Eine Fahrt durch Luxemburg

1905, von Paul Lindenberg. – Hierzu 12 Aufnahmen von Hofphot. Ch. Bernhöft. Wenn nach dem bekannten Ausspruch von den Frauen jenes Land das glücklichste ist, von dem am wenigsten gesprochen wird, so darf Luxemburg in dieser Beziehung die erste Stelle beanspruchen.

Großherzog Adolf von Luxemburg mit seiner Gemahlin, geb. Prinzessin von Anhalt

Selten ist es, daß die Oeffentlichkeit irgendeine Veranlassung hat, sich mit dem genannten Staat zu beschäftigen, und recht karg ist die Zahl jener deutschen Touristen, die das Großherzogtum besuchen. Sehr mit Unrecht! Denn ein wenn auch noch so kurzer Aufenthalt auf luxemburgischem Boden verlohnt sich in jeder Beziehung. Landschaftlich gleicht das gesamte Gebiet einem blühenden, von gewaltig schöpferischer Meisterhand eingerichteten Garten, dessen herrlichstes Schmuckstück die Hauptstadt ist.

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Auf deren jetzt zu den schönsten Promenaden umgewandelten Wällen zu stehen und von schwindelnder Höhe hinabzuschauen in diese weiten, wildzerklüfteten Täler voll Fruchtbarkeit des Bodens und industrieller Regsamkeit, auf die tief unten liegenden, wie einer Spielzeugschachtel entnommenen schieferbedeckten Häuschen, in denen ein emsig tätiges Wirken und Schaffen herrscht, dann dem silbernen Schlängeln der sprudelnden Alzette zu folgen, die hier unter dräuenden Felsmassen verschwindet, um plötzlich voll lächelnden Uebermuts jenseits von ihnen wieder aufzutauchen – dies ist wahrlich ein Bild, wie man es nicht häufig auf unserer schönen Gotteserde wiederfindet. Erhebt man aber den Blick immer höher und höher, bleibt er überrascht und wie gebannt hängen an den altersgrauen, trotzigen Türmchen und Bastionen, die uns inmitten einer rastlos vorwärtsstrebenden Gegenwart von einer großen geschichtlichen Vergangenheit des luxemburgischen Landes erzählen.

Blick auf die Stadt Luxemburg

Die Erinnerungen jener bedeutsamen Vergangenheit scheinen noch heute die Residenzstadt zu umfangen. Etwa 22 000 Einwohner zählend, macht die Stadt einen weit größeren Eindruck und überrascht durch eine Fülle hervorragender Bauten.

Erbgroßherzogin von Luxemburg
Großherzog Wilhelm

Wer freilich in Luxemburg ein Stück Klein Paris zu finden hofft mit schimmernder Eleganz, mit lustigem Getriebe, mit lärmendem Sang und Klang, der wird nicht auf seine Rechnung kommen. Nein, traulich und beschaulich geht’s in dieser Residenz zu, mit einem starken Stich in das behaglich Deutsche. Denn hört man auch häufig Französisch sprechen und trifft vielfach auf französische Firmenschilder, so ist der Eindruck des Gesamtbildes doch ein überwiegend deutscher, wie ja auch die Mehlzahl der Zeitungen deutsch erscheint und die deutsche Sprache in Schule und Kirche herrscht.

v.l.n.r. Die Prinzessinen Marie, Charlotte, Hilda, Antonia, Elisabeth, Sophie

Die sauberen, hellen Straßen mit ihren freundlichen Läden, der ruhig-gemessene Verkehr, die vor den Türen der Häuser spielenden Kinder und plaudernden Frauen, vor allem der mit schattigen Linden dicht bepflanzte Hauptplatz mit dem Reiterstandbild des Königs-Großherzogs Wilhelm II. und den mancherlei sehr guten Cafés und Wirtshäusern – das mutet uns so lieb und heimisch an, daß man sich gar nicht in der Fremde wähnt.

