1902, von Fritz Seitz, Architekt in Heidelberg. Es sind jetzt 20 Jahre her, dass der Verfasser in der „Deutschen Bauzeitung“ den baulichen Zustand des Heidelberger Schlosses zu beschreiben versuchte (vgl. Jahrg. 1882 No. 1 ff.).
Inzwischen ist vonseiten der grossherzoglich badischen Regierung mancherlei für die Erhaltung des Schlosses geschehen, und neuerdings sind von dem Finanzminister einer Kommission von Sachverständigen und Freunden des Baudenkmals so weitgehende Vorschläge für dessen Wiederherstellung zur Beurtheilung unterbreitet worden, dass man wohl sagen kann, jetzt ist der kritische Augenblick gekommen, wo über das Schicksal des Schlosses auf Jahrzehnte hinaus entschieden wird. Nachdem nunmehr durch Veröffentlichung des Protokolles der Kommissions-Berathungen v. 15 Okt. 1901 für sachliche Erörterungen in einem Fachblatte die Grundlage gegeben ist, wird es den Fachgenossen angenehm sein, in nachfolgenden Zeilen Näheres über den Stand der Angelegenheit zu erfahren. Zunächst ist es nöthig, die Unternehmungen, welche in den verflossenen 20 Jahren dem Schlosse zu Lieb und zu Leid geschahen, in ihrer Zeitfolge und ihren Ergebnissen aufzuzählen.
Im Jahre 1883 beschloss die grossherzogl. Regierung, vor allem das Material zur Beurtheilung des baulichen Zustandes des Schlosses zu beschaffen. Zu diesem Zwecke wurde in Heidelberg ein Baubureau errichtet mit zwei Architekten, dem Bauinsp. Koch und dem Verfasser als Vorständen, welches die Aufgabe hatte, das Schloss in allen Theilen aufzunehmen, zu zeichnen und zu beschreiben. In Karlsruhe wurde zur Ueberwachung der Arbeiten des Schloss-Baubureaus eine Bau-Kommission gebildet der unter anderen die Architekten Baudir. Helbing, Ob.-Brth,Prof. Lang und Brth. Prof. Durm angehörten. Die einzelnen Bauten wurden eingerüstet, abgezeichnet und die Beschädigungen in den Zeichnungen vermerkt und beschrieben; die Fundamente und der Baugrund wurden möglichst genau untersucht. Ein Mitglied der Baukommission, Prof. Dr. Schmidt in Heidelberg, beurtheilte den Baugrund vom geologischen Standpunkte aus. (Im Einzelnen wurden die Arbeiten und die leitenden Grundsätze, nach welchen die Untersuchungen vorgenommen wurden, der Wander-Versammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine im Jahre 1886 vorgelegt. Vgl. Dtsche. Bztg., Jahrg. 1886 No. 71. Ein zur Veröffentlichung geeigneter Theil der Arbeiten wurde unter dem Titel „Das Heidelberger Schloss“ von J. Koch und F. Seitz bei Bergsträsser in Darmstadt herausgegeben). Während der siebenjährigen Zeit der Thätigkeit des Schloss-Baubureaus ist im Jahre 1884 eine einzige Veröffentlichung von Durm im „Centralbl. d. Bauverw.“ erschienen, welche zu der Hauptfrage, was mit dem Schloss geschehen soll, Stellung nahm. Eine endgültige Beantwortung der Frage, ob wieder aufzubauen oder nur zu unterhalten sei, vertagt Durm begreiflicher Weise bis nach Vollendung der Arbeiten des Schloss-Baubureaus, spricht aber seine Ansicht dahin aus, dass die falsche Sentimentalität für die Romantik der Ruine gegenüber der unerbittlichen Thatsache, dass Bäume und Epheu das Steinwerk zerstören, nicht bestehen könne, und dass im Einzelnen ohne regelrechte Ueberdachung der Otto Heinrichs-Bau auf die Dauer nicht zu halten sei. Nach Abschluss der Vorarbeiten erhielten die grossh. Baudirektion, der Geologe Prof. Dr. Schmidt für den Baugrund, der Bildhauer Heer für die Figuren und die Vorstände des Schloss-Baubureaus, Bauinsp. Koch und der Verfasser, den Auftrag, getrennte Gutachten abzugeben darüber: „Was hat zu geschehen, um das Heidelberger Schloss vor weiterem Verfall zu schützen und vornehmlich in seinen künstlerisch werthvollen Theilen möglichst lange zu erhalten?“ Der Zeitfolge nach zuerst gaben die Vorstände des Schloss-Baubureaus ihr Gutachten ab.
