Entwurf zu einer zweiten protestantischen Kirche für Ludwigshafen a. Rh.

Architekt: Joh. Otzen. Das schnelle Anwachsen Ludwigshafens, dessen Handels- und Fabrikthätigkeit mit derjenigen der gegenüber – liegenden Rheinstadt Mannheim gleichen Schritt zu halten sucht, macht die Erbauung einer zweiten protestantischen Kirche erforderlich, für welche ein Bauplatz auf dem an die Gemarkung Friesenheim angrenzenden, bezw. auf diese übergreifenden Stadterweiterungs-Gebiet ausgewählt worden ist.

Die geringen Mittel der Gemeinde haben leider nicht dazu ausgereicht, einen von allen Seiten frei liegenden Platz zu erwerben; man hat sich mit einer an der Rohrlach-Strasse liegenden, auf 3 Seiten von anderen Grundstücken umschlossenen Stelle begnügenn müssen, die – infolge eines Knicks, den die Strasse macht allerdings den Vortheil hat, dass ein hier errichtetes Bauwerk yon S. her schon auf weite Entfernung hin zur Erscheinung kommen wird.

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Zur Lösung der schwierigen Aufgabe, auf dieser, überdies schiefwinkligen Stelle von rd. 50 m Strassenfront und 54 m Tiefe eine den Anforderungen der Gemeinde entsprechende, der monumentalen Würde nicht entbehrende Kirche nebst einem Pfarrhause zu entwerfen, war der Weg eines beschränkten Wettbewerbs eingeschlagen worden, zu dem man einen pfälzischer Architekten, Hrn. Schöberl in Speyer, sowie Hrn. Geh. Reg. Rth. Prof. Otzen in Berlin eingeladen hatte, während die Hrn. Kirchenbaninsp. H. Behaghel in Heidelberg, Arch. Haueisen und Eisenb.-Bezirks-Ing. Jolas in Ludwigshafen in Gemeinschaft mit Bürgermeister und Stadtpfarrer das Preisrichter-Amt übernahmen. Die Anzahl der im Kirchenschiff und auf Emporen zu beschaffenden Sitzplätze wurde auf 600, die unter allen Umständen einzuhaltende Bausumme für die Kirche (ausschl. Uhr, Orgel, Geläut und dekorativer Malerei des Inneren) auf 128 000 M., für das Pfarrhaus auf 22 000 M. festgesetzt. Baustil und Baumaterial auszuwählen, blieb den Bewerbern frei gestellt; doch wurden letztere darauf aufmerksam gemacht, dass es bei der Rauch- und Rufs-Entwickelung der Fabrikstadt nicht zweckmässig sein würde, auf die farbige Wirkung des für die Fassaden gewählten Stein-Materials besonderes Gewicht zu legen.

Da Hr. Arch. Schöberl vor Einlieferung der Entwürfe von der Bewerbung zurück trat, so hatten die Preisrichter, welche sich Ende Oktober v. J. versammelten, nur die Otzen’sche Arbeit zu beurtheilen. Ihr im November erstattetes, ausführliches Gutachten nebst dem Erläuterungs-Bericht des Architekten und einer verkleinerten Lichtdruck-Nachbildung seines Entwurfs liegt seit einiger Zeit in einer Veröffentlichung vor, der die nachfolgenden Angaben entnommen sind.

Hr. Otzen entwickelt in überaus klarer und anschaulicher Weise die Gründe, welche ihn zur Wahl der hierneben mitgetheilten ungewöhnlichen Grundriss-Anordnung veranlasst haben. Indem er die Kirche nicht in freier Lage senkrecht zur Strassenfront,sondern mit letzter gleichlaufend, aber etwas zurückspringend derart anordnete, dass einerseits das mit der Sakristei in unmittelbarer Verbindung stehende Pfarrhaus, andererseits der seitlich vorgelegte Thurm den Anschluss an die Nachbarhäuser verdecken, hat er alle, aus der Lage und Form der Baustelle entspringenden Nachtheile aufs glücklichste überwunden. Der störende Anblick kahler Brandgiebel neben der Kirche, welcher bei jeder anderen Stellung derselben unvermeidlich gewesen wäre, ist ausgeschlossen. Die Kirche, deren Thurm annähernd genau in der Axe des südlichen Theils der Rohrlach-Str. steht, ist so weit von letzter abgerückt, dass sich zu ihrer Betrachtung die optisch günstigsten Standpunkte ergeben. Endlich kann nicht nur eine der Ausgestaltung der Strassenfront zugute kommende Ersparniss an Baukosten dadurch erzielt werden, dass die Hinterseite des Bauwerks in schlichtester Weise behandelt wird: es ist auch die Möglichkeit; gegeben, von der überflüssig grossen Tiefe der Baustelle das hinterste (in unserer Skizze bereits nicht mehr berücksichtigte) Drittheil derselben zu verkaufen und den Erlös zur besseren Ausstattung der Kirche im Inneren zu verwenden.

