes der Rheinischen Eisenbahn verschwunden,
36) die kalten Brandspforte und
37) die neu erbaute Cunibertspforte.

Ich schlage das Weyerthor vor. Und aus welchem Grunde?

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Weyerstraße

Weil die deutschen Könige, wenn sie in Aachen als solche gekrönt, durch dieses Thor ihren Einzug in die Stadt zu halten pflegten, weil vor demselben ihnen zu Ehren die großen Freudenfeuer, große Holzstöße niedergebrannt wurden.

Ob die Riechorgane der Herrscher des weiland heiligen römischen Reiches anders beschaffen waren, als die unserigen, weiß ich nicht; so viel weiß ich aber, daß nichts weniger als Schiras Rosendüfte uns begrüßen, so wie wir uns dem Thore nähern.

Gerade um den Vorweg sind die aus menschlichen Excrementen bestehenden Misthaufen aufgestapelt, mit den Jauchlachen in heißen Sommertagen und an den Abenden um die Wette die Luft verpestend. An der Schafenpforte haucht außerdem das Schwarzwasser, eine schmutzige Lache im Vorgraben, deren trügerische Eisdecke schon manches junge Leben gefordert, ihre Malaria aus.

Wallgassen

Dieselben mephitischen Dünste empfangen uns, treten wir unter den langen Zwinger durch das Thor in die Stadt. Wie an allen Thoren, thürmen sich hier in der Straße Misthaufen, die in einzelnen Thor-Straßen häuserhoch, selbst manche Giebelspitzen überragen. In die inneren Wallgassen wagt sich nicht leicht Jemand, denn bei den ungepflasterten Wegen, der nachlässigsten Düngerwirthschaft der hier hausenden Kappesbauern, ist der Schmutz nicht zu bewältigen.

Wingerte

Die elendesten Hütten mit verfallenen Ziegel- und altergrauen Strohdächern, umsponnen von den buntscheckigsten Moosarten, bilden die Eingänge zu den weit ausgedehnten, viele, viele Morgen großen Bungerten (Baumgärten) und Wingerten (Weingärten) unserer Gemüsegärtner, welche auch zum großen Theile die Stadt mit Milch versorgen.

Kappesbauern

Mehr als ein Drittel des inneren Berings der Stadt nehmen die Weingärten ein. Sie erstrecken sich vom Bayen bis zum Katharinengraben, zum Perlengraben, zur Fleischmengergasse und Lungengasse, an Mauritius vorbei, wo der Rinkenpfuhl den anwohnenden Kappesbauern zur Pferdeschwemme dient, bis zum Pielenpfuhl, auch eine stehende Lache mit einer Reihe Pappeln, hinauf über die Ehren- und Apernstraße, den Berlich einschließlich, zum Hundsrück hinter St. Ursula, die ganze Nordseite des Eigelsteines entlang bis zur Brandgasse.

Was Wunder, daß hier mehr als 10,000 Ohm Wein gezogen werden konnten! Zwischen den Weinspalieren waren die so genannten Gänge, die Felder zum Gemüsebaue. Am Pielenpfuhl, auf der Hahnenstraße wie auf den Wällen schnurren die Seilerräder. Aus einzelnen Wichhäusern, den Wohnungen von Professionsbettlern, steigt einladender Küchendunst. Wer weiß, treten wir in eines derselben, ob es uns nicht ginge, wie weiland einem unserer ehrsamen Bürgermeister, der sich bei einem Spazirgange in einem Wichhause die Pfeife anzünden wollte, und auf dem Herde eine mit einem fetten Aal gespickte Poularde appetitregend schmoren fand!

