Zur Frage der Gestaltung der Schlossfreiheit in Berlin

Skizze

Zu den in No. 98 Jhrg. 89 d. Bl. veröffentlichten Ausführungen des Hrn. Stadtbauinsp. Gottheiner seien auch dem Unterzeichneten noch einige Bemerkungen gestattet.

In dem von mir zur Preisbewerbung um das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm eingereichten Entwurf (No. 115) hatte ich eine Durchlegung der Behrenstrasse und einen Platz vor dem Hauptportal des Schlosses anstelle der jetzigen Gebäude der Schlossfreiheit mit vorgesehen; es ist auf Seite 460 und 467 der Deutschen Bauzeitung das Motiv dieses meines Entwurfes besprochen und auf die Vorzüge desselben hingewiesen worden. Ich hatte in dem bezgl. Entwurf nur die Grundgedanken der Anlage angegeben, diesen aber nicht weiter ausgeführt, weil ich der Ansicht war, dass der von mir vorgeschlagene Standort geeigneter sei und dass jener, vor dem Schlossportal herzustellenden Platz, für ein Nationaldenkmal nicht genüge.

[Anmerkung der Redaktion. Nachdem wir in No. 98 einem entschiedenen Gegner der Aufstellung des Kaiser-Denkmals auf dem Platze der Schlossfreiheit Raum zur eingehenden Begründung seiner Ansichten gegeben und sodann in No. 100 eine Erörterung veröffentlicht haben, welche – vom Standpunkte des Ingenieurs – eine entgegen gesetzte Auffassung der Angelegenheit vertritt, glauben wir auch dem Verfasser der vorliegenden architektonischen Darlegung das Wort nicht versagen zu dürfen. Sein Recht hierzu wurzelt darin, dass er als Einziger unter den Theilnehmern der voraus gegangenen Preisbewerbung einen Gedanken zur Herstellung eines künsttlerisch gedachten Denkmalplatzes vor der Westseits des Schlosses angeregt und insbesondere die Frage einer Durchlegung der Behrenstrafse bis zum Schlosse hierzu in Beziehung gebracht hat.

Wir glauben damit die Erörterung der Angelegenheit, die bei dem augenblicklichen Stande der Dinge doch zu einer gewissen Unfruchtbarkeit verdammt wiirde, vorläufig als abgeschlossen betrachten zu können und verzichten aus diesem Grunde auch auf jede weitere eigene Meinungs-Aeusserung in der Sache, so sehr die letzten Darlegungen von anderer Seite auch zu einer solchen auffordern.]

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Da jedoch ein anderer, allen Ansprüchen genügender Platz innerhalb der alten Stadt, wie er von so vielen Seiten gewünscht wird, anscheinend nicht geschaffen werden kann, so ist die Schlossfreiheit jetzt dermaassen in den Vordergrund getreten, dass es wohl angebracht ist, der Frage nochmass in gründlicher Weise näher zu treten, ob überhaupt an dieser Stelle ein genügender Platz zur Ausstellung eines grösseren Denkmass geschaffen werden kann und ob hierzu die Durchlegung der Behrenstrasse erforderlich ist.

Hr. Gottheiner verneint beide Fragen und allerdings würde auf die von ihm beschriebene und skizzirte Weise ein würdiger Denkmassplatz kaum sich herstellen lassen, die Durchlegung der Behrenstrasse hierzu aber unnöthig, sogar störend sein.

Es kann jedoch auf die in meinem oben erwähnten Entwurf angegebene Weise sehr wohl ein Platz gewonnen werden, der zur Ausstellung eines vorwiegend plastischen Denkmass geeignet ist und nicht allzu hoch gespannten Ansprüchen wohl genügen dürfte.