[Anmerkung der Redaktion. Für Leser, welche der Frage der Wiederherstellung des Heidelberger Schlosses bisher ferner gestanden haben, sei erwähnt, dass Hr. Arch. Fritz Seitz in Heidelberg zu der kleinen Gruppe von Architekten – zu der Gruppe Durm, Koch, Schäfer, Seitz – gehört, welche durch die eingehendsten und sorgfältigsten Untersuchungen am Schlosse über den thatsächlichen ehe Zustand desselben in erster inie unterrichtet sind.]
Sehen wir zunächst zu, welcher Art die gefährlichen Beschädigungen sind, und beschränken wir uns dabei auf den Otto Heinrichs-Bau, dessen Wiederherstellung in erster Linie infrage steht, so finden wir, dass hauptsächlich die Einflüsse von Regen, Frost und Hitze den allmählichen aber sicheren Untergang der Ruinen veranlassen. Die reiche Hoffassade ist im Erdgeschoss bei 1,15 m Stärke 6,7 m, im 1. Obergeschoss bei 0,93 m Stärke etwa 5 m und im 2. Obergeschoss bei 0,84 m Stärke gleichfalls etwa 5 m hoch. Ungefähr die Hälfte der Fassade ist bis auf Erdgeschosshöhe durch eine durch den ganzen Bau gehende Quermauer und zwei etwa halb hindurchgehende massive Zwischenmauern abgesteift. Die zwei Obergeschosse stehen mit über 10 m Höhe frei, die nördliche Hälfte hat bei etwa 12,5 m Länge auf die ganze Höhe von rd. 17 m keinen Querverband und keine Stütze. Gerade in der Mitte ihrer Längsausdehnung (vergl. Abbildg. I bei A) hat die nördliche Hälfte der Mauer eine wahrscheinlich von dem Einsturz des Daches herrührende Ausbauchung.
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Das Maass der Ausbauchung war zurzeit der Aufnahmen nicht bedenklich, doch ist das Gefüge der Mauerpfeiler im oberen Stockwerk gelockert, und die Fugen nach aussen sind geöffnet. Kleinere Bewegungen der Mauer haben immer stattgefunden, denn man musste im vorigen Jahrhundert die Gewölbe einschlagen, weil man ihren Schub auf die Mauern bemerkt hatte, Das Material der Mauer ist rother Neckarbuntsandstein. Die Figuren und ein Theil der Ornamente sind aus Keupersandstein gefertigt. Ganz erhebliche Theile der Fassaden-Architektur sind in Verwitterung begriffen. So z. B. sind der reiche Triglyphenfries und die darunter liegenden Verdachungen der Fenster im Erdgeschoss zumtheil fast gänzlich zerstört. Die Stockgurten sind auf der Oberfläche aufgelagert und vielfach ausser jeder Form. An diesen Stellen läuft das Wasser, anstatt abzutropfen, auf die darunter liegenden Fassadenflächen und zerstört auch diese. Ganz deutlich zeigt sich die grössere Einwirkung der Witterung da, wo kein Dach ist: beim Otto Heinrichs-Bau an der nördlichen Hälfte und beim Friedrichs-Bau an den freigestandenen Giebeln, und hier wieder besonders an der Nordseite, welche die Rückseite dem Wetter zuwandte; dort musste ein Giebel fast ganz neu ersetzt werden.
Es bedarf vor dem Forum der Sachverständigen keines Beweises, dass ein Dach über dem Gebäude die Mauer auf der einen Seite den Einflüssen des Regens und der Sonne entzieht, dass der Schluss der Fenster den Frost von der inneren Fläche der Mauerpfeiler abhält, und dass durch Einziehen von Zwischendecken und Zwischenmauern die ursprüngliche Verankerung der 4 Umfassungsmauern in einfachster Weise wieder hergestellt werden kann. Die Verankerung beugt einem jedenfalls nicht unmöglichen plötzlichen Einsturz der Hoffassade bei aussergewöhnlichem Sturm vor, und die Erfahrung an anderen Orten der Schlossruine spricht dafür, dass der Verwitterungsprozess am Aeusseren durch Abschluss der Athmosphärilien von dem Inneren verlangsamt wird. Für die Vorstände des Schlossbaubüreaus gab es daher keinen Zweifel, dass konstruktiver Ausbau und Bedachung am besten geeignet seien, die künstlerisch werthvollen Architekturtheile am längsten zu erhalten.