Wie in allen Thorstraßen, sperren Karren und Ackergeräthe mit den Dünghaufen um die Wette den Weg; man glaubt sich völlig in einem Dorfe. Selbst die weißen und bunten Kopftücher der Frauen, ihre kurzgeärmelten Jacken und wollene Röcke, der Männer lederne Kniebeinkleider ohne Hosenträger, die Schuhe mit Rinken oder Schnallen, das stammkölnische Kruffes oder Wamms ohne Aermel, wie der blaue Kittel und die blaue Schürze an den Werkeltagen, die langschößigen Bratenröcke, meist in braunrother Farbe mit ihren thalergroßen Knöpfen, welche aber nur an Fest- und Feiertagen aus den Kasten geholt werden, und länger als des Lebens Jahre währen, die Dreitimpen, dreieckige Hüte der Männer, tragen den ländlichen Charakter, beurkunden die “Bauerbänke”, wie die Gemeinden unserer Gemüsebauer hießen. Der Kappesbauer verläugnet sich in seinem Aeußern nicht, seine Erscheinung entspricht seiner Beschäftigung, selbst der Typus seiner Gesichtsbildung, der Redeton trägt einen ganz originellen, eigenthümlichen Charakter. Es gab unter den Gemüsebauern Viele, die nicht einmal ihren Familiennamen kannten. Die originellsten Spitznamen führt jede Familie seit undenklichen Zeiten.

Aus diesen Namen des Zufalls haben sich nun durch verschiedene Generationen hindurch die eigenthümlichsten Namen-Zusammenstellungen gebildet. Die Kappesbauern machten eine eigene Kaste aus. Immer lebten die einzelnen Bauerbänke unter einander in einer gewissen Spannung, nicht leicht wagte sich einer aus einer Bauerbank in das Gebiet einer anderen. In früheren Zeiten wurden die Heirathen auch nur unter den Insassen derselben Bauerbänke geschlossen; ein Eigelsteiner oder Gresberger würde keine Weyerstraßerin geehlicht haben, und umgekehrt.

Feldbach

Wir kommen auf den Feldbach. Rechts unabsehbare Weingärten, der “Pantaleons-Wingert”, links neben spitzgegiebelten Häusern einzelne stattliche Bauten mit ihren Treppengiebeln bis in das sechszehnte Jahrhundert hinaufreichend, und Häuser, welche das vorige Jahrhundert entstehen sah, durchschnittlich Wohlstand verkündend, denn hier hausen und schaffen die Rothgerber, die “Löhrer”, und das kölnische Sprichwort sagt nicht umsonst: “Stinkig Fellche, klinkig Geldche!” Geräthst Du aber zufällig auf den Feldbach, wenn derselbe ausgeschlagen, d. h. gereinigt, sein Schlamm und Schmutz auf die Straße geworfen ist, dann ist die Passage eben nicht angenehm und leicht, denn man überläßt gewöhnlich der Zeit, der Sonne, dem Regen das Geschäft, die Schlammhaufen wegzuschaffen.

Der scharfe Lohgeruch ist aber nicht so angreifend, wie der Verwesungsduft, der uns von dem “Pälengraben”, das ist Phalgraben der ältesten Stadteinfriedigung vor Erbauung der großen Stadtmauer, entgegenströmt. Seine Mitte nimmt eine weite stinkende Lache ein, wo die Weißgerber und die berühmten kölnischen Leimsieder die Häute kälken, die animalischen Urstoffe in Fäulniß übergehen lassen.

Folgen wir dem Feldbach, so begleiten uns rechts bis zur Büttgasse Weingärten, zur Linken meist ärmliche Wohnungen, eine Baumreihe mit wenigen ansehnlichen Häusern. Ueber die Hochpforte hinaus sehen wir uns links in das mittelalterliche Köln versetzt, uralte Häuser und Häuschen mit charakteristischen Ueberbauten, in der Mitte der Bach durch eine gemauerte Rinne geleitet, die Cloake der ganzen Nachbarschaft, auf der rechten Seite aber Wohlstand verkündende Wohnungen, meist Sitze von Kaufherren. An der Malzmühle klappern die Räder einer Mühle, welche der Bach treibt.

Filzengraben

Im Filzengraben begrüßt uns wieder ein malerisches Stück Mittelalter. Hier haben die edlen Geschlechter mit ihren Mundmannen gehaus’t. Die linke Seite der ganzen Straße, in deren Mitte am Eingange eine Hufschmiede, bildet eine düstere Laube durch die von hölzernen, in Ziegeln gemauerten und steinernen Pfeilern getragenen Vorbauten der malerisch verfallenen Häuser, welche zu den in der Rheingasse gelegenen Sitzen der Edlen gehörten, unter denen das Haus “Overstolz” mit seinem majestätischen architektur-schönen Giebel, ein Bau des 13. Jahrhunderts, sich noch in seiner zwar verfallenen Bauherrlichkeit erhalten hat.

