Ein Vogelparadies

Laysan gehört zu einer Anzahl kleiner Inseln und Felsenriffe die in nordwestlicher Richtung von der Hawaiigruppe aus dem Stillen Ozean aufragen.

L

Lisianski, Gardner, French Frigate, Necker – alle diese Inselchen sind zur Paarungszeit von unzähligen Seevögeln bevölkert, doch Laysan wird von der gefiederten Welt jener Zonen stark bevorzugt. Und nur auf Laysan trifft man eben dem Albatros und der Sturmschwalbe, neben der Wildente, der Rohrdommel und dem Brachhuhn auch verschiedene Arten Landvögel in großer Menge an, obwohl weit und breit kein Tropfen Süßwasser zu finden ist. Da sieht man den höchst possierlichen Wespenbussard auf Insekten, Frösche und Mäuse Jagd machen, der scharlachfarbene Honigfresser umschwirrt die blühenden Sträucher, leuchtend gelbe Finken flattern im Gebüsch, und die tropische Drossel zirpt den ganzen Tag. Wohin der Blick auch fällt – überall gefiederte Geschöpfe, Nester, Eier und – Guano.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Man hat es jedoch nicht nur auf den wertvollen Vogeldünger abgesehen, auch frisch gelegte Albatroseier werden in kleinen Karren gesammelt und nach Hawaii und andern Pacificinseln verschifft, wo die Eingeborenen sie als Delikatesse betrachten. Recht spaßhaft ist es, die Leute bei der Arbeit zu beobachten. Stellenweise sind sie genötigt, einen wahren Eiertanz aufzuführen, wenn sie nicht zu großen Schaden unter den zerbrechlichen Leckerbissen anrichten wollen. Gewöhnlich werden Kinder dem von einem Erwachsenen geschobenen Sammelkarren wenige Schritte vorangeschickt, um den Weg freizumachen. Behende trippeln die barfüßigen Kleinen zwischen den oft dicht nebeneinander befindlichen, meist nur aus einem Erdklumpen bestehenden Nestern dahin und heben die Eier auf, die sie mit vielem Geschick in den Karren aufstapeln.

Wie die Eier der Albatros auf der Insel Laysan gesammelt und verpackt werden

Quer über das Guanofeld ist seit kurzem ein schmalspuriges Gleis für eine Art Tramway gelegt. Wenn das Pferd vor dem mit Dünger und Eiern beladenen Wagen sich in Bewegung setzt, läuft stets ein halbwüchsiger Bursche voran und verscheucht die in Scharen zwischen den Schienen hockenden jungen Vögel.

Ein Brutplatz der Albatros aus Laysan

Man kann sich wohl denken, daß unter diesen Umständen die Fahrt nur außerordentlich langsam von statten geht.

Die auf Laysan nistenden Albatros zeigen übrigens nicht die geringste Scheu. Sie nehmen gar keine Notiz von den Räubern ihrer Eier, obwohl jedes Weibchen nur ein einziges legt. Der sitzende Vogel läßt sich zwar nicht ohne sanfte Gewalt vom Nest entfernen; hat man ihn aber erst fortgejagt, so kommt er selten zurück. Er scheint ganz zufrieden, des wenig angenehmen Brütegeschäfts überhoben zu sein.

Eine Kolonie von weissen Albatros auf der Insel Laysan im Stille Ozean

Auch alle übrigen Vögel, mit Ausnahme der Brachhühner und wilden Enten, sind ungemein zahm.

Unsere Bilder veranschaulichen deutlich, in welcher unglaublichen Anzahl besonders die weißen Albatros auf der etwa 4 km breiten und 5 km langen Insel Laysan vertreten sind. Das Bild Seite 1066 zeigt brütende dunkle Albatrosweibchen, die sich mit ihren Männchen stets von den hellgefiederten Tieren derselben Familie abgesondert halten. Recht interessant ist das zweite Bild. Bei aufmerksamer Betrachtung kann man erkennen, daß viele der Vögel sich paarweise gegenüberstehen. Es sind Liebespärchen, die sich ihre wärmeren Gefühle zu bezeigen suchen. Sie verneigen sich mit seltsamem Halsverrenken wiederholt voreinander, stoßen kreischende Laute aus, umkreisen sich oft minutenlang, schütteln die Köpfe und schnäbeln sich schließlich. Es ist in der That außerordentlich interessant, das Liebeswerben dieser Tiere in der Nähe zu beobachten. Auch durch die Annäherung der Menschen lassen sie sich durchaus nicht stören.

Kampf zwischen einer Sturmschwalbe und einem weissen Seeraben

Wie man sich vorstellen kann, herrscht in diesem Paradies der Vögel fast ununterbrochener Lärm.

Der schöne Gesang des in herrlich blauen und bronzenen Nuancen schillernden Honigfressers, das liebliche Gezwitscher eines munter im langen Gras umherhüpfenden kleinen Mottenjägers und der schmetternde Schlag der goldgelben Finken wird übertönt von dem Krähen und Schnattern, dem schrillen Kreischen und den vielen andern unangenehmen Lauten der großen und kleineren Seevögel. Ein so tolles, ohrenbetäubendes Konzert, wie man es wohl sonst nirgendwo auf der Welt hören dürfte.

Dieser Artikel erschien zuerst am 15.06.1901, er war gekennzeichnet mit “M. O.”