Architekt: Städt. Baurath Hans Grässel in München.
Mit den nachstehenden Ausführungen und Abbildungen veröffentlichen wir das letzte der interessanten Verbindungshäuser am Platzl in München, das schöne Haus der Rhenopalatia. Um dem Korps „Rhenopalatia“ an der Technischen Hochschule zu München ein dauerndes Heim zu schaffen, gründete im Jahre 1894 eine Anzahl Münchener Philister dieses Korps den Verein „Korpsheim Rhenopalatia“ und erwarb im Jahre 1898 am „Platzl“ um die Summe von 107 000 M. einen 533 qm grossen Bauplatz unmittelbar neben dem kgl. Hofbräuhaus. Alsbald wurde von Mitte 1898 bis 1899 der nachfolgend dargestellte Neubau errichtet. –
Bei Erwerbung eines eigenen Heims stellen sich naturgemäss allen Körperschaften in. der Grosstadt ganz andere Schwierigkeiten entgegen, wie in kleinen Orten. Unter dem Vorgange des Korps Rhenopalatia ist es in München mit Ausnutzung eines günstigen Umstandes erst in den letzten zwei Jahren gelungen, die Erbauung von Korpshäusern in die Wege zu leiten. Mehrere in hervorragenden Stellen befindliche Philister des Korps nahmen rechtzeitig wahr, dass die durch die gänzliche Verlegung der Braustätte des kgl. Hofbräuhauses freiwerdenden Baustellen am „Platzl“ sich für Erbauung eines Korpshauses und dieses für das kgl. Hofbräuhaus als Nachbarschaft ausserordentlich günstig eigneten. Bald war denn die ganze Fläche der ehemaligen Nebengebäude des kgl. Hofbräuhauses zum Zwecke der Erbauung von noch weiteren drei Korpshäusern der Universitätskorps Frankonia, Makaria und Bavaria verkauft und heute bildet die Reihe dieser Korpshäuser am Platzl ein wohlgelungenes, an das umgebaute Hofbräuhaus sich malerisch anfügendes bemerkenswerthes Strassenbild Münchens.
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Das Korpshaus der Frankonia wurde in No. 14, Jahrg. 1900 der Dtschn. Bztg. veröffentlicht. Ist dieses ein lediglich zu Zwecken des Korps errichtetes Gebäude, wie es ähnlich in anderen kleinen Universitätsstädten meist als kleiner freistehender Bau schon seit längerer Zeit vielfach errichtet wurde, so kommt bei dem Hause der „Rhenopalatia“ der Weg zum Ausdruck, welchen in Grosstädten zu beschreiten sich am meisten empfehlen dürfte, nämlich der, für das Korps lediglich ein „Heim“ zu schaffen, und zur vortheilhaften und billigen Beschaffung dieses Heims die übrigen Gebäudetheile heranzuziehen.
So ist es bei dem Hause der Rhenopalatia trotz Abzug eines jährlichen Betrages von 2000 M. an den Miethe-Einnahmen zur Verloosung von Antheilscheinen ermöglicht, dass das Korps von dem Korpsheim-Verein den Kneipsaal und das Konventzimmer mit Garderobe und Nebenräumen im I. Obergeschoss, den Fechtsaal im Untergeschoss und an zwei Tagen jeder Woche die Kegelbahn um die jährliche Summe von nur 840 M. in Miethe erhält, während die gleichen Räume im II. Obergeschoss wie im darunter liegenden I. Obergeschoss an eine Privatgesellschaft allein je um 1400 M. jährlich vermiethet wurden! Ein guter finanzieller Erfolg, welcher sich bei den fortwährend steigenden Mieth- und Baupreisen mit der Zeit voraussichtlich noch erheblich vergrössern wird. Der Bau besteht aus Kellergeschoss und zwei, theilweise drei Obergeschossen. Im Kellergeschoss befinden sich zunächst die Weinlager- und Abfüllkeller für die im Erdgeschoss eingerichtete Tiroler „Torggelstube“ (Torggel gleich Weinkelter), dann die Kegelbahn, der Fechtsaal mit Nebenräumen und die Wirthschaftskeller mit Kisch’scher Kühlanlage. Das Erdgeschoss enthält die Räume der Torggelstube bestehend aus der eigentlichen Torggelstube, Herrenstübchen, Kneiphof und Küche. Im I. Obergeschoss liegen nach dem Platz Kneipsaal und Konventzimmer der Rhenopalatia, Bierschänke, Garderobe und Toilette, rückwärts die Lokale der „Hofbräuhaus-Gesellschaft“. Diese wie auch die von den Gesellschaften „Hölle“ (Schriftsteller und Schauspieler) und „Viktoriaklub“ (Offiziere) im II. Obergeschoss eingenommenen Räume bestehen jeweils aus einem grösseren und einem kleineren Gesellschaftslokal mit Schankraum, Garderobe und Aborten. Im III. Obergeschoss befindet sich nach vorn eine von einem Mitgliede des Korps bezogene Wohnung von 5 Zimmern mit Nebenräumen, welches zugleich die Hausverwaltung übernommen hat, nach rückwärts die aus 3 Zimmern, Küche und Baderaum bestehende Wohnung des Wirthes, während im Dachgeschoss.die Wohnung des Korpsdieners, ein Requisitenraum des Korps, Waschküche, Bügelzimmer und Speicherräume Platz gefunden haben.