Siehe Ernst Weyden: Das Haus Overstolz zur Rheingasse. Köln, bei DuMont-Schauberg.

Die übrigen Edelhöfe der engen Rheingasse sind größtentheils umgebaut, die Wohnungen protestantischer Kaufherren.

Unter den stattlichen Bauten der rechten Seite des Filzengrabens erhebt sich bürgerstolz das in seinen Bauverhältnissen schöne, vielstöckige Zunfthaus der Faßbinder, bei denen in reichsstädtischer Zeit die meisten Kaufherren und Weinhändler eingeschrieben waren, weßhalb die Söhne der bei dieser Zunft eingeschriebenen Kaufleute auch den Namen “Prinzen-Lehrlinge” führten und ein silbernes Bandmesser zum Abzeichen trugen. Es mußte jeder Weinhändler seine Lehre als Faßbinder gestanden haben. Eine viereckige Vertiefung, rings ummauert, durch welche der Bach fließt, und in der links Pferdeställe angebracht sind, nimmt hier fast die ganze Breite der Straße ein und macht mit den alten Bauten der Mehlwage an der Stadtmauer ein äußerst malerisches Bild.

Römerstadt

Im Straßenlabyrinthe der eigentlichen Altstadt erzählen die Ueberbleibsel der alten römischen Gußmauern, die achtzehn Jahrhunderten und allen Stürmen der Zeit trotzten, mit ihren Thürmen, mit dem so genannten Pfaffenthore, das stolz den Namen der Gründerin der Römer-Colonie: C.C.A.A. – “Colonia Claudia Augusta Agrippina” – an der Stirne trug und leider 1828 niedergelegt wurde, mit dem Römerthor, den Thürmen auf der Burgmauer, an St. Claren, am Laach und die Griechenpforte von der Römerzeit, an welche auch die runden Gränzsteine auf den Plätzen und vor einzelnen Häusern erinnern, vom späteren Mittelalter römischen Vorbildern nachgeahmt, ohne die Bedeutung des Symbols zu ahnen.

Der Bogen dieses Römerthores, der so genannten Pfaffenpforte, befindet sich im Museum. Die letzte Bezeichnung ist keineswegs von Ports Paphia und eben so wenig davon herzuleiten, daß hier Geistliche aufgeknüpft worden, die den Bürgermeister Hermann Gryn von einem Löwen wollten zerreißen lassen, den dieser aber mit starker Faust erlegte, wie die Chronik der hilligen Statt Coellen S. 227, b erzählt, sondern einzig daher abzuleiten, daß die Geistlichen aus der Nachbarschaft und aus dem nah gelegenen St.-Andreasstifte durch dasselbe und das so genannte Domgängelchen ihren Weg nach dem Dom nahmen, da früher auch die Litsch, das ganze Domkloster abgeschlossen war.

Kirchen und Kirchhöfe

Die majestätisch bauprächtigen Kirchen bieten, zwar verfallen, vernachlässigt und unbeachtet, einen Schatz der monumentalen Architektur vom zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert, wie denselben in solchem Reichthume keine Stadt Europa’s, selbst Rom nicht, aufzuweisen hat. Sie verkünden das geistliche Ansehen des mittelalterlichen Kölns in ihrem Verfalle, wenn auch noch zum Gottesdienste benutzt, in ihrer mehr als trostlosen Verwahrlosung, die schon seit länger denn zwei Jahrhunderten vernichtend an ihnen gezehrt hat, aber auch den ewigen nothwendigen Wechsel der Dinge. An diesen mahnen auch nicht minder ernst die selbst in den volkreichsten Theilen der Stadt um die Kirchen liegenden und noch benutzten Friedhöfe mit ihren altersgrauen, bemoos’ten, zerfallenen Leichensteinen, ihren halbversunkenen Steinkreuzen, den frischen Grabhügeln und den in den Beinhäusern bleichenden und modernden Gebeinen und Schädeln. Wie allgewaltig auch die Macht der Gewohnheit: schauerlich unheimlich war der Eindruck, besonders für uns Kinder. Leichen- und Moderduft umfängt uns auch betäubend, sinnraubend in den meisten Kirchen, deren Krypten und Gewölbe Todtenkeller. Ohnmachten, das “Flauwerden” einzelner Andächtigen während des Gottesdienstes eine alltägliche Erscheinung.

