Eine Hochschule der Mahl- und Backkunst

Wohl kaum jemand, der ein Stück Brot zum Mund führt, macht sich eine Vorstellung davon, daß für die Herstellung des scheinbar einfachsten Produktes der Müllerei und Bäckerei eine ganze Reihe von technischen und chemischen Prozessen notwendig ist.

In unserer Zeit der chemischen und physiologischen Forschung konnte es nicht ausbleiben, daß man diesem wichtigsten aller unserer Nahrungsmittel eine erhöhte Aufmerksamkeit widmete. Denn das Brot ist die Speise der Speisen, derer man niemals überdrussig wird; es ist ein Backwerk aus salzgewürztem, ausgegorenem Mehlteig, der in den verschiedenen Ländern und Landesteilen aus ziemlich verschiedenen Grundstoffen hergestellt wird

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Scheinbar ist die Brotbearbeitungskunst sehr einfach. Heute geht man aber auch hierin den Dingen auf den Grund; die Wissenschaft hat sich der Vorgänge bemächtigt, die bei der Brotfabrikation in Betracht kommen An der Königlichen Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin besteht eine Versuchsanstalt des Verbandes deutscher Müller, die im April des Jahres 1899 gegründet wurde und den Zweck hat, Müllererzeugnisse aller Art zu untersuchen und zu begutachten. Die Versuchsanstalt wurde von dem Verband deutscher Müller ins Leben gerufen; sie wird auch von diesem Verband unterhalten, außerdem aber von dem Reichsschatzamt, dem preußischen Finanzministerium und dem preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. An der Spitze der Anstalt steht ein Kuratorium, bestehend aus Delegierten der genannten Behörden, des Verbandes deutscher Müller und der landwirtschaftlichen Hochschule. Geleitet wird die Anstalt von dem Geheimen Regierungsrat Professor Dr. Wittmack, dem zwei Assistenten zur Seite stehn.

Arbeiten im Wägezimmer der Versuchsanstalt

Ein wesentlicher Teil der Aufgaben der Anstalt ist rein praktischer Natur. Es handelt sich um die Beurteilung der einzuführenden Kleien auf Zollfreiheit ferner um die Begutachtung der auszuführenden Mehle auf ihre Vergütungsfähigkeit. Die Ziele der Anstalt bestehn aber nicht nur darin, den Praktikern mit Rat und Hilfe zur Seite zu stehn, sondern auch in der Lösung weitergehender, wissenschaftlicher Aufgaben, in der wissenschaftlichen Forschung. Seit der ersten Zeit des Aufblühens der organischen Chemie und der Physiologie hatten sich die größten Forscher darum bemüht, das Rätsel der Backfähigkeit, des Altbackenwerdens, der Rolle des Klebers im Mehl zu lösen. Die Versuchsanstalt ist die Stätte, an der systematisch auf diesem Gebiet weiter gearbeitet wird. Eine große Anzahl von Faktoren sind bei der Backfähigkeit im Spiel: Einfluß des Mehlguts, Qualität des Mehls, Klebergehalt und Zusammensetzung des Klebers sowie dessen physikalische Eigenschaften.

Gerade hier eröffnet sich der Anstalt ein schwieriges Gebiet, und die dabei auftretenden Fragen stellen so hohe Anforderungen an die Versuchsanstellung, daß eine befriedigende Erledigung erst nach und nach eintreten kann. Besonders sei hier einer Veranstaltung des Instituts gedacht, die auf die Müllerei und Bäckerei einen segensreichen Einfluß ausüben wird: die Einrichtung von vierzehntägigen praktisch-wissenschaftlichen Lehrkursen für Müller und Bäcker, die in jedem Jahr einmal stattfinden sollen. Erfreulicherweise ist die Beteiligung an diesen Kursen stetig im Wachsen begriffen, und selbst das Ausland schickt Schüler, so daß auch in dieser Beziehung die deutsche Forschung stolz sein kann.

Backversuche an kleinen Apparaten

Die im Kursus ausgeführten praktischen Uebungen bestehn einerseits in botanischen, mikroskopischen Untersuchungen und andrerseits in chemischen Prüfungen der Mühlenerzeugnisse und besonders in Backversuchen mit den verschiedenen Apparaten, um die Backfähigkeit der Mehle zu bestimmen. Außer den zahlreichen wissenschaftlichen Vorlesungen, die nur von Spezialgelehrten gehalten werden, und wissenschaftlichen Ausflügen finden besonders viele praktische Uebungen statt. Die Vorlesungen betreffen die verschiedensten naturwissenschaftlichen Gebiete, die für die Bäcker und Müller von Interesse sind. Die Ausflüge werden gewöhnlich zum Zweck des Besuchs der großen Berliner Weizen und Roggenmühlen, einiger großer Lagerhäuser für Getreide und einiger größerer Bäckereien gemacht.

Unsere Bilder zeigen die Kursusteilnehmer und ihre Lehrer bei den praktischen Uebungen. Wir sehn das Laboratorium der Müllereiversuchsanstalt. Es werden gerade Brote in den Ofen geschoben. In einigen Apparaten wird die Gärkraft der Hefe bestimmt.

Backversuche im elektrischen Backofen und Bestimmung der Gärkraft der Hefe

Während bisher nur kleine Backapparate der verschiedenartigsten Konstruktion zur Prüfung des Mehls auf ihre Backfähigkeit verwendet wurden, ist die Anstalt im Besitz eines neuen, elektrischen Backofens, der es ermöglicht, die Versuche in größerem Maßstab anzustellen und dadurch genauere, der Praxis mehr entsprechende Resultate zu erzielen. Auch diesen Backofen sehn wir auf unserm ersten Bild. Die andern Bilder stellen de Räume des agronomisch-gedologischen Instituts dar, wo Untersuchungen über die Bestimmungen des Aschengehalts, des Fettgehalts, des Säuregehalts und des Proteingehalts der Mehle und Kleien vorgenommen werden.

Dieser Artikel erschien zuerst am 02.08.1902 in Die Woche.