Am 5. August 1857, vor nunmehr nahezu 43 Jahren, ging der „Niagara“, begleitet vom „Agamemnon“, von der irischen Küste in See, um das erste transatlantische Kabel, das einen schnellen Gedankenaustausch zwischen Europa und Nordamerika vermitteln sollte, zu verlegen.
Man hatte lange an dem Problem gearbeitet. Namentlich der gewaltige Wasserdruck bei einer Meerestiefe von 3000 Faden, die Aufgabe, Drähte von 3000 Seemeilen Länge zu isolieren, schienen dem Vorhaben unüberwindliche Schwierigkeiten zu bereiten. Aber die Aufgabe war so lockend, der Gewinn, der von ihrer Lösung winkte, erschien so groß, daß die englischen und deutschen Elektriker sich ihr immer wieder zuwandten.
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Die ersten Versuche mißlangen, immer wieder brach das Kabel, so daß die Verbindung unterbrochen wurde. Erst im Jahr 1866 gelang das große Unternehmen. Damit war Europa und Nordamerika dauernd verbunden.
Das Kapital wandte sich alsbald mit Energie der Kabellegung zu. Die 2600 Seemeilen, die zu überwinden waren, schreckten ebensowenig ab wie die von Stürmen, Schiffsankern, Haifischen und ähnlichem Gezücht drohenden Gefahren. Man wußte bereits, daß der Meeresgrund eine ziemlich gleichmäßige Ebene darstellt, die trotz der Tiefe von 2000 bis 2700 Faden ziemlich leicht zu behandeln ist. Ja, der weiche Sand und die Meeresruhe in der Tiefe waren der beste Schutz der Kabel, die sich im Meeresgrund fest einnisteten. Nur der ungeheure Druck der Wassersäule, ein Druck von nahezu 500 Atmosphären, d. h. 20 Tonnen auf den Quadratzoll, wurde eine Gefahr für jedes Kabel, das auch nur die geringsten Fehler aufwies. Mikroskopisch kleine Blasen in der Kabelhülle platzen bei diesem gewaltigen Druck, die Isolierung des Kabels ist dahin, der elektrische Strom entweicht ungenutzt. Aber das Auffischen der Kabel und ihre Ausbesserung wurde allgemach so virtuos gehandhabt, daß der Kapitän eines Kabelschiffs zwölf Stunden, nachdem er den irischen Hafen verlassen, telegraphieren konnte: „Ausbesserungen prompt besorgt; es kann sofort wieder telegraphiert werden.“
Die überseeische Telegraphie nahm alsbald einen gewaltigen Aufschwung. Zur Zeit existieren 12 transatlantische Kabel. Die Kabelflotte zählt 42 Schiffe für Legung und Reparatur der Kabel. Die englische Regierung, die 1870 für 7 Millionen Pfund Sterling die ältesten Kabelunternehmungen ankaufte, besitzt deren 2, weitere 28 gehören englischen Gesellschaften, die übrigen verteilen sich auf Frankreich, Amerika und andre Länder. Von den Kabeln gehören 5 England und 5 den Amerikanern. Dazu kommen einige weniger leistungsfähige französische und andre minder bedeutende. Sämtliche Landlinien der Welt maßen 1896 784 668 englische Meilen, die Leitungsdrähte 2 268 930 englische Meilen. Die unterseeischen Kabel hatten eine Länge von 177 988 Seemeilen. Es sind darin angelegt 760 Millionen Mark an Kapital.
Das deutsche Kabel läuft von Borkum unterseeisch durch das Aermelmeer und den Atlantischen Ozean nach den Azoren, von hier in nahezu horizontaler Richtung direkt nach Newyork, berührt somit die bekannten Sandbänke bei Neufundland, die den Kabeln wiederholt gefährlich geworden sind, überhaupt nicht. Zu dem Zweck der Verlegung, der Unterhaltung und des Betriebs dieses ersten deutschen überseeischen Kabels hat sich unter der Führung von Felten und Guilleaume in Mülheim a. Rh. die Deutsch-Atlantische Telegraphengesellschaft mit einem Kapital von 20 Millionen Mark gegründet. Die Gesellschaft ist seit dem 2. Februar 1899 in Thätigkeit. Ihr Sitz ist Köln a. Rh. Die Unternehmungen der Gesellschaft werden geführt im Einvernehmen mit dem Reich, vertreten durch das Reichspostamt. Sie werden sich nicht allein auf die Verlegung von Kabeln, sondern auch auf deren Herstellung erstrecken. Zu dem Zweck wird in Nordenham ein großes Fabriketablissement errichtet, das mit der Kabelfabrikation in allerkürzester Zeit beginnt. Das jetzt verlegte Kabel ist in London hergestellt. Es hat eine Länge von 4366 Knoten und kostet mit Verlegung und Instandhaltung für 30 Tage nach vollendeter Verlegung 19,7 Millionen Mark. Es wird wenigstens 25 Worte zu 5 Buchstaben in der Minute vermitteln und am 1. August seinen Dienst beginnen. Das Kabel läuft von Station Borkum, wo ein Kabelhaus das Land- und Seekabel aufnimmt, von dem aus auch die notwendigen Messungen vorgenommen werden können, nach Horta auf Fayal, einer der Azoren. Der Dienst auf diesem Ende des Kabels wird von der Station Emden aus durch Beamte der Reichspost besorgt. In Fayal benutzt die Gesellschaft die Räumlichkeiten der Commercial Cable Company und der Europe und Azores Company. Damit wird der Austausch der Depeschen erleichtert, die Betriebskosten verringert. In Nordamerika läuft das Kabel direkt in die Offizinen der Commercial Cable Company ein, die ihr ausgedehntes Landnetz der deutschen Linie zur Verfügung gestellt hat.
Das Deutsche Reich hat sich gegenüber der Gesellschaft ein weitgehendes Aufsichtsrecht gewahrt. Es zahlt für die Benutzung des Kabels alljährlich 1,4 Millionen Mark bis zum Ablauf der auf 40 Jahre bewilligten Konzession.
Schon ist das bedeutsame Werk der Vollendung nahe. Auf Borkum, in Nordenham, auf den Azoren wird fleißig gearbeitet. Herr von Podbielski knüpfte in Borkum das Seekabel an das Landkabel. Ein feierlicher Akt begleitete diese denkwürdige „Grundsteinlegung“. In wenigen Wochen wird die Kabellegung beendet sein. Die englische Alleinherrschaft auf dem Gebiet des internationalen Telegraphenverkehrs ist damit gebrochen. Die heilsame Konkurrenz wird wohlthätig, wenn auch nicht auf die Preise, so auf den inneren Wert der Telegramme einwirken und der Wahrheit im Weltverkehr dienen. Der Menschheit ist ein neues Mittel zur Verständigung, zum klaren Urteil, zur besonnenen Erwägung, zur Sicherung des Weltfriedens gegeben. Das ist die Bedeutung der ersten Deutsch-Atlantischen Telegraphenlinie vom Jahr 1900.
Dieser Artikel von Heinz Krieger erschien zuerst 1900 in Die Woche.