Der neue Kirchhof in Melaten, wo vordem ein Pesthaus für Aussätige, wurde erst 1811, am 29. Juni, durch den damaligen Dompfarrer und Domdechanten Joh. Mich. DuMont J. U. D. eingeweiht. In den Inschriften, welche den Eingang würdig schmücken, hat sich unser seliger Wallraf, geboren 20. Juli 1748, gestorben am 18. März 1824, selbst das schönste Monument gesetzt. Sie lauten:
Have in beatius aevum seposta seges.
Transi non sine votis mox noster.

Hat auch die Speculation schon unter den hundert und neunzig Kirchen und Capellen der vorfranzösischen Periode mit blindem schonungslosen Vandalismus aufgeräumt, Wallraf aber mit seinem lebendigen Sinn für das Schöne, die bauschönsten gerettet; stoßen wir auch an allen Enden auf Schutthaufen und Ruinen, da die Mehrzahl der Gotteshäuser und Klöster auf den Abbruch verkauft wurden, und gewöhnlich an Blei und Eisenwerk den Ankaufspreis aufbrachten: so gab doch es noch kölner Bürger, die zu fromm gewissenhaft, um Kirchengut zu kaufen. War dieses Zerstören auch für Viele ein einträgliches, ihren Wohlstand begründendes Geschäft, so haben doch manche einzelne Stifte und Klöster ihre bauschönen Kreuzgänge, ihre alterthümlichen, malerischen Umbauten noch erhalten, nur um so malerischer in ihrem Verfalle. Mit dem Abbruch vieler der Kirchen und Klöster fing die Stadt an, einmal ein wenig freier zu athmen, Luft zu schöpfen. Unbegreiflich ist es, wie Alles in einander gebaut und verbaut war; so soll die Augustiner-Kirche bis weit in die Straße gestanden, dieselbe ganz eingeengt haben. In der Zeit, von der wir reden, war der Augustinerplatz schon geebnet, eine Art Gartenanlage mit Oleanderhecken.

Dom

Auch der Dom ist eine Ruine. Die Egalitäts-Männer der Revolutionszeit, die in Köln toll gespukt hatten, wie uns unsere Eltern erzählten, schleppten Wappenschilder und ähnliche Zeichen der Feudalzeit aus dem Dome zusammen und verbrannten sie feierlichst auf dem Neumarkte. Bei dieser Gelegenheit hatte man auch die Grabstätten der Erzbischöfe und Kirchenfürsten durchwühlt, die zinnernen Särge in den Schmelztiegel wandern lassen und weggeschleppt, selbst was niet- und nagelfest war, unter Anderen die bronzenen Grabbilder, so auch dasjenige des Dom-Gründers, des Erzbischofs Conrad von Hochstaden, das zu retten unserem Wallraf gelang.

Selbst die Heiligenbilder an den Straßen-Ecken – wobei zu bemerken, daß an der Ecke der großen Budengasse auf der Hochstraße, an der Helf’s Apotheke, wie sie jetzt heißt, im dreizehnten Jahrhundert das erste Muttergottesbild errichtet worden -, so wie die Heiligenbilder an einzelnen Häusern waren, zum größten Schmerz der frommen Bürger, durch die Egalitäts-Männer fortgeschafft worden. Sie hatten auch den Abbruch des Domes beantragt. Später machte der Präfect Ladoucette, dessen Residenz Aachen, alles Ernstes den Vorschlag, den Bau mit italienischen Pappeln zu umpflanzen, um diese partie honteuse der Stadt zu verbergen.

