Eine königliche Sommerresidenz

König Alfons in Admiralsuniform läßt sich ein Schiffsmanöver erklären

Von Siegfried Samosch. Wie ein Feenmärchen verwandelt sich San Sebastian, sobald der Sommer naht, aus einer „toten Stadt“ in die glanzvolle Residenz der spanischen Königsfamilie.

Gleich dem nahen Biarritz weist auch das in der baskischen Provinz Guipuzcoa gelegene Seebad mit seinem weichsandigen Strand den Vorzug auf, daß abwechselnd mit der Seebrise würzige Gebirgsluft die Nerven stählt. Wer selbst seit Jahren stets von neuem die Pyrenäen aufsuchte und bald in Ronceval hoch oben am Gebirgspaß auf den Spuren Karls des Großen und seines Paladins, des im Heldenlied verherrlichten Rolands, wandelte, bald die smaragdgrünen Pyrenäentäler durchzog, fühlt sich dann immer wieder von den intimen Reizen der Perle des spanischen Baskenlands gefesselt. Mit der Königsfamilie, die in Miramar, dem „Schloß am Meer“, residiert, finden sich auch das am spanischen Hof beglaubigte diplomatische Korps und die vornehme Welt in San Sebastian ein, und am Paseo de la Concha, der von koketten Villen und eleganten Häusern umsäumten Promenade oberhalb des Strandes, entfaltet sich das bunteste Treiben. Spanisches Lokalkolorit vermissen wir freilich zuweilen; erst beim Klang der Bandurrios, der Mandolinen, die sich in der weichen Abendluft vernehmen lassen, wird uns sinnfällig gemacht, daß wir uns im Vaterland Don Quijotes befinden. An mannigfachen Abwechslungen fehlt es in San Sebastian durchaus nicht, und wer einer „Blumenschlacht“ beiwohnt, wird zugleich die reizvollen Toiletten der schönen Madrilesias bewundern.

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Vor einigen Jahren konnte man regelmäßig auch die beiden liebenswürdigen Töchter des, wie früher in Konstantinopel, nun in Madrid bewährten deutschen Botschafters, Herrn von Radowitz, auf dem Paseo de la Concha begrüßen. Beide haben sich inzwischen in Deutschland vermählt; für die Anziehungskraft des Baskenlandes legt es aber zugleich vollgültiges Zeugnis ab, daß Frau Baronin Nadine von Thüngen in diesem Jahr bei Herrn von Radowitz in Zarauz, der unweit San Sebastians am Golf von Vizcaya gelegenen Idylle, verweilte, um ihrem Vater Gesellschaft zu leisten.

Eine freudige Ueberraschung wurde nicht bloß den Badegästen, sondern auch der gesamten Bevölkerung San Sebastians bereitet, als vor einiger Zeit das deutsche Schulschiff „Stein“ einen Besuch abstattete. Paul Déroulede, der seit seiner Verbannung aus Frankreich das Hauptquartier in San Sebaslian aufgeschlagen, mußte sich überzeugen, welche Sympathien die deutschen Offiziere und Seekadetten sowie die Mannschaften überall hervorriefen. Glanzvolle Feste wurden zu Ehren der durch ihre mustergültige Disziplin sich auszeichnenden Deutschen veranstaltet, und heute noch schwärmen alle spanischen Teilnehmerinnen von einer Lustfahrt auf dem Urumea, der sich im Osten der Stadt ins Meer ergießt, sowie von dem ritterlichen Auftreten, den männlichen Erscheinungen unserer Offiziere. Als dann der Kommandant der „Stein“ sich von der Königinmutter verabschiedete, ließ diese durch ihn dem Kaiser Wilhelm den Wunsch übermitteln, so bald wie möglich wieder ein deutsches Kriegsschiff in den spanischen Gewässern zu begrüßen.