Es war nur festzustellen, ob die Mauer imstande sei, die Dachlast zu tragen. Diese Frage konnte bejaht werden. Die verwitterten Architekturglieder müssten vorher neu ersetzt, die oberen Theile der Hoffassade und die Pfeiler an der Stelle, wo die Ausbauchung sich befindet, müssten abgetragen und wieder aufgebaut werden. Die auf diese Weise wieder in einen guten baulichen Zustand versetzte Mauer könnte, wenn sie noch durch Decken mit den übrigen Mauern verbunden wäre, die Dachlast tragen, denn die Fundamente der Süd-, Ost- und Westwand sind gut, die der Nordwand leicht zu festigen. Selbstverständlich konnte ein stilgemässer vollständiger Innenausbau, weil derselbe nicht mehr leistet, als ein lediglich konstruktiver, für die Vorstände des Schloss-Baubüreaus zunächst nicht inbetracht kommen. Hier spricht eine andere Erwägung das letzte Wort, nämlich die Sorge um die Beschaffung der Geldmittel.
Als unumgänglich nothwendig, wenn man einen theilweisen Aufbau (Bedachung und Querverbände) nicht ausführen wolle, wird die Ableitung des Regenwassers, die Abdeckung der Mauerkronen und der Vorsprünge mit harten Sandsteindeckeln, die Auswechselung der beschädigten Hausteine und die Beseitugung beginnender Verwitterung durch Führungen empfohlen.
Ausdrücklich betonten die Gutachten, dass wenn man nur das unumgänglich Nothwendige ausführe, das gesteckte Ziel der längsten Erhaltung nicht erreicht werden wird.
Das für die Baudirektion von Durm erstattete Gutachten fürchtet für den romantischen Zauber, es will das Schloss als Ruine belassen und nur die Figuren erneuern oder ergänzen. Prof. Schmidt empfiehlt die sachgemässe Wasserableitung zur Sicherung des Baugrundes, Prof. Heer den Neuersatz, bezw. die Ergänzung der Figuren.
Im Jahre 1891 wurde von der grossh. Regierung eine Kommission berufen, welche folgende Beschlüsse fasste!
1. Eine vollständige oder theilweise Wiederherstellung des Schlosses kommt nicht inbetracht.
2. Die vorzunehmenden Arbeiten müssen bis in die kleinsten Theile auf Erhaltung des Bestehenden gerichtet sein.
Erneuerungen sollen erst dann vorgenommen werden, wenn das Bestehende vollständig oder schon soweit zerstört ist, dass eine Ausbesserung ausgeschlossen erscheint. Dieser Satz betrifft nicht nur das rein Bauliche, sondern auch den künstlerischen Theil der Ruine, sowohl Ornamente wie figürliche Darstellungen
3. Als erstes Erforderniss ist zur Erhaltung der Bauwerke eine sachgemässe Abführung der Grund- und Tagwasser zu bezeichnen.
4. Dieser Maassregel würde sich eine Sicherung aller Mauertheile gegen Witterungseinflüsse durch entsprechende Ausfugungen, Abdeckungen, Versteifungen u. dergl. anzuschliessen haben.
5. Es empfiehlt sich, den plastischen Schmuck des Schlosses in den wesentlichen Theilen jetzt schon abzuformen, damit bei eintretender völliger Zerstörung der Originale zuverlässige Vorbilder für die Erneuerung vorhanden sind.
Die übrigen Thesen haben mit der Erhaltung der Bauten nichts zu thun.
Eines geht aus den Thesen klar hervor: Grundsätzlich ist jeder Wiederaufbau ausgeschlossen; warum, wird nicht gesagt. Den allmählichen gänzlichen Verfall der einzelnen Theile sieht die Kommission voraus, wie alle Fachleute vor ihr.