Die Fundamente des Baues und einzelne besonders belastete Pfeiler bestehen aus Kiesbeton, sämmtliche übrigen Mauern aus verputztem Backstein-Mauerwerk, die Zwischengebälke aus Eisenbalkenlagen mit Bimsbeton-Zwischenfüllung und Bimskies-Estrich mit Linoleumbelag.
Die Aufzüge werden hydraulisch in Bewegung gesetzt, alle Räume werden elektrisch beleuchtet. Die Baukosten belaufen sich bei einer überbauten Grundfläche von 416 qm und einem umbauten Luftraum von 8750 cbm einschl. der inneren Ausstattung auf 366 M. für 1 qm und auf 28,50 M. für 1 cbm,
Für das Aeussere des Gebäudes waren die Bestimmungen von einschneidender Bedeutung, welche die kgl. Hofbräuhaus-Verwaltung bei dem Verkauf des Bauplatzes zur Bedingung gemacht hatte. Aehnlich wie mehrere Jahre vorher die Stadtgemeinde München für die Einmündung der Pfisterstrasse in das Platzl mit den Arkaden und dem hohen Giebel des Orlando-Hauses einen allgemeinen Plan hatte aufstellen lassen, nach welchem bei den Neubauten der Uebergang von den niederen Häusern der Pfisterstrasse zu den 4 Obegeschosse hohen am Platzl auszuführen war, hatte auch die kgl. Hofbräuhaus-Verwaltung für die Neubauten auf. den von ihr zu veräussernden Bauplätzen durch die Baufirma Heilmann & Littmann einen Plan aufstellen lassen, nach welchem im allgemeinen der allmähliche Uebergang von dem nur ein Obergeschoss hohen kgl. Hofbräuhause zu den höheren Neubauten am Kostthor zu erfolgen hatte. Wurden diese Verkaufs-Bedingungen später auch nicht mehr so streng aufrecht erhalten, so geschah dieses doch bei dem inrede stehenden zuerst errichteten Neubau, bei welchem die Anordnung des Giebels mit dem Eckthurm und der Terrasse eingehalten werden musste. Dass bei allen diesen Vorschriften die Durchbildung der Fassade in eigenartiger und den Zweck des Hauses charakterisirender Weise möglich war, geht aus den Abbildungen hervor. Dabei erhöht die farbige Behandlung der Fassade in Lasurtönen, wechselnd mit den heraldischen Farben „blau-weiss-blau“ des Korps und mit theilweiser Vergoldung wesentlich den besonderen Reiz des Baues, so dass die über dem Gebäude ausgegossene Stimmung insbesondere bei hellem Sonnenschein trefflich zum Ausdruck kommt und der Bau neben dem kgl. Hofbräuhause einen Hauptschmuck des neuerstandenen „Platzl“ bildet. Der kleine in Muschelkalk ausgeführte Erker enthält in seinen Reliefdarstellungen die drei Hauptmomente der Geschichte des Korps Rhenopalatia. Oben links die bekannten Umrisse der Burg von Nürnberg, daneben die Jahreszahl 1858 (Gründung des Korps an der alten polytechnischen Schule in Nürnberg), rechts die Frauenthürme von München mit der Jahreszahl 1863 (Uebersiedlung des Korps nach München), in der Mitte unten die Inschrift; Anno Domini 1898 am Pfingstsonntag den 29. Mai ward gelegt der Grundstein zum Hause der Rhenopalatia (Neugründung des Korps). Oberhalb des Erkers befindet sich das Wappen des Korps, und der Schlusstein der Eingangsthür ist mit der Darstellung eines Studenten geschmückt.
Die Reliefs des dreitheiligen grossen Erkers charakterisiren die Besitzer und den Zweck des Baues.