König Alfons in Admiralsuniform läßt sich ein Schiffsmanöver erklären
König Alfons in Admiralsuniform läßt sich ein Schiffsmanöver erklären

König Alfons XIII. hegt selbst großes Interesse für das Seewesen, und, wie er dem Segelsport mit Eifer obliegt, läßt er sich bei jeder Gelegenheit eingehend über alle Einzelheiten der Schiffsmanöver unterrichten.

Der Segelsport ist im Golf von Vizcaya nicht eben gefahrlos, und der Vikar von Zarauz war eine Zeitlang die populärste Persönlichkeit in den baskischen Provinzen, weil er in seinem mit Präzisionsinstrumenten ausgestatteten Observatorium, häufig allerdings zum großen Verdruß der Hotelbesitzer, drohende Stürme und Unwetter ankündigte.

Wie lieblich liegen die der Bucht von San Sebastian vorgelagerten Inseln Santa Clara und der Monte Urgull mit dem Castillo de la Mota bei hellem Sonnenschein da! Wie genußreich ist der Aufstieg zu diesem Kastell, und welch prächtiger Anblick bietet sich an der Bateria de las Salvas dar, die früher den wenig kriegerischen Namen „Damenbatterie“ führte. Wesentlich verändert erscheint jedoch das Bild, sobald die Wogen, durch die zahlreichen Herbststürme aufgepeitscht, zum Strand rollen. Dann ist das am Westende der Alameda errichtete Kasino der hauptsächliche Zufluchtsort der noch in San Sebastian verweilenden Fremden sowie der guten Gesellschaft der Stadt. Bis in den Spätherbst kann man im Kasino vortreffliche Musik hören, während die ganze Saison hindurch dort sehr flott getanzt wird.

Der König im Segelboot
Der König im Segelboot
Strandszene
Strandszene

Die „Pferdchen“ tummeln sich jedoch noch flotter, und wer das Hasardspiel im größeren Stil liebt, findet im Kasino dazu ausreichende Gelegenheit. Auch wurde mir die bestimmte Summe genannt, die der Zivilgouverneur für die Duldung des vom Gesetz nicht gestatteten Glücksspiels als Privatsteuer erhebt. Nur während einer kurzen Zeit soll, abgesehen von den „Pferdchen“, kein anderes Hasardspiel im Kasino von San Sebastian geduldet worden sein, und damals wurde ganz ernsthaft versichert, ein Wunder habe sich ereignet, da der Zivilgouverneur sich als unbestechlich erwiesen. Eine solche Unbestechlichkeit gehört sicherlich nicht zu den Cosas de España; vielmehr ist jüngst gerade wieder durch sensationelle Vorgänge in Madrid, durch die die hauptstädtische Polizei schwer kompromittiert wurde, erhärtet worden, daß Spanien an dem Krebsschaden der Korruption in verhängnisvoller Weise leidet.

Es erscheint geboten, ohne grau in grau zu malen, auf solche dunklen Punkte hinzuweisen. Um so heller treten dann die Lichtseiten hervor; zugleich muß betont werden, daß, wie die Königinmutter, die österreichische Erzherzogin Christine, auch der junge König Alfons XIII. mit gutem Beispiel vorangeht. Die spanische Etikette, die im hochragenden Königschloß am Manzanares ihre strengen Anforderungen stellt, erfährt während der Badesaison in San Sebastian manche Einschränkung. Ganz in der Nähe von Miramar befindet sich das königliche Badezelt, und das Publikum wird nicht etwa am Strand durch lästige polizeiliche Absperrungen zurückgehalten.