Wenn aber die Vorstände des Schloss-Baubureaus von den beschädigten Theilen auch die entfernen und neu ersetzen wollen, die eine Gefahr für die Nachbarschaft bedeuten, so will die Kommission immer erst dann ersetzen, wenn ein Stück vollständig zerstört ist. Man denke sich an der Fassade hunderte von Hausteinen, die zum erheblichen Theile in ganz verschiedenen Verwitterungsstadien sich befinden, und man sieht ein, dass die Arbeiten wenn man den Kommissions – Beschlüssen folgt, nimmer aufhören. ie Entwässerungsarbeiten wurden ausgeführt. Die Thesen 2 und 5 stiessen bei der Ausführung alsbald auf Schwierigkeiten, Man musste die Figuren in Stein nachbilden, weil der Umweg über eine Gipsform viel theurer geworden wäre „und ausserdem den Bestand der Figuren infrage gestellt haben würde“ Die in Stein nachgebildeten alten Figuren sollten wieder in die Nischen gestellt werden; man kam aber auch davon ab, weil man befürchtete, sie würden dabei zugrunde gehen. So stehen jetzt die neuen Figuren in den Nischen und die alten im Trockenen anstatt der aufzubewahrenden Gipsmodelle, Der Zwang vernünftig beurtheilter Thatsachen führte aber bald noch weiter. Man überzeugte sich, dass die neuen Figuren, denen über den konservativen Vorsatz weit hinausgehend, auch die fehlenden Hände, ja sogar wie bei Friedrich II. der ganze Oberkörper neu anmodellirt worden waren, doch nicht an eine Fassade gestellt werden konnten, durch deren abfallende Stücke neue Zerstörungen drohten. So kamen auch die Gegner jedes energischen Eingriffes zu der Wiederherstellung der Architekturtheile an der Fassade des Friedrichsbaues,
Im Spätjahr 1894 wurde wieder eine Kommission berufen, welche unter Durms Vorsitz beschloss, es solle der Regierung die Wiederherstellung des Friedrichs-Baues mit neuer, bedeutend erhöhter Bedachung und mit Ersatz der beschädigten Architekturtheile empfohlen werden. Kleine mechanische Schäden (Schüsse u. dergl.) sollten belassen werden, um der Fassade das Alterthümliche möglichst zu bewahren. Der Ausbau des Inneren hat mit der Erhaltung des Vorhandenen nichts zu thun; er geht darüber hinaus und ist hier nicht zu besprechen. Jetzt wird von den Gegnern der Wiederherstellung behauptet, es sei zuviel geschehen, der bauleitende Architekt, Prof. C.Schäfer in Karlsruhe, habe zu viele Steine ausgewechselt.
[‚Hierzu lässt sich ein merkwürdiges Gegenstück erzählen. Nicht alle Figuren am Friedrichs- und Otto-Heinrichs-Bau waren baufällig. Einzelne waren noch sehr gut erhalten und weder von dem begutachtenden Bildhauer, noch von den Vorständen des früheren Schloss-Baubüreaus als ersatzbedürftig bezeichnet worden. Trotzdem wurden ganz gegen die Beschlüsse der 1891er Kommission alle alten Figuren durch neue ersetzt, aber nicht durch Schäfer, sondern von denjenigen, welchen die Ausführung jener Beschlüsse anvertraut war.]