Die bauherrliche Chorrundung des Domes wird durch die fast an dieselbe von Süd nach Nord stoßende Kirche St. Maria zu den Staffeln (laria ad Gradus) den Blicken entzogen. Hinter dieser Kirche zieht sich um den Dom sein Friedhof, auf demselben trug ein weißer Kirschbaum kostbare Früchte, von denen ich oft in verbotener Weise genascht habe. Schauerlich düster, unheimlich, selbst am Tage, ist die ganze Umgebung der Kirche St. Maria zu den Staffeln. An derselben, nach dem Platze zu, war in einer Nische ein Kreuz angebracht, vor dem allnächtlich eine Lampe brannte, welche eine Familie Titel aus meiner Nachbarschaft versorgte. Von der großen Sporgasse und von der Trankgasse führten mehrere ausgeschlissene Stufen hinan, zum Wege an der Kirche vorbei, eine wahre Cloake, die Lagerstätte von urherkömmlichen Professionsbettlern, daher auch die urkölnische sprüchwörtliche Redensart, wenn Jemand viele Kupfermünze in der Tasche hatte: “Do haess gewess an der Marjriete Trapp jesesse!” Düster rauschen thurmhohe Pappeln auf dem Marjrieten Berg, dem Abhange zum Mariengraden Platze oder Kloster, einem weiten, schmutzigen Grasplatz von verfallenen Häusern, den ehemaligen Wohnungen der Stiftsherren eingeschlossen, an der Ostseite von dem als Criminal-Gefängniß benutzten Frankenthurme schauerlich überdroht.

Domhof

Rings um den weiten Bau des Domes drängen sich Häuser und Häuschen aller Gattungen, selbst an die Südseite ist noch ein Kirchlein, die Hofpfarrkirche St. Johann angeklebt, als hätte man sich der Schmach des hohen Baues in seinem Verfalle geschämt. Gleich Schwalbennestern sind Hütten und Gademen, wo Rosenkränze, Dreikönigen-Briefchen, Hubertus-Riemchen und Heiligenbilder verkauft werden, dem gewaltigen Torso, wie zum Spotte, angeheftet, zwischen seine Grundpfeiler eingezwängt; sogar auf dem Stumpfe des nördlichen Thurmes baut sich eine Wohnung; mit spärlicher Ausnahme aber alle so traurig, schaurig, düster, dem Verfalle preis gegeben, wie der Bau selbst.

Seine, vom scharfen Zahne der Zeit seit Jahrhunderten benagten, von der Wuth der Stürme zerrissenen und zerbröckelten Pfeiler, Phialen und Laubkreuze, das verwitterte Laub- und Maßwerk der Fenster sind mit Gräsern und Schmarotzerpflanzen überzogen, durch bunte Moosdecken gefärbt; auf den Giebeln, zwischen den Klüftungen der Galerieen wiegt die Nelkenviole ihre goldbraunen, süßduftenden Blüthendolden; aus allen Ritzen und Fugen des Thurmes wuchern Sträucher und Büsche, wilde Rosen, Hollunder, selbst stämmige Mispelbäume. Reiches Pflanzenleben schlingt seine lebensfrischen Gewinde um alle Theile des hohen Werkes, dessen Heiligkeit die Menge so wenig achtet, so wenig ehrt, welches sie in seiner nächsten Umgebung dergestalt verunreinigt, daß es an manchen Stellen eine Kunst, ja, eine Unmöglichkeit, sich dem Dome zu nähern.

Das Innere entspricht dem Aeußeren, im traurigsten Verfalle. Das Langhaus ist in der Höhe der Säulen mit durch die Zeit braun gewordenen Brettern verschalt; aber im Vergleiche zu anderen Kirchen ist das Innere immer möglich rein gehalten.

Beim geringsten Regen rauscht das Wasser in Strömen von allen Enden herein. An den Markttagen benutzen die Gemüseweiber mit ihren Korbpyramiden, mit ihren Lasten auf dem Kopfe den Dom zur Durchgangstraße, um sich die Wege abzukürzen.

Umgebung

Und welche Umgebungen umtrauern die herrliche Ruine! Die Häuser, welche das Domkloster umziehen, entsprechen als Wohnungen der ehemaligen Domherren im Aeußeren ihrer Bestimmung, so an der Westseite die Wohnung des Weihbischofes von Merle, an der Südseite die der Domcapitularen von Mylius und von Geyer. Nur in der nordwestlichen Ecke hinter der Rentei liegt das düstere Dom-Backhaus, und der schauerliche Durchgang “et Doom Gängelche” nach der Pfaffenpforte.