Nur würden wir echtes Volksleben dort vergebens suchen. Um dieses wahrzunehmen, müssen wir uns zum Hafen oder in die Altstadt mit ihren engen Straßen begeben. Im Hafen und in dessen Umgebung spielt sich manche charakteristische Szene ab. Wie eifrig holt an schönen Sommertagen der nur sehr unvollkommen bekleidete männliche Nachwuchs, die perros gordos oder chicos, die Kupfermünzen von zehn oder fünf Centimos, die freigebige Fremde ins Wasser geworfen, mit Tauchergeschicklichkeit vom Grund. Innerhalb des Hafens, dessen Eingang von schmucken Miqueletes, baskischen Polizei- und Zollbeamten – wie keck tragen sie die Boina, die rote baskische Mütze! – behütet wird, herrscht buntes Treiben, und dieses finden wir dann auch in der schmalen Calle mayor, die zur Kirche Santa Maria führt.

Blumenschlacht in San Sebastian. Die Tribüne stellt ein Schiff dar
Blumenschlacht in San Sebastian. Die Tribüne stellt ein Schiff dar
Der König badet
Der König badet

Viel freier atmen wir auf der breiten Alameda, die, vom Kasino ausgehend, von Westen nach Osten führt und an schönen Sommerabenden einen erquickenden Aufenthalt gewährt. Zuweilen kommt es auch vor, daß die Basken, während die Musikkapelle spielt, stürmisch das Nationallied vom Arbol verlangen. Dieser Baum ist die Eiche des Städtchens Guernica, unter der bis zur Aufhebung der alten Fueros, der baskischen Sonderrechte, der Landtag von Vizcaya sich versammelte.

Darf San Sebastian als das vornehmste spanische Seebad gelten, so hat es doch im Gegensatz zu Biarritz einen überwiegend nationalen Charakter. An Tagen indessen, an denen eine Corrida de Toros stattfindet, strömt von Biarritz her eine internationale Gesellschaft herbei, obgleich jetzt auch im südlichen Frankreich Stiergefechte veranstaltet werden, bei denen die Espadas, die Matadore das Programm bis zum letzten Akt, der Suerte de Matar, wo der Todesstoß gegen den Stier geführt wird, zur Anschauung bringen. Sobald nachmittags ein Stiergefecht in San Sebastian veranstaltet wird, geht es auch auf dem Paseo de la Concha noch lebhafter als sonst zu. Wer aber nicht gerade zu den Aficionados, den „Liebhabern“ der Stiergefechte großen Stils gehört, wird sich auch mit einer Novillada begnügen, bei der junge Stiere vorgeführt werden.

Das Kurhaus in San Sebastian
Das Kurhaus in San Sebastian
Die Badegäste werfen Münzen, die tauchende Jungen aus dem Wasser holen
Die Badegäste werfen Münzen, die tauchende Jungen aus dem Wasser holen

In San Sebastian gestaltet sich eine solche Novillada häufig zum Volksfest, bei dem kein Blut fließt, und sobald die jungen Stiere unversehrt in die Stallgehege zurückgekehrt, wird auf dem Kampfplatz selbst sowie auf den Galerien des Zuschauerraums ein lustiger Tanz inszeniert, bei dem wir die Anmut der schlanken Baskinnen bewundern können. Mir war es einmal beschieden, auf der elegantesten Promenade San Sebastians einem solchen Tanzvergnügen beizuwohnen, als zu Ehren des am Paseo de la Concha wohnenden neuen Alkalden eine Serenata stattfand und die Musikkapelle dann auch zum Tanz aufspielte, während zugleich der nahe Ozean seine ewige Melodie vernehmen ließ. Die Sommersaison war damals freilich schon beendet, und der junge König hatte mit seiner Mutter bereits San Sebastian verlassen.

Wie einsam ist es am Strand, nachdem die Sommerresidenz sich wieder zur „toten Stadt“ umgewandelt hat. Paul Deroulède schreitet wieder stolz unter den Tamarisken des Paseo de la Concha, des Grußes der Einwohner gewärtig, als ob er in der Tat ein „ungekrönter König“ wäre.

Im Anblick des Meeres muß jedoch menschliche Eitelkeit in ihrer Nichtigkeit wie Wogenschauer zerfließen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 41/1903.