Die drei ältesten Prinzessinen auf dem Eis

Und nun erst die alten Stadtteile in der Nähe des wirkungsreichen, zum Teil aus dem letzten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts stammenden großherzoglichen Palastes, der vor einen Jahrzehnt durch einen geschmackvollen, in schönstem Sandstein errichteten Neubau vergrößert ward, mit ihren winkligen, bergauf und bergab führenden engen Gäßchen, den ineinander geschachtelten Häuschen mit windschiefen Erkern und Altanen und ausgetretenen steinernen Treppen mit jäh hineinragenden uralten Festungsmauern und moosbewachsenen Vorsprüngen der in den Fels gehauenen Kasematten, all dies mit seiner blühenden Romantik und malerischen Vielgestaltigkeit ist gleichfalls so echt deutsch, daß wir verwundert aufschauen, wenn uns zufällig ein Gendarm oder Soldat in seiner französischem Vorbild nachgeahmten Uniform begegnet.

Aus der Umgegend Luxemburgs – Landschaftspartie zwischen den Vorstädten Grund und Clausen

Unter der Militärlast – das Großherzogtum ist bekanntlich seit 1867 für neutral erklärt worden – hat das Land nicht zu leiden. Auf seine 240 000 Einwohner entfallen eine Kompagnie Gendarmen von 135 und eine Kompagnie Freiwilliger von 150 Mann, einschließlich 40 Musiker! Auch der Steuerdruck ist ein sehr mäßiger, die Finanzen sind trefflich geordnet, und an verschiedenen sozialen Fürsorgeeinrichtungen, so einer vorzüglich eingerichteten kostenlosen Arbeitsvermittlung, guten Ferienkolonien usw., ist Luxemburg einzelnen seiner Nachbarstaaten voraus. Die Verfassung ist der belgischen nachgebildet; eine Deputiertenkammer von 50 Mitgliedern und ein aus 15 Mitgliedern bestehender Staatsrat üben die gesetzgebende Gewalt aus, die Regierungsform ist eine monarchische. Seit dem 23. November 1890 ist Herzog Adolf von Nassau, als nächster Agnat des Hauses Nassau-Oranien, Großherzog von Luxemburg, nachdem er vorher schon zweimal die Regentschaft geführt. Infolge seines hohen Alters – mit 87 Jahren ist er der Senior der sämtlichen regierenden Fürsten – übertrug der Großherzog 1902 seinem Sohn die Regentschaft, nimmt aber an allen Geschicken seines Landes den regsten Anteil und erfreut sich allgemeiner Verehrung. Nicht minder Erbgroßherzog Wilhelm, der sich im Juni 1893 mit Infantin Maria Anna von Portugal vermählte; aus der glücklichen Ehe stammen sechs reizende Töchterchen.

Der Ort Esch an der Sauer

Die Regierung des Landes besteht aus einem Präsidenten, der zugleich Staatsminister ist, und drei Generaldirektoren, denen mehrere Generalsekretäre und Regierungsräte zur Seite stehen. Seit dem Herbst 1888 bekleidet Paul Eyschen das Amt eines Staatsministers. Ein ganzer, in sich gefesteter, klug überlegender und handelnder Mann: diesen wohltuenden Eindruck gewinnt man schon nach flüchtiger Bekanntschaft von dem Minister, der gern fremden Besuchern in seinem prächtigen, altertümlich ausgestatteten Arbeitzimmerchen des Regierungsgebäudes Rede und Antwort steht, zumal wenn es sich um luxemburgische Dinge handelt.

Das Großherzogliche Schloß in Luxemburg

Wer sich einmal auszuruhen gedenkt von dem lästigen Großstadtlärm, wer prachtvolle Waldungen durchstreifen will mit plauschenden Bächen und mit kühnen Ruinen auf kecken Felskegeln, wer sich erfreut an lieblichen Dörfern und einem landschaftlich großartigen Städtebild, wer eine liebenswürdige Bevölkerung kennen lernen möchte und blühenden Wohlstand überall, der richte seine Schritte nach dem “Luxemburger Ländle”: er wird nicht enttäuscht werden und manch Goldstück sparen, das er anderswo für viel weniger ausgeben muß!

Der sogenannte Bockfelsen

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.