Aber wie schildere ich den Domhof selbst? Wellenförmig läuft der Platz von West nach Ost jäh ab, fußhohes Rietgras, Malven, die kölnischen Katzekiescher und Unkraut überwuchern im Sommer die ganze Fläche, von einer Cloake durchzogen, deren ewiger Inhalt nichts weniger, als Weihrauch. In der südwestlichen Ecke droht unheilverkündend das Criminal-Gefängniß, die “Hacht”, ein schauerlicher Bau, dessen düsteres grauenhaftes Aeußere von den Gräueln erzählt, welche derselbe in seinen Verließen mit ihren steinernen Fuß- und Handstöcken, ihren Halseisen und schweren Fesseln birgt. Wir Kinder schlugen ein andächtiges Kreuz, wenn wir vorüber gingen, und dies nicht minder bei dem, an die, dem südöstlichen Eingange des Domes vorgebauten Häuser stoßenden unheimlichen Bau, den wir das “hohe Gericht” nannten, wo den armen Sündern ihr Todesurtheil verkündet, wo der Stab über sie gebrochen, wo sie dem Henker zum letzten Gange überantwortet wurden. Den an der Kirche St. Johann früher eingemauerten “blauen Stein”, eine zerbrochene Schieferplatte, über der das kurfürstliche Wappen angebracht war, hatten die Revolutionsmänner vernichtet. Wer kannte aber nicht des Nachrichters Spruch, mit welchem dieser den armen Sünder drei Mal mit dem Rücken an den Stein stieß, ehe er den Karren bestieg, ehe die Armsünderglocke von dem Thurme dröhnte: “Ich stüssen dich an der bloe Stein, Do küss dingen Vader un Moder ni mih heim!”

Haarsträubende Erzählungen knüpfen sich an diese schaurigen Stätten, wie an die Geschichte des Domhofes selbst. Ihrer Schauerlichkeit entspricht aber auch die Umgebung des Platzes.

Das neben der Kirche St. Johann gelegene Seminar-Gebäude, auf der anderen Seite, fast neben der Hacht, das Official-Gericht mit der Thomas-Capelle, damals Sous-Préfecture, und neben der Kirche zum heiligen Geist das Ehl’sche, so genannte Ballhaus ausgenommen, umtrauern verfallene Gademen oder Hütten, morsche hölzerne, von Schuhflickern oder Altruyschern bewohnte Baracken, an deren Bedachungen ein Mann mit der Hand reichen kann, die ganze Süd- und Ostseite, in der südlichen Ecke von einem hohen Baue mit einem schweren Satteldache überragt, der “Glaser-Hütte”, so genannt, weil hier der Bürgermeister von Beywegh 1697 durch zwei Italiener, Bartolomeo und Ottavio Masari, eine Glasfabrik anlegen ließ. Der Volksüberlieferung gemäß sind aber in der Glaser-Hütte die schönen Glasgemälde des Domes angefertigt worden, und daher der Name.

In einer Stadt, wie Köln, konnte man sich nichts trostlos Vernichtenderes denken, als den Dom in seiner Trauer, nichts Bettelhafteres, als den damaligen Domhof.

Altermarkt

Den reichsten Stoff zu ähnlichen Schilderungen böten mir die meisten anderen Plätze und Klöster (claustra), wie man die ursprünglich abgeschlossenen Umbauten der Stifter nannte, wo die Stiftsherren, nachdem das klösterliche Zusammenleben aufgehoben worden, in einzelnen Häusern wohnten. Werfen wir nur einen Blick auf den “Altenmarkt”, der sich in seinem Baucharakter wenig verändert, nur einzelne neue Giebel erhalten, und hier oder da aus mehreren vier- und fünfstöckigen schmalen Häusern ein einziges Local entstehen sah. Jedes Haus hat sein Aushängeschild, seinen bestimmten Namen, wie früher alle Häuser der Stadt, als man noch an kein Numeriren derselben dachte.

Dies ist ein Auschnitt aus dem Buch Köln 1812, mehr Infos dazu hier. Das Inhaltsverzeichnis zum Buch, in dem die online verfügbaren Abschnitte verlinkt sind, ist hier zu finden.