Der Verfasser ist der Meinung, dass dies im Grossen und Ganzen nicht zutrifft. Schäfer musste den Bau in einen solchen Zustand versetzen, dass die noch unbeschädigten Theile der Fassade den Fährlichkeiten der Witterung, welche durch benachbarte beschädigte Steine hervorgerufen oder doch vergrössert wurden, nicht mehr unterlagen; er musste alle Architekturglieder neu ersetzen, die nicht mehr am gesunden Stein (durch Führungen u. dergl.) ergänzt werden konnten, oder er durfte entsprechend dem 1891er Kommissions-Beschluss nur die gänzlich zerstörten Steine ersetzen. So wie er es machte, haben wir jetzt nur gesunde Steine, neue und alte, im anderen Falle hätten wir gesunde neue und mehr oder minder zerstörte alte Steine an den Fassaden. Die Erneuerung hätte alsbald wieder zu beginnen und hörte nie auf, Wir wollen versuchen dies an einem Beispiel noch deutlicher zu machen. In Abbildung 2 sei 1. ein zu dreiviertel und 2. ein zur Hälfte zerstörtes Gurt- bezw. Friesstück, während 3. ein noch ganz gesundes Architravstück sei. Hätte man nun 1. belassen bis zur vollständigen Zerstörung, so wäre bei seinem Neuersatz 2. bis zu 3/4 zerstört gewesen, bei 3. aber hätte wegen der inzwischen sehr ungünstigen Schutzformen von 1. und 2. die Verwitterung bereits begonnen. Nach wenigen Jahren wären auch 2. und 3. zum Ersatz reif gewesen. Man hätte also in einer Anzahl von Jahren 3 neue Steinstücke. Schäfer hat nun 1, und 2. alsbald ersetzt; 1. war verloren, 2. dagegen konnte in halb verwittertem Zustand herausgenommen und aufbewahrt werden. 3. wurde der gefährlichen Nachbarschaft entzogen und ist so gut wie ein neuer Stein. So haben wir jetzt zwei neue und einen gesunden alten Stein und ausserdem einen halb verwitterten Stein an sicherem Ort. Dieses Rechenexempel spricht doch eine klare Sprache gegenüber den Ruinenfreunden; der Verlust ist auf ihrer Seite. Ganz ähnlich, in mannichfaltiger Abwechselung, liegen die Verhältnisse am Otto-Heinrichs-Bau.
Der bauleitende Architekt Schäfer ist während seiner Thätigkeit zu derselben Ansicht gekommen, wie die Vorstände des früheren Schloss-Baubureaus, nämlich, dass der Otto Heinrichs-Bau, insbesondere die Fassade, am längsten durch Bedachung, durch Querverspannung und Erneuerung der in Verwitterung begriffenen Hausteine zu retten sei. Er hat im Auftrag der grossherzoglichen Regierung Pläne und Kostenvoranschläge ausgearbeitet, sowohl für diesen Bau, als auch für den „gläsernen Saalbau“. Diese Pläne wurden am 15. Okt. 1901 wiederum einer Kommission zur Begutachtung vorgelegt. In der Kommission waren die Ansichten getheilt. Auf der einen Seite standen die Kunsthistoriker Thode-Heidelberg und v. Oechelhäuser-Karlsruhe, und die Architekten Prof. v. Seidl-München, sowie Ob-Brth. Kircher-Karlsruhe; diese wollten von einem Wiederaufbau nichts wissen. Für den Wiederaufbau waren, abgesehen von dem Planfertiger Schäfer, die Architekten Geh. Ob.-Brth. Hofmann-Darmstadt, Dombaumstr. Reg.- u. Brth. Tornow-Metz und die beiden Vorstände des früheren Schloss-Baubureaus, Brth. Koch und der Verfasser. Die Vertreter des grossh. Finanzministeriums, der Stadt Heidelberg und des Schlossvereins hielten sich neutral. Die Tagesarbeit wurde durch den leitenden Finanzminister in 3 Theile zerlegt: in 1. die grundsätzliche Frage des Wiederaufbaues, 2. die Form der Bedachung, 3. den Aufbau des gläsernen Saalbaues.
Wir wollen nun in derselben Ordnung über die Berathungen berichten. Auf dem äussersten Standpunkt im Sinne der 1891er Kommission stehen die Kunsthistoriker Thode und v. Oechelhäuser. Thode will lieber das Bauwerk, wenn auch nur für kürzere Zeit, vollständig unberührt haben, als einen für lange Zeit berechneten veränderten Bau. v. Oechelhäuser ist der Meinung, dass wenn die Mauern noch ein Dach tragen könnten, sie auch sonst zu erhalten seien. Das Schloss verliere durch die Wiederherstellung an Schönheit, und die Pietät verlange, dass kein Stein am Otto Heinrichs-Bau berührt werde, bei dem sich dies nicht als unbedingt nöthig erweise. Die Anbringung eines Daches sei zu verwerfen, denn jedes Dach, auch das Schutzdach, verändere den jetzigen Eindruck. Die Architekten seien Schwarzseher und wie die Aerzte geneigt, jeden kleinen Fehler zu übertreiben. v. Seidl und Kircher äussern sich auch ablehnend; v. Seidl giebt jedoch zu, dass wenn man darauf abhebe, den Bau für alle Zukunft zu erhalten, man ihn überdachen müsse und auch um Brandmauern und ähnliches nicht herumkomme. Das Dach und sonstige Konstruktionen müssten jedoch durchaus den Charakter eines Schutzmittels und überall untergeordnete Tendenz haben. Jedes Haus sei in fortgesetztem Verfall, erhaltende Arbeiten müssten diesen Verfall soweit als möglich verhindern, Dies könne durch fortgesetztes Flicken oder auf einmal radikal geschehen. Der Otto Heinrichs-Bau könne in seinem gegenwärtigen Zustande durch Flicken erhalten werden, weil seine Steine doch nicht zu Grunde gehen [Das letztere ist offenbar ein Irrthum, die Sorge besteht eben hauptsächlich darin,dass die Steine durch Verwitterung zugrunde gehen.], Kircher schliesst sich v, Seidl an; er glaubt, dass die Fassade durch die Mittel der modernen Technik erhalten werden könnte, und nennt als solche Zementabdeckungen und Verklammerungen.