Wenn nämlich vor dem Schlossportal ein halbrunder Platz mit rd. 55 m Halbmesser angelegt wird, dessen Mittelpunkt etwa 22m vor dem Portal und in der Axe des Schlosses liegt und auf diesen Platz, ausser der Strasse die vor dem Schlosse entlang führt, noch die Behrenstrasse und symmetrisch mit dieser Strasse nach Südwesten zu noch eine kurze Abzweigung der Werderstrasse zugeführt wird, so würde unter Festhaltung der für den Spreekanal nothwendigen Breite von 22 m ein recht ansehnlicher Platz entstehen. Derselbe würde ungefähr die Grösse des Platzes vor dem Brandenburger Thor (vom Thor bis zur Trottoirkante gemessen) besitzen, jedoch durch die von allen Seiten auf ihn zuführenden Strassen noch bedeutend grösser wirken.

Künstlerisch liesse derselbe sich ausbilden durch Vorlegen bezw. Herumführen einer mit kleinen Gruppen, Springbrunnen usw. geschmückten Terrasse vor dem Schlosse, durch mächtige Kandelaber an den Endpunkten der Brücke und der Strassen und durch zwischen letzteren anzulegende Rondess, in welchen ideale Bildwerke oder Portrait-Standbilder hervorragender Männer vortheilhaft Platz finden würden. Alle diese, die Umrahmung des Platzes bildenden Werke, in Verbindung mit den das Wasserbecken des Spreekanass begrenzenden reichen Uferanlagen und den künstlerisch durchgeführten Brücken, das Schloss als Hintergrund, könnten vielleicht dazu beitragen, einen an und für sich so gewaltig, wie möglich gestalteten, inmitten dieser Umgebung aufgestellten Reiter-Standbilde das Gepräge eines Nationaldenkmass zu verleihen.

Was nun die Stellung des Denkmass selber anbetrifft, so würden zwei in den beigefügten Lageplänen skizzirte Möglichkeiten vorhanden sein. Einmal könnte es, wie s. Z. in der Deutschen Bauzeitung angegeben war, in der Axe des Schlosses zwischen den beiden auf dem Platz zuführenden Strassen aufgestellt werden, und zweitens in dem Schnittpunkte der Axe des Schlosses mit den Axen dieser beiden Strassen. Im ersten Falle würde es dem Schlosse zugewendet sein, und sich mit der Rückseite im Wasser spiegeln. Es stände so für eine Betrachtung sowohl aus nächster Nähe, als auch aus der Ferne sehr günstig, und liesse auch inbetreff der Beleuchtung nichts zu wünschen übrig. Leider würde es aber den beiden auf den Platz zuführenden Strassen die Rückseite zukehren, und – so lange das Gebäude der alten Bauakademie steht – eines entsprechenden architektonischen Hintergrundes entbehren.

Im zweiten Falle würde es vor dem Hauptportal des Schlosses mit der Front nach Westen zu stehen kommen, jedoch so weit vortretend, dass noch genügend Raum zum bequemen Einfahren in das Schloss verbleiben würde. Es hätte dieser Standpunkt den wesentlichen Vorzug vor dem ersteren, dass das Schloss mit seinem Portal und der mächtigen Kuppel einen monumentalen Hintergrund für das Werk abgäbe, und die neu anzulegenden Strassen auf das Denkmal zuführen, und zwar in sehr günstiger schräger Richtung. Bei diesem Standpunkt liesse sich auf einem ovalen Inselperron von etwa 40 m zu 70 m Axe schon eine recht stattliche Denkmass-Anlage herstellen, vielleicht in der Weise des reizenden Rieth & Kafssack’schen Entwurfes, allerdings nur in etwa 2/3 der von diesen Künstlern angenommenen Grösse.

Ich glaube diesem zweiten Standorte den Vorzug geben zu müssen, da die Gesammtwirkung einer derartigen Denkmassanlage entschieden eine viel grossartigere sein wird, als in dem ersterem Fall und das Denkmal von allen Seiten trefflich zur Geltung kommen würde.

