König Alfons in St. Sebastian

Die Krone von Spanien drückt schwerer, als jeder andere königliche Reif, und wenn der jüngste unter den Monarchen Europas, König Alfons XIII., bis nun die Weisheit des Wortes: „schwer ruht das Haupt, das eine Krone trägt“ nicht an sich selbst erfuhr, so dankt er dies der aufopfernden Liebe seiner Mutter, der Königin Marie Christine, die während der sechzehn Jahre ihrer Regentschaft das spanische Staatsschiff durch alle Wirren und Fährnisse glücklich hindurchzulenken verstand.

Während dieser sechzehn Regentschaftsjahre, in denen Königin Marie-Christine Spanien nicht verließ, bot der alljährliche Sommeraufenthalt in San Sebastian, der Hauptstadt der spanischen Provinz Guipuzcoa, wo die Monarchin mit ihren Kindern längeren Aufenthalt zu nehmen pflegte, der königlichen Familie Gelegenheit, vom Zwang des spanischen Hofzeremoniells befreit, dort einige glückliche Monate auf Miramar, einer der Königin gehörigen Villa, zu verleben.

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Diesem Brauch ist der junge König auch nach seiner Thronbesteigung treu geblieben, und unsere kürzlich in San Sebastian aufgenommenen Momentphotographien geben ein anschauliches Bild von dem zwanglosen Gesellschaftsleben des spanischen Badeorts wieder, dessen Mittelpunkt der sechzehnjährige Monarch ist. Wir sehen ihn ohne alle Begleitung durch die malerischen Straßen San Sebastians flanieren, wie ein einfacher Privatmann allein die Digue entlangschreiten bis zu der an der östlichen Bucht des Biscayischen Meerbusens befindlichen königlichen Badeanstalt, einem luftig erbauten kleinen Pavillon, von dem Alfons XIII. in die Fluten des Kantabrischen Meers taucht. Bei Gelegenheiten, die eines zeremoniellen Gepränges nicht entbehren, wie anläßlich der unter freiem Himmel zelebrierten Messe, die der Fahnenweihe eines Banners der Marinekadetten folgte, weilt stets Königin Maria Christine und die königliche Familie an der Seite des jungen Monarchen. Mit herzlicher Anteilnahme begleitet das Publikum dieses elegantesten aller spanischen Seebäder die offiziellen Repräsentationsakte und nimmt jede Gelegenheit wahr, um dem jugendlichen Monarchen und seiner königlichen Mutter bei ihrer Ankunft auf dem Festplatz ihre verehrungsvollen Sympathien zu bezeugen. Ist doch Alfons XIII. der Sohn jenes von den Spaniern vielgeliebten Königs, dessen Erinnerung noch heute im Volk fortlebt und von dessen bezaubernder Liebenswürdigkeit ungezählte Züge sprechen. Einer davon, der so ganz die ungezwungene Natürlichkeit wiedergiebt, die auch den gegenwärtigen jungen König auszeichnet, sei hier erwähnt. Es war anläßlich der Thronbesteigung Alfons XII., als der Monarch, auf der Reise durch Südspanien begriffen, eines Tags zu Pferde vor den Mauern einer andalusischen Stadt hielt, vor der der Alkalde, gefolgt von der Einwohnerschaft, seinen Souverain erwartete, die Schlüssel zu den Thoren in Händen.

Aber der feierliche Augenblick beraubte ihn seines Muts, und von der ganzen Rede, mit den er den Monarchen zu begrüßen gedachte, war ihm nur noch das Anfangswort „Senor!“ erinnerlich geblieben, das er verlegen stammelte. „Mein lieber Freund,“ unterbrach ihn der König lachend, „ich glaube, sie sind noch Neuling in Ihrer Rolle als Redner. Aber trösten sie sich, denn auch ich bin ein Neuling in meiner Rolle als König!“

Dieser Artikel erschien zuerst am 04.10.1902 in Die Woche.