Auf der anderen Seite stellt Hofmann den Aufbau als dringend nöthig dar, weil in unserem Klima mit Flickwerk nichts gethan sei. (Giebt dabei Beispiele von alten hessischen Bauten.) Ihm seien keine Mittel zur Erhaltung der in Verwitterung begriffenen Steine bekannt. Die als Koulisse freistehende Fassade bekomme durch Dach, Quermauern und Decken neuen Halt. Tornow ist der Ansicht, dass wenn der Bau noch länger als 3-4 Jahrzehnte halten soll, er ein Dach bekommen müsse. Koch und Seitz vertreten ihren oben schon näher dargelegten Standpunkt.
Zement sei ein untaugliches Material zu vorliegendem Zweck, von den Steinen sei jetzt schon etwa 1/3 ganz erheblich verwittert, nach jedem Winter fielen eine ganze Menge kleiner Bautrümmer, durch den Frost gelöst, zu Boden. Koch ist ausserdem der Meinung, dass wenn man jetzt die Bereitwilligkeit der Regierung nicht benutze, dieselbe vielleicht später nicht mehr in dem Maasse vorhanden sei.
Schäfer sucht an dem Beispiel des Klosters Walkentried nachzuweisen, wie freistehende Mauern durch pendelnde Bewegung und die destruktiven Einflüsse der Witterung allmählich sich neigen und einzufallen drohen. Am Otto Heinrichs-Bau habe er gegenüber den Lothungen des früheren Schloss-Baubureaus ein grösseres Ueberstehen der Hauptfassade feststellen können, Die Ruinenfreunde haben auf mehrfache Aufforderung in der Versammlung kein anderes Mittel zu nennen gewusst, um die Fassade zu erhalten, als Zement und Klammern. Späterhin wurden – und zwar sachlich, wie wir mit Dank anerkennen – durch Dr. Warth in Karlsruhe einige Maassregeln zur Verhütung des Zerfalles besprochen (Bad. Landes-Ztg. No. 562). Er will die verwitterten Theile instand setzen; wie er das machen will, sagt er nicht, wir müssen deshalb auf das von uns oben Gesagte verweisen. Die Gefahren, welche der Fassade durch den 3 Stockwerk hohen freien Stand an sich und durch die Ausbauchung drohen, will er durch „strebepfeilerartige Hochführung der Quermauern“ beseitigen. An der Stelle, wo die Ausbauchung ist, befand sich nie eine Quermauer, dieselbe müsste mitten durch den grossen Saal erst neu angelegt werden. Die Vorschläge zur Abdeckung der Mauern sind ungefähr dieselben, die von den Vorständen des Schloss-Baubureaus als unumgänglich nöthig bezeichnet wurden, wenn man die Bedachung nicht wolle. Als Schutzmittel für die Innenflächen der Mauern giebt Dr. WarthVerputz, gegebenenfalls nach dem Keim’schen Verfahren an. Wir glauben nicht, dass der Verputz an den alten Mauern lange hält und verneinen, dass er in demselben Maasse Regen und Frost abhält, wie eine Bedachung und wie der Fensterschluss. Dass die Fassaden an den unbedachten Theilen viel schneller auch an der Aussenfläche zu Grunde gehen, haben wir schon oben nachgewiesen. (Schluss folgt)
Dies ist eine 3-teilige Artikelserie, die zuerst 1902 in der Deutschen Bauzeitung erschien.