Grundriss

Die Anordnung des Grundrisses an sich, in welchem das in d. Bl. neuerdings mehrfach besprochene Motiv eines einseitigen mit einer Empore versehenen Nebenschiffs verwendet ist, bedarf keiner weitläufigen Erläuterung. Ausser der Empore des Nebenschiffs ist eine sehr geräumige Sänger-Empore an dem (dem Chor gegenüber liegenden) Nordende der Kirche angenommen; die Orgel soll neben derselben im 1. Thurmgeschoss aufgestellt werden, In das untere Kirchenschiff führen neben dem Haupteingang im Thurm 2 weitere Eingänge aus dem durch den Thorweg des Pfarrhauses zugänglichen Kirchgarten – der eine auf der Südseite des Nebenschiffs, der andere in der nordöstlichen Ecke; die Emporen sind durch 2 Treppen von aussen, bezw. aus dem Kirchenschiff zu erreichen. Die Zahl der Sitzplätze, von denen nur 26 durch Pfeiler inbetreff des Ausblicks beeinträchtigt sind, beträgt 617 die Zahl der Emporen-Plätze 65 + 99 = 164, während noch 300 Personen auf Stehplätzen Raum finden.

Als Baumaterial für die Kirche sind zur Hauptsache Ziegel (Verblend- und Formsteine von Ph. Holzmann in Frankfurt) angenommen; Werkstein soll nur zur dekorativen Einfassung der Ecken sowie zu denjenigen Theilen (Abdeckungen, Bekrönungen usw.) verwendet werden, bei welchem er eine Vereinfachung bezw. Verbesserung der Konstruktion ermöglicht.

Die aus Holzwerk, bezw. in Thurm aus Holz und Eisen herzustellenden Dächer sollernmit glasirten Falz- und Schuppenziegeln aus der Fabrik von Ludovici & Jockgrimm in Ludwigshafen, der Thurmhelm mit Schiefer gedeckt werden. Im Innern sollen alle Architekturtheile Pfeiler, Gesimse, Rippen usw in Formziegeln gemauert, die Flächen vorerst schlicht geputzt werden.

Entwurf zu einer zweiten protestantischen Kirche in Ludwigshafen a. Rh.

Unter der Annahme eine: Einheitssatzes von 18 M. Für 1 cbm der Kirche und von 31 M. für 1 cbm des Thurms sind die Kosten der Kirche (nach Abzug der durch schlichtere Ausstattung der Hinterfront zu erzielenden Ersparnisse und der Kosten für die vorläufig noch fortzulassende Ausstattung) auf 127 344 M., die Kosten des Pfarrhauses auf 22 666 M. veranschlagt, so dass die programmmässig ausgeworfene Bausumme eingehalten ist. Das Gutachten der Preisrichter zollt den Vorzügen des Entwurfs nach jeder Richtung das höchste Lob. Es rühmt nicht allein die Stellung der Gebäude auf dem Bauplatze als die unter den vorliegenden Verhältnissen einzig wirksame und richtige, sondern erkennt auch die Lösung des Grundrisses sowie nicht minder den geplanten Aufbau der Baugruppe in künstlerischer und konstruktiver Hinsicht als eine überaus glückliche Leistung an. Wenn der Architekt in seinem Erläuterungs-Bericht nicht ohne ein gewisses Bedauern von der durch die geringen Baumittel gegebenen Nothwendigkeit gesprochen hatte, die Anwendung des Werksteins für die Fassaden auf verhältnissmässig enge Grenzen einzuschränken, so erblicken die Preisrichter im Gegensatz hierzu auch in der von Hrn.Otzen getroffenen Materialwahl einen Vorzug. Denn einmal widerstehen gute Verblendziegel dem Russ länger als Werkstein, dann aber wird ein Ziegelbau in der eigenartigen und anmuthigen Gestalt, welche der Künstler seinen Schöpfungen zu geben weiss, gegenüber den beiden älteren, ganz in Sandstein hergestellten Kirchen der Stadt – der in einer „etwas nüchternen Rundbogen – Architektur“ gehaltenen katholischen Kirche und der, eine „unruhige, als Wahrzeichen einer nach eigenem Stil ringenden Versuchs – Periode zu betrachtende Zwittergothik“ zeigenden ersten protestantischen Kirche von Voit’s – nur um so besser zur Geltung kommen. Da auch der Kostenanschlag im allgemeinen als richtig anerkannt werden konnte, obgleich die Schwierigkeit mit einer verhältnissmässig so geringen Bausumme eine monumentale Baugruppe herzustellen, sich nicht verhehlen lässt, so haben die Preisrichter der Gemeinde-Vertretung die Annahme und unverkürzte Ausführung des Otzen’schen Entwurfs aufs wärmste empfohlen. Da der letztere auch in der Gemeinde selbst nicht geringeren Beifall gefunden hat, so darf wohl mit Sicherheit angenommen werden, dass die Verwirklichung des schönen Plans nicht lange auf sich warten lassen wird.

Dieser Artikel erschien zuerst am 22.02.1890 in der Deutsche Bauzeitung.