Die kurze Strasse nach der Schleusenbrücke bezw. der Werderstrasse zu, sowie die Ueberbrückung des Spreekanass, und infolge dessen die Durchlegung der Behrenstrasse, sind für den ersten Fall der Denkmass-Ausstellung sehr nothwendig, um dem Platz eine entsprechende Grösse und Form zu verleihen, und eine Ausstellung des Denkmass dem Schlossportal gegenüber zu motiviren. Für den anderen Fall ist die Ausstellung vor dem Schlossportal überhaupt nur durch diese Strassen-Anlagen möglich. – Was nun die so hart beurtheilte Durchlegung, der Behrenstrasse betrifft, so sind die Anfangspunkte durch die 13 m von der südlichen Fluchtlinie vorspringende Hedwigskirche und das Gebäude der Bodenkredit-Bank auf der einen und durch die Rückseite des Opernhauses auf der andern Seite festgelegt; es ergiebt sich hieraus eine Strassenbreite von 27 m, , Diesen allerdings über die alte Fluchtlinie vorspringenden Strassenanfang einen „Engpass“ zu nennen, ist wohl eben so wenig gerechtfertigt, wie die Annahme, dass die vorspringende Kirche unschön wirken würde. Auch wird gerade hierdurch möglich, dass die neue Strasse eine Richtung auf das Schlossportal bekommen kann und dass man schon von der Friedrichstrasse her auf der südlichen (belebteren) Seite der alten Behrenstrasse einen Blick auf das Denkmal mit dem dahinter liegenden Schlossportal gewinnen würde. Zu diesem Zwecke muss die weitere Richtung der neuen Strasse so genommen werden, dass die nördliche Baufluchtlinie der Prinzengasse auch die der neuen Strasse bleibt. Von den hinteren alten Gebäuden des Palais der Kaiserin Friedrich würden allerdings etwa 4 m abgeschnitten, was wohl in Anbetracht des Umstandes, dass das Palais auf diese Weise nach der neuen Strasse eine Front bekäme, unschwer durchzusetzen sein würde. Andernfalls würde die neue Strasse mit 21m auch noch genügend breit sein, und nur der Blick von weitem auf das Schlossportal etwas beeinträchtigt werden.

Für den Verkehr auf dieser neuen Strasse ist zunächst wohl anzunehmen, dass der schon jetzt in der Behrenstrasse vorhandene Verkehr vom östlichen Ende sich nicht mehr nach den Linden und der Französichen Strasse ablenken, sondern in der verlängerten Strasse verbleiben würde. Auch würde der Verkehr zwischen Schlossplatz und Linden, schon wegen der Abkürzung des Weges, sich vielfach der neuen Strassen-Verbindung bedienen. Sollte nun gar vielleicht der Platz östlich des Opernhauses (unter Hinzuziehung des Gartens vor dem Prinzessinnen-Palais) ähnlich wie der Opernplatz durch diagonale Fahrwege durchkreuzt werden können, so wäre es zweifellos, dass der ganze Verkehr nach der neuen Strasse sich ziehen würde. Wenn in der Gottheiner’schen Abhandlung sowie in dem Aufsatz auf S. 611 diesem Strassen-Durchbruch schlechthin jede Aussicht auf Verkehr abgesprochen und derselbe mit der durchbrochenen Taubenstrasse verglichen wurde, so war dies allerdings richtig, insofern die dort skizzirte Gesammt-Anlage des Platzes und des Denkmals zugrunde gelegt wurde.

Inbetreff der Wasserverhältnisse sind für die Durchführung des Freigerinnes keine Schwierigkeiten vorhanden, da dieses unterirdisch bis hinter die neu zu erbauende Brücke geführt werden und unter dem Rondel, welches zwischen der östlichen Ufermauer und der Brücke liegt, in das grosse Wasserbecken eingeleitet werden könnte. Es liesse sich durch die schäumend einströmenden Wassermengen, vielleicht sogar in Verbindung mit von oben herab fallenden kleineren Kaskaden eine mächtige Wirkung erzielen, die von der Schlossbrücke aus betrachtet das Gesammtbild angenehm beleben würde.