Oben die Symbole der technischen Wissenschaften, unten in der Mitte der Wahlspruch des Korps: „Injuriae ferrum, in perseverantia virtus“, links hiervon Schläger, Fechtstulpen und Cerevis, rechts die Darstellung der Wissenschaft mit dem Lorbeer. Den Uebergang aus der unteren Bogenreihe zur geraden Erkergesimslinie bildet der mittlere Erkerträger, eine aus der Wand heraustretende stützende Steinfigur, mit der einen Hand über das Gesims greifend, mit der anderen das Korpswappen mit dem Zirkel haltend, Baurath Grässel als Philister des Korps und Architekt des Hauses: so ist das Haus im Einzelnen charakterisirt.
Die künstlerische Durchbildung der Torggelstube und der für das Korps Rhenopalatia bestimmten Räume im I. Obergeschoss sind aus der Beilage ersichtlich. Auch hier wurde jedem Raum eine seinem Zweck entsprechende Stimmung zu verleihen gesucht. Die Torggelstube besteht aus einem grösseren Raum mit zierlichen Netz-Gewölben, dem eigentlichen Torggelraum, u. einem als Herrenstübchen gedachten, mit feiner Zirbelholzdecke und Täfelung versehenen Neben-Lokal, das auch gesonder tzu kleinen Festlichkeiten usw. benutzt werden kann Die schiefwinklige Grundrissform des Torggelraumes ist zur Anlage gemüthlicher malerischer Winkel und Sitzplätze benutzt worden. Eine eigenartige Lösung hat die Anlage des grossen Oberlichtes gefunden. In der Mitte der Täfelung befindet sich ein durch geschnitzte Maasswerk-Schranken abgegrenzter Emporenraum, wo in einem reizvollen Wandschrein die Torggelchronik aufbewahrt wird, mit ihrem werthvollen künstlerischen Inhalt von Defregger, Widmann, Strathmann usw. Ferner schmücken gemüthliche Kneipbilder, alte Holzschnitte mit lustigen Reimen, Lehrbriefe und Städte-Ansichten die Wand, Zunftzeichen hängen in festlicher Pracht von den Gewölben zwischen den geschmiedeten Kronleuchtern hernieder. Hier ist eine trauliche Ofenbank, stehen mächtige Fässer, hinter denen sich gemüthlich sitzen lässt, ein weltabgeschiedener stiller Winkel, wo man beschaulich die edle Göttergabe des Weines geniessen kann. Der ganze Raum mit seinem anheimelnden und vornehmen Schmuck ist echt deutsch. Das Nebenzimmer, dessen Eingangsthüre mit einer schönen Kreuzigungsgruppe geziert ist, welche in keiner tiroler und bayerischen Wirthsstube fehlt, bildet die solide echte Bürgerstube. Ahnenbilder schmücken die Wand, Blumen zieren das Fenstergesims und der Kreuzschnabel hüpft in seinem Käfig lustig hin und her. Auch hier eine echte deutsche Stube. Die netzartig verschlungen auf die Gewölbe in ▲-Form aufgeputzten Leisten dürften einen vorzüglichen künstlerischen Ausdruck für die leicht gespannten Drahtputz (Rabitz) Gewölbe bilden.
Dem Kneipsaal im ersten Obergeschoss mit seiner einfachen Balkendecke über weissgetünchter halbhoch getäfelter Wand, mit seinen gedrechselten und bemalten Holzlüstern, dann das ganz in Lärchenholz getäfelte Konventzimmer in ernster und gediegener Pracht, mit dem Baldachin über dem Gobelin des Korpswappens und dem Sitz des Seniors wurde bei möglichster Einfachheit aber Dauerhaftigkeit der Mittel ebenfalls eine charakteristische Stimmung zu verleihen gesucht.
Die Grundrisse zu dem Neubau wurden auf der Grundlage von Vorentwürfen des Architekten Gg. Dorner und der Firma Heilmann & Littmann in kommissioneller Berathung eines Bauausschusses festgesetzt. Die Ausführung des Aeusseren wie die Ausstattung sämmtlicher Innenräume erfolgte nach den Plänen und Angaben des städtischen Baurathes H. Grässel, welchem bei der Ausarbeitung der Zeichnungen zur Seite standen anfangs Architekt Richard Berndl, später Architekt Georg Zeitler.
Die Bauarbeiten hatte zur Ausführung übernommen Architekt Adolf Ziebland, die Arbeiten für Zu- und Abwasserleitungen und für die Aufzüge die Firma Pfister & Schmidt, die elektrischen Beleuchtungs-Einrichtungen Ingen. Reinhard. – Die Eröffnung der Torggelstube fand am 1. Februar 1899 statt, der übrige Bau wurde am 1. Juni des gleichen Jahres bezogen. –
Dieser Artikel erschien zuerst am 29.06.1901 in der Deutsche Bauzeitung.