Schliesslich wären nur noch die Höhenverhältnisse der neuen Brücke zu erörtern. Wie schon die Redaktions-Anmerkung in No. 90 besagte, wäre es doch wohl nicht ausgeschlossen, dass auch diese Brücke, wie die Schleusen- und Schlossbrücke, als eine bewegliche ausgeführt werden könnte. Wenn aber zur Durchführung der neuerdings angenommenen Grundsätze auch diese beiden alten Brücken geändert und in feste Anlagen verwandelt werden müssen, so stände ja so wie so eine Umgestaltung bezw. Höherlegung des ganzen, inbetracht kommenden Geländes in Aussicht. Immerhin aber liegen die Verhältnisse selbst für den in der bezgl. Abhandlung heran gezogenen ungünstigsten – tatsächlich aber wohl ohne weiteres auszuschliessenden – Fall, dass die beiden alten Brücken wie bisher bestehen bleiben würden, und nur die neue Brücke nach den z. Z. gültigen Bestimmungen ausgeführt werden müsste, nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick scheint und wie es dort berechnet ist. Der Höhen-Unterschied zwischen der Mitte der Brücke und der Schlossfreiheit, der überhaupt hier nur in Betracht kommen kann, ist dort auf 1,88 m angegeben.

Es ist in dieser Berechnung der denkbar niedrigst liegende Punkt der Schlossfreiheit berücksichtigt worden, und zwar so, dass in der beigegebenen Höhenskizze vom Schlossportal bis zur Fahrbahnmitte der neuen Schlossfreiheit-Strasse ein Gefälle von 30 cm angenommen ist, anstatt die auf das Portal zuführende Strasse auch bis auf dieses gleichmässig abzurampen. Es darf also als eigentlicher Unterschied nur ein Maass von 1,58 m in Ansatz gebracht werden. Auch die sogen. Konstruktionshöhe der Brücke von 1 m dürfte sich ohne Schwierigkeiten um 15 bis 20 cm vermindern lassen.

Nun ist aber die Brücke nach meiner Anordnung 10 m weiter nördlich als in der bezgl. Anordnung angenommen, wodurch sie vom Schleusen-Unterhaupt um so viel weiter ab und für die Schiffahrt bequemer liegt. Auch lässt sich durch Zurücklegen des südwestlichen Eckpunktes der Brücke eine rechtwinklige Ueberbrückung des Kanals erzielen, wodurch erreicht wird, dass die Kähne vollständig in der Mitte, also an der höchsten Stelle der Brücken-Konstruktion, hindurch fahren können, und das in jener Abhandlung über das vorschriftsmässige Mindestmaass von 3,20 m Durchfahrtshöhe angenommene Plus von 43cm ganz fortfallen oder wenigstens beträchtlich eingeschränkt werden kann.

Es ergiebt sich also höchstens ein Unterschied von 0,90 bis 1,00 m zwischen Scheitel der Brücke und Schlossportal, der übrigens durch die dem Schlosse vorgelegte Terrasse und das Denkmal selbst, so weit versteckt werden könnte, dass er für das Aussehen des Platzes kaum noch inbetracht käme.

Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass die westliche Ufermauer des Kanals zwischen Schleusenbrücke und der neu anzulegenden Brücke noch um einige Meter zurück gelegt werden kann, wenn dieselbe in geschwungener Form ausgeführt würde.

Es könnte auf diese Weise die schräge Lage der Bauakademie zur Axe des Schlosses fast versteckt und das Wasserbecken des Kanals sowohl verbreitert, als auch durch die regelmässige Form wesentlich verschönert werden.

Ich glaube, durch diese Ausführungen wohl gezeigt zu haben, dass die meisten gegen die Wahl der Schlossfreiheit als Standort des Kaiser-Denkmass vorgebrachten Gründe keineswegs von durchschlagendem Gewicht sind. Meiner Ueberzeugung nach lässt sich auf die oben angeführte Weise sehr wohl ein des allverehrten grossen Kaisers, des Begründers des deutschen Reiches, würdiges National-Denkmal herstellen. Wenn dasselbe sich an Größe mit einem auf dem Königsplatz zu errichtenden Denkmal auch nicht messen kann, so würde dieser Nachtheil durch seine bevorzugte Lage im Herzen der Stadt wohl mehr wie ausgeglichen werden.

Berlin, im Dezember 89. Joh. Lehnert, Bmstr.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in Die Woche.